Heinrich Federer
Umbrische Reisegeschichtlein
Heinrich Federer

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Die Katzen vom Pantheon

Ein ganzes Buch von Pantheonmärchen flüsterte in meinem Ohr, als ich das erstemal aus der Via Giustiniani heraus gegen den steinalten Rundbau mit der himmlischen Bedachung vortrat. Dieses Runde! Es verhexe vor allem die germanische Seele, die so viel mit Ecken und Steifheiten zu fechten habe. Vor dieser aufgelösten Zirkelpracht höre man um Mitternacht die Seufzer des malenden und meißelnden Nordens wie unerlöste Gespenster herumstreichen. Es gebe Kunsthistoriker, die nach dem Genusse dieser runden römischen Hexe alle noch so blutsverwandten Beziehungen zur Frau Gothik abbrechen. Das Quadrat erscheine vor dieser melodischen Vollkommenheit wie eine Pedanterie, das Parallelogramm wie eine Verdrehtheit, das Trapez geradezu als ein Affe und Narr der Kunst. Dieser erstaunliche Tempel habe manchen fröhlichen Könner zu Genietaten, manchen Schwächling zum Selbstmord verleitet und sei sogar am Kubismus und Futurismus nicht ganz unschuldig.

Das sind ärmliche Legenden, die alle beim Anblick des Pantheons in nichts ersterben. So groß ist die Wahrheit des Gebäudes selbst. Und doch, als ich das erstemal vor seine Säulenhalle trat, da sah ich nichts von der weisen Geometrie und nichts von der steinernen Melodie dieses Werkes, ich sah nur wohlgezählte siebzehn magere, graue Katzen der Länge nach über die Fliesen des Vorhofs gestreckt. Sie hatten den langen, dünnen Schwanz zu einer Ellipse geringelt und schienen ein bißchen zu schlafen und ein bißchen auch die trägen, aber lüsternen Tigeraugen aufzuschlitzen und eine arme deutsche Seele anzublinzeln.

Ich liebe die Katzen wie ein Mozart-Allegro, wie ein Correggio-Engelchen, wie – wie – ja, wie eine kleine, geistreiche, graziöse Bosheit von Zeit zu Zeit. Aber so viele Katzen auf einmal!

In unserer nordischen Heimat, dem Vaterland der Vereine, sah ich einmal fünf Katzen beieinander. Das war die größte zisalpine Versammlung. Aber sie fand im Hornung statt.

Doch jetzt im trägen, trockenen Juli, so außer aller Schwarmzeit, am offenen, hellen Tag, mitten in der Großstadt siebzehn Katzen –, man überlege sich das einmal!

Und alle trugen das gleiche wilde, graue Fell, einen etwas zerzausten Schnurrbart, einen geschmeidigen, langen, mageren Leib, und alle lagen in monumentaler Stille da, die einen alle vier von sich streckend, andere ineinander gehaspelt, dritte unter den Bauch verkrochen, vierte wie Philosophen sitzend, mit samtenen Knien und beschaulich vor sich hin auf die Nasenspitze blickend.

Obwohl ich ganz solche Stellungen auch an deutschen Katzen oft bemerkt hatte, so fehlte hier doch etwas. Was war es nur? Ach ja, das Gemütliche und Stubenhafte unseres Hinz und unserer Mieze. Selbst die verkrochenste Katze hatte hier etwas Klassisches und öffentliches. Alle lagen in antikem Stile da. Es waren keine Hauskatzen, sondern römische Panther von jener Sorte, die am goldenen Gespann des schneebleichen, grausamen, satanisch schönen Cäsarbuben Caligula angeschirrt waren, oder Kinder von jenen Tigern, die Sankt Ignatius in der Arena zerrissen haben, oder es waren Schoßkätzchen jener furchtbaren römischen Weiber, der Messalina oder der Poppäa – kurz diese Katzen waren so alt wie das Pantheon. Das fühlte ich.

Und sie waren bis heute Heidinnen geblieben. Alles hatte sich bekehrt. Ganz Rom hatte sich in vier Jahrhunderten taufen lassen. Löwen hatten dem Einsiedler Paulus das Grab gehackt, den Märtyrern die Füße geleckt, Bären trugen dem Prediger Gallus Balken und Scheiter zum Zellenbau, Raben dienten dem Klausner Meinrad, ein Wolf stellte sich gehorsam dem Franz von Assisi und selbst die schwachsinnigen Fische bemühten sich, der Predigt Antons von Padua zu folgen. Das ganze Tierreich ergab sich. Nur diese Forumkatzen behielten ihr zähes Heidenherz.

Zwar anfangs fühlte ich das nicht so deutlich, und in der ersten deutschen Katzenfreude rief ich sie in unserer herzlichen Mundart an mit: Züs! Züs! – oder Büsi, Büsi! – und Mimeli und Minettli!, kurz, ich schmeichelte ihnen mit all den Traulichkeiten, womit man sie in den Rheinlanden, im Schlesischen, drunten im Mecklenburgischen und droben in den Schweizeralpen grüßt. Aber sie zwinkerten kaum mit dem schrägen, gelben Schlitz ihrer Augen. Ein kleines, spöttisches Grinsen lief über ihre blutrote Lippe. – »Der Dummkopf«, dachten sie wohl. »Was sind das für plumpe Gesindenamen? Kann er nicht rufen: Felis Augusta! Felis Caesarea! Felis Capitolina! Felis Regina! Kennt der Barbar kein Latein?«

Ich zog meine Hände zurück, so gern ich diese weichen, sonnensprühenden Felle gestreichelt hätte. Alles Vertrauen in diese Tiere war verschwunden. Schnurrte und spulte ja auch keines von ihnen in träumerischer Gemütlichkeit wie etwa unser Zim-Zim auf dem warmen Fenstergesimse sommers oder auf dem wärmeren Ofenziegel winters.

»Das sind wohl die letzten Hüter des Heidentums«, dachte ich, »verkappte alte Götzen, der kräftige, sehnige Kater dort, der Mars, und die schöne, biegsame Kätzin da mit dem melodischen Kopf, die Venus. Und hier, mit seinem größten Schnurrbart und den dichten Brauen, der hohe Jupiter, und da drüben das kleine, freche Ding, das war wohl der lose Olympierknab Amor. Lagen sie da vor dem Haus aller Götter – Pantheon –, nisteten wenigstens noch an den Portalen, nachdem der bleiche Mann aus Judäa sie aus ihrem Heiligtum vertrieben hatte?«

Diese süßen, kleinen Ungeheuer erfüllten mich ganz mit altrömischen Erinnerungen, machten mich selbst zu einem halben Heiden. Ich vergaß, daß da innen Altäre sind und Lichter vor dein Tabernakel brennen, daß man da zur Messe klingelt und zur Wandlung läutet und das Evangelium vom armen Gott der Krippe und des Kreuzes predigt. Ich glaubte wahrhaft, vor einem Tempel Cäsars zu stehen, und meinte nichts anders, als im nächsten Augenblick träten die Priester heraus und die weißen Vestalinnen und die Vogelschauer und die Haruspices und Cäsar mit seinem genialen Advokatengesicht. Und rechts von ihm geht der mit zwölf Jahren schon so alte, kalte, kleine August mit seinen zwei blauen, großen Rätseln im Antlitz, diesen so gar nicht römischen Augen. Aber links wiegt sich galant Antonius hin und her, der schöne, hohe, weinäugige Mann mit einer Stirne, die immer lacht, und mit Lippen, die immer dürsten. Und mir ist, auch Cicero müsse mit in der Gruppe sein, in den Mundwinkeln zuckend und die Warze im Gesicht reibend, wie immer, wenn er sich ärgert. Denn Cäsar hat das griechisch-lateinische Weihegebet übler als je verrichtet, das Latein mit lauter langweiligen Imperfekten und das Griechische mehrmals mit starkem, statt schwachem Aorist. Schade, der Mann verliert Stil –

Ach was, ich träume. Das ist eine christliche Kirche, und ich bin ordentlicher Christ. Hinein also!

Ich gehe zum Eingang; aber da erhebt Kater Jupiter den bärtigen Kopf und mustert mich drohend.

Aha, ihr seid da, um Verehrer für Euren zerbrochenen Olymp zu keilen. – Verzeih, Vater der schönen Mythen und Märchen, aber du bist wirklich ein Anachronismus. Und nur unsere Gymnasialprofessoren weihräuchern Dir noch, weil sie am Ende selbst auch Anachronismen sind.

Entschlossen betrete ich die Schwelle. Da gähnt Kater Mars gewaltig auf und sperrt mir seinen weißzähnigen Rachen entgegen, als wollte er mich verschlingen.

Es hilft Euch alles nichts, entgötterte Katzen, ich muß hinein! Ich fasse den ledernen Vorhang und sehe schon aus dem Dunkel etwas wie altes, gelbes Altargold blinken.

Da springt vom glatten Marmor die Kätzin Venus auf. Welch ein Sprung ist das! Welch elegantes Muskelspiel! Sie dehnt sich, reckt sich, höckert sich, rund und reich wie ein Lied, und schlängelt mir entgegen, wellenweich, samtig, leis und duftig. Das ist die reinste Zauberei. Römische Verhexung.

Aber ich kann nicht anders, wie das Kätzchen aufs Sims springt, behend und geschmeidig das Köpflein mir entgegenreibt, da lasse ich den Türteppich fallen.

Miau!

Es kommt leis und zischend zwischen den blutroten Lippen und den elfenbeinhellen spitzen Zähnen hervor. Es ist nicht das trauliche vom Kätzchen Spiegel. Nein, es ist ein Ton aus fernen Grüften, aus verschütteten Tempeln herauf. Es ist dazu ein schwacher Ton, die Stimme eines Weibes, einer Sirene, so melodisch, so betörend. Es ist ein Venussang.

Ach, ich liebe die Katzen unbesonnen. Und so greif' ich nach dem schönen Ding, das doch so gar nichts Zahmes an sich hat. Streicheln, streicheln dieses glänzende Fell! – Aber kaum berühr' ich den Samtpelz, so faucht das Tier, spuckt und spritzt und dampft mir entgegen und blendet mich mit seinen zündgelben, bösen Augen.

»Herr, sie beißen und kratzen! Das sind ja wilde Katzen!« – ruft mir ein Zündhölzchenjunge zu. Er lacht über mein entsetztes Zurückfahren und mein Erbleichen. »Ecco, zolfanelli, un soldo soltanta!«

Ich kaufe sie mechanisch und verschwinde rasch hinter dem Türvorhang.

*

Andächtig scheint es mir da drinnen nicht, noch traulich, nicht einmal schön. Eine kühle, reine Genauigkeit und Rundheit der Masse, das ist wahr. Aber ich ziehe die warme, herzliche Ungenauigkeit mit Winkeln und Ecken, tiefen Dielen und Rotunden, verschneckten Gängen und plötzlich wieder hohen Wölbungen vor. Es riecht hier zu scharf nach Geometrie. Die formelle Formlosigkeit der Natur ist mir lieber.

Am Hauptaltar ging ein Küster lärmend und roh auf und ab. Ich weiß nicht, was er ordnen mußte. Die italienischen Mesner sind sonst ein ehrerbietiges, höfliches Völklein. Aber der stand auf dem Altartisch und schnarrte laut mit seinen Rangen.

Das Ewige Licht glomm leise. Es schämte sich vor diesen frechen Dienern. Es wäre am liebsten ganz erloschen.

Auch die Riesenkränze auf dem Grab des ermordeten Umberto ergriffen mich nicht. Und noch weniger die Marmortafel am Grabe des großen Consalvi. Ich fühlte zu deutlich, daß in diese antike Tempelhaftigkeit da nicht wieder ein nachgeahmtes antikes Christentum gehört, sondern etwas Neues, Inniges, Einfältiges und Schlichtes. Kein Thorwaldsen! Aber eine Christkindleinkrippe, ein altes Orgelspiel, ein paar Kinder, die »Jesuskind, mach' mich fromm, daß ich in den Himmel komm'!« beten.

»Ein andermal«, dachte ich, »wenn ich besser bei Andacht bin« – und wollte wieder hinaus. – Nur noch schnell das Grab Raffaels grüßen.

An der Pest gestorben – es ist schon so! –, an einem milden Karfreitag –, ein blühender junger Mann –, mehr als der Papst und der deutsche Kaiser und der König von Paris berühmt –, über Michelangelo und Lionardo, die vor ihm geboren und glanzvoll geworden sind, noch weit hinausstrahlend –, schön, geliebt, angebetet, reich, ohne Hasser, ohne Tadler –, so starb er und ward von lauter Domherren und Grafen in diese Gruft gesenkt.

 

Ich suche mich in jenen Ostermontag hineinzuleben. Das Gepränge, das Weinen der Schüler, die dunkeln Gesichter der Pestbrüder, Kardinal Bembo ganz erschüttert, Sebastiano del Piombo heimlich froh, aber mit theatralischer Trauer den Bahrenzipfel tragend, der verpichte Sarg, aus dem dennoch der furchtbare Geruch des Todes schwelt, und fast zu hinterst Michelangelo, schon grauhaarig und mit gerümpftem Gesicht, die Brust voll zorniger Anklagen, weil ihm dieser Tote da alles vorweggenommen hat, das Glück und die Liebe, die rasche, heiße Arbeit und die leichte, anmutige, allen verständliche Schönheit, einen kurzen, jungen Rausch des Lebens und nun auch noch das ersehnte, dauerhafte Grab. Überall war ihm dieser leichte Jüngling zuvorgekommen. Michelangelo wollte beten, aber er war zu zornig dazu.

Aber auch ich fand keine richtige Stimmung. Da war einfach nichts zu machen.

Ich wollte nun durchaus gehen. Da trat ein dürftiger Mensch ans Grab, den ich zu erkennen glaubte. Er legte einen sehr schönen und sehr großen Kranz auf den Stein. Zypressen und rote Nelken darin. »Es ist geglückt«, sagte er, halb wie Gebet und halb wie Geplauder, in echt römischer Naivität, »Vielen Dank vom Meister!«

Dabei lächelte er mich an, und ich erkannte, daß er es eigentlich mir hatte sagen wollen.

»Zenone?«fragte ich.

»Eccomi!«

Ja, das war Zenone, der Handlanger seines Bruders, des Flachmalers Daniele Bocchi. Sie hatten das Vestibül unseres Hotels auszumalen gehabt. Das war die erste öffentliche Arbeit Danieles gewesen, des ungebildeten und talentlosen, aber zähen Burschen. So sehr aller Phantasie bar war er, daß er nicht einmal ein eigenes, noch so geringes Ornament hatte erfinden können. Alle Füllung der Wände und Dielen schrieb er aus Dantellis Lehrbuch ab. Abschreiben konnte er wie ein Genie. Aber der Hotelier hatte ihn dennoch gewählt, weil Daniele der Neffe seines tüchtigen, ja unentbehrlichen Kellners war. Dieser Mann hielt mit seinem schönen, raschen Schritt, seiner süßen, sorgenvollen Umfrage nach den weitern Wünschen seiner Gäste, seinem arabischen Kaffee, den er selber an einem Nebentischchen zubereitete und kredenzte, und endlich mit den wunderbar gefalteten Servietten so recht eigentlich das Hotel auf der Höhe des neuen Jahrhunderts. Er war eine unschätzbare Seele. Aus Rücksicht gegen ihn hatte der Hotelier Daniele angestellt. Wie so merkwürdig viele Römer, verstand der Padrone von echter und falscher Kunst keinen Deut. Wenn Daniele nur recht frische, starke Farben nahm und runde Bogen mit Weinlaub und einen blauen Himmel zuwegebrachte!

Das hatte Daniele auch redlich vollbracht. Stundenlang in der mittäglichen Siesta hatte ich dem Jüngling zugeschaut, wie er die Wände als Reblauben darstellte und dem vogelarmen Rom wenigstens hier einen Reichtum von heimischem und exotischem Federvieh schenkte. Brave Tierchen! Mit so wohldressierten Gebärden, wie sie im Dantelli standen, saßen sie neben den dunkelblauen Trauben, und der frechste Spatz pickte keine Beere weg. Das imponierte den römischen Gästen. In den Laubbögen standen Kalabresierinnen mit Krügen und Trinkschalen, und über die Achsel schauten ihnen kußbereite, hübsche Jünglinge aus Neapel zu und drohten mit Zärtlichkeiten. Die Figuren waren famos aus den Zeichnungen der Carracci entlehnt. Daniele hatte doch Farbensinn. Es war plastisch gemalt. Man glaubte, die Leute mischten sich im nächsten Augenblick aus den Reben heraus unter uns lebende Gäste.

Aber man sollte wissen, daß wir in Rom leben. Daher pinselte der Meister aus den Lauben in die Diele auf allen vier Seiten empor die Ruinen des Kolosseums mit den Nischen und Fensteröffnungen des alten Baues. Schummrig silbergrau sah das Gemäuer aus und stach prachtvoll vom Himmel herein. Das war nun etwas langweilig zu sehen. Diese Mauerfenster liefen um den Dielensaum wie ein Fries, und es hätte da außerordentlich gut in jede Nische etwas Lebendes hineingepaßt. Aber was? Umsonst befragte Daniele seinen Dantelli. Nun, bis er den Himmel im Scheitel fertig gemalt und tiefblau genug gestrichen hatte – più azurro! Ancora un po' più azurro! –, mahnten der Padrone und der Kellner Tag für Tag, – bis dahin würde sich schon irgend etwas erstehlen lassen.

 


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