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Nebenbuhler


Der Diensthabende schlug vor Luff die Hacken zusammen.

»Farland ist zurück«, meldete er, »mit Redstone.«

»Gut. Lassen Sie sie herein und holen Sie Porcell.«

Als der Polizist im Vorzimmer verschwand, winkte er Clavin aufzustehen.

»Ich brauch' den Stuhl, Clavin. Nein, laß ihn genau da stehen, wo er ist, und bring' mir den andern da von der Wand her und stelle ihn direkt gegenüber. Nein«, als Clavin diensteifrig gehorchte, »etwas entfernter. Vielleicht vier Meter. Dann müssen sie sich beide ansehen, und ich kann sie trotzdem im Auge behalten.« Er nickte beifällig. »Ja, so ist es richtig. Und jetzt holen Sie sich selbst einen Stuhl und setzen sich neben Ballinger.«

Gleich darauf kamen Redstone und Farland ins Zimmer. Der Finanzmann, überelegant angezogen und mit kühler Blasiertheit auf dem Gesicht, nickte dem Kriminalisten herablassend zu.

»Mahlzeit.«

Luff zeigte auf den Stuhl, den Clavin eben geräumt hatte. Langsam nahm Redstone Platz. Als er die Beine übereinanderschlug, zog er peinlichst die Bügelfalten zurecht. Farland wollte sich auf dem gegenüberstehenden Stuhl niederlassen, aber Luff wehrte mit einer eiligen Handbewegung ab.

»Nimm dir einen anderen Stuhl, Farland. Dieser Stuhl«, er hob seine Stimme, als der Schutzmann mit seinem Häftling in das Zimmer trat, »ist für Herrn Porcell.«

Die beiden Männer wechselten unergründliche Blicke, als sich Porcell umständlich hinsetzte. Beverley Bancrofts Gatte, der wußte, was vor sich gehen sollte, hätte unruhig und erregt aussehen können, aber sein verschlossenes Gesicht ließ nichts erkennen. Er gähnte sogar und schlug sich leicht mit der Hand auf die Lippen.

Inspektor Luff lehnte sich weit zurück und beobachtete die beiden in stummer Eindringlichkeit.

»Herr Redstone«, platzte er dann unerwartet heraus, »Sie sind des Mordes an Frau Bancroft beschuldigt.«

Redstone, der sich gelangweilt im Zimmer umgesehen hatte, fuhr in die Höhe.

»Was?«

Luff wiederholte langsam:

»Man beschuldigt Sie, Frau Bancroft ermordet zu haben.«

Redstone starrte ihn fassungslos an. Ein Ausdruck äußerster Verdutztheit legte sich über sein Gesicht. Die Falten in seinen Augenwinkeln verdoppelten sich.

»Pardon«, sagte er dann heiser. »Ich scheine Sie nicht recht verstanden zu haben. Ich soll Beverley Bancroft ermordet haben?«

Luff, der ihn nicht für den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen ließ, nickte.

»Genau das.«

Redstone erstarrte in seiner erschreckten Haltung.

»Und warum, wenn ich fragen darf?«

»Sie dürfen, aber ob Sie eine Antwort erhalten, ist eine andere Frage.«

Die Szene schien für Porcell nicht von geringstem Interesse zu sein. Er saß lässig in seinem Stuhl und beschaute seine Fingernägel.

Redstones Erstarrung löste sich langsam. Ein belustigtes Glitzern kam in seine Augen.

»Also ich hab' sie ermordet. Soso!«

Inspektor Luff wurde sofort wieder ernst.

»Halten Sie das für keinen Scherz«, warnte er. »Ich meine jedes Wort so, wie ich es sage.«

»Ich kann mir nicht helfen«, lachte Redstone kurz auf. »Aber das ist zu absurd! Das Lächerlichste, was mir je vorgekommen ist, und ich habe ziemliche Erfahrung darin. Warum sollte ich denn Beverley Bancroft ermordet haben?«

»Oh, das ist nicht allzu schwer zu beantworten«, sagte Luff scharf. »Es sind sogar genug Motive da. Sie standen doch in engen Beziehungen zu der Toten; haben Sie – wenn ich mich so ausdrücken soll – sogar geliebt?«

Redstone schüttelte langsam den Kopf.

»Das kann man kaum sagen.«

»Was?« Inspektor Luff wurde heftig. »Sie wollen das leugnen? Weshalb haben Sie dann in der Mordnacht mit ihr gestritten?«

»Gestritten?«

»Jawohl. Sie haben einen Streit mit ihr gehabt, bevor die anderen kamen. Und zwar war es wegen dieses Malers, des Berenson. Versuchen Sie doch nicht erst, das zu leugnen.«

Redstone war keineswegs so verwirrt, wie Luff es gehofft hatte.

»Warum sollte ich das leugnen? Aber ich habe nicht deswegen mit ihr über ihn gestritten, weil ich in sie verliebt war. Ich habe rein sachliche Interessen gehabt. Ich wollte nicht, daß sie wegen irgendeiner wilden Liebesgeschichte den Kopf verlor. Sie war ohnehin schwer genug zu behandeln.«

Luff machte ein skeptisches Gesicht.

»Tut mir leid, Herr Redstone. Aber allzu überzeugend klingt das nicht.«

Redstone zog die Augenbrauen hoch. Er versuchte gleichgültig zu erscheinen.

»Das interessiert mich ganz und gar nicht. Sie haben eine Frage gestellt, und ich habe sie beantwortet. Was Sie glauben oder nicht glauben, ist Ihre Sache.« Er klopfte auf dem Tischrand den Tabak seiner Zigarette fest. »Aber was bedeutet das schon, wenn ich mit ihr Streit gehabt habe? Muß ich sie deshalb auch ermorden? Ich habe in meinem Leben mit Tausenden von Menschen gestritten, und mit Ausnahme von denen, die eines natürlichen Todes gestorben sind, leben sie alle noch.«

Er streifte Porcell mit einem schnellen Blick.

»Aber wenn Sie wirklich jemanden des Mordes anklagen wollen, warum suchen Sie sich da nicht den Richtigen heraus?«

Luffs Augen wanderten von Redstone zu Porcell und wieder zurück.

»Das bedeutet?« fragte er scharf.

Redstone lächelte.

»Oh, nichts Besonderes. Mir kommt es nur so vor, als ob die glorreiche Polizei immer mehr verspricht, als sie nachher in der Praxis halten kann. Sonst hätte dieser Fall schon im Anfang aufgeklärt sein müssen. Ich weiß wirklich nicht, was so Besonderes daran ist.«

Luffs Stirn zeigte Wolkenbildung.

»So?« meinte er knurrig. »Na, dann erklären Sie sich vielleicht etwas deutlicher. Was ist denn so einfach an dem Fall? Wir lassen uns gerne belehren.«

Redstone drückte umständlich seine Zigarette aus.

»Sie sagten, man hätte mich des Mordes an Beverley Bancroft angeklagt«, fragte er leicht. »Darf ich fragen, Inspektor, wer das getan hat?«

Luff sah ihn lange überlegend an.

»Hm, das ...«, begann er schließlich, aber Porcells ruhige, beherrschte Stimme unterbrach ihn.

»Ich werde das beantworten.«

Redstone sah ihn feindselig an.

»Also Sie! Das habe ich mir gedacht.«

Porcells Gesicht gab nicht den geringsten Aufschluß über seine Empfindungen.

»Ja«, sagte er laut. »Ich bin der Ankläger. Wie Sie selbst vor wenigen Minuten sagten, die ganze Sache ist unglaublich durchsichtig. Ich verstehe auch nicht, warum man Sie nicht schon am nächsten Morgen verhaftet hat.«

Redstones Gesicht verzerrte sich zu einer bösartigen Grimasse.

»Und ich kann nicht verstehen, warum Sie nicht sofort verhaftet worden sind!«

Porcell verlor seine Beherrschung nicht.

»Warum ich?«

»Warum?« geiferte Redstone. »Das ist doch ganz klar. Beverley hat sich von Ihnen getrennt, und Sie konnten nichts machen. Da sind Sie, nachdem wir anderen alle weg waren, in Ihrer Wut zurückgegangen und haben Sie ermordet.«

Porcell richtete sich auf.

»Beverley lebte noch, als ich von ihr ging«, sagte er sehr ernst. »Sie stand im Salon, als ich zur Tür hinausging. Der Mörder muß, nachdem ich fort war, in das Haus geschlüpft sein. Und ich habe gar keinen Zweifel, wer dieser Mörder war. Beverley hat sich von mir getrennt, das stimmt, aber auch Ihnen hat sie den Laufpaß gegeben.«

Redstone horchte auf.

»Mir den Laufpaß gegeben?«

Porcell nickte in leisem Hohn.

»Natürlich. Sie hat auch von Anfang an nur mit Ihnen gespielt. Keinen Cent hat Beverley für Sie gegeben, und man muß schon reichlich einfältig sein, wenn man das nicht merkt. Das einzige, was Beverley an Ihnen interessierte, war Ihr Geld, mit dem Sie ihr jedes Stück finanzieren konnten, das sie sich gerade wünschte. Wenn Sie nicht einen ganzen Wald vor dem Kopf gehabt hätten, dann hätten Sie das schon längst merken müssen. Schließlich haben Sie es ja auch herausbekommen, und das war ein solcher Schlag für Ihre Eitelkeit, daß Sie den Kopf verloren haben.«

Der Ausdruck hämischer Böswilligkeit auf Redstones Gesicht wurde zu einer Grimasse des Hasses, als er sich an Luff wandte. Trotzdem hatte er den Sinn für die Tragikomik der Situation nicht verloren.

»Na also, Inspektor«, lachte er hart auf, »Herr Porcell ist offensichtlich davon überzeugt, daß ich seine Frau ermordet habe. Und ich bin ebenso sicher, daß er es getan hat. Sie können ja nun zwischen uns wählen.«

Inspektor Luff musterte beide scharf; von einem Gesicht zum anderen glitt sein Blick.

»Also einer von euch beiden«, sagte er schließlich, »lügt wie gedruckt. Das ist mal sicher.«

Redstone nickte ironisch.

»Natürlich, natürlich. Und meiner Meinung nach, Herr Sherlock Holmes, ist es Porcell.«

Porcell musterte ihn kühl. Dann sagte er scharf:

»Und ich verwette meinen Kopf, daß Redstone der Mörder ist.«

Die Szene wuchs Luff langsam über den Kopf.

»Also nun mal Schluß.« Er griff zum Klingelknopf. »Das liebliche Spiel könnten wir ja sonst noch die ganze Nacht fortsetzen, meine Herren.« Er stand auf und stieß seinen Stuhl zurück.

»Armstrong«, befahl er dem eintretenden Polizisten, »die beiden Herren hier kommen nach unten. In getrennte Zellen natürlich.«

Redstones Gesicht wurde weiß. Er starrte ungläubig auf den Inspektor.

»Was?« fragte er mit überschnappender Stimme, »ich ... ich soll ... Weshalb verhaften Sie mich? Sie können mir doch den Mord nicht in die Schuhe schieben, bloß weil dieser Kerl da«, er zeigte mit dem Daumen auf Porcell, »mich anschwärzt.«

Luff wandte sich mit gespielter Gleichgültigkeit ab.

»Ich weiß, was ich tue, und ich weiß auch, daß ich vollkommen im Recht bin. Ich muß Sie verhaften, weil von Ihrer Seite aus Verdunklungsgefahr besteht.«

Redstone krallte die Finger um die Stuhllehne.

»Wissen Sie auch, was das für meinen Ruf bedeutet, wenn Sie mich ins Gefängnis schicken? Wissen Sie das auch? ... Aber ich gehe weiter ... Ich lasse mir das nicht gefallen ... Jeden Cent, den Sie besitzen, soll Sie das kosten.«

Luff lächelte grimmig: »Nur immer weiter in der Tonart, immer weiter. Das soll ja bekanntlich ein gutes Gewissen bezeichnen, wenn man sich so aufregt, nicht wahr?«

Redstone, um dessen Oberarm sich schon die Hand des Polizisten wie eine Eisenklammer gelegt hatte, versuchte auf ihn zuzutreten.

»Also ich warne Sie«, keuchte er. »Ich warne Sie ... Und in Gegenwart von Zeugen.«

Luff zündete sich seelenruhig seine Zigarre an.

»Schon gut, schon gut. Aber jetzt gehen Sie freiwillig, sonst laß ich Sie rausschleppen. Und das dürfte noch unwürdiger sein als Ihr ganzes augenblickliches Gekrächz.«

Porcell, der während dieser ganzen Szene eisernes Schweigen bewahrt hatte, trat jetzt an ihn heran.

»Dürfte ich vielleicht einmal das Telefon benutzen?«

»Sie wollen mit Ihrem Rechtsanwalt sprechen, vermute ich?«

Porcell nickte.

»Nein«, schlug es ihm Luff brüsk ab. »Es tut mir sehr leid, aber ich darf das nicht gestatten. Außerdem würde es Ihnen nicht viel helfen, denn es ist bereits nach fünf Uhr, und keine Gerichtskasse nimmt mehr eine Kaution an.«

Ohne noch ein weiteres Wort abzuwarten, drehte er sich um und ging zum Fenster. Armstrong führte Porcell und den zähneknirschenden Redstone hinaus.

Lange blieb Inspektor Luff am Fenster stehen, die zweifelzerquälte Stirn an das Glas gepreßt. Wie breite, massige Tierrücken glitten unten die Automobildächer über den Asphalt. Dann schien Luff einen plötzlichen Entschluß zu fassen. Er ging mit schnellen Schritten zum Schreibtisch zurück.

»Also das wäre geschafft«, meinte er, als er bedachtsam die Fächer des Tisches abschloß. »Redstone kann quäken, soviel er will, ich bin im Recht. Und vor allen Dingen habe ich die beiden während der nächsten zwölf Stunden aus dem Wege geschafft. Und jetzt«, er verstaute sein Schlüsselbund in der Hosentasche und stand auf, »wollen wir vier mal zwei kleine Expeditionsfahrten machen. Nämlich zu Porcells und zu Redstones Wohnung. Irgendwas werden wir schon finden.«

* * *


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