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Zu unwahrscheinlicher Morgenstunde am nächsten Tage schrillte Ballingers Telefon. Luffs knarrende Stimme begrüßte ihn.
»Kommen Sie sofort her«, verlangte er. »Jetzt endlich habe ich etwas, wofür ich Sie gebrauchen kann.«
Im Polizeipräsidium schob ihm der Inspektor einen zusammengefalteten Briefbogen zu.
»Da! Sehen Sie sich das an!«
Ballinger steckte sich umständlich seine Frühstückszigarette an, dann erst nahm er den Brief auf.
»Bester Inspektor«, las er. »Warum haben Sie Ruth Raynor nicht gefragt, was sie vor der Tür von Beverley Bancrofts Haus gesucht hat, nachdem schon jedermann fortgegangen war?«
Die lakonische Frage war unterzeichnet mit: »Einer, der sie dort gesehen hat.«
Der Brief war in kleiner, zierlicher Handschrift geschrieben. Die Buchstaben neigten sich von links nach rechts. Das Papier war weiß und unmarkiert. Auch der Umschlag, der etwas größer war, trug keine Identifikationsmöglichkeiten. Nach dem Poststempel zu schließen, war er im Stadtzentrum gegen zehn Uhr abends aufgegeben worden.
Ballinger ging mit Brief und Umschlag zum Fenster und prüfte sie eingehend. Leise lächelnd kam er zurück.
»Ich habe Ihnen ja gesagt, daß Sie von dem Herrn Armando noch etwas hören werden.«
Luff war verblüfft, obwohl er vielleicht Ähnliches erwartet hatte.
»Woher wollen Sie denn wissen, daß dieser Brief von ihm ist?«
Ballinger griff in die Tasche und zog Armandos Einwilligung bezüglich des Vorschlages einer gewissen Firma Wagnell & Co. hervor.
»Ich hab' ihm gestern eine fingierte Anfrage geschickt und mir so seine Unterschrift verschafft.«
Luff beugte sich über den gekritzelten Namen und dann über den Brief.
»Hm«, murrte er skeptisch. »Viel Ähnlichkeit seh' ich da nicht. Eigentlich überhaupt keine, um ehrlich zu sein.«
Ballinger lachte.
»Das kann ich mir denken. Seine natürliche Handschrift ist ein ziemlich schmuddeliges Gekritzel in Buchstaben, die von rechts oben nach links unten gleiten. Und in dem Brief ist es in jeder Beziehung umgekehrt ...
Aber das beweist natürlich nur, daß er ein blutiger Dilettant ist, wenn es auf Fälschungen ankommt. Jedes Kind würde so seine Handschrift verstellen. Wenn alle Schriftfälschungen so primitiv wären, brauchten wir keine Experten. Sehen Sie sich einmal das R in seinem Namen an und vergleichen Sie es mit dem in Bancroft. Bemerken Sie den besonderen kleinen Schnörkel? Und dann das O in der Unterschrift, vergleichen Sie es mit dem anderen in »dort«. Dann sehen Sie sich die beiden D an ... Also ich verwette meinen Kopf, daß Armando diesen Brief geschrieben hat. Brauchen Sie noch mehr Beweise?«
Er versenkte behaglich die Hände in den Hosentaschen.
»Übrigens wäre ich auch sicher, daß Armando diesen Brief geschrieben hat, wenn ich seine Unterschrift als Beweismaterial nicht vor Augen haben würde. Es entspricht so ganz seinem Charakter. Nach außen hin ist er natürlich die Verkörperung altspanischer Vornehmheit, aber innerlich ... na gut. Er wollte, daß Sie wissen, daß Ruth Raynor um die Mordzeit in der Nähe oder im Hause war. Er ist aber zu feige, um das selbst zu sagen. Aus irgendeinem Grund möchte er nicht, daß Ruth Raynor es erfährt.«
Luff spielte nachdenklich mit einem Lineal, dann klingelte er dem Wachthabenden.
»Versuchen Sie, mit Clavin in Verbindung zu treten; er soll sofort herkommen«, befahl er. »Und dann lassen Sie diesen Burschen, den Armando, herbringen. Die Ruth Raynor ebenfalls.«
Nach einer halben Stunde erschien Clavin.
»Haben Sie was über die Raynor rausbekommen?« forschte Luff.
Clavin hatte nichts Besonderes erfahren. Der Nachtportier von ihrem Haus konnte sich nicht mehr erinnern, um welche Zeit sie nach Hause gekommen war; er konnte nicht sagen, ob es vor oder nach halb drei gewesen war.
»Aber ich habe herausgetüftelt, daß sie in letzter Zeit nicht viel zu tun hatte«, erzählte er diensteifrig. »Ist das letzte halbe Jahr so ziemlich beschäftigungslos herumgegangen, während Redstone die Bancroft immer mehr und mehr in den Vordergrund geschoben hat. Vorher war sie der große Star von ein paar Revuen, alle von Redstone finanziert. Aber Geld braucht sie nicht. Die dicken Schecks von ihm trudeln immer noch bei ihr ein. Aber er selbst kommt nicht mehr zu ihr.«
»Und sonst irgendein Geklatsch aufgelesen?«
Clavin nickte etwas zögernd.
»Gott, wie man's nimmt. So'n paar Bemerkungen, die sie hin und wieder zu den Leuten gemacht hat ... Daß sie die Bancroft nicht leiden könnte und so weiter. Aber das ist alles.«
»Sieh zu, daß du mehr herausbekommst.« Luff war nicht übermäßig zufrieden. »Und dann nimm dir den Portier nochmal tüchtig vor. Du mußt rauskriegen, wann sie nach Haus gekommen ist.«
Armando, der kürze Zeit später in Begleitung eines Schutzmanns eintraf, sah offensichtlich verstört aus. Genau wie am Vortage setzte er sich zaghaft auf den Stuhlrand, aber sein Gesicht war angespannter, seine Hände nervöser.
»Ich hab' hier diesen Brief von Ihnen bekommen«, begann Luff brüsk. »Warum haben Sie mir nicht schon gestern was davon gesagt.«
Armando starrte fassungslos auf den Brief, den Luff ihm vor die Nase geschoben hatte.
»Was ... warum ...«
»Sie wollen ihn natürlich nicht geschrieben haben?« fuhr Luff ihn an.
Die Augen des Spaniers irrten im Raum herum.
»Wieso ... Ich ... ich hab' den Brief noch nie gesehen. Auf Ehre, ich ...«
»Also hören Sie mal zu«, der Inspektor lehnte sich über den Tisch hinweg zu ihm herüber; seine Mundwinkel hatten sich verächtlich verzogen. »Versuchen Sie nicht, auch noch zu lügen. Es hilft Ihnen nichts. Ich weiß, daß Sie diesen Brief geschrieben haben.«
Armando schüttelte verzweifelt den Kopf. »Nein. Bestimmt nicht! Ich schwöre Ihnen ...«
»Sie sollen nicht lügen!«
Armando sprang auf. Der Stuhl kippte nach hinten, pendelte kurz und fiel polternd in seine Lage zurück.
»Ich lüge nicht!« Der Spanier schrie sich in Erregung. »Ich nicht! Ich hab' den Brief noch nie gesehen!«
Eiskalt sah der Inspektor ihn an.
»Setzen Sie sich hin!« befahl er dann ruhig.
Ballinger hatte sich die Szene aus der Tiefe seines Sessels aus angesehen.
»Ich hätte ganz gern gewußt«, mischte er sich jetzt ein, »was der Herr Armando vor dem Haus der Schauspielerin zu tun gehabt hat, nachdem in jener Nacht jeder gegangen war.«
Armando fuhr herum.
»Das geht Sie einen Dreck an!« explodierte er in nicht ganz echtem Zorn.
Luff sah sofort den Angriffspunkt.
»Sie geben also zu, daß Sie da waren«, schnellte er vor.
Armandos plötzlicher Zorn wich sofort einer kindlichen Bestürzung.
»Ich war nicht ... ich war nicht da«, übereilte er sich. »Ich bin auf meinem Heimweg von Fräulein Nielan bloß in einem Taxi vorbeigefahren.«
»Und da haben Sie Fräulein Raynor gesehen?«
Armando stierte schweigend auf den Boden.
»Und da haben Sie Fräulein Raynor gesehen?« drängte Luff.
Der Spanier zog nervös an seinen Fingern.
»Ja. Als der Wagen am Haus vorbeifuhr, hab' ich zufällig hinausgesehen, und da sah ich, wie sie vor der Tür stand und sich zur Seite gebogen hat und durch das Fenster in die Garderobe spähte. Es war ungefähr um halb drei oder etwas später.«
»Woher wußten Sie denn, daß es Fräulein Raynor war?«
»Ich hab' sie an dem silbernen Abendcape erkannt, das sie getragen hat.«
»Haben Sie gesehen, ob sie ein Taxi vor der Tür warten hatte?«
Armando überlegte.
»Nein, das weiß ich ganz genau.«
Er sah Luff zaghaft an. »Aber nicht wahr, Sie sagen ihr nicht, daß ich Ihnen das erzählt habe. Ich bitte sehr darum.«
»Warum?« fragte Luff scharf.
Armando rang nach Worten.
»Aber ... das ist doch gar nicht nötig, daß sie es erfährt«, versuchte er den Inspektor zu überzeugen.
Der pflanzte sich, die Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt, vor ihm auf. »Das ist keine Antwort auf meine Frage. Was haben Sie für einen Grund für dieses Verlangen?«
Armando rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum.
»Gott«, meinte er kläglich, »es ist bloß, weil ich durchaus nicht einsehe, daß sie es erfahren muß.«
Luff brummte.
»Bevor Sie mir keine bessere Erklärung geben können, vermag ich Ihnen nichts zu versprechen.« Er präparierte sich in aller Gemütsruhe seine neue Zigarre. »Na, also raus mit der Sprache.«
Aber aus Armando war nichts mehr herauszubringen. Nach einer weiteren Viertelstunde vergeblichen Drängens mußte Luff ihn entlassen.
Kurz darauf wurde Ruth Raynor gemeldet. Sie trat mit der gleichen posierten Sicherheit auf wie am Vortage. Jede Geste von ihr bedeutete, daß sie die Polizei und deren Einrichtungen als höchst zweitklassige Institutionen auffasse. Mit einem hoheitsvollen Nicken setzte sie sich.
»Guten Morgen, Inspektor.« Sie schlug die Beine übereinander, schob instinktiv den Rock zu wirkungsvollen Falten und richtete ihre grauen Augen voll auf Luff.
»Sie wünschen mich zu sprechen?«
Der leicht herablassende Ton entging dem Inspektor.
»Ja«, sagte er und kaute nachdenklich an seiner Zigarre. »Da wäre noch so einiges, was ich gerne mit Ihnen besprechen möchte.«
Sie seufzte betont ungeduldig. »Das müssen ja unglaublich bedeutende Dinge sein, wenn Sie mein persönliches Erscheinen hier zu einer so unmöglichen Stunde nötig machen.«
Luff nickte: »Sind sie auch, sind sie auch.«
Er kam mit seiner Frage überraschend schnell heraus.
»Was haben Sie gestern nacht getan, nachdem Sie von Frau Bancroft fortgegangen waren?«
Sie zuckte nicht mit einer Wimper.
»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Herr Redstone setzte mich in eine Taxe, und ich fuhr nach Hause.«
»Direkt nach Hause?«
Sie verzog mokant den Mund.
»So direkt es eben in einem Taxi möglich ist. Ein paarmal mußten wir natürlich um Ecken fahren.«
Luff runzelte die Stirn.
»Sie wissen sehr gut, daß ich das nicht meine.«
Ihre Augen, die bisher ruhig seinem Blick standhielten, begannen jetzt leicht zu flackern. Dann lachte sie plötzlich kurz und hart auf und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.
»Also sagen Sie mir schon, was Sie wollen.«
Luff rückte seinen Stuhl näher an den ihren heran.
»Sie sind also nicht zum Haus von Beverley Bancroft zurückgekehrt, nachdem Sie Redstone verlassen hatten?« fragte er eindringlich.
Sie sah ihn schweigend an. Auch nicht eine Sekunde verlor sie die Beherrschung über ihr Gesicht.
»Dergleichen hab' ich niemals gesagt«, antwortete sie schließlich. Sie griff langsam zu ihrer Puderdose. »Es ist sogar Tatsache, Inspektor, daß ich zurückgegangen bin. Aber nur für einen Augenblick.«
»So!« Er richtete sich triumphierend auf, »Sie sind also zurückgegangen, wie? Und warum haben Sie versucht, es geheim zu halten?«
Sie antwortete, während ihr Hauptinteresse anscheinend der angestrengten Tätigkeit des Gesichtspuderns gewidmet war:
»Ich habe ganz und gar nicht den Versuch gemacht, es geheim zu halten. Ich glaubte nur nicht, daß es erwähnenswert wäre. Ich konnte mir denken, daß Sie dieser Bagatelle die allergrößte Bedeutung beilegen würden, und die damit anscheinend notwendig verbundenen Unannehmlichkeiten wollte ich mir ersparen, das ist alles.«
Sie klappte ihr Puderdöschen energisch zu und sah Luff voll an.
»Ich habe einfach das Taxi eine Minute lang halten lassen und bin zurückgegangen, um mir meine Handschuhe zu holen. Ich glaubte nämlich, daß ich sie bei Beverley vergessen hätte.«
»Nein. Als ich klingeln wollte, sah ich zufällig durch das Flurfenster in die Garderobe, und da war bereits das Licht ausgeschaltet. Ich wollte Beverley nicht extra aufwecken, und so bin ich wieder gegangen.«
Luff sah sinnend auf seine Zigarre.
»Hmmm«, meinte er, nichts als »Hmmm.«
Dann schoß er seinen zweiten Pfeil ab.
»Aber wir haben keine fremden Handschuhe im Hause gefunden.«
Sie nickte freundlich.
»Kann ich mir denken, Inspektor. Als ich nach Hause gekommen war, merkte ich nämlich, daß ich sie gar nicht liegen gelassen hatte. Sie staken im Seitenteil meiner Handtasche.«
Wieder antwortete Luff nichts als »Hm«.
»Haben Sie«, nahm er nach kurzem Schweigen das Gespräch wieder auf, »jemand anderes in der Nähe des Hauses gesehen?«
Sie verneinte.
»Vielleicht zufällig Porcell?«
»Nein.«
»Würden Sie ihn gesehen haben, wenn er in der Garderobe oder im Vorzimmer gestanden hätte?«
Sie zog die Schultern hoch.
»Vermutlich nicht. Wie ich schon erwähnt habe, waren beide Räume verdunkelt.«
»Und Armando haben Sie auch nicht gesehen?«
Wieder verneinte sie erstaunt. Luff drehte die Zigarre unschlüssig zwischen seinen Fingern.
»Übrigens, was für Beziehungen bestanden denn zwischen Armando und der Ermordeten? Können Sie mir vielleicht darüber etwas sagen?«
Sie lächelte leicht.
»Soviel ich weiß, waren sie ziemlich einseitig. Es hieß, daß er bis über beide Ohren in sie verliebt gewesen sei. Aber daß sie etwas mit ihm zu tun gehabt hat ...«
»Hat mit ihm gespielt, was?«
»So ungefähr.« Sie griff nach einer Zigarette. »Aber das Ekelhafte an der Sache war nur, daß er die arme kleine Doris Nielan als eine Art Brücke zu Beverley benutzte. Er hat sich nichts mehr aus ihr gemacht, und dabei reibt sich die arme Kleine für ihn auf. Der liebe Gott mag wissen warum.«
Zum erstenmal ließ sich nun Ballinger hören.
»Wo haben Sie denn das Taxi stehen lassen, gnädiges Fräulein, während Sie zum Haus gingen?«
Sie warf den Kopf zurück und musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen.
»Bitte?« sagte sie von eisigen Höhen herab.
Ballinger lächelte verbindlich.
»Ich fragte Sie, wo Sie das Taxi stehen ließen, während Sie zum Hause zurückgingen«, wiederholte er.
»Ich dachte, dieser Herr wäre eine Art von Kritiker. Ist er außerdem Polizist?«
Inspektor Luff hüstelte.
»Hm, ja, man kann so sagen«, sagte er. »Für den Augenblick auf jeden Fall. Die Frage wollte ich Ihnen übrigens gerade selbst stellen. Wo haben Sie das Taxi gelassen?«
»An der Ecke von der 124. Straße natürlich«, erklärte sie verwundert. »Die Ecke ist doch nur ein paar Meter vom Haus entfernt, und ich war in Eile. Wenn der Schofför erst gewendet hätte, dann hätte ich unnötig Zeit verloren.«
Sie sah auf ihre Armbanduhr und stand auf.
»Vielleicht entschuldigen Sie mich jetzt, Inspektor. Um zwei Uhr habe ich eine Besprechung mit meinem Agenten, und vorher möchte ich noch einige Besorgungen machen.«
Luff nickte. »Ja, das ist alles.«
Nachdem sie gegangen war, sah er etwas hilflos zu Ballinger herüber. »Tja, davon hab' ich mir zuerst soviel versprochen, und was ist herausgekommen? Nichts. Stimmt doch alles, was sie gesagt hat.«
Ballinger lächelte rätselhaft.
»Meinen Sie wirklich, Inspektor?«
Luff sah ihn erstaunt an.
»Natürlich. Sie nicht?«
Ballinger glitt noch tiefer in seinen Sessel und bequemte sich erst zu einer Antwort, nachdem er einen geeigneten Platz auf der Tischkante für seine Füße gefunden hatte.
»Nein. Ich nicht.«
Luff lachte gezwungen auf.
»Ich weiß wirklich nicht, was Sie wollen. Armando hat ausgesagt, die Frau hätte sich herübergelegt und in das Fenster gesehen. Na also, das sagt sie ja auch selbst. Das Taxi hat sie an der Ecke stehen lassen. Verständlich also, daß Armando keines vor dem Haus gesehen hat. Na, und die Sache mit den Handschuhen ... Du lieber Himmel, Frauen verlieren immer ihre Handschuhe. Meine kann noch nicht mal ins Kino gehen, ohne nicht zumindest einen zu verbummeln. Das ist nun mal eine ihrer großen Schwächen.«
Ballinger nickte bestätigend.
»Das ist schon richtig, wenn Sie es glauben wollen. Aber wenn es für sie so ungewöhnlich ist, ihre Handschuhe in das Seitenteil ihrer Handtasche zu stecken, daß es ihr erst zu Hause einfällt, da nachzusehen, warum – hat sie die Handschuhe dann auch heute in der Seitentasche stecken gehabt?«
Luff fuhr auf. »Hat sie das?« Dann meinte er kleinlaut wie ein beschämtes Kind: »Ich hab' das nicht gesehen.«
»Aber ich«, meinte Ballinger trocken. »Als sie sich hinsetzte, zog sie die Handschuhe aus und steckte sie ins Seitenteil ihrer Handtasche.«
Luff warf sich fast auf den Klingelknopf. »Sofort die Frau wieder zurückbringen, die eben hier war«, schrie er dem hereinstürzenden Wachtmeister zu.
Ballinger hob die Hand.
»Stopp, Inspektor! Sie kommen genau so weit, wenn Sie die Frau glauben lassen, daß Sie von der Wahrheit ihrer Geschichte überzeugt sind.«
Luff machte ein zweifelndes Gesicht.
»Warum?«
»Weil diese Schauspielerin es ausgezeichnet versteht, sich herauszureden. Sie würde Ihnen nur irgendeine neue Erklärung geben ... Und außerdem«, fuhr er fort, als der Polizist verschwand, »war die Dame in der Mordnacht in Abendtoilette. Das bedeutet, daß sie irgendeine Art von Abendtäschchen getragen haben muß. Und die haben bekanntlich keine Seitenfächer.«
Luff sah ihn mit aufblitzenden Augen an.
»Glauben Sie, daß sie es gewesen ist?«
Ballinger sog lange an seiner Zigarette.
»Das will ich noch nicht gesagt haben. Vieles spricht für sie, vieles gegen sie. Bis jetzt haben wir noch niemand gefunden, der sie in das Haus hineingehen oder herauskommen gesehen hat. Andererseits wissen wir, daß das Mädchen um diese Zeit das Haus noch nicht abgeschlossen hatte und die Tür unverriegelt war. Auch haben wir ein Motiv an der Hand. Sie hat Beverley Bancroft gehaßt, weil die ihr Redstone weggenommen hat.«
Er stand auf und dehnte seine langen Glieder.
»Ich gehe jetzt zur – wie die Presse es genannt hat – zur Mordvilla. Beverleys Bruder will nachher hinkommen. Und Sie wissen, mein wirklicher Beruf ist immer noch der eines Kunsthändlers. Diese Detektivspielerei hier ist bestenfalls eine Zerstreuung ... Da steht nämlich in der Villa eine Louis-XVI.-Bergere, für die ich zehn Jahre meines Lebens geben könnte. Wenn die verkauft wird, will ich mich zur Zeit vormerken lassen.«
Inspektor Luff stand eiligst auf und schloß seinen Schreibtisch ab.
»Ich komme mit«, beeilte er sich zu erklären.
»Ich will mir den Fußboden noch einmal genauer ansehen.«
Ballinger, der schon auf dem Wege zur Tür war, blieb stehen.
»Übrigens, nehmen Sie dann die Mordwaffe mit.«
Luff machte ein verständnisloses Gesicht.
»Warum?«
»Oh, es ist möglich, daß wir den Dolch brauchen können.«
* * *