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Ein Liftjunge sagt aus


Luffs Wagen fuhr vor einem Hintereingang des Polizeipräsidiums vor, von dem aus eine wenig benutzte Treppe direkt in sein Zimmer führte.

»Wir gehen hier hinauf«, erklärte er Ballinger, »damit wir nicht durch diesen scheußlichen Vorraum müssen und nicht jeder gleich weiß, daß wir zurück sind. Ich möchte ein wenig ungestört nachdenken.«

In seinem Zimmer warf er sich wuchtig in den Sessel, stützte den Kopf auf die Fäuste und starrte ins Leere.

»Mit diesem Fall sitze ich auf einem Dach und kann nicht wieder herunter«, äußerte er sich schließlich nach längerer Zeit brummig. »Gewöhnlich ist es schwer genug, eine einzige Person herauszufinden, die als Täter in Frage kommen könnte. Hier haben wir sogar vier.«

Ballinger, der versunken mit einem Federhalter gespielt hatte, sah ihn fragend an.

»Vier?«

»Na klar.« Luff begann an den Händen abzuzählen. »Da ist zunächst Porcell. Er ist der Bursche, den ich am meisten in Verdacht habe. Wenn ich nur noch ein paar Tatsachen gegen ihn ins Feld führen könnte, würde ich mich nicht eine Sekunde besinnen, ihn hinter Schloß und Riegel zu bringen. Und sein Motiv ist doch durchsichtig wie Fensterglas. Er ist eifersüchtig wegen der Affäre mit Redstone gewesen, hat des öfteren versucht, sie zurückzugewinnen. Natürlich immer vergeblich ...

Na, und das Seemannsgarn, das er uns da über seinen vergessenen Spazierstock erzählt hat, ist doch schon beim ersten näheren Hinsehen zu durchschauen. Vermutlich hat er sich in dem Schrank unter der Treppe versteckt, nachdem er vorgegeben hat, zu gehen. Oder aber er ist tatsächlich aus dem Haus gegangen und wieder hereingekommen, als er genau wußte, daß seine Frau oben wäre und das Mädchen in der Küche. Auf den Treppen liegt ein dicker Teppich. Kleinigkeit, zum Schlafzimmer der Bancroft zu gelangen, ohne auch nur das geringste Geräusch zu machen. Porcell wußte das natürlich, er hat ja lange genug selbst im Hause gelebt.«

Seine Hand schlug schwer klatschend auf die Tischplatte.

»Jawohl! Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich davon überzeugt, daß er es gewesen ist.«

Ballinger drehte unentschlossen seine Zigarette zwischen den Fingern.

»Und wenn er es nicht ist?«

»Dann ist es vermutlich Redstone. Wir wissen, daß er mit ihr einen Streit wegen des Malers gehabt hat. Und ein Kerl wie Redstone ist zu allem fähig. Er ist gewohnt, stets das zu bekommen, was er will. Hat einen Haufen Geld und denkt, daß er mit seinen braunen Lappen seine abgerissene Persönlichkeit verkleben kann. Die Bancroft hat ihn natürlich an der Nase herumgeführt, und so langsam ist er dahintergekommen ...

Und dann ist da noch Armando. Was er uns da erzählt hat, kommt mir auch reichlich dunkel vor. Und zu guter Letzt das spinöse Weibsbild, die Raynor ...

Genügt für den Hausbedarf, was?«

Ballinger hatte sich angelegentlich mit einem zersplitterten Nagel beschäftigt. Jetzt sah er mokant lächelnd auf.

»Da haben Sie sie ja alle zusammen im warmen Zimmer. Nur die arme kleine Doris Nielan und von Oefele müssen draußen in der bitteren Kälte bleiben.«

Luff zog eine Grimasse.

»Ja. Und außerdem Sie und Sanders, der Maler und die Haushälterin und das Mädchen. Aber ich wüßte nicht, was die kleine Nielan für einen Grund zu einem Mord gehabt haben könnte. Sie war doch nur der Meinung, daß die Bancroft ihr den schönen Armando wegnehmen wollte. Sicher war sie dessen doch noch nicht. Abgesehen davon, daß sie niemals den Mut zu einer solchen Tat haben würde. Na und von Oefele ... Ich kann ihm doch keinen Mord an den Hals hängen, weil er gestern morgen bei der Vernehmung aufsässig gegen mich geworden ist. Und was sollte er für ein Motiv gehabt haben? Er scheint doch der einzige Mann in der ganzen Kollektion zu sein, der nicht in die Frau verliebt war.«

»Richtig«, antwortete Ballinger. »Aber ich sehe nicht ein, warum er deshalb über jedem Verdacht steht. Sie können doch ganz und gar nicht sicher sein, daß unbedingt Eifersucht der Anlaß zur Tat gewesen sein muß. Es kann doch auch irgendein anderes Motiv gewesen sein, nicht wahr?«

Luff neigte abwägend den Kopf.

»Möglich«, meinte er dann. »Aber ich glaube es nicht.«

Er zuckte nervös zusammen, als die Tür zu seinem Zimmer knarrte.

»Was ist denn los?« fragte er ärgerlich. »Was wollen Sie?«

»Farland ist da, Chef. Wartet schon stundenlang auf Sie. Aber ich konnte ja nicht wissen, daß Sie schon zurück sind.«

»Das sollten Sie auch gar nicht«, polterte Luff. »Aber nun mag er meinetwegen hereinkommen.«

Auf Farlands Gesicht lag ein schlecht verstecktes, triumphierendes Grinsen.

»Also, Chef, den Porcell hab' ich in der Falle«, schmetterte er schon in der Türfüllung los. »An den Mast genagelt hab' ich ihn, den Jungen!«

Luff, der ihn gerade wegen seines ungebührlichen Schreiens zurechtweisen wollte, sprang wie von der Tarantel gestochen auf.

»Was hast du, Mensch?« schrie er. »Was hast du rausgekriegt? Los, quetsch dich aus!«

Farlands Mund verzog sich zu einem breiten, selbstzufriedenen Lachen. Er griff mit den Daumen hinter die Achsellöcher seiner Weste.

»Also, da hab' ich zunächst einmal rausgekriegt«, begann er wichtig, »daß Porcell nicht um drei Viertel drei in seiner Wohnung war, wie er's hier erzählt hat. Nämlich, er ist erst gegen halb vier in seiner Wohnung gewesen.«

»Oho!« Luff strahlte über das ganze Gesicht. »Also hat er geschwindelt, der Junge.«

»Jawoll! Und dann hat er den Liftjungen bestochen. Hat ihm am nächsten Nachmittag zwanzig Dollar gegeben und hat ihm eingeschärft, daß er sagen soll, er wäre um drei Viertel drei nach Hause gekommen.«

Luff schüttelte den Kopf.

»Und ich hab' ihn für gerissen gehalten«, meinte er. »Daß er solch einen Lapsus begehen konnte. Aber früher oder später machen sie alle eine Dummheit.«

»Nee«, wehrte Farland ab. »Die Dummheit ist gar nicht so groß, wie Sie jetzt wohl meinen. Porcell hat sich nämlich gedacht, der Kleine würde nicht wagen, was zu sagen. Hat ihn nämlich angestellt, nachdem der Kleine aus dem Gefängnis gekommen ist. Diebstahl im Konfitürengeschäft und so. Außerdem handelt der Boy noch mit Schnaps ... Na also, wie gesagt, Porcell dachte, daß er ihn sicher hätte. Und hat gar nicht so unrecht mit seiner Meinung gehabt, worauf Sie Gift nehmen können. Das Kerlchen hat Blut geschwitzt, bevor er rüber kam. Weil ich ihm nämlich eingeredet habe, Porcell hätt's schon längst zugegeben mit dem Späterkommen und so.«

Luff nickte ihm zu.

»Gute Arbeit, mein Junge. Verdammt gute Arbeit! Wie hast du denn herausbekommen, daß der Junge log?«

»Na«, Farland lachte stolz. »Von dem Jungen selber. Und das war so. Ich sag' zu ihm: ›Wann ist der Porcell am Donnerstag gekommen?‹ sag' ich zu ihm. ›Na, um dreiviertel drei‹, sagt er so ganz naiv. ›Genau um drei Viertel drei?‹ frag' ich. ›Jawoll‹, sagt er. ›Woher weißt du denn das?‹ frag' ich. ›Woher?‹ sagt er, ›weil ich auf meine Uhr gesehen habe.‹ Na, und da frag' ich ihn, warum er auf seine Uhr gesehen hat. Klar, daß er darauf keine Antwort hatte. Dann schließlich meinte er, das wäre bloß so zufällig gewesen. Na, da hab' ich schon den Braten gerochen und hab' ihn ein bißchen beim Schlips gefaßt. Und dann kam er eben ein bißchen später mit der Wahrheit raus.«

Luff wandte sich zu Ballinger.

»Das erledigt wohl die Debatte über Porcell, wie? Ich habe es Ihnen ja gleich gesagt, daß er der Täter ist. Glauben Sie mir jetzt?«

Ballingers ganze Antwort war ein Achselzucken.

»Und das ist noch nicht alles, Chef«, schob sich Farland wieder in den Vordergrund. »Ich hab' außerdem ausgeknobelt, daß die Beverley Bancroft vor ungefähr 'ner Woche zwei mexikanische Rechtsanwälte aufgefordert hat, ihr 'ne Ehescheidung nach mexikanischem Recht durchzudrücken. Hier sind die Namen von den beiden Anwälten.« Er schob Luff einen schon reichlich zerknüllten Zettel hinüber. »Durch ihre gewöhnlichen Anwälte hat sie schon zweimal versucht, eine Scheidung bei uns in den Staaten durchzudrücken. Aber ohne Porcells Einwilligung kann sie das ja nicht, nach unserem Recht. Und Porcell hat sie natürlich nicht gegeben.«

Luff stand auf.

»Setz' dich in den Wagen und bring' den Burschen her«, seine Stimme schnappte über. »Jetzt machen wir keine langen Geschichten mehr mit ihm.«

Farland blieb ruhig in seinem Sessel.

»Da brauchen Sie bloß auf den Knopf zu drücken, Chef«, griente er. »Er sitzt draußen im Vorraum. Ich hab' ihn gleich mitgebracht. Hab' ihm erzählt, Sie wollten ihn sprechen. Aber wissen tut er noch von nichts. Den Spaß, ihm das beizubringen, wollte ich Ihnen überlassen.«

* * *


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