Max Eyth
Der Kampf um die Cheopspyramide
Max Eyth

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28. Kapitel
Das Ende vom Lied

Was wäre es doch für ein jämmerlich Ding um das Menschenleben, wenn all seine eitlen Hoffnungen mit einemmal ausgemerzt würden und wir unsere Wüstenreise fortsetzen und beenden müßten, ohne daß uns eine freundliche Fata Morgana von Zeit zu Zeit die heißen und trockenen Stunden verkürzte. Gestern, nach einem Tag voll peinlicher Erlebnisse und Enttäuschungen, die mich doch auch ein wenig berührt hatten, schlief ich getröstet und fast fröhlich ein, weil ich mit Bestimmtheit vorauszusehen glaubte, daß am kommenden Morgen mein Baumwollpflug seinen triumphierenden Einzug in Schubra feiern werden. Und zur selben Stunde stak der Unglückselige zu Bulak bereits eingequetscht zwischen einem Torpfeiler und einer Lokomotive, mit der er, infolge der intelligenten Leitung eines arabischen Werkführers, gleichzeitig die Fabrik zu verlassen versucht hatte. Ein gewisser, aber geringer Trost lag allerdings darin, daß die gewalttätige Lokomotive mehr Schaden gelitten hatten als das gewaltige landwirtschaftliche Gerät. Aber dies half nicht über die Tatsache weg, daß der Pflug voraussichtlich auf mehrere Wochen als Invalide in die Fabrik zurückkehren mußte und an die ersehnten Feldversuche vorläufig nicht gedacht werden konnte.

Leid und Trost blieben mir jedoch während der ersten Morgenstunden jenes Tages noch verborgen, so daß ich in meiner Ungeduld bereits mein Pferd satteln ließ, um selbst in Bulak nachzusehen, ob der Pflug aus Versehen vielleicht nach Alexandrien geschickt worden sei. Der Gedanke lag nahe; solch kleine Mißverständnisse waren in jenen Tagen nichts Seltenes. Doch auch dies mißlang, denn als ich den Fuß schon im Steigbügel hatte, erhielt ich den längsterwarteten Besuch von Herrn Monier, dem Administrator von El Mutana, der gestern in Schubra angekommen war. Die Liste seiner Bedürfnisse und Wünsche, die er mit einem gewissen Stolz entfaltete, schien endlos, und Halim Pascha hatte ihn kurzerhand mit der größeren Hälfte seines wuchtigen Notizbuches an mich gewiesen. Zu meiner Beruhigung fühlte ich jedoch bald heraus, daß der Hauptzweck seiner Reise erreicht war, wenn er das einsame Leben in Oberägypten auf ein paar Wochen mit den gesellschaftlichen Genüssen vertauschen konnte, die Kairo bot.

Obgleich er dies zu verheimlichen suchte, schloß doch jede seiner Beschwerden mit der bitteren Klage, daß es dort oben an der Grenze Nubiens für einen Franzosen und für eine Leuchte der Zivilisation nicht auszuhalten sei. Vor allen Dingen müsse er für die weitere Entwicklung der dortigen Güter einen verständigen gewandten Techniker haben, den er von Zeit zu Zeit als seinen eigenen Stellvertreter zurücklassen müsse, um die unvermeidlich häufigeren Reisen nach Kairo und Alexandrien unternehmen zu können. Dann erzählte er endlose Geschichten von den Leuten, die er bisher gehabt habe und die ihm alle nach kurzer Zeit aus nichtigen Grünen davongelaufen seien. – Nichtig? rief er, nein, nicht nichtig! Pas des plaisirs, pas des amusements, pas des femmes! Drei seiner eigenen Landsleute hätten es je vier Wochen ausgehalten. Der Beste sei noch ein Engländer gewesen, der in sechs Monaten keine zwei Worte gesprochen habe. Es wäre auch nutzlos gewesen, denn niemand hätte ihn verstanden. Schließlich allerdings habe der Mann ihn, Monier, den Administrator von El Mutana, infolge eines Mißverständnisses zur eigenen Türe hinausgeworfen, so daß eine Trennung unvermeidlich geworden sei. Ob ich ihm endlich jemand gefunden habe? Er zahle für einen geeigneten Mann, was man irgend verlangen könne.

Natürlich sprach ich sofort von Fritschy, der ein solider tüchtiger Arbeiter und ein verständiger Techniker sei, französisch und arabisch spreche und von Thalia her an das Leben in einer halben Wildnis gewöhnt sei, kurz, der alle Eigenschaften besitze, die Monier verlangt habe, mit Ausnahme einer Frau. Er schüttelte den Kopf: kein unverheirateter Mann bleibe ihm dort oben länger als vier Wochen, wie die Erfahrung gezeigt habe. Ich sprach mit aller Wärme für Fritschy und suchte dem Franzosen klarzumachen, daß seine Begriffe vom ehelichen Leben in einer Wildnis auf falschen Voraussetzungen beruhen dürften. Der Ehestand bringe unerwartete Schwierigkeiten mit sich, die nicht zu unterschätzen seien. Es sei mathematisch nachweisbar, daß das Elend zehnmal leichter allein zu tragen sei, als wenn man es verdopple. Ich führte in der Tat alles an, was ein Junggeselle in seinem dunkeln Drange zur Verteidigung seiner Grundsätze vorzubringen weiß.

Monier wurde nachdenklich und schließlich überzeugt. Er sehe die Sache jetzt von einer anderen Seite. Wenn Fritschy ein tüchtiger Arbeiter und ein denkender Techniker sei, französisch spreche, die Einsamkeit liebe und wilde Tiere statt einer Familie aufzuziehen pflege, so sei er der Mann für El Mutana. Er möge seine Forderungen selbst stellen. Wenn sie irgend annehmbar seien, so könne ein Vertrag morgen unterzeichnet werden. »Unverheiratet?« fragte, sich verabschiedend, der Franzose mit jener Beweglichkeit des Geistes, die der Stolz seiner Landsleute ist. »Natürlich unverheiratet! Es ist dies zehnmal besser für die Stellung, die ich ihm biete, wie sich mathematisch nachweisen läßt. Ich würde einen verheirateten Mann unter keinen Umständen annehmen!«

So wäre wenigstens für diese zwei gesorgt, dachte ich, indem ich unter meiner Gartentür Moniers Esel nachblickte, auf dem er in wildem Galopp in der Richtung von Kairo davoneilte. Noch ehe er verschwunden war, kam ihm ein zweiter Reiter fast im Schritt entgegen und näherte sich wie zögernd meinen Haus. Ich erkannte ihn kaum; es war nicht die Art, wie Fritschy zu reiten pflegte.

Das trübselige Tempo seines Esels wurde nach wenigen Worten erklärlich. Er kam von Bulak und brachte die Kunde von dem Unfall, der den Baumwollpflug betroffen hatte. Er sei auf einen Augenblick nach Shepheards Hotel geritten, um mir Nachrichten von Herrn Ben Thinker bringen zu können. Während seiner Abwesenheit hätte ein Kamel von einem Werkführer den Pflug aus der Fabrik zu schaffen versucht. Da habe ihn eine Lokomotive, die an diesem Unglücksmorgen ebenfalls die Werkstätten verlassen sollte, überfahren, habe dabei ihre eigenen Zylinderdeckel zerschlagen, einen Mann mit heißem Dampf verbrüht, den Pflugrahmen verbogen, zwei Streichbretter abgeknickt und drei Ringwalzringe zermalmt. Sonst sei alles noch gut.

»Das erinnert an den Mann, Fritschy, der nach einem Eisenbahnunglück noch ganz unbeschädigt unter den Wagen hervorgezogen wurde. Nur der Kopf war ab!« sagte ich, grimmig.

Doch blieb nichts übrig als sich zu beruhigen. Es war allzu sichtlich Allahs Wille, daß der Prüfung dieses Pfluges noch einige Prüfungen meiner Geduld vorangehen sollten. Dagegen waren die Nachrichten von Thinker erfreulich. Er hatte gut geschlafen und sei, wenn auch sehr schwach, fast fieberfrei.

»Eine gute Nachricht ist die andere wert!« sagte ich, indem ich mich bemühte, den wackeren Monteur, dem das Unglück mit dem Pflug sichtlich zu Herzen ging, wieder aufzurichten. »Monier von El Mutana ist angekommen!«

Es zuckte wie ein Blitz über Fritschys Gesicht. Wenn er auch nie davon gesprochen hatte –: es war klar, er hatte diese Mitteilung seit einiger Zeit mit Spannung erwartet.

»Und was mehr ist, Fritschy«, fuhr ich fort, »ich habe den Herrn Ihnen zuliebe überzeugt, daß sein Gedanke, einen verheirateten Techniker nach El Mutana zu nehmen, durchaus verfehlt war. Er will Sie um jeden Preis haben, namentlich weil Sie nicht mit Weib und Kind belästigt sind. Er hat mir sogar vor fünf Minuten versichert, er würde einen verheirateten Mann unter keinen Umständen in Oberägypten brauchen können.«

Fritschys Mienenspiel war, während ich ihm dies heiteren Sinnes mitteilte, eine kleine Tragödie nach klassischen Mustern. Freude, Hoffnung, Schrecken, Verzweiflung und unaussprechliches Mitleid mit sich selbst – das alles ließ sich der Reihe nach unschwer in seinen beweglichen Zügen lesen.

»Aber« – stotterte er endlich, »Herr Eyth, ließ sich nicht – ich bin Ihnen sehr dankbar – aber –«

»Nun, freuen Sie sich nicht?« fragte ich lachend. »Dreißig Pfund monatlich und freie Wohnung sind ihnen sicher; etwas mehr, wenn es sein muß und jedenfalls ein rasch steigendes Gehalt, vorausgesetzt, daß alles gutgeht.«

Er zauderte noch immer, in Freudentränen auszubrechen. Mich dagegen packte der Geist der Weissagung, wie er den Menschen in entscheidenden Augenblicken manchmal heimsucht, und er war merkwürdigerweise diesmal kein Lügengeist. Ich fuhr fort:

»Bessere Leute als Sie würden mit allen zehn Fingern zugreifen. Sie können später einmal mich einen Phantasten heißen, wenn Sie dort droben ihr Leben nicht als Direktor eine vizeköniglichen Zuckerfabrik beschließen, vorausgesetzt, daß Sie lang genug aushalten. Wie?«

Jetzt lachte er wieder:

»Wie gesagt, ich bin Ihnen sehr dankbar; aber könnte nicht Herrn Moniers Ansicht in betreff – bezüglich – des Heiratens wieder abgeändert werden?«

»Was meinen Sie!« rief ich. »Es hat keine kleine Mühe gekostet, den Herrn zu unserem Glauben zu bekehren. Ich bin förmlich stolz darauf, daß es mir gelungen ist, obgleich ich nicht halb so weiberfeindlich gesinnt bin wie Sie. In der Tat, Fritschy, Sie haben Ursache mir dankbar zu ein, vielleicht zeitlebens.«

»Ja, sehen Sie, Herr Eyth – meine Ansichten haben sich in den letzten Wochen ebenfalls geändert«, sagte Fritschy in höchster Verlegenheit. »Wenn Herr Monier an seinen ersten Bestimmungen festhalten wollte – es läßt sich doch vieles dafür sagen –«

»Ho, ho!« rief ich, nicht wenig belustigt von den Nöten, in denen sich der arme Monteur vor meinen Augen krümmte. »Wie weit sind Sie denn mit Ihrer Sinnesänderung gediehen?« Natürlich war ich nicht ganz blind gewesen und hatte mit heimlicher Teilnahme verfolgt, was niemanden, der Fritschy und Fräulein Schütz in den letzten Wochen zusammen sah, ein Geheimnis bleiben konnte.

Auf Fritschys Stirn traten jetzt perlende Schweißtropfen. Dann raffte er sich zusammen und sagte entschlossen:

»Ich kann die Stelle nicht annehmen, wenn Herr Monier auf seinen Ansichten beharrt. Wir sind seit heute früh verlobt.«

»Donnerwetter!« rief ich. »Fritschy, Sie sind ein charakterloser Mensch. Wie kam's denn?«

»Es ist mir selbst noch nicht ganz klar«, antwortete der Monteur kleinlaut. »Sie wissen ja: ich hatte immer Pech mit Frauenzimmern und bin ihnen aus dem Weg gegangen, soweit ich's vermochte.«

»Das war nicht weit«, unterbrach ich ihn.

»Nun aber scheint eine Wendung eingetreten zu sein. So ist mir's noch nie zu Mut gewesen, so ernsthaft glücklich, bei allem Unglück. Wie es kam? Als ich am Hotel vorbeiritt, mit dem verunglückten Baumwollpflug auf dem Gewissen, fand ich Fräulein Bertha ebenfalls ganz erschüttert von allem, was gestern passiert war. Das sagte sie, wie viel besser es wäre, wenn man den Jammer des Lebens gemeinsam trüge. Darauf sagte ich: das hätte ich auch schon gedacht. Und da wir beide gerade ganz im Jammer waren, probierten wir's, ohne weiteren Verzug. Und wahrhaftig. Herr Eyth. Ich spüre es schon ganz deutlich: Es geht leichter. Selbst der Baumwollpflug drückt mich nicht mehr so wie heute früh. Wenn Sie jetzt noch Herrn Monier umstimmen könnten, so, glaube ich, brauchte ich nichts weiter, um der glücklichste Mensch in ganz Afrika zu werden.«

»Monier will ich schon auf mich nehmen«, sagte ich, indem ich ihm die Hand drückte. »In Gottes Namen, Fritschy: lassen Sie sich das gemeinsame Tragen nicht verdrießen. Es kommen auch leichtere Tage. Reiten Sie gleich wieder zurück zu Ihrer Braut und fangen Sie an, Pläne für die Zukunft zu schmieden. Sie haben nicht viel Zeit zu verlieren. Ich selbst muß jetzt wohl nach Bulak und mir den Schaden ansehen. Auf dem Rückweg werde ich bei Shepheards vorsprechen.«

 

Nun folgten vierzehn Tage hastigen Arbeitens und mannigfachen Sorgens für uns Nebenpersonen, und seligen Glücks für die Hauptbeteiligten.

Ben hatte im Grunde eine zähe kerngesunde Natur und erholte sich rasch unter der wahrhaft mütterlichen Pflege, die ihm Joe Thinker angedeihen ließ. Sein alter Lebensmut zeigte sich wieder und zwar in liebenswürdigerer Weise, solange er durch körperliche Schwäche etwas gedämpft war. Die wiedererwachende Heiterkeit äußerte sich auch wohltuend in der Art, wie er seinen Bruder behandelte, der in der ersten Zeit nach dem verhängnisvollen Tag, an dem seine Hoffnungen einen so herben Stoß erlitten hatten, in tiefe Schwermut versank, sooft er sich allein glaubte oder durch die Pflege des Kranken nicht in Anspruch genommen war. Beide vermieden sorgfältiger als je, von den Dingen zu sprechen, die noch vor kurzem ihr ganzes Sinnen beherrscht hatten und schienen mit der Vergangenheit abgeschlossen zu haben.

Die Zukunft gab ihnen allerdings für den Augenblick genug zu tun und zu denken. Sobald Ben kräftig genug erschien, auch wieder weniger Angenehmes zu hören, wurde ihm mitgeteilt, daß Fräulein Schütz dem Beispiel ihrer Schülerin und Freundin folgen werde. Anfänglich war seine Entrüstung, sein wirklicher Kummer groß und laut. Er warf sich vor, in Fritschy eine Schlange an seinem Busen genährt zu haben. Er warnte ›unsere Bertha‹ vor Ingenieuren, Technikern, Monteuren und der ganzen Gesellschaft, die sich mit rohem Eisen und rußiger Kohle beschäftige und die er nur zu gut kenne. Dann aber, nachdem er sich von der Fruchtlosigkeit seiner Einwände überzeugt hatte, beschäftigte er sich so eifrig als irgend jemand mit dem künftigen Wohl des Brautpaares, das schon in wenigen Wochen als Mann und Frau seine Reise nach Oberägypten antreten sollte. Es kam Zug und eine fast chamsinartige Sturmgeschwindigkeit in alles, was nun vor sich ging.

Auch Sakuntala und Buchwald hatten mit der lebhaften Beteiligung Joes Pläne gefaßt, die manchem anderen etwas überstürzt erschienen wären. Eine kleine Doppelhochzeit ergab sich aus den Verhältnissen von selbst. An dieselbe sollte sich, von Suez aus, eine Hochzeitsreise von nicht gewöhnlicher Ausdehnung anschließen. Ihr Ziel war die Jugendheimat der Braut. Sie glühte bei dem Gedanken, ihrem Hermann das Tal und die Berge von Nirwapura zu zeigen, mit ihm zu sehen, ob die Lotusblumen noch im See Okruris schwimmen, und ihre ganze glückliche Kindheit, auf der der ewig junge Zauber eine vieltausendjährigen Poesie lag, mit ihm aufs neue durchzukosten. Dort sollte Zufall oder Herzensneigung entscheiden, wie sie ihr Leben weiter gestalten wollten: vielleicht in dem wiederhergestellten Schloß von Nirwapura, ähnlich dem ihres Vaters und ihrer Mutter, als segenbringende Wohltäter, wenn auch nicht als Beherrscher des Tals; vielleicht, wenn Buchwald dem Zug nach dem Norden nicht widerstehen könnte, in England oder Deutschland. Das alles überließen sie getrost der Zukunft. Wozu lange grübeln, wenn die Gegenwart so voll des Glückes war?

Und das Glück, wie das Unglück, kommt selten allein: So fehlte es in diesen Tagen nicht an förderlichen Zufällen, die nachhalfen, wo Hindernisse aufsteigen wollten. Gegen Ende April leeren sich die Gasthöfe in Kairo so vollständig, daß die Thinkers das ganze Hotel Shepheard zur Verfügung hätten haben können, wenn es nötig gewesen wäre. Der Besitzer versicherte, daß er in vierzehn Tagen ein Dutzend Hochzeiten abhalten könnte, wenn es gewünscht würde. Man einigte sich nach Joes Vorschlag auf den 10. Mai, den zweimal fünften Tag des fünften Monats im Jahre fünfundsechzig, wie er mir flüsternd erklärte.

Ein junger anglikanischer Geistlicher, den ein Brustleiden nach Ägypten geführt hatte, mußte über den Sommer am Nil aushalten. Fräulein Bertha hatte sich schon in England überzeugt und überzeugte ohne Schwierigkeiten sowohl ihren Hans als auch Buchwald, daß die anglikanische Kirche vollständig berechtigt sei, einer christlichen Ehe jeder Konfession den vollen kirchlichen Segen zu erteilen. Ohne jede kirchliche Weihe hatte sich, nebenbei bemerkt, Fritschy einer Umtaufe unterziehen müssen. Das elsässische ›Jean‹, auf das er von Kindesbeinen an stolz gewesen war, wurde ihm kurzerhand entzogen und durch das schlichte deutsche ›Hans‹ ersetzt. Das fängt gut an! dachte ich im stillen, während ich ihm auch zu dieser Taufe Glück wünschte und einen silbernen Löffel versprach.

Mr. Coalville, der englische Konsul, hatte eine Frau, die, wie die meisten Engländerinnen, eine Hochzeit für den heiligsten Ritus aller Religionen hielt. Sobald sie hörte, was die Thinkers im Schilde führten, wurde ihr Gemahl gezwungen, sich auch mit Joe feierlich zu versöhnen und jede etwaige gesetzliche Schwierigkeit, die einer plötzlichen Heirat in fremden Landen im Wege stehen mochte, mit allen, selbst ungesetzlichen Mitteln aus dem Wege zu räumen. Mit einem Eifer und einer Opferwilligkeit, die beispiellos genannt werden muß, beschäftigte sie sich sodann mit den nötigen Einkäufen in Kairo und Alexandrien, wo man schließlich alles findet, was ein heiratslustiges Menschenpaar bedarf, wenn man weiß, wo man zu suchen hat. Sie war in wenigen Tagen die Mutter der ganzen Gesellschaft geworden und gebrauchte hierbei Joes Börse mit dem Gefühl, daß sie zur Familie gehöre, was der wackere Gelehrte mit dankbarem Lächeln anerkannte. Ein wirkliches Glück war es nun doch, daß sein Kreditbrief unter keiner Beschränkung litt, da es in jenen Tagen unmöglich gewesen wäre, in so kurzer Zeit die erforderlichen Geldmittel aus England zu beschaffen.

Das Wunderbarste von dem vielen Wunderbaren dieser vierzehn Tage war, daß trotz der hundertfältigen Aufgaben, die auch auf meinen Freund Buchwald einstürmten, sein großes Gemälde der Vollendung entgegenging. Sakuntala schien nicht weniger eifrig zu sein als er selbst und brachte den größten Teil des Tages in dem Atelier beim Hotel du Nil zu, wo sie ihm half, Farben zu mischen und Pinsel zu waschen und neckend die kleine Haifa spielte. Ja, sie gab sogar ihre Zustimmung dazu, daß ihr Hermann einen Anstands- und Abschiedsbesuch im gegenüberliegenden Gasthof machte, den Joe Thinker für eine moralische Pflicht hielt, nachdem ihm O'Donald mit gewohnheitsmäßiger Bosheit das Gewissen geschärft hatte.

Er habe allerdings, gestand er kleinlaut, in dem unbewachten Augenblick einer unvergeßlichen Nacht eine Art Versprechen abgegeben, das nur sein lieber Buchwald einzulösen vermöge, das dieser aber unter den veränderten Verhältnissen zu erfüllen nicht gezwungen werden könne. Wenn der Maler sich trotzdem dazu verstünde, um es seinem alten Freunde zu ermöglichen, auch aus dieser mißlichen Geschichte mit einem entlasteten Gewissen hervorzugehen, so halte er es für seine Pflicht, wie sauer es ihm auch falle, das Peinliche eines Abschiedsbesuches bei Madame Geraldine mit Buchwald zu teilen. Dieser war bereit, wenn Sakuntala keine Einwendungen erhöbe, und Sakuntala, im Gefühl ihres Glücks und ihres Herzensreichtums, lachte ihr silbernes Lachen und hatte nichts einzuwenden. Aus dem Fenster des Ateliers sah sie zu, wie die beiden Herrn, zwei arme Sünder in elegantem schwarzem Anzug, in hohen Hüten und weißen Handschuhen ihren Bußgang antraten. Mit Vergnügen hörte sie eine halbe Stunde später, daß Madame Geraldine die Herren als große Dame mit untadelhaftem Anstand empfangen und ihrem Hermann Glück zur bevorstehenden Hochzeit gewünscht habe, ohne durch ein Zucken der Wimpern zu verraten, daß sie ihn vor kurzem heiß, wenn auch vorübergehend geliebt habe. Damit aber, meinte seine Braut, sei dieser kleine Zwischenfall für immer abgeschlossen. Inschallah! rief O'Donald.

Das große Gemälde Die Erbauung der Cheopspyramide konnte am Tage vor der Doppelhochzeit für fertig erklärt werden und wurde, wohlverhüllt und vorsichtig, von sechs Arabern nach Shepheards Hotel getragen, ohne daß sie ein Loch in dasselbe schlugen. Dort wurde es in Joes Zimmer heimlich aufgestellt und ihm am Abend von Buchwald feierlich übergeben. Während die andern auf der Veranda einen bescheidenen Polterabend feierten, bei dem O'Donald mit Erfolg die lustige Person spielte, soll der Doktor tiefergriffen bis nach Mitternacht vor dem Bilde gesessen und beschlossen haben, sich zeitlebens nicht davon zu trennen und es nach seinem Tode der britischen Nationalgalerie zu vermachen. Dort hängt es leider heute schon, schrieb mir Buchwald in späteren Jahren.

Mit hoher Bewilligung Halim Paschas ließ ich in jenen Tagen alle Teiche und Sümpfe in und um Schubra absuchen und zwei Wagenladungen von Lotusblumen der ägyptischen und indischen Spezies nach Kairo führen. Für die Hochzeitsfeier waren die zwei größten Zimmer im ersten Stock des Gasthofs bestimmt worden, von denen das eine in eine Kapelle verwandelt wurde, im andern sollte das Hochzeitsfrühstück, wie es die englische Sitte verlangt, stattfinden. Fritschy zimmerte nach einer Skizze, die ich ihm machte, den kleinen Altar, unter der Aufsicht und mit der nötigen Mithilfe seiner Bertha, die das Kunstwerk noch zehnmal reizender fand als das reizende Hundehäuschen, das ihr Hans seinerzeit für das Wölfchen gebaut hatte. Die ägyptischen Lotusblumen im Festsaal und die indischen in der Kapelle gaben dem Ganzen eine Weihe, die allerdings von der Mehrzahl der Gäste nicht, von Buchwald halb und nur von Sakuntala ganz gewürdigt wurde.

So klein die Gesellschaft war, es wurde eine hübsche, fast rührende Feier. Sakuntala sah aus wie eine traumverlorene Peri, und auch Buchwald schien halb im Traum zu leben, aber überaus glücklich dabei zu sein. Fräulein Schütz weinte reichlich und Fritschy tröstete sie liebevoll. Ich zwang mich zu denken, dies hätte eigentlich umgekehrt sein sollen, wie es sich für einen charakterfesten Junggesellen geziemt, aber es wollte nicht recht gelingen. Ben war noch etwas zu schwach, um laut und lärmend zu sein, wie er es wohl sonst gewesen wäre, und Joe erfreute sich einer wehmütigen Abschiedsstimmung. Doch spielten beide die Rolle der Väter in fast meisterhafter Weise. Der einzige Mangel war, daß die Schwiegermütter fehlten, meinte O'Donald, mit den üblichen sich an diesen Gedanken anschließenden unpassenden Scherzen; denn Frau Consul Coalville könne beim besten Willen eine Doppelmutter nicht ersetzen. Aber etwas mütterlich-rührendes lag trotzdem auf der ganzen Feier. Wir alle fühlten die bevorstehende Trennung des kleinen Kreises um so tiefer, als niemand da war, der sich getraute, dies laut auszusprechen.

Sie kam trotzdem. Frau Coalville hatte dafür gesorgt, daß alles in der strengsten Ordnung, die von der altehrwürdigen Sitte vorgeschrieben ist, seinen Verlauf nahm. »A most respectable wedding!« flüsterte sie mir bei Tisch mehrmals zu; namentlich nachdem ihr Gemahl in einer korrekten und überaus langweiligen Tischrede das Hoch auf die jungen Ehepaare ausgebracht hatte. Dann fuhren Fritschy und seine junge Frau in einem blumengeschmückten Wagen nach Bulak ab, wo sie sich auf dem Nildampfer einschiffen mußten, der noch am gleichen Abend seine Fahrt nach Oberägypten antreten sollte. Eine halbe Stunde später verließen uns Buchwald und Sakuntala, die nach dem Bahnhof fuhren, um mit dem Dreiuhrzug nach Suez zu fahren. Dort lag die ›Lanka‹, ein Dampfer der ›Piäno‹, (schreibe P & O., zu deutsch Peninsular and Oriental Steam Navigation Company), behaglich rauchend auf der Reede und sollte am nächsten Morgen nach Bombay, Colon und Kalcutta absegeln. »Lanka! Welch ein wunderlicher Name«, hatte O'Donald zu mir gesagt, als auch dieser Wagen abgefahren war. Ich konnte ihm mitteilen, weil ich es von Buchwald wußte, der es von Sakuntala hatte, daß ›Lanka‹ ein uralter Name von Ceylon sei, und fand es trotzdem noch wunderlicher als er: dieses Zusammentreffen von Märchen und Wirklichkeit. Wir waren nicht umsonst im Morgenlande.

Und wieder eine halbe Stunde später ritt ich nach Schubra zurück. Es war still und leer unter den Sykomoren, deren tiefe Schatten sich der Mittagsglut kaum erwehren konnten. Ein ungewohnter Druck lag mir auf dem Herzen: das schmerzliche Gefühl eines Vakuums. Doch schien es klug, ihn vorläufig ruhig liegen zu lassen. Finden und Verlieren, auch Scheiden und Wiedersehen, das ist unser Leben. Mancher freilich findet nie und manchmal bleibt das Wiedersehen aus. Das Schlimmste aber erschien mir für den Augenblick, daß man Leute so lieb gewinnen kann, in wenigen Wochen.

 

Und das Beste war, daß der nächste Tag ein tüchtiger Arbeitstag wurde. Der Baumwollpflug war während der gestrigen Hochzeitsfeier in Schubra glücklich angekommen, so daß ich in aller Frühe nach den Versuchsfeldern schicken konnte und er nun zum zweitenmal seiner Prüfung entgegensah. In Stellvertretung des verschwundenen Fritschy mußte ich einen meiner Engländer heranholen lassen, der sich gewöhnlich auf einer benachbarten Nilinsel mit einem kleineren Dampfpflug herumschlug. Bis die Maschinen aufgestellt und ein Stück Land gepflügt und geeggt war, auf dem das neue Gerät seine Kunst zeigen konnte, verging der Vormittag und der größere Teil des Nachmittags, so daß wir erst gegen Abend an die eigentlichen Versuche kamen. Das alles lag im üblichen Verlauf der Dinge. Minder angenehm war, daß einer der Mameluken Halim Paschas mir nicht von der Seite wich. Während ich zu Mittag aß, saß er in meinem Garten und beobachtete die Haustüre, um mich nicht zu verlieren. Er hatte Befehl, den Pascha schleunigst zu benachrichtigen, sobald der Baumwollpflug in Tätigkeit gesetzt werden konnte. Dies war für mich der unangenehme Teil der Prüfung; denn nichts ist peinlicher, als derartige Versuche unter den Augen von halbverständigen Zuschauern machen zu müssen, die nur das fertige Ergebnis und den Erfolg sehen sollten. Aber es ließ sich nicht ändern. Halim Pascha stand mit gierigen Blicken neben mir, als ich den Pflug bestieg, um ihn zum erstenmal eigenhändig über das Feld zu steuern. Selbst das ›Bravo, bravo!‹ das er mir nachrief, während ich in einer Wolke von Staub davonfuhr und drei wohlgeformte Gräben und Beete hinter dem knirschenden und rauschenden Gerät zurückließ, besänftigte meinen versteckten Ärger nicht ganz.

Doch ging diesmal alles wie am Schnürchen. Die eigentliche Arbeit machte der Pflug fast untadelhaft und an den Feldenden hoben sich die Schare aus dem Boden und drehte sich der gewaltige Rahmen, als ob das Ganze ein lebendiges Ding wäre, das wüßte, was es zu tun hat. Halim lief händeklatschend hinterher. Dann wollte er neben mir aufsitzen und selbst steuern. Dadurch entstanden drei verzweifelt krumme Beete, worauf er mir lachend am Steuer wieder Platz machte, abstieg und nun befriedigt am oberen Feldende zurückblieb.

Als ich das nächstemal von meiner Fahrt nach der fernen Dampfmaschine zurückkehrte und sich die undurchdringliche Staubwolke legte, die das Gerät auf dem trockenen, fast pulverisierten Boden auswirft, sah ich, daß der Pascha Gesellschaft bekommen hatte. Er winkte mir. Ich gab das Steuer meinem Engländer und begrüßte Ben Thinker, den ich aus einem qualvollen Versuch, sich mit Halim Pascha französisch zu unterhalten, befreite.

»Sagen Sie ihm«, sagte Halim, »daß ich gehört habe, welche Erfahrungen er bei meinem Neffen machen mußte. Vor solchen Überraschungen sind auch andere Leute nicht sicher. Man muß dabei vor allen Dingen kühles Blut bewahren. Krank werden nützt nichts. Sagen Sie ihm, er soll die Hoffnung nicht aufgeben. Erinnern Sie ihn daran, was ich ihm sagte: wenn ich einmal Vizekönig bin, darf mir kein Tropfen von diesem Nilwasser, das wir hier unten an uns vorüberfließen sehen, ins Meer entwischen. Mit oder ohne Stauwerk. Wie das zu machen ist, überlasse ich den Herren Ingenieuren. Aber gemacht muß es werden. Und wenn mir Herr Thinker mit seinen Ideen dabei hilft, um so besser!«

Bens Augen leuchteten auf.

»Ich kam in hoffnungsloser Stimmung hierher«, sagte er, »um von Herrn Eyth Abschied zu nehmen. Ich gehe mit der Gewißheit, daß die Zukunft Eurer Hoheit gehört und – und meinen Plänen.«

»Inschallah!« rief Halim und sprang in seinen Korbwagen. »Ah! Da kommt ja auch der Gegner unserer Hoffnungen! Den überlasse ich Ihnen, Herr Eyth; ich bin für die Wasserwirtschaft. Vorwärts!«

Er fuhr freundlich grüßend an Joe Thinker vorüber, dessen lange feierliche Gestalt auf seinem gewohnten Eselchen am oberen Ende des Feldes erschienen war. Langsam, sichtlich zögernd, ritt er auf uns zu.

»Wir sind völlig versöhnt, wie Sie wissen«, sagte Ben rasch, »und doch hätte ich gerne allein von Ihnen Abschied genommen. Wir gehen nämlich beide morgen mit dem nächsten Dampfer nach England zurück; etwas rascher als ich noch gestern beabsichtigte. Aber es ist plötzlich so entsetzlich leer in Kairo geworden, daß ich es nicht länger aushalte. Und zu machen ist für den Augenblick nichts. Ich verlasse das Land mit schwerem Herzen, aber ich rechne auf Sie, Herr Eyth. Vergessen Sie unsere große Aufgabe nicht. Schreiben Sie mir, wenn irgend etwas geschehen kann oder geschieht. Und sprechen Sie nicht zu Joe davon. Ich möchte – ich will ihm nicht weh tun. Aber ich verlasse mich auf Sie!«

Er drückte mir rasch, aber herzlich die Hand und bestieg seinen Esel, während Joe noch in einiger Entfernung abstieg. Sie grüßten sich mit geflissentlicher Unbefangenheit, wie Leute die sich alle Augenblicke sehen und deshalb keine Umstände miteinander machen. Ben trabte davon, wandte sich aber noch einmal um und rief seinem Bruder zu:

»Wir können zusammenreiten, wenn du dich nicht lange aufhältst, Joe! Der gute Eyth hat heute wenig Zeit für uns. Ich erwarte dich in der Schubra-Allee. Es muß sein. Mach's kurz!«

Der Doktor warf ihm einen Blick nach, der nicht gerade brüderliches Vertrauen ausdrückte.

»Ja, es muß sein«, sagte er dann, mir die Hand reichend. »Ich komme um Ihnen Lebewohl zu sagen und für Ihre treue Mitarbeit an der großen Aufgabe zu danken, die uns allerdings für den Augenblick aus den Händen genommen ist. Aber nur für den Augenblick! Sie sehen mich so hoffnungsvoll und kampfesfreudig, wie mir seit Wochen nicht zumute war, obgleich ich selbst glaube, daß ich wenigstens in den nächsten Monaten hier eher schaden als nützen würde. Es waren schwere Schläge! Schwere Schläge!«

»Ich freue mich, Herr Thinker, Sie in dieser Stimmung scheiden zu sehen«, versetzte ich; »doch ich wußte, daß Ihre Entmutigung nicht allzulange anhalten würde.«

»Ich schäme mich, daß ich mich nicht schneller fassen konnte«, entgegnete Joe. »Das ist das Große geistiger Kräfte, daß sie nicht unterzukriegen sind. Mein armer Bruder, mit dem ich mich übrigens vollständig ausgesöhnt habe, muß der Verzweiflung nahe sein, denn er hat nicht mehr die geringste Aussicht, seine Pläne zu verwirklichen. So geht es mit Dingen, die in der Materie leben und mit ihr verwesen müssen. Ich meinerseits weiß, daß Geist und Wahrheit nicht sterben und kann es Ihnen schwarz auf weiß beweisen.«

Er reichte mir einen Brief in einer Handschrift, die zu lesen sechs erwachsene Männer kaum imstande gewesen wären, nahm ihn mir aber sofort wieder aus der Hand, indem er sich wohl dieses Umstands erinnerte, und fuhr fort:

»Von meinem hochgeschätzten Freund Piazzi Smyth! Der Mann, der nächst John Taylor mehr als irgend jemand für unsere Forschungen – darf ich sagen für unsern Glauben? – getan hat. Er schreibt, daß er soeben von der Regierung einen wesentlichen Geldbeitrag erhalte habe, um seine Pyramidenstudien an Ort und Stelle fortsetzen zu können. Smyth ist kein reicher Mann und war von jeher leider zu stolz, von seinen Freunden eine ähnliche Beihilfe anzunehmen. So mußten sie diesen Weg einschlagen, was nicht ganz leicht war. Er wird nun im Oktober nach Ägypten kommen. Für diplomatische Schritte, wie ich sie unternahm, ist er allerdings weniger geeignet. Aber auf die gewissenhafteste Bestätigung alles bis jetzt Errungenen, auf neue Offenbarungen der erschütterndsten Art dürfen wir mit Sicherheit rechnen. Und wissen Sie, wieviel ihm die Regierung unter einem ebenso seltenen als rätselhaften Impuls zuwendete? Fünfhundert Pfund! Fünfhundert. Nicht etwa dreihundert, oder tausend; fünf, fünf! Wieder die heilige Zahl des großen Mysteriums.«

»Es freut mich, daß Sie das mit solcher Freude erfüllt«, sagte ich, halb im Ernst, halb unfähig, meine Heiterkeit zu verbergen.

»Ja; ich kann nun beruhigt nach England zurückkehren. Das große Werk wird seinen Fortgang nehmen. Und Sie – deshalb komme ich noch einmal nach Schubra, obgleich wir schon gestern Abschied nahmen – Sie wollte ich bitten, auch meinem Freund Smyth ein treuer Freund zu sein. Selbst wenn Sie noch nicht völlig überzeugt sein sollten, daß wir auf dem rechten Wege sind –: geben Sie die Hoffnung nicht auf. Das wird kommen; das muß kommen! Sehe ich ja sogar bei meinem Bruder Zeichen, daß die Wahrheit anfängt zu wirken. Sie brauchen ihm aber hiervon nichts zu sagen – überhaupt –«

Er umarmte mich: ein bei Engländern fast unerhörter Vorgang. Dann nahmen wir herzlich Abschied. Es hat etwas Rührendes, einen Mann zu sehen, den sein Glaube nicht verläßt, mag derselbe nun sein was er will. Hinter Thinkers Glaube aber steckte zumindest ein ehrliches Herz, so wunderlich die Schale sein mochte, unter der es schlug. Dies ist am Nil, wie anderwärts, eine Seltenheit, von der man sich nie leichten Sinnes trennen sollte. –

Als er gegangen war, setzte ich mich auf meinen Pflug. Es war Zeit Feierabend zu machen. Die Leute hatten die Feuer in den Maschinen schon ausgestoßen und waren im Begriff, die nie ermüdenden Ungeheuer für die Nacht in ihre schwarzen Decken zu hüllen, ehe sie nach Hause gingen. Der ganze Himmel und die halbe Erde flammte in der Glut der Abendsonne, die den Nil in Gold verwandelte, so weit man ihn sehen konnte. Und dort in der Ferne stand ruhig und unbeirrt von allem, was seit viertausend Jahren um sie her vorging, die alte Cheopspyramide.

Ob sie nun Ruhe haben wird? Ob meine Freunde und andere nach ihnen weiter um sie streiten werden? Wer schließlich den anderen niederringen mag, im Lauf der Zeit?

Oder hatte ich den echt menschlichen Schluß alles menschlichen Ringens auch in diesem Falle miterlebt: den wehmütigen Verzicht auf die Entscheidung der Gegenwart, die vielleicht eitle Hoffnung auf die Kraft der Zukunft.

Die sinkende Abendsonne hatte hierauf keine Antwort, keine, die vernehmlich an mein Ohr geschlagen hätte. Und doch ist sie die Quelle jener göttlichen Kraft, die seit Jahrtausenden nicht ermüdet, Neues zu schaffen, Altes zu verjüngen. Sehen wir dies nicht fast alle Tage, seit Menschen sehen? Warum so kleingläubig?

Sonnig genug lag die Zukunft vor den zwei Paaren, die die Hoffnung eines kommenden Geschlechts in das Leben hinaustrugen. Und die Sonne täuschte sie nicht. Jahrzehnte später kehrte Fritschy mit seiner mutigen kleinen Frau und einer Schar nur allzu mutiger Kinder als wohlhabender Zuckerfabrikdirektor und vielbestaunter Bey a. D. in die alte Heimat zurück. Sakuntala ist noch heute an der Seite ihres Gemahls die angebetete Rani im Tal von Nirwapura, wo mein Freund Buchwald, der angesehenste Indigopflanzer Indiens, das eigene Blau für seine seltener werdenden Bilder wachsen sieht, in denen noch immer die ganze Poesie seiner Kinderträume lebt.

Wehmütiger war der Abschluß, mit dem der nie ganz zur Ruhe kommende Kampf der beiden Brüder endete. Ben starb fünf Jahre nach seinem Scheiden von Nil den Heldentod des Erfinders, durch einen Sturz aus einem Ballon, und als im Jahr 1881 Joe beim besten Willen keine Anzeichen entdecken konnte, daß das Millennium angebrochen sei, das er auf Grund seiner Pyramidenforschungen mit Bestimmtheit erwartet hatte, legte er sich zu Bett und verschied.

Hätte Ben es erlebt, wie sich seine Pläne, großartiger als er sie zu träumen gewagt, heute am Nil verwirklichen, wie die zehnmal verurteilte Barrage bei Kaliub gezwungen wurde, ihre Aufgabe zu erfüllen, so daß in den heißen Monaten des Jahres kaum ein Tropfen Wasser seinen Weg in das Meer findet, wie durch das Riesenstauwerk bei Assuan ein See, gewaltiger als der des Möris, in Nubien im Entstehen begriffen ist; hätte Joe ruhig weiter gerechnet und daneben gesehen, wie seine Pyramide in ihrer ewigen Ruhe das Treiben und Schaffen der Menschlein zu ihren Füßen überdauert, als ob nichts entstünde und nichts verginge: sie wären beide ruhigeren Sinnes dahingegangen.

Warum so kleinmütig?

Auch ich sah in jener Stunde all das noch nicht. Ein Glück, daß mich mein schlichtes Tagewerk im Frieden auf meinem Pfluge sitzen ließ. Zu schlicht, zu friedlich wollte es mir in diesem Augenblick erscheinen. Doch bringt es nicht auch seine Kämpfe, fordert es nicht auch seine Opfer, hat es nicht auch seinen Platz in dem großen Ganzen, für das die Menschheit denkt und schafft und leidet? Was ist groß, was ist klein, im Lichte des Alls? Sicher ist eins; ehe vor Jahrtausenden die Pyramide dort drüben stand, ging ein Pflug auf diesem Felde und wenn sie einst verschwunden sein wird, nach Jahrtausenden, wird noch ein Pflug hier gehen. Ist das kleine Ding nicht fast so ehrwürdig, als der stolzeste Bau der Erde?


ENDE


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