Max Eyth
Der Kampf um die Cheopspyramide
Max Eyth

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14. Kapitel
3,14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288 41971 = π

Halt, wenn die Barriere geschlossen! steht etwas überflüssigerweise in meinem lieben Heimatland Schwaben zehn Schritte vor jedem Eisenbahnübergang zu lesen, schwarz auf weiß, weithin sichtbar, auf einem hohen Pfahl. Auch hier möge diese Warnung stehen; denn es wäre ja nicht unmöglich, daß einer meiner engeren Landsleute mir bis zu dieser Stelle gefolgt wäre und, gedankenvoll wie die Schwaben nun einmal sind, den geschlossenen Schlagbaum, den die Überschrift dieses Kapitels vorstellen soll, nicht bemerkte. Woraus leicht ein kleines Unglück, jedenfalls aber viel unnötiges Murren und Schelten entstehen könnte.

Man wird mir eins zugestehen müssen: daß ich mich in diesem wahrheitsgetreuen Bericht von vielleicht nicht immer wahrscheinlichen Erlebnissen bisher sorgfältig gehütet habe, die liebenswürdige Leserin oder den hochgeneigten Leser durch diese und ähnlich schmeichelhafte Anreden zu belästigen oder sie mit jenem Kunstlächeln in die Freuden und Leiden eines Geschichtenschreibers einzuführen, mit dem sich erfahrenere Schriftsteller in der Gunst ihres Publikums festzusetzen wissen. Mit grimmigem Ernst und ruhigem Gewissen erzähle ich drauflos, einem Ernst, der dem Leben entspricht, das mir im alten Wunderlande des Nils entgegentrat; unbekümmert ob dem geneigten Leser glaubhaft und verständig oder der reizenden Leserin rührend genug erscheinen mag, was ich zu sagen habe. Heute jedoch fühle ich mich gezwungen, eine Ausnahme zu machen und meine Zurückhaltung zu durchbrechen. Vor diesem vierzehnten Kapitel warne ich männiglich. Es gehört nicht in eine Erzählung, nicht in eine Novelle, nicht in einen Roman, nicht in irgend eine der bis jetzt erfundenen Kunstformen der mehr oder weniger schönen Literatur. Deshalb habe ich seinen Titel nach Art eines Schlagbaums gestaltet und niedergelassen. Wenn jemand polizeiwidrige Kühnheit hat, ihn zu überspringen, möge er weiterlesen. Es geschieht auf seine eigene Gefahr. Ich habe das meinige getan.

»Was Sie mit all dem bezwecken, hätten Sie sehr viel billiger haben können«, wird mir mit einem mitleidigen Lächeln angedeutet. »Warum, im Namen des gesunden Menschenverstandes, haben Sie das Kapitel geschrieben, wenn es niemand lesen soll?«

Darauf habe ich zweierlei zu erwidern. Erstlich: daß ich es nicht geschrieben habe, daß es mir vielmehr nahezu druckfertig ins Haus geschickt wurde, ohne mein Wissen und Wollen. Und zweitens: daß ich einen heißen Kampf mit mir selbst durchzufechten hatte, ob ich das unpassende Schriftstück diesem Buche einverleiben solle oder nicht, daß ich aber schließlich gegen besseres Wissen unterlag. Denn es war sicher mein böser Genius, der mir in die Ohren raunte, es möchten sich am Ende doch zehn oder fünf Leser – von den Tausenden, die ich mir wünsche – finden, die, wie seinerzeit ich selbst, zu wissen wünschen, was eigentlich Wahres an den Pyramidenphantasien des ersichtlich achtbaren Reverend Joseph Thinker ist. Sich darüber ein Urteil zu bilden, ist jedoch nahezu unmöglich, wenn uns die tiefsinnigsten und verwickeltsten Wahrheiten entgegenflattern, wie die zerrissenen Fetzen einer im Sturm des Lebens wallenden Fahne. Und da ich auf mühelose Weise zu einer Zusammenstellung dessen kam, was die wunderlichen Freunde meines Freundes gefunden zu haben glauben, so fühle ich mich kaum berechtigt, die Ergebnisse ihrer Forschungen jenen zehn oder fünf ernsteren Lesern vorzuenthalten, die den Dingen auf den Grund zu gehen lieben. Ich weiß, ich setze mich der Gefahr aus, daß andere zehn diesen Abschnitt für das langweiligste Machwerk erklären werden, das sie je übersprungen hätten, ganz abgesehen von den unerträglichen Wiederholungen, von denen es wimmle. Der unglückselige Verfasser ahnte natürlich nicht, wie gründlich ich ihn weiter oben schon bearbeitet hatte. Doch meine Warnungstafel war groß genug und die fünf Leser, für die ich dies erdulde, werden mich trösten. Gütiger Himmel! Ich habe just auf ägyptischem Boden gelehrte Schriftsteller kennengelernt, deren gesamte Werke, an die sie ihr Leben rücken, von nicht mehr als zwei bis drei Menschen auf dem weiten Erdenrund gelesen werden können! Sie fühlen sich groß und glücklich in diesem Gedanken. Habe ich ein Recht, mehr zu verlangen, als sie, deren Schuhriemen – auf dem Felde der Gelehrsamkeit – ich aufzulösen nicht würdig wäre?

Das fragliche Manuskript fand ich nämlich in einem wohl versiegelten Paket auf meinem Eßtisch, als ich nach einem heißen, arbeitsvollen Tag von der Gesira, der Nilinsel gegenüber Schubra, zurückkehrte, wo ich mich acht Stunden lang redlich gequält hatte, auf den wellenförmigen Feldern aus Nilschlamm und Wüstensand eines im Werden begriffenen Gutes die günstigste Richtung von Gräben und Kanälen festzustellen, und die Teile eines Pumpwerks auseinanderzuklauben, die an der ungeschicktesten Stelle des Flußufers im Sande lagen. Neben dem Paket entdeckte ich auf einem abgerissenen Stück Zeichenpapier eine hastig geschriebene, aber ziemlich lange Bleistiftnotiz von Buchwald, von dem ich seit fast drei Wochen nichts gehört hatte. Unter dem Zeichenpapier lagen zwei versiegelte Briefe. Ich überflog nur das offene Schreiben. Alles andere wurde auf die Seite geschoben, denn zunächst mußte unter dem wohltätigen Einfluß der abendlichen Teekanne der innere Mensch sein kühles Gleichgewicht wieder zu gewinnen suchen.

Buchwald schrieb:

Lieber Eyth!

Auf den dringenden Wunsch unseres Freundes Joe Thinker – der gute Mann besteht darauf, daß auch Du sein Freund seist – bringe ich Dir das beiliegende Paket und einen Brief, der Dir hoffentlich alles weitere erklärt. Da Thinker an einem leichten Fieberanfall erkrankt ziemlich hilflos in Shepheards Hotel liegt und Deine Leute sagen, daß Du vor Sonnenuntergang schwerlich nach Hause kommen werdest, kann ich Dich nicht erwarten. Es tut mir leid, denn ich habe Dir eine lange Geschichte zu erzählen: Sinn und Unsinn, Glück und Unglück. Es ist, als hätte sich in den letzten vierzehn Tagen meine halbe Lebensgeschichte abgespielt. Ägypten, keine Frage, ist ein Wunderland. – Was Thinker schließlich niederwarf, war ein tolles Spiel von Zufällen, die uns seit vorgestern verfolgen. Das Erste, was er bei unserer Rückkehr von Gise tat, war aus Shepheards Hotel nach dem Hotel du Nil überzusiedeln, um seinem Bruder zu entgehen, mit dem er in bitterer Feindschaft lebt. Das hatte aber sein Bruder ein paar Stunden zuvor ebenfalls getan, so daß sie sich gestern beim Frühstück wieder gegenüber saßen. Sie wechselten kein Wort, zogen aber beide ohne Verzug zu Shepheard zurück. Infolge einer besonderen Aufmerksamkeit des Gastwirts, der das brüderliche Verhältnis noch nicht kennt, kamen sie an der Gasthofstafel abermals nebeneinander zu sitzen. Dies war Joe, der ein etwas nervöser Herr ist, zuviel. Er verließ den Tisch und legte sich zu Bett. Heute fand ich ihn ernstlich krank an der erlittenen Gemütserschütterung, wie ich glaube. Er behauptet, es würde ihm guttun, das Paket in deinen Händen zu wissen; sonst sei er einer zweiten schlaflosen Nacht sicher. Diesen Gefallen können wir ihm ja tun.

Ich selbst laufe halb im Fieber umher und dabei sagen die Leute, Kairo sei fieberfrei! Wie mich's ärgert, Dich nicht getroffen zu haben! Ich habe Kopf und Herz so voll von Erlebnissen, daß ich sie allein fast nicht mehr schleppen kann. Davon also ein andermal, aber sobald als möglich. –

Dein Buchwald

»Nanu, was kann er viel erlebt haben, im Wüstensand hinter Gise!« dachte ich und setzte mich beruhigt zu meinem Tee nieder. »Alles hübsch der Reihe nach! Des alten Thinkers Paket und Sendschreiben wird wohl warten können!« – Doch erbrach ich das letztere, als sich bei der dritten Tasse Tee die Rückkehr meiner Lebenskräfte wieder fühlbar machten und las mit der Behaglichkeit, mit der ich aus meiner Schubraer Einsamkeit heraus das Leben und Treiben der Menschen in Kairo zu beobachten pflegte, wie folgt:

Verehrter Freund!

Eine große Aufregung hat mich aufs Krankenlager geworfen; sonst hätte ich das Paket, das Ihnen mein Freund, Herr Buchwald, zu überbringen verspricht, persönlich in Ihre Hände gelegt. Ich beschwöre Sie, keinen Einflüsterungen von anderer Seite Ihr Ohr zu leihen, ehe Sie die Aufzeichnungen gelesen haben, die ich in einsamen Nachtstunden am Fuß der Cheopspyramide fast immer in Gedanken an Sie niederschrieb.

Ich versuchte, die nackten Tatsachen in aller Ruhe und im Geiste wissenschaftlicher Forschung zusammenzustellen, auf denen meine Überzeugung bezüglich des merkwürdigen Bauwerks beruht, dessen Bedeutung auch Sie tief empfinden müssen, der Sie es schon seit Jahren täglich vor Augen haben. Trotzdem schrieb ich, vielleicht mit Unrecht, wie wenn ich einen Zweifelnden vor mir sähe, einen Neuling, der ahnungslos dem großen Geheimnis entgegentritt. Lesen Sie, prüfen Sie, denn was ich Ihnen heute mitteile, ist jeder Probe gewachsen. In das Größere, Geheimnisvollere, von dem dieses bescheidene Werkchen nicht spricht, werde ich Sie, so Gott will, später einführen dürfen. Das heute Vorliegende genügt, wenn Sie den offenen, vorurteilsfreien Sinn besitzen, den ich bei Ihnen zuversichtlich voraussetzen darf, Sie für den Dienst der großen Sache zu gewinnen, der ich mein Leben geweiht habe. Nochmals aber, lassen Sie sich durch Einflüsterungen nicht betören, die, wie ich weiß, den Zweck verfolgen, uns und aller Welt bitteres Leid zu bereiten. Und wenn Sie für einen Kranken in fremdem Lande ein freundliches Wort des Trostes und der Ermutigung finden, so zögern Sie nicht, mich aufzusuchen.

Ihr aufrichtig ergebener
Dr. Joseph Thinker

 

Nachschrift. Die zwei Zeichnungen, welche ich des leichteren Verständnisses wegen beilege, bitte ich mit der größten Sorgfalt zu behandeln. Sie stammen von der Hand meines teuren Freundes Piazzi Smyth. Ihr Verlust würde mich untröstlich machen. Auf die geometrischen Verhältnisse, die aus dem zweiten Blatt zu ersehen sind, bin ich im Text allerdings nicht näher eingegangen. Sie als Ingenieur werden dieselben auch ohne weitere Erklärung zu würdigen wissen.

D. O.

Auf diese Weise kam ich zu dem Aufsatz, vor dem ich den unbefangenen Leser mit allen mir zu Gebot stehenden Mitteln zu bewahren versuche. Er kostete mich selbst den größeren Teil jener Nacht und hatte die Folge, daß ich, statt in meinem Bett, in einem Gewirr von endlosen Zahlen, von Dreiecken und Kreisen einschlief, von Erdmeridianen und Sonnenfernen, von leeren Granitsarkophagen und Pharaonen, die mit meilenlangen Maßstäben und leuchtenden Prophetenaugen die Himmelsräume durchschritten. Am andern Morgen aber blieb doch so viel Greifbares übrig, das das Licht der grellen Sonne zu ertragen schien, daß ich bis zum heutigen Tag den Gedanken nicht los werde: Es könnte doch etwas an der Sache sein, die rätselhaft, unerklärlich bleibt, man mag sie wenden, wie man will. So ungern ich's gestehe: Dies ist der wahre Grund, weshalb ich das Manuskript auch heute nicht auf die Seite schiebe, sondern ihm dieses Eckchen in meinen Erinnerungen gönne. Es erklärt wenigstens denen, die meinen Schlagbaum absichtlich durchbrechen, wie sonst vernünftige Menschen alle Vernunft in die Winde schlagen konnten, wenn sie in den Zauberkreis des Totenfeldes von Memphis traten.

So aber, in festen, zierlichen Schriftzügen, die zu lesen eine Freude war, begann Joe Thinkers kleines Werk, das, als letzte und äußerste Warnung für leichtfertige Leser, auch im Druck anders und bedrohlicher erscheinen möge als der Rest des Buches:

Ich, der Reverend Joseph Thinker, D. D., von Sydenham bei London in der Grafschaft Kent, in England, beginne diese Schrift am 14. Februar des Jahres 1865, am Fuß der Pyramide Chefrens, im Grabe Menestos, des Pharao Menkaura der vierten Dynastie Kämmerer und Oberjägermeisters, der hernach Wächter ward und Priester der Pyramide Chufsus des Heiligen, und begraben wurde im dritten Felsengrab, von der westlichen Ecke der Gräber nächst der Chefrenpyramide – solches alles unter der Voraussetzung, daß ich, Joe Thinker, die heidnischen Inschriften an den Wandungen des besagten Grabes richtig zu lesen verstand; was ich nicht zu behaupten wage. Denn unser Wissen ist Stückwerk, auch wo wir uns weise dünken.

Hiermit möchte ich andeuten, daß in dieser Schrift nicht als Wahrheit hingestellt werden soll, was ich nicht für erwiesen erachte, und nur weniges, das nicht in unbeugsamen Zahlen und geraden Linien nachzuprüfen ist von jedem, der mit Zahlen und Linien zu hantieren weiß. Dies ist allerdings eine Kunst, die seltener gefunden wird, als man gewöhnlich annimmt. Denn der Umgang mit Zahlen erfordert Ehrlichkeit, die gemeinhin der Gelehrte, der mit vorgefaßter Meinung und fertiger Theorie an ein Problem herantritt, nicht besitzt; und was gerade Linien betrifft, so ist des Menschen Geist von Natur krumm, und noch nie einer geraden Linie gefolgt, ohne in jeder Sekunde nach links oder rechts abzuschweifen. Das aber sollte ihn nicht abhalten, nach Möglichkeit der Wahrheit nachzuspüren und, wo er ihre Spuren entdeckt, an sie zu glauben und sie zu bekennen.

Für den Oberflächlichsten wie für den Tiefdenkendsten bleibt die große Pyramide das unerklärlichste Bauwerk der Welt. Wann und wie konnte dieser riesige Markstein, der den Beginn der Menschengeschichte bezeichnet, entstehen? Überall sonst, wo wir Bauwerke des Altertums finden, sehen wir, wie sie sich aus kleinen, rohen Anfängen zu der Vollkommenheit entwickeln, die in ihrem Grundgedanken verborgen liegt. Von den 130 Pyramiden, deren mehr oder weniger guterhaltene Trümmer von Nubien bis ins Delta die Urgeschichte des Niltals bezeichnen, ist keine nachweislich älter als dieses Bauwerk, keine von gewaltigeren Abmessungen, von einer größeren Vollkommenheit, von ähnlicher großzügiger Genauigkeit der Ausführung, die selbst die Technik unserer Tage nicht zu übertreffen vermag. Wie war es möglich, daß diese Meisterschaft in Form und Größe plötzlich in die Erscheinung trat, ohne daß wir irgendwelche Spur der Entwicklung solchen Schaffens entdecken, eine Meisterschaft, die nach allen Erfahrungen anderwärts nur eine vielhundertjährige Kultur zur Reife bringen konnte? – Fast ebenso unerklärlich ist die Tatsache, daß an dem ganzen Riesenbau, der uns in jeder andern Richtung Beweise eines glänzenden technischen Könnens liefert, nicht eine Spur eines Bildwerkes, nicht die Andeutung einer Inschrift zu finden ist: keine jener zahllosen Darstellungen, mit denen die alten Ägypter ihre Freude am Dasein, ihren Glauben an ein Jenseits bekundeten, kein Wort jener ruhmredigen Zeichensprache, in der die endlose Reihe der Pharaonen ihre Heldentaten in Krieg und Frieden zu verherrlichen pflegten. Stumm in seiner Vollkommenheit steht das Riesendenkmal da, inmitten der zerfallenen, geschwätzigen Bauten späterer, reicherer, kultivierterer Zeiten; stumm durch Jahrtausende für alle, die seine Sprache nicht verstehen. – Und zwecklos, wie zu tausend Malen vom Unverstand betont wird: Ein ungefüges Steinungetüm, das selbst als Grabstätte die Aufgabe nicht erfüllte, für die es möglicherweise bestimmt war, das jedenfalls mit seiner ungeheuern Masse außer allem Verhältnis zu einem solchen Zweck steht; ein Rätsel auch in dieser Hinsicht.

Es war natürlich, daß der Gedanke, in der Cheopspyramide das Grabdenkmal eines Pharao der ägyptischen Urzeit vor sich zu haben, die ältesten Überlieferungen beherrschte, denn alle Nachahmungen des Riesenbauwerks, die immer kleiner, immer ärmlicher wurden, statt in aufsteigender Linie an Größe und Vollkommenheit zu wachsen, waren tatsächlich Königsgräber. Es war Sitte des Pharao geworden, beim Antritt seiner Herrschaft auch mit der unterirdischen Grabkammer, dem Kern seiner künftigen Pyramide, zu beginnen. Über dieselbe legte sich dann Schicht auf Schicht, so daß der Bau mit der Zeitdauer seiner Regierung wuchs, wie die Jahresringe eines Baumes, bis der Tod dem König und seinen Bauleuten Halt gebot; während die Pyramide, ob groß oder klein, jederzeit nahezu fertig dagestanden hatte. In dieser Weise, wie Lepsius ganz richtig feststellte, sinnreich, von innen nach außen, und doch planlos, entstanden alle späteren Pyramiden. Anders die Cheopspyramide, die nach einem festen Plan von außen nach innen gebaut ist, von dem jedoch die Priester des späteren Ägyptens so wenig als die Ägyptologen unserer Tage eine Ahnung hatten. – Herodot mußte sich an die bezüglich der ältesten Geschichte schlecht unterrichtete Priesterkaste des Landes halten und teilt uns gläubig ihre Irrtümer mit. Seine Beschreibung der Grabeinrichtung im Innern der großen Pyramide ist so unsinnig wie irgendein Märchen der Griechen oder Araber, das sich später an die Pyramiden knüpfte. Sie ist dagegen verständig und sogar richtig genug, sobald man entdeckt, daß sie sich nicht auf das Innere der großen Pyramide, sondern auf das wirkliche Grab des Cheops bezieht, das ganz woanders zu suchen war und erst vor einigen Jahrzehnten gefunden, dann aber auch gründlich mißverstanden wurde.

Ohne irgendwelche genauere Kenntnis des Innern, ja schon bei der oberflächlichsten Betrachtung der äußeren Form und Masse des Riesenbauwerks empfanden zu allen Zeiten Hunderte, daß es Torheit sei anzunehmen, ein so kolossales Gebäude könne nur dem Zweck gedient haben, den Sarkophag eines einzelnen Menschen zu bergen. Griechen, Römer und Araber, Italiener, Franzosen, Deutsche, Engländer und Amerikaner versuchten ihren Witz, eine Erklärung für das Unbegreifliche zu finden. Sonnen-, Mond- und Feuertempel, Riesenzisterne für das Trinkwasser einer Riesenstadt, Schatzhaus für das Pharaonenreich, Kornkammer für das ganze Volk, astronomisches Observatorium, Verteidigungsbauwerk gegen den Wüstensand, Zufluchtstätte für die nächste Sintflut, all dies und ähnlichen Unsinns mehr wurde zur Erklärung der großen Pyramide erfunden. Schließlich blieben die Gelehrten unserer Tage an Herodot und seinen Priestern hängen: daß es doch nur die Begräbnisstätte eines Pharao sein könne, weil dies die schwächlichen Nachahmungen des großen Vorbilds waren. Daß die unterirdische Grabkammer unter der Cheopspyramide eine rohe unfertige Höhle geblieben ist, daß der sogenannte Sarkophag in der überirdischen sogenannten Königskammer leer, ohne Deckel, ohne jede Inschrift oder andern Beweis seiner Bestimmung gefunden wurde, hiervon und von vielem andern muß auch bei dieser Theorie abgesehen werden, um sie glaubhaft zu machen. Sie ist in der Tat so wenig stichhaltig als die andern, die mit dem sachlichen Befunde nicht im entferntesten Zusammenhang stehen, und zeigt nur, mit welchem Erfolge seit dem napoleonischen Einfall von 1799 Franzosen, Deutsche, Amerikaner und leider auch meine eigenen Landsleute im Dünkel ihrer Klügeleien sich dem Lichte verschlossen, das über dem Geheimnis Ägyptens zu dämmern begann.

Meinem ehrwürdigen Freund John Taylor war es vergönnt, den ersten hellen Strahl in das Dunkel zu werfen. Man sollte glauben, bei einem schon durch seine Größe Staunen erregenden Bau, auf den seit Jahrtausenden die Augen aller Welt gerichtet waren, müßten wenigstens die äußeren Hauptmaße längst zweifellos festgestellt sein. O diese Schriftgelehrten! Jeder der Dutzende von Meßkünstlern aus aller Herren Länder, gelehrte Mathematiker, Geometer und Astronomen, die das Bauwerk mit wichtiger Miene maßen und den Befund der staunenden Nachwelt hinterließen, gab ihm eine andere Höhe, der quadratischen Grundfläche eine andere Seitenlänge. Allerdings ist die eigentliche Spitze und die glatte Verschalung der Seitenflächen längst verschwunden: eine Schandtat der arabischen Steinräuber aus Gise und Kairo, so daß man die wirklichen ursprünglichen Maße nur mit Hilfe von Berechnungen feststellen kann. Dazu aber dienen die unzweifelhaften, in den gewachsenen Felsgrund eingehauenen Fundamente der vier Ecksteine des Baus und der Winkel der mit wunderbarer Genauigkeit gearbeiteten Verschalungssteine, von denen Howard-Vyse im Jahr 1837 zwei entdeckte, und ich vor wenigen Tagen vielleicht den letzten kostbaren Fund ans Tageslicht förderte.

Wenn nun die verschiedenen Angaben sorgfältig nach ihrem Werte geprüft und in Rechnung gestellt werden – ohne von meinen eigenen Messungen zu sprechen, die ich als noch nicht abgeschlossen bezeichnen muß –,wenn namentlich der genau gemessene Winkel der Verschalungssteine, ein Winkel von 51° 51' 14,3" als nicht zu bezweifelnder Anhaltspunkt benutzt wird, so zeigt sich, daß die Cheopspyramide eine Höhe von 486,256 engl. Fuß und eine Seitenlänge der Grundfläche von 763,810 Fuß hatte.

Daraus ergibt sich durch einfache Rechnung die erstaunliche Tatsache, daß der Umfang der quadratischen Grundfläche der großen Pyramide (3055,24') gleich dem Umfang eines Kreises ist, dessen Halbmesser der Höhe gleich ist (= 2 × 486,256 × π); mit andern Worten – da dieses wunderbare Zusammentreffen unmöglich das Werk des Zufalls sein kann: daß dem Erbauer der Pyramide Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung das Verhältnis zwischen dem Umfang und dem Durchmesser eines Kreises, die berühmte Zahl π (3,14159 usw.) mit einer Genauigkeit bekannt war, von der die Weltweisen von Griechenland und Rom, die Mathematiker von Deutschland, Frankreich und England bis in das 15. Jahrhundert nichts wußten.

Geht dies mit natürlichen Dingen zu? Ich frage diejenigen, welche die Geschichte jener merkwürdigen Zahl kennen, die der Menschheit zu denken gab, seit sie den Begriff des Messens kennt. Sie wurde allerdings im Laufe der jüngsten Jahrhunderte mit immer größerer Annäherung an ihren wirklichen Wert bestimmt, mit mathematischer Genauigkeit aber kann sie wahrscheinlich niemals in Ziffern ausgedrückt werden. Mit ihr wäre das uralte Problem der Quadratur des Kreises gelöst. – Auf dem Höhenrücken hinter Gise hat eine unbekannte Hand die Lösung dieser Aufgabe in Stein gemeißelt, ehe der Mensch in seiner Kindheit auch nur ahnen konnte, daß mit diesem Problem noch nach Jahrtausenden seinem Ausdrucks-, seinem Begriffsvermögen ein unüberwindliches Halt geboten sei.

 

Doch es häuften sich nunmehr rasch Rätsel auf Rätsel, als mein verehrter Freund, Piazzi Smyth, der Königl. Astronom von Schottland an die Seite Taylors trat und unter dem Gespött der zünftigen Gelehrten seine Forschungen veröffentlichte. Was kümmerte ihn, was kümmert uns dieser Spott, wenn wir mit jedem Schritt deutlicher fühlen, daß neues Licht auf unsern Weg fällt, der durch ungezählte Jahrhunderte im Dunkeln lag.

Daß unser englisches Maßsystem, so wenig als das vielgepriesene französische, dieser Ausbund menschlicher Klugheit, nicht geeignet ist, die Abmessungen der Pyramide in einfachen Zahlen auszudrücken, läßt sich sofort vermuten. Der Erbauer der Pyramide, der mit so erstaunlicher Genauigkeit zu messen verstand, arbeitete sicherlich mit seinem eigenen Maßstab. Es fragt sich nun vor allem, was war die Einheit, der Fuß, der Meter, die Elle, die er gebrauchte?

Piazzi Smyth, der Astronom und Mathematiker, der in dem Zahlengewirr falscher und richtiger Pyramidenmessungen zu Hause ist wie an seinem Sternenhimmel und dessen glückliche Kombinationsgabe an den Seherblick alter Zeiten gemahnt, hat das Siegel dieses Geheimnisses gelöst.

Nach den Berechnungen unserer heutigen Wissenschaft hat das Sonnenjahr unserer Erde 365,2422 Tage. Teilt man die Seitenlänge der Pyramide in 365,2422 gleiche Teile, das heißt also genau in so viel Teile als das irdische Jahr Tage zählt, als sich die Erde jährlich um ihre Achse dreht, so ergibt sich eine Länge, die Smyth mit Recht den Pyramidenmeter nennt. Er findet sich in allen Maßen der Gänge und Kammern des Innern in auffallender Wiederholung und bedeutsamen Verhältniszahlen wieder. Es ist kaum möglich, daran zu zweifeln, daß diese Maßeinheit dem Pyramidenbaumeister zur Festlegung aller Hauptverhältnisse seines Werkes diente.

Teilt man aber den Pyramidenmeter in 25 gleiche Teile, so erhält man den Pyramidenzoll, der, um alle Zweifel zu heben, an einer der wichtigsten Stellen des Innern, auf der Granittafel vor dem Eingang in die Königskammer, dargestellt ist und zwar in der Form eines sonst unerklärlichen Knaufs, welcher eine Höhe von genau 1 und eine Breite von 5 Pyramidenzoll hat.

Die Einteilung aber des Meters in 25, das heißt in 5 mal 5 Pyramidenzoll entspricht der Tatsache, daß sich die Zahl Fünf durch alle Maßverhältnisse der Pyramide zieht. Sie ist die Leitzahl, die dem ganzen fünfeckigen fünfflächigen Bauwerke zu Grunde liegt, dessen Grundfläche und Spitze bei der Aufzählung von Flächen und Ecken nicht vergessen werden dürfen.

Der Pyramidenmeter aber, der das Sonnenjahr unserer Erde mit der Seitenlänge der Pyramidengrundfläche in so merkwürdige Verbindung bringt, ist genau der 10 000 000. Teil der halben Polarachse der Erde, so weit und so genau uns diese Länge nach den neuesten Forschungen unserer Astronomen bekannt ist. Das will allerdings nicht allzuviel sagen. Denn auch heute noch stimmen die Berechnungen der Deutschen, der Engländer, der Franzosen, der Russen und der Amerikaner nur so weit überein, daß die Länge der Polarachse, welche sich aus dem Pyramidenmaße ergibt –: 500 000 000 Pyramidenzoll, einer auffallend genauen Durchschnittszahl der gelehrten Rechenkünstler entspricht.

Jedenfalls aber haben wir hier ein Maßsystem, das aus einer geraden Linie von kosmischer Bedeutung hervorging, die für das Leben unserer Erde, ja für das Ursein der Menschheit von der höchsten Wichtigkeit ist. Zum erstenmal, vor kaum mehr als einem halben Jahrhundert, haben die Gelehrten Frankreichs in ihrer grundstürzenden Weisheit einen ähnlichen Gedanken verfolgt. Sie suchten ihren Meter als den vierzigmillionsten Teil des Meridians zu bestimmen, der durch Paris geht, als Teil einer gekrümmten Linie, von der man heute noch zweifelt, ob sie ein Kreis, oder eine Ellipse, oder eine völlig unregelmäßige, mathematisch unbestimmbare, ja selbst bewegliche Kurve ist. Wie ganz anders, wie viel sicherer konnte der Pyramidenbaumeister zu Werk gehen, als ihm sein Maßstab in die Hand gelegt wurde: der gerade Teil einer genau bestimmten geraden Linie!

Und nun sehen wir noch deutlicher die erstaunlichen Beziehungen des Pyramidenbaus zum Bau und Leben unserer Erde, denn der Umfang der Grundfläche der Pyramide ist nunmehr 36524,2 Pyramidenzoll, eine Zahl, die in merkwürdiger Weise auf die genaue Tageszahl (365,242) im Sonnenjahr hinweist. Die Achse aber, um die sich die Erdkugel dreht und damit den Erdentag bestimmt, hat eine Länge von 5 × 10 7  Pyramidenzoll.

Es ist nun an der Zeit, auf eine Tatsache hinzuweisen, die sich aus obigen Berechnungen auf die einfachste Weise ergibt, deren Erklärung aber noch manchem Forscher auf den verschiedensten Gebieten menschlichen Wissens schlaflose Nächte bereiten wird, um so mehr als uns eine ähnlich rätselhafte Übereinstimmung von scheinbar weit Auseinanderliegendem später noch begegnen wird.

Der Pyramidenmeter hat eine Länge von genau 25,025 englischen Zoll. Der Pyramidenzoll ist nur um ein Tausendstel größer als der alte angelsächsische Zoll, jenes urgermanische, arische Maß, das ohne Zweifel aus den ersten Zeiten stammt, in denen unsere Vorfahren zu messen begannen.

 

Es ist nicht meine Absicht, in dieser Schrift die Rätsel und Wunder zu verkündigen, die in der großen Pyramide liegen, sondern Zahlen zusammenzustellen, die hart, wie der Granit, der sie uns überliefert, jedem Zweifel die Stirne bieten, jeder Prüfung standhalten. Es sei ihnen überlassen, ihre eigenen Wunder zu erzählen.

 

Wie wir sahen, ergab die sorgfältigste Berechnung aus der Seitenlänge der Grundfläche und dem Neigungswinkel der Seitenflächen eine Pyramidenhöhe von 486,2567 engl. Fuß oder 5813,01 Pyramidenzoll.

Diese Höhe steht in unmittelbarer Beziehung zu einem andern Maß von kosmischer Bedeutung. Die Entfernung der lebenspendenden Sonne von der lebenempfangenden Erde ist 10 9 mal die Höhe der Pyramide. Ja, selbst die Zahlen 10 und 9 finden sich in der äußeren Gestalt der Pyramide ausgedrückt und weisen auf ihre Beziehungen zur Sonne hin: Die nach oben, nach der Spitze weisenden Kanten des Bauwerks machen mit der Grundfläche einen Winkel, derart, daß sich die vertikale zur horizontalen Projektion der Kante, oder anders aufgefaßt, die Höhe der Pyramide zur halben Diagonale der Grundfläche verhält wie 9 : 10. –

Ungefähr 1500 Jahre nach der Erbauung der großen Pyramide vermutete die Weisheit der alten Griechen, daß die Entfernung der Sonne von der Erde ungefähr 10 Meilen betragen dürfte. Sie wuchs langsam, in der Schätzung der Gelehrten ihrer Zeit, auf 10 000 und langsamer noch auf 2 500 000 Meilen. Nach mehr als zwei Jahrtausenden schätzte sie Kepler auf 36 Millionen. Unter Louis IX. berechnete sie der Abbé Lacaille, auf südafrikanische Äquatorialbeobachtungen gestützt, auf 78 Millionen. Dann, zu Anfang unseres Jahrhunderts, betrug die wissenschaftlich anerkannte Entfernung 95 233 058 Meilen. Wie wunderbar weit wir's gebracht hatten, namentlich in der Genauigkeit! Aber wehe uns! Gegen die Mitte unseres Jahrhunderts konnte infolge zahlreicher neuerer Beobachtungen nicht mehr bezweifelt werden, daß auch diese Zahl einen schweren Irrtum enthielt, nur stimmten die Ergebnisse der neuesten Beobachtungen auch untereinander nicht. In jüngster Zeit spaltete sich die Gelehrtenwelt in zwei Gruppen. Die eine hält die alte Zahl fest, die andere hält eine beträchtlich niedrigere für die richtige, so daß 91 840 000 Meilen, die Entfernung, welche sich aus der Pyramidenhöhe berechnet, eher etwas höher ist, als die neuesten Triumphe (90 bis 90½ Millionen Meilen) unserer auf die feinsten Instrumente der modernsten Technik gestützten Weltweisheit. So herrlich weit haben wir es gebracht, daß uns jede neue Reihe von Beobachtungen und Berechnungen der Wahrheit ein klein wenig näher zu bringen scheint, unzweifelhaft aber unsere Kenntnis der Beobachtungsstörungen und Rechnungsfehler ganz außerordentlich vermehrt. Wenn wir in dieser Weise noch heute im Dunkeln suchen, was ist dann von dem Licht zu denken, das vor 4000 Jahren die Pyramide auf den Bau des Weltalls warf?

 

Doch kehren wir zu näher liegenden Dingen zurück.

Schon die französischen Gelehrten von 1799 fanden mit Bewunderung, wie genau die große Pyramide den Himmelsrichtungen entsprechend gestellt ist. Sie entdeckten, daß die Abweichung von der mathematischen Süd- und Nordstellung nur 19'58" betrage, bemerkten aber klugerweise und mit Recht, daß sie die in Trümmer liegende Außenseite am Fuß des Bauwerks als Richtlinie benutzen mußten. Die jüngsten Messungen, für welche die innern Gänge und die Stellung des Polarsterns maßgebend waren, zeigen die außerordentlich geringe Abweichung von 4'30"; einen Fehler, der mit den Instrumenten heutiger Baumeister kaum entdeckt werden könnte. Wer weiß aber, ob genauere Messungen selbst diese minimale Abweichung nicht als einen Irrtum unserer Meßgeräte erweisen werden. Wer weiß des weiteren, ob die Stellung des Pols in 4000 Jahren eine völlig unveränderliche geblieben ist? Auch hierüber streiten sich die Gelehrten. Denn die Erde zittert und das Weltall schwankt wunderlich, wenn wir es mit ihren Formeln und ihren Instrumenten auch nur anrühren. Alle übrigen Pyramiden zeigen weit größere Abweichungen, alle späteren Bauten des alten Ägyptens, namentlich die aus der sogenannten Glanzzeit der Pharaonen, sind nach allen Himmelsrichtungen gestellt; ein weiterer Beweis, daß die große Pyramide in einem völlig andern Geist erbaut wurde als alles, was nach ihr kam.

 

Auch in rein geographischem Sinn steht sie auf einem merkwürdigen Punkt: an der Spitze des dreieckigen Nildeltas, an der Stelle wo sich drei Weltteile berühren, fast genau unter dem für das Leben des normalen Menschen wichtigsten 30. Breitengrad, im Schwerpunkt alles Landes und der von Menschen bewohnten Erde. Sowohl der Breiten- als auch der Längengrad, der durch die Pyramide geht, durchschneidet mehr Land, als irgendein anderer Längen- und Breitengrad. Es ist in der Tat der Mittelpunkt unserer irdischen Welt, den die Griechen in ihrer sinnigen Unwissenheit zu Delphi, die Römer in ihrem Stolz zu Rom, die eitlen Franzosen in Paris, unsere goldprunkenden Landsleute in London, die Amerikaner mit der Komik ihrer Selbstironie in Boston suchen und die Deutschen am Ende noch in Berlin sehen werden. – Genau genommen liegt die Pyramide, die das Felsenbett bei Gise als Grundlage benutzen mußte, unter 29° 58' 22'. Mit Berücksichtigung der Refraktion des Lichts ist jedoch die scheinbare Polhöhe, vom Mittelpunkt der Pyramide aus gesehen, in der Tat 30' mit einer Abweichung von nur 26". Aber selbst diese kleine Abweichung ist nicht unerklärlich. Nach Angabe der königlichen Sternwarte zu Greenwich, die zweifellos in unsern Tagen mit den feinsten Waffen der Wissenschaft ausgestattet ist, betrug die Breite von Greenwich im Jahr 1776: 51° 28' 40,0", im Jahr 1834 51° 28' 39,0" und im Jahr 1856 51° 28' 38,2". Wer will sagen, daß sich der Breitengrad der Cheopspyramide in 4000 Jahren nicht um den geringeren Unterschied von 26 Sekunden geändert haben kann? Nichts ist fest unter diesen Sternen, am wenigsten das, was Menschen messen.

 

Soviel von der äußeren Schale; sehen wir, welchen Kern sie birgt.

Alle seitherigen Hypothesen über den Hauptzweck der Pyramide, der sicher schließlich in ihrem Innern gesucht werden muß, verfliegen wie Luftgebilde, wenn wir in diese Riesenmasse kompakten Gesteins und in ihre wenigen in ewige Nacht gehüllten Kammern und Gänge einzudringen suchen. Sie bieten nur eine große, greifbare Tatsache: eine Anzahl von Linien und Maßen, die in unzerstörbarer Weise dargestellt nach Jahrhunderten noch dieselbe Bedeutung erkennen lassen, die sie am Tag ihrer Ausführung gehabt haben müssen. Nichts hat sich in diesem Innern geändert, nichts wird und kann sich ändern, bis die Pyramide mit der Erde und ihren Bewohnern in Staub zerfällt. Die Erhaltung dieser Linien und Maße ist der Zweck des Baus; das Verständnis derselben ist unsere Aufgabe.

Die einzige Theorie, die zurückzuweisen der Mühe lohnt, ist die des Grabdenkmals. Sie war natürlich und war deshalb die Dauerndste und Verbreitetste, weil alle Nachahmungen der ersten und ältesten Pyramide diesem Zweck tatsächlich gedient haben. So übersah man das, was die Cheopspyramide von allen späteren Bauten Ägyptens unterscheidet. Bestärkt wurden die neueren Zeiten in ihrem Irrtum durch die Auffindung des sogenannten Sarkophags in der Königskammer, des Sarkophags ohne Deckel und Inschrift, der somit eine andere Gestalt und Beschaffenheit hatte, als irgendein anderer Sarkophag, der je in einem Grab gefunden worden ist, jener offenen Granittruhe, die man nie anders als leer gesehen hat. Die Lage der Königskammer hoch über der Erde, der rohe, unfertige Zustand der eigentlichen unterirdischen Grabkammer, welche möglicherweise zur Bergung der Mumie eines Pharaos hätte benutzt werden können, die Unmöglichkeit anzunehmen, daß der Deckel des Sarkophags nachträglich entfernt wurde, da hierzu die Gänge zu eng sind, abgesehen davon, daß niemand daran denken würde einen derartigen, viele Tonnen schweren Deckel fortzuschleppen, das völlige Schweigen in den ältesten Urkunden von dem Fund einer Mumie, ja, die ausführliche Erzählung von der Enttäuschung des Grabschänders, das alles sind ebensoviele Beweise dafür, daß die große Pyramide einen andern Zweck gehabt haben mußte, als den der späteren Pyramiden. Was dieser Zweck war und noch heute ist, lassen die Wahrheiten ahnen, die uns schon die äußere Form des Bauwerks in seiner steinernen Sprache geoffenbart hat. Auch im Innern können wir nun darauf gefaßt sein, Enthüllungen zu begegnen, vor denen unser Wissen und Verstehen sich hoffnungslos beugen muß.

Wir gelangen in dieses Innere durch einen steil abwärtsführenden Gang, dessen Richtung auf den Himmelspol hinweist. Nicht genau jedoch, wie auch in der weiten Natur das mathematisch genaue Zutreffen ihrer großen Gesetze nirgends zu finden ist, und in diesen Abweichungen ihre Bewegung, ihr Leben besteht. Die Sehlinie, welche durch den Eintrittsgang festgelegt ist, trifft in unserer Zeit den Polarstern – den Stern δ im kleinen Bären – genau in seiner unteren Kulmination, und deutet damit zweifellos an, daß gerade unsere Zeit für die Pyramide eine besondere, eine hohe Bedeutung hat. Hat sie dies nicht, wenn wir bedenken, daß das wunderbare Bauwerk nach vier Jahrtausenden des Schweigens zu uns zu reden anfängt?

Infolge der Präzession der Tag- und Nachtgleichen aber, jener langsamen Bewegung der großen Himmelsuhr, die der Grieche Hipparchus 1900 Jahre nach dem Bau der großen Pyramide zuerst geahnt hat, und deren Kreislauf erst die Astronomen unserer Tage annähernd festzustellen lernten, war der Polarstern nicht immer in dieser Stellung. Ein anderer berühmter Stern, der Stern α im Drachen, befand sich nach Sir John Herschels Berechnungen im Jahre 2160 vor Christus in derselben Lage; das heißt, er war der Polarstern seiner Zeit und stand in seiner unteren Kulmination in der Mittellinie des Eintrittsganges der Pyramide. Dieser Gang, und der Winkel, den er festlegt, ein Winkel von fast genau 26° 18' deutet deshalb auf das Jahr 2160 vor Christus als eines von ähnlich hoher Bedeutung für den Pyramidenbau hin.

Weshalb aber, wenn dies alles Absicht war, wählte der Erbauer der Pyramide die untere und nicht die obere Kulmination des wichtigsten Zirkumpolarsterns seiner Zeit zur Bestimmung der Zeitlinie des großen Werkes? Eine Antwort auch auf diese Frage verdanken wir Herschel, der wie alle freien, wahrhaft großen Geister sich vom approbierten Zunftwissen keine Mauer um sein Forschergebiet ziehen ließ und die Astronomie der Cheopspyramide der ernstesten Prüfung unterzog. Im gleichen Jahre 2160 v. Chr. und zu gleicher Stunde kreuzt ein anderer berühmter Stern den Meridian oberhalb des Pols. Es ist Alcyone im Sternbild der den Alten so vertrauten Pleiaden, heutzutag der Stern η im Stier. Ein derartiges Zusammentreffen zweier astronomischer Vorgänge, das in 25 827 Jahren nicht wiederkehrt, konnte im Pyramidenbau nur festgehalten und sozusagen verewigt werden, wenn das merkwürdige Ereignis zur Zeit des Baus der Pyramide stattfand. 2160 v. Chr. war das Jahr ihrer Erbauung und sie selbst sagt es uns in ihrer unzerstörbaren steinernen Sprache nach 4000 Jahren, wie sie es in 8000 und in 16 000 Jahren noch sagen würde, wenn unsere Erde so lange stände. Denn die Weltuhr, an die sich diese Zeichen knüpfen, hat einen langsamen Gang. Ein Kreislauf der Präzession der Tag- und Nachtgleichen dauert 25 827 Jahre. Auch das sagte die Pyramide 4000 Jahre früher als unsere Astronomen; denn der Umfang der Pyramide in der Höhe des granitnen Fußbodens der alles beherrschenden Königskammer ist 25 827 Pyramidenzoll!

Was aber sagen unsere Ägyptologen hierzu; die Gelehrten, die uns alle fünfundzwanzig Jahre, wenn nicht öfter, eine neue Zeitrechnung für das alte Ägypten vorrechnen, welche nun aber gewiß – bis zur nächsten – die allein wahre ist? Vor einem Jahrhundert hielten sie sich noch an biblische Angaben und die bescheidenen Zahlen, die uns die Semiten überlieferten. Dann kamen die Franzosen der Revolution und schwelgten in ungezählten Jahrtausenden. Doch der Taumel, wie so vieles jener Zeit der Empörung, dauerte nicht lange. In unsern Tagen setzen dieselben Franzosen, Lesueur, Mariette, Renan Cheops, den Pharao der vierten Dynastie in das Jahr 4956, Lepsius, Bunsen, Fergusson und andere um 3124, Wilkinson und Rawlinson um 2440, W. Osburn um 2228. Die Riesenzahlen schwinden mehr und mehr und schließlich wird die Pyramide mit ihren 2160 Jahren recht behalten. Sie wird es wohl am besten wissen, wann sie gebaut wurde.

 

Wir treten nunmehr unter der Granitplatte mit dem Bild des Pyramidenzolls in das Heiligste, in die viel erwähnte Königskammer. Wir stehen vor dem Block aus edelstem Granit, der seinerzeit mit unsäglicher Mühe von den äußersten Grenzen Ägyptens bis hierher, in das Herz des Landes, gebracht wurde.

Daß und warum er kein Sarkophag sein kann, hätten selbst die zünftigen Ägyptologen, die in ihrem Hypothesenfieber so unsäglich viel Unheil angestiftet haben, auf den ersten Blick sehen müssen. Wo ist der Deckel? Wo sind die Götterbilder, die auch den ärmsten Toten begleiteten? Wo die stolzen, ruhmstrotzenden Inschriften, ohne die kein König zur ewigen Ruhe gebettet wird?

Der hohle Block, innen und außen glattpoliert, aus dem unverwüstlichsten Stein gefertigt, den wir kennen, ist das Hohlmaß der Urzeit, das Maß, auf welchem Gewicht und Volumen unserer Erde, ja unseres Sonnensystems beruht und ist gleichzeitig das erste Maß, das die Menschen bedurften, als sie aus dem Urzustand ihrer Kindheit heraustreten und zu messen begannen: ein Getreidemaß.

Wundern wir uns nicht. So legt die göttliche Weisheit das scheinbar Kleinste und das scheinbar Größte ineinander. Denn für sie gibt es weder groß noch klein.

Dieser Hohlraum ist 77,85 Pyramidenzoll lang, 26,70 Zoll breit und 34,31 Zoll tief. Er hat deshalb einen Inhalt von 71 250 Kubikzoll unseres Pyramidenmaßes.

Lohnt es sich, darauf hinzuweisen, daß von den sämtlichen Meßkünstlern, die diese einfache Truhe gemessen haben, nicht weniger als 25 gelehrte Herren von Bellonius im Jahre 1553 bis auf Howard-Vyse im Jahr 1837 nicht einer mit einem zweiten übereinstimmt? Wohl aber lohnt es sich zu betonen, daß die angegebenen Abmessungen von P. Smyth nur nach sorgfältigster Prüfung als richtig anerkannt wurden und daß sich der Rauminhalt der Truhe in mannigfacher Wiederholung im Bau der Pyramide wiederfindet. So ist der Kubikinhalt der äußeren Abmessungen der Truhe genau das Doppelte, die Grundfläche der Königskammer genau das Fünfzigfache jenes Hohlraums, so daß, selbst wenn der Innenraum der Truhe bis zur Unkenntlichkeit verletzt, ja die Truhe vollständig zertrümmert würde, das Maß ihres Inhalts, in anderer Form nicht verloren wäre.

Die genaueste Prüfung ihrer Abmessungen war um so dringender geboten, als nichts in diesen Maßen mit dem Pyramidenmeter oder -zoll in einfacher Weise übereinstimmte. Sie blieben jahrzehntelang unerklärlich, bis Piazzi Smyth seine geniale, an eine Offenbarung grenzende Entdeckung machte: Der Inhalt der Truhe ist gleich dem Kubikpyramidenmeter multipliziert mit 5,7, dem spezifischen Gewicht unseres Erdballs!

Wie verhielt sich unsere gelehrte Welt zu dieser Zahl, die für das Leben der Erde im Weltraum von einer Bedeutung ist, wie kaum eine zweite? –

Vor dem 17. Jahrhundert beschäftigte sich niemand ernstlich mit dieser Frage, bis Newtons Genius die Vermutung ausgesprochen hatte, daß die Erdkugel 5 bis 6 mal schwerer sein dürfte, als wenn sie aus Wasser wäre. Vom Jahre 1772 an wurde nach Versuchen von Dr. Maskelyne 4,8 als der richtige Wert angenommen. Experimente von Roß Clarke in Schottland ergaben um 1855 die Zahl 5,316. Sir G. B. Airy in Greenwich fand 6,565. Spätere Forschungen lassen uns die Wahl zwischen 5,316, 5,675 und 6,565. Heute schwanken sie um 5,7 hin und her; so herrlich weit haben wir's gebracht.

Doch worüber beklagen wir uns? Die Feststellung des geheimnisvollen Gewichtsverhältnisses ist in der Tat von großen Schwierigkeiten umgeben. Sahen wir nicht in einer so überaus einfachen Sache, wie das Messen eines Granitblocks, ein ähnliches Schwanken? Sogar hierbei war der gewissenhafte Piazzi Smyth gezwungen, sorgfältig ausgewählte Durchschnittszahlen festzustellen, um seine weiteren Forschungen auf denselben aufzubauen. Sie führten zu dem Ergebnis, daß das Hohlmaß der großen Pyramide eines der wichtigsten kosmischen Verhältnisse zum Ausdruck bringt.

Mit Recht nennt nun Piazzi Smyth das Gewicht dieses mit destilliertem Wasser gefüllten Hohlmaßes die Pyramidentonne, und findet sodann ein nicht weniger merkwürdiges Verhältnis. Mit Berücksichtigung sämtlicher Hohlräume und des höheren spezifischen Gewichts der härteren Verschalungssteine berechnet sich das Gesamtgewicht der Pyramide auf 5,273 Millionen Tonnen, das Gewicht des Erdballs aber auf 5273 Quintillionen, so daß das Gewicht der Pyramide zum Gewicht des Erdballs in dem einfachen Verhältnis von 1 zu 10 15 steht.


Kehren wir zurück zu uns näher liegenden Dingen, indem wir den Inhalt der Truhe als Getreidemaß betrachten.

Das älteste und größte anglosächsische Getreidemaß ist das ›Quarter‹, das Viertel, dessen Einheit, soweit Menschen wissen, nie im Gebrauch war, während der Sprachgebrauch, die Bezeichnung ›Quarter‹, noch heute auf diese Einheit hinweist. Vier englische Quarter sind aber genau der Inhalt der granitnen Truhe in der großen Pyramide!

Wir finden hier abermals jenen unerklärlichen Zusammenhang, der uns schon bei dem Zoll begegnete, zwischen dem Pyramidenmaß und dem ältesten angelsächsischen, germanischen, arischen Maßsystem; einen Zusammenhang, der völlig rätselhaft bleibt, wenn wir nicht annehmen wollen, daß sich – wie ja schon von vielen meiner grübelnden Landsleute vermutet wurde – durch das britische Volk eine semitische Ader zieht, die es mit den zehn verlorenen Stämmen Israels und hierdurch mit der Welt des biblischen Orients in Verbindung bringt.

 

Ist all das nicht erstaunlich genug?

Ja, es sei für heute genug! Ich unterlasse es, auf die Wunder und Zeichen hinzuweisen, die sich uns im Dunkel der Gänge und Kammern der Pyramide in überwältigender Weise entgegendrängen; Zeichen, die das Leben der Menschheit in seiner höchsten, der göttlichen Erlösung zustrebenden Entwicklung berühren; die mit erschütternder Bestimmtheit kundtun, was uns heute Vergangenheit und Zukunft verbirgt. Mit festen Strichen sehen wir an den Wänden des Eintrittsganges die Jahreszahl 2160 vor Christi Geburt verzeichnet, das Erbauungsjahr der Pyramide, welches gleichzeitig, wie wir sahen, durch die astronomischen Beziehungen dieses Ganges zum Sternenhimmel angegeben ist. Die Menschengeschichte, von der in ewige Nacht gehüllten Urzeit bis auf unsere Tage und über dieselben hinaus, ist in hundert Fugen und Ritzen von den Felswänden der Gänge abzulesen, die nach der Königskammer führen, und dort das drohend nahe Ende andeuten. Es widerspricht dem Zweck dieser Schrift, die ich am Fuß der Pyramide in der feierlichen Stille eines Grabes schreibe, mehr als eine Andeutung von dem beizufügen, was der Zukunft vorbehalten bleiben muß. Was in unwiderleglichen Zahlen und Abmessungen dieses Bauwerks vor viertausend Jahren niedergelegt und nunmehr offenkundig geworden ist, muß selbst dem Leichtfertigsten, dem Gewohnheitsspötter und Zweifler, den Gedanken als ein Verbrechen erscheinen lassen, diese Schöpfung einer geheimnisvollen geistigen Kraft der Zerstörung preisgegeben zu sehen. Wie die Pyramide seit vier Jahrtausenden ihre steinerne Offenbarung treu und schweigend gewahrt hat, so soll sie auch bis zum Ende des Erdendaseins uns erhalten bleiben: als ein unzerstörbarer Beweis dafür, daß es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als sich unsere Schulweisheit träumen läßt. Denn dieses Mehr ist unser bester Teil und soll es bleiben.

Meine Lampe brannte nur noch trüb, während ich die letzte Seite des Thinkerschen Manuskripts las, umschwärmt von schweren Schmetterlingen und anderem Nachtgesindel ähnlicher Art. Ich hatte vergessen, die Türe des Zimmers zu schließen, die nach dem Garten hinausführte, und es war Mitternacht geworden. Anfänglich hatte ich mich wieder an den Tisch gesetzt, um einige der Zahlenangaben nachzurechnen, in der Hoffnung, etliche saftige Rechnungsfehler zu finden, mit denen Gelehrte von der Geistesrichtung meines Freundes wissenschaftliche Untersuchungen zu würzen pflegen, wenn sie aus der Höhe ihrer phantastischen Traumwelt auf den Boden harter Tatsachen herabsteigen. Aber es stimmte, wenigstens in dieser Beziehung, alles, was ich zu prüfen vermochte. Mit der Zeit gab ich die Versuche auf, auf diesem Wege meinen gesunden Menschenverstand zu retten, warf mich abermals auf den nächsten Diwan und hatte so den Aufsatz zu Ende gelesen. Es war wieder einmal eine schwüle dumpfige Chamsinnacht heraufgezogen, die nicht übel zu der unbehaglichen Stimmung paßte, mit der ich das letzte Blatt zu Boden warf.

Was war von all dem zu denken? – Zufall? – Unsinn? –

Oder standen wir wirklich vor einem der Fälle, die der kluge Shakespeare, der wahrhaftig kein Phantast war, so treffend schildert, daß uns noch nach dreihundert Jahren seine Worte: – »Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde« und so weiter – aus allen möglichen Nöten helfen müssen?

Ich bin leider keine der glücklichen Naturen, die jedes Rätsel, an dem sie sich stoßen, mit einem kräftigen: »Verrücktes Zeugs!« auf die Seite schleudern können, um dann auf der breiten, asphaltierten Landstraße weiterzupilgern, behaglich und ungetrübten Geistes, als ob ihnen nichts begegnet wäre. Ich bliebe vor dem Hindernis stehen, betrachte es von allen Seiten, rüttle, schiebe es hin und her, länger als klug und nützlich ist und kann nicht dran vorbeikommen. Der Schweiß stand mir auch jetzt auf der Stirne. Zweifellos aber war die Schwüle der Nacht daran schuld und nicht Thinker und die Schwarmgeister seiner Pyramide, die er heraufbeschworen hatte. Was wollte der gute Mann eigentlich von mir?

Matt und ärgerlich griff er nach seinem Brief, bekam aber den zweiten in die Hand, der unter dem Paket gelegen hatte und bisher völlig unbeachtet geblieben war.

Es war ein kleines Billett, ebenfalls von Thinker unterzeichnet, aber in einer andern Handschrift, derb und groß, so daß der Schreiber alle vier Seiten brauchte um ein paar Worte zu sagen. Aha, »B. Thinker«, der Bruder! Es war durch die ägyptische Post gelaufen, deretwegen mein Sais täglich nach Kairo zu reiten hatte, denn das Briefaustragen war damals noch nicht Sitte im Lande. Der Mann mußte es gebracht haben.

»Mein lieber Freund!« fing es an. Wie mein Freundeskreis sich ausdehnte!

Mein lieber Freund! Eine großartige Idee, die ich in indirekterweise Ihnen und Ihrer Mitwirkung bei dem Besuch der Barrage zu Kaliub verdanke, gewinnt mit jedem Tage eine greifbare Gestalt. Sie bedeutet die Krönung des Gebäudes, dem auch Sie Ihre Tätigkeit widmen. Ich rechne deshalb zuversichtlich auf Ihre fernere Unterstützung. Wenn Sie morgen nicht nach Shepheards Hotel kommen, um mit mir die zunächst zu ergreifenden Maßregeln zu besprechen, werde ich Sie übermorgen in Schubra aufsuchen. Die Gefahr ist nicht ausgeschlossen, daß uns feindliche Elemente zuvorzukommen suchen. Lassen Sie alles andere beiseite. Die Zeit drängt und ich muß Ihnen sagen, wie glücklich ich mich schätze, in Ihnen eine so kräftige Stütze gefunden zu haben. Ihr ergebener B. Thinker.

Das klang fast noch geheimnisvoller als die langen Mitteilungen des älteren Bruders, so deutlich und eindringlich auch jedes Wort vor meinen schlaftrunkenen Augen stand. Da aber in diesem Augenblick zwei der frechsten Nachtschmetterlinge im Liebestaumel in die Glasröhre der Lampe eingedrungen waren und nach einem kurzen, schrecklichen Kampf, selbst brennend, das Licht ausgelöscht hatten, ließ ich Ben Thinkers Brief aus der Hand fallen. Die gütige Natur meinte es besser mit mir als meine Freunde und legte ihre weiche Hand auf meine heiße Stirne. Erschöpft von den Anstrengungen eines arbeitsvollen Tages schlief ich ein, wo ich lag und schlief, ruhig und traumlos, bis in den lichten Morgen hinein. –

Nun ist mir nicht unbekannt, daß manche unordentlichen Leser, ja selbst die liebenswürdigsten der Leserinnen einzelne Kapitel und ganze Bücher, deren Anfang ihnen nicht interessant genug erscheint, von hinten zu versuchen pflegen. Für solche Fälle würde der Schlagbaum, den ich vor diesem vierzehnten Kapitel niedergelassen habe; wirkungslos sein, und mit Entsetzen denke ich an die Folgen, welche die Rückwärtslektüre gerade dieses Abschnitts für mich und andere haben könnte. Ich rechne deshalb auf den Dank jedes Verständigen, wenn ich auch an diesem Ende meine Patentbarriere niederlasse und mit dem Titel schließe, der den Kern und das unleugbare Wahre in der Abhandlung des Reverend Joe Thinker klar und deutlich vor Augen führt:

π = 3,14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288 41971


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