Max Eyth
Der Kampf um die Cheopspyramide
Max Eyth

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18. Kapitel
Kleine Sorgen

Fräulein Bertha Schütz sah nachdenklich in ihre Frühstückstasse. Sie hatte schon seit etlichen Tagen etwas auf dem Herzen und der geeignete Augenblick war gekommen, es abzuwälzen. Daher der Ernst. Ihr gegenüber lag in einem behaglichen Lehnstuhl Herr Ben, hinter einem riesigen Zeitungsblatt versteckt. Die wöchentliche Post aus England war gestern angekommen. Er hatte in jeder der vier Taschen seines Morgenrocks ein Exemplar der Times, eines unter dem linken Arm und das sechste in beiden Händen. So strotzte er förmlich von Neuigkeiten aus der Heimat, die er im Laufe der nächsten Stunden rückwärts zu verschlingen gedachte; einer der wenigen eigentümlichen Genüsse, die der Aufenthalt in fernen, halbzivilisierten Ländern dem Kulturempfinden bietet. Beide saßen in einer Fensternische des noch leeren Speisesaals, denn Ben Thinker und Fräulein Schütz pflegten das Hotel Shepheard zu unnatürlich frühen Tagesstunden zu beunruhigen und genossen den Balsam der Morgenluft, der durch das offene Fenster hereinströmte. Auf dem zwischen ihnen stehenden Tischchen standen die Reste eines kräftigen englischen Frühstücks und eine unberührte Tasse, die auf den dritten Morgengast der kleinen Thinkerschen Gesellschaft wartete.

»Ich halte es für meine Pflicht, Herr Thinker«, begann Fräulein Bertha, indem sie sich mutig an das Zeitungsblatt wandte, »Ihnen zu sagen, daß mir Miss Sakuntala seit einigen Wochen fast – ein wenig – wie soll ich sagen? – Sorge macht.«

»Lord Palmerstons Gesundheit? Ganz richtig, Fräulein Schütz. Bei seinem Alter muß man auf alles gefaßt sein«, antwortete Ben höflich, nachdem er einen langen Satz zu Ende gelesen hatte, ohne aus seiner Kulisse hervorzutreten.

»Ich spreche von Ihrer Nichte, Herr Thinker«, erklärte das Fräulein.

»Und dann hat ihn die Geschichte mit Dänemark –« wollte Ben fortfahren.

»Ich bitte Sie, mir einen Augenblick Gehör zu schenken, ehe sie herunterkommt«, unterbrach ihn die einstige Gouvernante, mit der ihrem Beruf eigenen Bestimmtheit. Ben legte die Zeitung auf seine Knie und sah sie fragend an, wie wenn er sie jetzt erst nicht verstände.

»Haben Sie nicht auch bemerkt, daß unsere liebe Sakuntala nicht mehr die alte ist?« fuhr sie fort. »Ihre Munterkeit, ihre rege Teilnahme für alles um sie her ist verschwunden. Sie malte noch vor acht Tagen eifriger als je, aber auch das hat nachgelassen. Ich beobachte sie aufmerksam, denn ich liebe sie, wie wenn sie meine jüngere Schwester wäre und ich bemerke, daß sie manchmal vor ihren Skizzen sitzt, ohne einen Finger zu rühren, ohne einen Laut von sich zu geben. Es macht mich nervös, denn ich sehe, daß sie leidet.«

»Aber was – was ins Kuckucks Namen soll mit unserer Kundel los sein?« fragte Ben, indem er seiner Besorgnis die Form und Farbe eines gesunden Ärgers gab.

»Ich dachte an das Klima. Es wird mit jedem Tag heißer«, sagte Fräulein Schütz, probeweise.

»Das Kind einer indischen Rani!« rief Thinker, die Vermutung verächtlich wegwerfend. »Ich dächte, es sollte ihr zum erstenmal wieder wohl sein, seitdem wir in Alexandrien landeten. Suchen Sie einen andern Grund. Finden müssen wir ihn, Fräulein Bertha, und geholfen muß werden, wenn etwas an der Sache ist. Ich – wirklich – ich habe nichts bemerkt.«

»Sie malte zu viel«, sagte Fräulein Schütz, vorsichtig.

»Unsinn! Öl ist nicht gesundheitsschädlich, und ich glaube überdies, sie malt meist in Wasserfarben. Auch was sie malt, scheint mir ziemlich harmlos zu sein. Wenn ihr unser Freund Buchwald nicht ein paar Kleckse hineinsetzt, ist bei ihren größten Kunstwerken kaum zu erkennen, was oben und was unten ist, so viel ich von der Sache verstehe.«

»Ich fürchte, Herr Thinker, von der Sache, die ich gerne mit ihnen besprochen hätte, haben Sie keine Ahnung«, sagte Fräulein Schütz bedeutungsvoll.

»Na, na; was wird's sein!« lachte Ben sorglos. »Mädchenträume. Weibergeschichten. Das geht über meinen Horizont; und was besser ist: es geht vorüber. Sie langweilen sich in diesem Hotel, das täglich leerer wird und möchten eine andere Umgebung und vielleicht andere Menschen um sich haben.«

»Nicht ich!« beteuerte Fräulein Schütz. »Ich war noch nie an einem Ort der Welt, wo so viel des Interessanten auf einer Stelle zusammengedrängt ist. Es ist einfach entzückend. Aber Sakuntala braucht eine Luftveränderung. Sie sehen und hören nichts als Ihr wundervolles Stauwerk; deshalb war ich so frei zu reden. Ich habe Sie gewarnt. Ich bin ernstlich besorgt um das liebe Kind, das wir sorgfältiger beobachten sollten. Aber allerdings: sie wird mehr und mehr wie eine Mimose, empfindet jedes Wort wie einen Stich, schließt die Blättchen bei jedem Atemzug. – Wir könnten zum Beispiel den Nil hinausfahren, Herr Thinker, und dabei das verbesserte Segelsteuer versuchen. Die Dahabie hegt seit vier Wochen nutzlos in Bulak.«

»Erlauben Sie, daß ich mein Blättchen wieder öffne«, sagte der Erfinder etwas verdrießlich, indem er die zweite seiner Timesnummern entfaltete. »Ich kann Kairo jetzt unmöglich verlassen und wenn Herzen darüber brechen sollten. Der Vizekönig ist gestern zurückgekehrt. Die Schlacht muß in den nächsten Wochen geschlagen und gewonnen werden. Unterhalten Sie das Kind; unterhalten Sie sich, liebes Fräulein. Reiten Sie spazieren, graben Sie Kalifen aus, kopieren Sie Inschriften oder kaufen Sie persisches Rosenöl, – alles was Ihr Herz oder Sakuntala erfreuen kann. Nur lassen sie mich noch einen Monat im Frieden.«

»Wie Sie wünschen, Herr Thinker«, sagte Fräulein Schütz aufstehend. »Ich habe meine Pflicht getan. Wenn möglich möchte ich heute vormittag die Grabmoschee des Sultans Aschraff besuchen; ich bin gerade an seiner Thronbesteigung, 1423; 305 der Hedschra. Vielleicht läßt sich Sakuntala bereden, den herrlichen Morgenritt mitzumachen. Die Wüstenluft vor dem Bab en Nasir würde ihr gut tun. Darf ich Herrn Fritschy bitten, uns zu begleiten?«

»Eigentlich brauche ich ihn, um mein neuestes Barragemodell abzuändern«, antwortete Ben zaudernd. »Es bekommt nachgerade eine Form, die alles Dagewesene übertrifft, und jeden Tag kann sich jetzt Gelegenheit bieten, es dem Vizekönig vorzuführen. Aber – meinetwegen! Wenn es Euch Spaß macht, das Deutschfranzösische um Euch zu haben und – Sie haben recht – eine Schutzwache ist immerhin nützlich.«

Bertha war schon auf dem Wege, um die nötigen Vorbereitungen für den Ausflug zu treffen. Unter der Saaltüre begegnete ihr Sakuntala, die mit einem Skizzenbuch in der Hand eintrat, ihr zunickte und ihrem Onkel guten Morgen wünschte. Dann ließ sie sich am Frühstückstisch nieder, mit allen Anzeichen, daß wenigstens ihr Appetit noch keine Besorgnis zu erregen brauchte.

»Du kommst spät, Kundel«, sagte Ben, sie über die Kante seiner Zeitung aufmerksam betrachtend. Die morgenfrische Erscheinung verdiente es, auch ohne besondere Veranlassung.

»Verzeihe; ich war im Garten und zeichnete«, antwortete das Mädchen. »Seit wir in Ägypten sind, geht meine Uhr wie sie will. Es ist ein Wunderland. Aber weißt du, Onkel, Wunder tragen nichts zur Regelmäßigkeit des Lebens bei.«

»Was hast du gezeichnet?« fragte Ben.

»Eine Aloe«, war die Antwort. »Ich habe ein großes Phantasiegemälde für Onkel Joe entworfen. Du weißt doch, daß am 5. Mai sein Geburtstag ist. Dazu brauche ich etwas im Vordergrund, das alle tausend Jahre blüht. Solche Gewächse freuen ihn. Die Aloe, sagte mir Koryati, als ich noch ein Kind war – (Koryati war die alte Hinduaja, die noch immer zur Familie gehörte) – blüht allerdings schon alle hundert Jahre. Aber Onkel Joe multipliziert ohne Schwierigkeit mit zehn, oder mit zweimal fünf, wie er lieber sagt.«

»Eigentlich schwermütig ist Kundel noch nicht«, dachte Ben; »aber die häufigen Besuche bei Onkel Joe sind ihr nicht zuträglich. Ihre Phantasie hat auch ohne sein Gefasel einen Hang ins Träumerische.«

Sie trank jedoch ihren Tee, aß ihr Ei und schonte die Marmelade nicht, wie es sich für eine gesunde junge Dame ihres Alters geziemt, sei sie eine indische Prinzessin oder ein schottisches Hochlandmädchen. Aber auch bei ihr glaubte jetzt Thinker eine ungewöhnliche Befangenheit zu bemerken. Er liebte fröhliche und sorglose Gesichter um sich her, wenn ihm nicht gerade eine weltumstürzende Erfindung durch den Kopf ging. Es wurde ihm unbehaglich.

»Nun?« fragte er, seine Gedanken und Gefühle in dem kurzen Wörtchen zusammenfassend.

»Ich wollte seit mehreren Tagen mit dir sprechen, Onkel«, begann Sakuntala errötend. »Darf ich?«

»Seit wann erkundigst du dich danach?« fragte Ben, indem er seine Unbehaglichkeit unter dem freundlichsten Lächeln verbarg, das einem Onkel zu Gebote stehen muß, der seine Pflichten kennt.

»Unsere gute Bertha gefällt mir seit einiger Zeit nicht«, sagte Sakuntala mit einem kleinen Seufzer. »Du weißt, wir sind die besten Freundinnen, seitdem sie aufgehört hat, mich mit ihrer französischen Grammatik zu quälen. Ich denke manchmal, sie könnte meine ältere Schwester sein, so lieb habe ich sie; und da macht mir's wirklichen Kummer, zu sehen, wie – wie das Klima sie angreift.«

»Was? Sie auch?« fragte der Onkel erstaunt.

»Seit drei, vier Wochen bemerke ich es schon«, versetzte Sakuntala eifrig. »Sie ist unruhig, aufgeregt; bald fast zu lustig und darin wieder – gestern früh traf ich sie mit Tränen in den Augen. Vielleicht studiert sie zuviel. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, alle Kalifen und Sultane von Ägypten seit Omar bis auf den heutigen Tag auswendig zu lernen. Dann reitet sie nach den Mamelukengräbern, zu jeder Tagesstunde, wenn Herr Fritschy Zeit hat, und will herausfinden, wo sie begraben liegen. Ich bin die Hitze gewöhnt, von Kindheit her. Mir ist's wie eine liebe Erinnerung, wenn die Sonne, die richtige Sonne, auf meine Wangen brennt. Mit Bertha ist es anders. Sie muß darunter leiden, wenn sie sich auch nicht klar darüber ist.«

»Merkwürdig!« sagte Onkel Ben; »ihr scheint beide diese herrliche ägyptische Luft nicht zuträglich zu finden.«

»Was – ich?« fragte Sakuntala, überrascht.

»Ich meine nur«, sagte der Onkel ausweichend. »Ich glaube, die ganze Geschichte ist die: Ihr langweilt euch. Ich kann mich zu wenig mit euch beschäftigen. Wo sollte ich die Zeit hernehmen, mit dem Stauwerk auf dem Gewissen? Und die Gesellschaft, die Kairo bietet, ist nahe beisammen. Bruder Joe ist unbrauchbar, und, offen gesprochen, liebe Kundel, du solltest dich nicht zuviel von ihm beeinflussen lassen. Er ist imstande, den gesundesten Kopf verrückt zu machen. Der Maler, der Buchwald, steckt auch immer bei ihm, oder umgekehrt, und scheint seine Tollheiten in Öl ausführen zu wollen. Der Prokurist der angloägyptischen Bank ist ein amüsantes Kerlchen, aber –«

»Hallo, was: aber?« lachte eine muntere Stimme zum Fenster herein. O'Donalds Pferd stand auf der andern Seite des Gartens vor dem Hotel. Er kam von seinem täglichen Morgenritt zurück. Als er den weißen Schädel Thinkers erblickt hatte, war er abgestiegen und unter das Fenster getreten. Von dort, das Kinn auf den Sims gestützt, hatte er eine Zeitlang schmunzelnd zugehört.

»Guten Morgen, Miss Thinker! Bonjour, Monsieur Ben!« rief er fröhlich. »Frühe Vögel fangen Würmchen. Es ist doch schön, wenn ein altes englisches Sprichwort auch in unserer Zeit noch hier und da recht behält.«

Ben lachte: »Ist das in Ägypten Brauch, meuchlings durchs Fenster in das Innerste der Familiengeheimnisse einzudringen? Wieviel haben Sie gehört?«

»So ziemlich alles«, antwortete O'Donald. »Wir leben in Gottes freier Natur, so lange Shepheard keine Haremsfenster aufstellt; das gehört zu den Menschenrechten des Landes. So weiß ich: Sie haben keine Zeit, sich mit den Damen zu beschäftigen. Herr Joe ist geistig oder gänzlich unbrauchbar. Der Maler malt verrücktes Zeugs, das ihm der Doktor einbläst. Ich bin ein amüsantes Kerlchen. Schön! Ich werde meinem Charakter Ehre machen. Voilà!«

Er bot drei große Briefumschläge durchs Fenster, die Ben mißtrauisch ansah.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte er.

»Unterhaltung für die Damen und wer weiß was noch«, antwortete der Prokurist. »Greifen Sie zu, es kostet nichts. Hier sind weitere drei, an andere Adressen.«

Ben nahen jetzt die Briefe, aus denen er große Karten hervorzog, die mit einem breiten Goldrande und in jeder Ecke mit einer silbernen Mondsichel geschmückt waren.

»Sie wissen, Fräulein«, erklärte O'Donald, »morgen haben die Gläubigen hierzulande eines ihrer großen Feste: El Molid en Nebbi, den Geburtstag des Propheten. Sie haben wohl seit acht Nächten das Getrommel und Gepfeife auf der andern Seite der Esbekiye gehört. Das bedeutete die Vorbereitung zur Andacht. Heute ist der neunte des gesegneten Monats Rabia el Auwal; morgen der Hauptfesttag. Damit nun die Ungläubigen, die für das meiste, was hier geschieht, das Geld herbeischaffen, nicht ganz leer ausgehen, gibt der Vizekönig seinen europäischen Gästen einen großen Ball. Die Italiener seiner Umgebung haben ihm die Bedeutung des Karnevals auseinandergesetzt. Der Februar liegt nicht weit hinter uns und so genau nehmen wir hier solche Dinge nicht. Einer seiner Spaßvögel, hinter den ich mich steckte, hat in diesem Sinne bahnbrechend gewirkt. Mit den Masken wird es vielleicht nicht viel werden. Dafür ist es besser als eine Maskerade, einen arabischen Schech Quadrille tanzen zu sehen, und hiermit lege ich Ihnen die Einladungen Seiner Hoheit zu Füßen.«

»Sie sind ein liebenswürdiger Mensch, Herr O'Donald«, sagte Sakuntala mit ihrem sonnigsten Lächeln. »Ich weiß nicht, wie Ihnen mein Onkel genügend danken soll.«

»Wenn er dies seiner holden Nichte übertragen wollte, und sie mir in Erfüllung der Pflichten ihres Onkels einen Tanz gestattete, könnte der Geburtstag des Propheten der glücklichste Tag eines Ungläubigen werden«, versetzte O'Donald, der nicht umsonst sechs Jahre im Orient gehaust hatte. »Aber ehrlich gesprochen: Sie müssen diese Einladungen nicht zu hoch anschlagen. Jeder, der einen schwarzen Rock über das mittelländische Meer gebracht hat, erhält sie, wenn er weiß, wo sie zu holen sind. Die Gesellschaft, fürchte ich, wird etwas gemischt werden für eine indische Prinzessin.«

»Lassen wir das!« sagte Sakuntala mit einem Blitz aus ihren schwarzblauen Augen, der den Prokuristen, so selten er die Fassung verlor, mit hilfloser Bewunderung erfüllte.

»Sogar für eine englische Dame«, verbesserte er sich. »Aber jedermann geht und unterhält sich köstlich, wenn er seine eigene Gesellschaft mitbringt. Das können wir ja machen, wenn Sie befehlen.«

»Und der Vizekönig nimmt persönlich teil daran?« fragte Thinker, mit plötzlich erwachtem Interesse.

»Natürlich!« versicherte O'Donald. »Dann soll Lesseps hier sein, und General Gordon auf seiner Rückkehr von China, und ein deutscher Erbgroßherzog und Speke und Grant, die die neuesten Nilwunder mitgebracht haben; alles kommt. Selbstverständlich alle großen und kleinen Paschas: Sadyk, Nubar, Scherif, bis herab zu – ja wie heißt der Kleinste, dem die Zahnstocher Effendinis anvertraut sind? Kurz, es lohnt sich, den Scherz anzusehen.«

»Aber das ist ja herrlich!« rief, in die Hände klatschend, Fräulein Schütz, die in einem einfachen Reitkleid eingetreten war. »Da bekommen wir ja die ganze Weltgeschichte des Jahrhunderts in einem lebenden Bild.«

»Zum mindesten eine Maskerade derselben«, versetzte O'Donald, »was uns kleineren Leuten genügt, die wir mehr zur Unterhaltung auf der Welt sind, als um uns zu ärgern.«

»Und die Masken! Das wäre köstlich! Aber wo nehmen wir Masken her?« fuhr Bertha fort, deren Erinnerungen an die rheinische Heimat sich mächtig regten.

»Sie kennen den Vizekönig schlecht, wenn sie fürchten, daß er seine Gäste zu einem Maskenball einlädt, ohne für ihre Masken zu sorgen«, beruhigte sie der Prokurist. »Schon vor acht Tagen kam, auf höchsten Befehl, ein Garderobier mit fünfzig Kisten aus Wien an, dem ein Haus neben dem Ab'dinpalast eingeräumt wurde. Wer eine Einladungskarte besitzt, braucht nur hinzugeben und kann als Favoritin Harun al Raschids, als Nonne oder als Alligator wieder herauskommen, ganz nach Belieben.«

»Reiten wir hin, Sakuntala!« drängte Fräulein Schütz. »Die Moschee des Sultans Aschraff kann warten.«

Sakuntala schüttelte den Kopf.

»Sie haben recht«, nickte O'Donald. »Ich glaube überhaupt nicht, daß der Maskengedanke Anklang finden wird. Es wäre schade, wenn sich Kairo maskieren wollte. Und zehnmal interessanter wäre es Ihnen sicherlich, den Ernst des Molid en Nebbi kennenzulernen.«

»Aber wie machen wir das?« fragte Bertha etwas kleinlaut.

»Heute nacht könnten wir einen Sikr, einen Gebetstanz oder wie Sie es nennen wollen, mit ansehen,« versetzte der Prokurist, »und morgen Vormittag zum Doseh gehen, wobei die frömmeren Gläubigen zur Ehre Gottes einen heiligen Derwisch über sich wegreiten lassen.«

»Wollen Sie uns hierfür auch Karten besorgen? O, bitte, Herr O'Donald!« rief Fräulein Schütz. »Das müssen wir doch sehen, Sakuntala! Bitte – bitte –!«

»Dazu brauchen Sie keine Karten, Fräulein, es kostet Sie nur eine halbe Nacht und einen halben Tag und viel Geduld. Aber eine wunderliche Geschichte ist es, die man nicht versäumen darf, wenn man des Propheten Geburtstag in Kairo feiert. Christen können dabei lernen, was Glauben heißt.«

»Das können sie auch in Indien«, sagte Sakuntala ernsthaft.

»Wie in England, zu Zeiten«, meinte O'Donald, der sein Vaterland nicht ganz auf der Seite liegen lassen wollte. »Bedenken Sie, wir gehen alle Sonntage zweimal in die Kirche. Dazu gehört Glaubensstärke.«

Wieder blitzten Sakuntalas Augen und Fräulein Schütz runzelte ihr Stirnchen auf einen Augenblick und sagte:

»Sie sind ein leichtsinniger Mensch, Herr O'Donald. Aber wie machen wir's?«

»Ganz einfach«, antwortete der Gefragte. »Werden Sie uns begleiten, Herr Thinker?«

»Erlassen Sie es mir!« bat Ben. »Solcher Hokuspokus ist nicht meine Sache. Ich sehe nicht ein, wie und was er nützen kann. Unser Herrgott braucht ihn nicht; uns kostet er Zeit und Geld.«

»Gut also!« sagte der Prokurist, nicht ganz unzufrieden mit Bens Auffassung. »Sie haben die Güte, Fräulein Schütz, hübsch zu Hause zu bleiben und der Ruhe zu pflegen, denn Sie haben nun zwei harte Nächte und einen heißen Tag vor sich. Um neun Uhr abends hole ich Sie ab. Ihr Dragoman und, wenn Sie wollen, Fritschy und Buchwald können ebenfalls mittrollen. Alles übrige wird sich dann finden. Wenn Sie nach dieser Prüfung nicht darauf bestehen, als gläubige Muselfrau in einem besseren Harem Aufnahme zu finden, habe ich mich bitter in Ihnen getäuscht. Auf Wiedersehen. Muß auch die englische Post gerade heute kommen? Bis gegen Abend habe ich Sklavenketten zu schleppen. Wünschen Sie mir Glück!«

Er ging raschen Schrittes nach der Straße, schwang sich auf sein Pferd und ritt im Trab davon.

»Na«, sagte Thinker aufstehend, »auf zweimal vierundzwanzig Stunden könnt Ihr jetzt unbesorgt in die Zukunft sehen und ich im Frieden an der Wiedergeburt Ägyptens arbeiten. Gott sei Dank! Kein Spaß, zwei Mädchen auf dem Gewissen zu haben, und ein Stauwerk!«


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