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»Meine Herren sind große Effendis aus den Frankenländern, o Schech«, erklärte dieser, »und kommen zu dir als Bittende. Sie hoffen, daß dich Allah erleuchten möge und du ihr Verlangen erfüllen wirst.«
»Gott erleuchtet seine Gläubigen«, versetzte der Schech. »Sprich ohne Furcht. Was wollen die Fremden, die ich in meinem Hause willkommen heiße.«
»Gesegnet sei dein Dach, dein Vieh und deine Knechte«, sagte Ibrahim. »Sie wünschen dir ein langes Leben. Auch wünschen sie ein Dutzend Leute zu mieten, um ein Loch in der Wüste zu graben.«
»Bei Gott, dem Allwissenden«, rief der Schech prompt, »ich habe keine Leute, o Effendi. Der Vizekönig hat die besten geholt, schon vor zwei Monaten und nach Suez geschickt an den Kanal. Achtundzwanzig Mann aus diesem kleinen Dorf! So arm wir sind, sie mußten gehen. Was noch hier ist, sind Kinder und Weiber. Sie sind auf den Feldern, um die Wassergräben wiederherzustellen, denn die Zeit des Bewässerns ist da. Was sollen wir essen, ohne Wassergräben? Ich habe nicht einen Mann.«
»Mein Herr wünscht nur zwölf, o Vater der Gläubigen«, versetzte Ibrahim, als ob der Schech nichts gesagt hätte. »Auch will er sie nicht umsonst. Allah segnet, wen er will. Er hat Geld im Überfluß und will sie bezahlen.«
»Ihr habt heute morgen sechs meiner Leute weggenommen, die im Felde arbeiten sollten, und habt sie im Sand graben lassen. Ist das recht, o Effendi? liegt darin ein Sinn?«
»Ich bitte Gott um Verzeihung, wenn ich dir widerspreche, o Schech. Es ziemt dem weißen Barte nicht, hastig zu sein, wie der Bartlose. Mein Herr wollte dir ein großes Bakschisch schenken, gerade als du uns die Leute wegnahmst. Weshalb schneidest du in dein eigenes Fleisch?«
»Wo ist das Bakschisch?« fragte der Schech verdrießlich. »Wäret ihr gekommen, mich zu besuchen, wenn ich die Leute nicht zurückgeholt hätte?«
Jetzt erst berichtete der Dragoman seinen hilflos und schweigend dasitzenden Herren einiges über den Fortgang der Verhandlungen: Der Schech sei erfreut, sie zu sehen und bereit, zwölf Leute zu stellen. Aber die Leute seien gegenwärtig wegen der notwendigen Feldarbeiten kaum entbehrlich. Es sei ein schwerer Verlust im Ertrag der kommenden Ernte zu befürchten, wenn sie ihre regelmäßigen Bewässerungsgeschäfte unterbrechen müßten. Man könne deshalb nicht verlangen, daß sie um geringen Lohn in der Wüste arbeiteten.
Thinker erklärte laut seine Bereitwilligkeit, jeden einigermaßen vernünftigen Taglohn zu bezahlen und bat, dem Schech dieses selbstverständliche Anerbieten möglichst deutlich zu machen.
Ibrahim nickte und begann wieder arabisch zu arbeiten: ein langes mühevolles Geschäft, das flüsternd und mit wachsender Lebhaftigkeit des Gebärdenspiels fortgesetzt wurde. Manchmal schien zu befürchten, daß ein mit Tätlichkeiten gewürzter Abbruch der Verhandlungen unvermeidlich war, die dann plötzlich wieder alle Anzeichen brüderlicher Übereinstimmung trugen. Es ist nicht möglich, von all dem mehr als den kürzesten Auszug mitzuteilen:
»Ich bin nur ein Dragoman, o Schech«, begann Ibrahim, »aber die Ehrlichkeit ist meine Stärke. Allah wird sie an anderer Stelle belohnen. Meine Herren schlagen vor, drei Piaster Tagelohn für den Mann zu bezahlen –«
»Landesgeld oder türkisch?« unterbrach ihn der Schech, mit unzufriedener Miene; eine berechtigte Frage, da der türkische, amtliche Piaster um die Hälfte mehr ist als der volkstümliche ägyptische.
»Landesgeld natürlich!« erklärte Ibrahim mit seinem einschmeichelndsten Lächeln. »Du weißt, dies ist ein hoher Tagelohn; es ist zweimal so viel als gegenwärtig üblich ist, aber sie sind mit Verstand reich gesegnet, meine Herren, wie mit andere Gaben. Ich bitte dich, o Bruder, dieses glänzende Anerbieten nicht von dir zu weisen. Ich habe viele Mühe mit der Sache, und die Leute sind dein Eigentum. Erwäge meinen Vorschlag mit Wohlwollen: Du nimmst einen Piaster, ich nehme einen Piaster und der Mann nimmt einen Piaster. Du siehst: dies macht drei Piaster. Ich mache nicht viele Worte, denn die Ehrlichkeit ist meine Stärke.«
Der Schech unterdrückte rasch eine freudige Bewegung und sagte sehr ernst: »Du bist von Kairo, ein Mann der Stadt. Du magst klüger sein als wir; aber du verstehst nichts von Bewässerung. Hier verläßt dich der Allerbarmer, der Allweise. Sagen wir sechs Piaster für den Mann. Sie lassen sich ähnlich verteilen.«
»Das ist unmöglich!« rief der Dragoman leidenschaftlich, »das ist unerhört. Sechs Piaster hat noch nie ein Sterblicher für einen Fellah bezahlt. Auch die Geldkiste der Franken hat einen Boden und Gott liebt den nicht, der den unwissenden Fremdling übervorteilt. Sagen wir vier Piaster.«
»Es ist unmöglich!« sagte der Schech, aufstehend. »Zieht hin in Frieden, denn dies ist unmöglich. Wir brauchen heute Wasser und kein Geld. Die Baumwolle wächst nicht, selbst wenn man sie mit Gold begießt.«
»Viereinhalb Piaster«, seufzte Ibrahim.
»Wie willst du viereinhalb Piaster verteilen; es ist unmöglich, o Bruder«, sagte der Schech düster. »Wie gerne würde ich deine Bitte erfüllen; aber Gott will es nicht. Er hat dir den Verstand versagt.«
»Dann lebe wohl, o Schech«, schloß Ibrahim, sich ebenfalls erhebend. »Wir werden morgen nach Kairo zurückkehren. Ich wünsche, daß das Wasser, das dir Gott beschert, deinen Feldern wohl bekommen möge. Es ist schad, daß er dir die Gabe verweigerte, deinen Vorteil zu erkennen.«
»Fünfeinhalb Piaster«, sagte der Schech ruhig, indem er sich wieder setzte, und frischen Kaffee bestellte.
»Viereinhalb. Ich kann nicht anders, denn die Ehrlichkeit ist meine Stärke«, war die Antwort.
Dann folgte eine lange Pause. Ibrahim erklärte Thinker, daß die Verhandlungen fortschritten, daß der Schech aber ein alter Wüstenräuber sein müsse, mit dem nichts anzufangen sei.
Thinker bat ihn, die Geduld nicht zu verlieren und lieber das Angebot zu verdoppeln. Ibrahim schüttelte den Kopf. Er werde seinen Herrn doch nicht von einem solchen Hundesohn über die Ohren hauen lassen.
»Du bist mein Bruder,« sagte er dann zum Schech, der jetzt mit dem Gesicht eines tiefgekränkten Mannes in seinen heißen Kaffee blies. »Wir stehen uns jetzt so nahe! Viereinhalb! Du nimmst zwei, ich nehme ein und einhalb, und der Fellah nimmt einen Piaster: macht viereinhalb. Willst du mehr haben und deine Seligkeit verwirken? Beim Propheten, o Schech, denke an dein Ende!«
»Fünf!« seufzte der Schech, kleinlaut.
»Fünf!« rief der Dragoman, zornig. »Sind wir Brüder? Wollen wir streiten, bis die Sonne untergeht? Du nimmst zwei, ich nehme zwei und der Fellah nimmt einen Piaster. Macht fünf. Es ist gut. Der Segen Allahs sei mit uns.«
»Nein, nein, nein!« flüsterte der Schech heftig. »Du nimmst eineinhalb, ich nehme zweieinhalb und der Fellah nimmt einen. Das macht auch fünf.«
»Du hast mich zu Grunde gerichtet; möge dir Gott verzeihen!« entgegnete der Dragoman gebeugt. »Du bist der Stärkere; Allah wollte es nicht anders.« Dann zwinkerten sie sich beide freundlich zu und reichten dem Sais die Kaffeetäßchen, um sie nochmals füllen zu lassen, worauf der Schech in ruhigem Tone wieder begann:
»Ich höre, o Bruder, deine Fremden wohnen in den Grabhöhlen hinter der zweiten Pyramide, wie wilde Hunde. Äußerlich sehen sie nicht so schlimm aus, aber kein Gläubiger kann dieses Treiben verstehen. Vielleicht verschwinden sie eines Tages in die Luft wie ein Afrit. Ich werde jeden Abend in dein Zelt kommen. Du wirst mir den Lohn für die Leute einhändigen, die den Tag über bei euch gearbeitet haben.«
»So sei es«, rief der Dragoman. »Du bist der Weiseste deiner Zeit, o Schech. Wer hat dir solche Klugheit gegeben?«
»Die hab ich von meinem Vater. Er war Dragoman zur Zeit Mohamed Alis!« war die Antwort, die der Schech mit einem so feinen Lächeln begleitete, daß Buchwald nach seinem Skizzenbuch griff.
Nun erst wandte sich Ibrahim wieder an Thinker, der ungeduldig auf seiner Matte hin- und herrückte. Hing doch dessen ganze Hoffnung für die nächsten Wochen am Ausgang der offenbar höchst schwierigen Verhandlungen.
»Er ist der größte Spitzbube unter der Sonne; ekelerregend!« sagte der Dragoman mit kaum zu unterdrückender Wut. »Wir sind einig geworden. Aber er verlangte acht Piaster für den Kopf und mit Müh und Not habe ich ihn auf sechseinhalb heruntergeschraubt. Danket Gott, daß ihr einen solchen Dragoman besitzt. Aber ich fand immer den größten Vorteil in der Ehrlichkeit. Ich weiß, Eure Hochwohlgeboren werden mich belohnen für die Summen, die ich Ihnen erspart habe: eineinhalb Piaster per Kopf und Tag! Daraus läßt sich ein schönes Bakschisch ansammeln.«
In freundlichen Gesprächen, die Ibrahim jetzt gewissenhaft Satz für Satz hin und her übersetzte, erklärte der Schech seinen Gastfreunden, daß er ein größeres Bakschisch am Schluß der Arbeiten ganz ihrem Ermessen überlasse. Er werde ihnen noch heute abend ein Schaf schicken, da sie ihm die Ehre erwiesen, in seiner Nähe zu wohnen. Morgen früh werden zehn Mann zum Graben kommen, wenn es Gottes Wille sei. Heute sei doch nichts mehr zu machen, denn die besten Leute, die er seinen Freunden schicken werde, seien auf dem Feld. Er würde raten, den kühlen Abend zu benutzen, um die große Pyramide zu besteigen und werde hierfür die nötigen Führer sofort besorgen.
Damit war Thinker einverstanden, und nach einer weiteren Viertelstunde, die mit reichlichen Versicherungen gegenseitiger Hochachtung und heißen Wünschen für allseitiges Wohlergehen ausgefüllt war, befanden sich Thinker und Buchwald wieder auf dem Weg nach dem Pyramidenhügel.
Die Besteigung der Cheopspyramide beginnt seit Menschengedenken an der nordöstlichen Ecke des Baues. Dorthin zog jetzt die von vier Beduinen begleitete kleine Gesellschaft. Lange, ehe das Ziel erreicht war, bemerkte Buchwald mit Verwunderung, daß sich ein bunter Volkshaufen um diese Ecke gesammelt hatte. Helle und dunkle Kleider, Sonnenschirme und Schleier, weiße Helme und Hüte, und eine ganze Herde von Eseln umdrängten den Platz und lautes Lachen und Schreien drang über die Mastabas herüber. Es war, wie sich leicht erkennen ließ, eine größere Karawane, die der Zufall aus den verschiedenen Gasthöfen Kairos zusammengewürfelt hatte, und die durch einen der häufigen Unfälle an der Fähre zu Alt-Kairo aufgehalten, so spät noch einen Besuch der Pyramiden unternehmen wollte. Joe Thinker schien von dieser Begegnung wenig erbaut zu sein und suchte so rasch als möglich an der Gesellschaft vorbei in die Höhe zu kommen. Doch war dies nicht so leicht, als er gehofft hatte. Die ungewohnte Umgebung, die Luft, die, so heiß sie sein mochte, mit ihrer erfrischenden Reinheit alle Nerven belebt, das Gefühl unbegrenzter Freiheit, das die erste Berührung mit der Wüste hervorruft, hatte auch diese Schar von Globetrottern ergriffen und je nach ihrer Art beseelt. Der schwarze Anzug des Gelehrten, als einziger dunkler Punkt in der hellen Landschaft, konnte ihrer neugierigen Aufmerksamkeit nicht entgehen.
»Sagen Sie mal, verehrter Rabenvater«, rief ihm ein jugendlicher runder und roter Landsmann mit sehr aufgestülpter Nase und fast glattrasiertem Kopfe zu, »Sie haben doch nicht im Sinn, mit ihren beschnittenen Fittichen an diesem Steinhaufen emporzuhüpfen?«
Was den jungen Mann bewegte, war nicht eigentlich Frechheit, sondern eine Stimmung, die man in England in unübersetzbarer Weise als »high animal spirits« bezeichnet und hochschätzt. Er wollte zum Ergötzen seiner nächsten Freunde nichts weiter als einen Witz machen und war sichtlich erschrocken, als Thinker in sehr gemessenem Englisch erwiderte.
»Sie dürften mir dankbar sein, junger Herr, wenn ich Sie unter meine beschnittenen Flügel nähme, ehe wir oben sind.«
»Großer Gott«, rief der Kleine, mit komischem Entsetzen, »ich hatte keine Ahnung, daß Sie mich verstehen würden. Ich hielt Sie für einen verdammten Deutschen.«
»Das bin ich«, sagte Buchwald in kaum weniger gutem Englisch, vom Esel springend und auf das witzige Männchen zugehend. »Unter meine Flügel nehme ich Sie zwar schwerlich; wenn ich Sie aber sonst decken kann, stehe ich zu Diensten.« Er machte halb lachend, halb ernsthaft eine Gebärde, die jeder Engländer versteht. Sie ist einfach und bedarf nichts weiter als zwei geballte Fäuste.
»Gnädiger Himmel!« schrie der Kleine, »man ist ja hier seines Lebens nicht sicher. Gentlemen, ich bitte Sie um Verzeihung. Ich wollte dem alten Cheops einen kühlen Höflichkeitsbesuch abstatten und habe nicht die geringste Absicht, in dieser Hitze Boxerhandschuhe anzulegen. Schwamm drüber!«
»Nee, diese Engländer!« rief ein zweiter Herr, sich freundschaftlich an Buchwald herandrängend. »Wir sind Landsleute. Mein Name ist Mayer-Berlin. Mayer und Kompanie, mit dem Ypsilon. Hochfeine Firma. Machen in getönten Papieren aller Sorten. Ich will mir das Land des Papyros einmal ansehen und wenn sich dabei ein Geschäft machen läßt, so ist mein Alter bereit, den neuesten Pharao kostenlos mit Goldschnitt zu versehen.«
»Jetzt, Missis, sind wir am Ziel, an meinem Ziel!« sagte mit näselnder Stimme ein mastbaumartig gebauter Yankee zu seiner kugelrunden Frau. Er brauchte die Füße nur auf den Boden zu stellen und sein Eselchen laufen zu lassen, um abzusteigen. »Du kannst meinethalben mit Jemima da hinaufklettern, zehn Yard über die Spitze, wenn dir's Spaß macht; mich bringen keine zwanzig Maulesel weiter. Pharao und alles Ungeziefer der heiligen Schrift sind mir egal, bei dieser Temperatur. Krabbelt nur zu! Ich will indessen die Schmalzpreise in Chicago studieren. Gib mir den Herald, Jemima. Der bringt das Neueste, wenn es auch drei Wochen alt ist. Eine verflixte Geschichte, diese alten Länder!«
»Hipp, hipp, hurra für Lord Palmerston«, rief der jugendliche Sohn Albions, der, unternehmender als die andern, schon die zehnte Stufe der Pyramide erreicht hatte und sich triumphierend umwandte. »Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit einige passende Worte sprechen, meine Damen und Herren. Dieser Cheops, den in törichter Überschätzung einige Narren heute noch verehren, hatte keinen Begriff von einer anständigen Treppe, namentlich für Damen. Ich bitte die älteren Herren, vorsichtig zu sein!«
»Jemima!« rief der Yankee, dessen Tochter mit rücksichtsloser Energie emporstrebte. »Sei vorsichtig, Jemima!« Dann begann er nach einigen energischen Worten seiner Frau, dem tatenlustigen Töchterchen stöhnend nachzuklettern.
Jemima aber kümmerte sich ebensowenig um ihren Papa als um den Berliner, der, von den beiden Engländern verfolgt, ihr eifrig nachkletterte. Bald genug aber kam alles zum Stillstand. Die Überwältigung der manchmal fast meterhohen Felsblöcke kostete immerhin einige Anstrengung, und selbst die jüngeren Mitglieder der Kletterpartie warteten schließlich atemlos auf den Zuzug der Beduinen, die jetzt in hellen Haufen aus Kafr angerannt kamen und schon aus der Ferne ihre Dienste anpriesen:
»Halt! Bakschisch! Halt!« schrien sie in zerhackten Brocken aus vier europäischen Sprachen. »Pyramide sehr gefährlich. Ladys brauchen Beduin! Zwei Beduin! Gentlemen zufrieden! Langsam, langsam! Bakschisch sehr gut. All right. Hipp, hipp hurra!«
Nachdem Jemima von zwei besonders gewandten Fellachin eingefangen war, ihr Papa seine Taschen mit sogenannten ›Altertümern‹ gefüllt hatte, die andere mit gut gespielter Heimlichkeit aus den Fetzen ihrer Burnusse wickelten, und die ganze Gesellschaft mit den üblichen eingeborenen Führern versehen war, konnte der Aufstieg in bitterem Ernste beginnen. Selbst der Großhändler in Schweinefleisch aus Chicago ergab sich in sein Schicksal, nachdem er den alten Cheops feierlich verflucht und seine Tochter nochmals vergeblich beschworen hatte, von dem unsinnigen Unternehmen abzusehen. »Gentlemen satisfied – up; Bakshish very good – up!« sangen seine beiden arabischen Schutzengel in monotonem Wechselgesang und zerrten ihr keuchendes Opfer bei jedem ›Up!‹ um eine der fürchterlichen Stufen höher. Bei den Kleineren von etwa sechzig Zentimeter Höhe ging dies leidlich gut, bei den Größeren verlor der arme, schweißbedeckte Mann zu öfterem jeden Halt und bewegte sich, auf dem Bauch geschleift, über die Kante des nächsten Felsblocks. »Verdammte Kerls, langsam!« brüllte er von Zeit zu Zeit. »Gentlemen satisfied, up!« war die Antwort.
Der Aufenthalt zu Anfang der Besteigung hatte Thinker und Buchwald Zeit gegeben, der größeren Schar vorauszueilen, und da diese öfters Ruhepausen bedurfte, um den geistreichen Bemerkungen zu lauschen, die der Berliner getönte Papierfabrikant und der junge Engländer, ein aus Indien zurückkehrender Militärarzt, in gemischtem Deutsch und Englisch austauschten, so vergrößerte sich die Entfernung der zwei ungleichartigen Gesellschaften mehr und mehr. Buchwald, dem deutschen Turner, machte die Bewegung Spaß, namentlich wenn ihn seine beiden nicht abzuschüttelnden Beduinen zur Vorsicht mahnten. Thinker verleugnete seine schottische Heimat nicht. Er war trotz der weißen Haare und seiner eckigen Bewegungen ein vortrefflicher Bergsteiger. So hatten sie den Gipfel erreicht, während das Plaudern und Lachen der andere aus halber Höhe der Pyramide kaum hörbar zu ihnen heraufdrang.
Die heutige Spitze bildet eine Fläche von etwa fünfzehn Meter im Geviert. Sie besteht aus den lose nebeneinanderliegenden rechteckigen Kalkblöcken der vermutlich neunten Horizontalschicht, von der verschwundenen wirklichen Spitze des Bauwerks gerechnet. In der Mitte dieser Plattform liegen noch einige höhere Steine, die zur achten gehört haben müssen. Thinker und Buchwald setzten sich auf einen derselben, und betrachteten lange schweigend das gewaltige Rund, in dessen Mitte, hoch über allem Irdischen, sie sich zu befinden schienen. Nur der besser erhaltene Gipfel der Chefrenpyramide, etwa fünfhundert Meter von ihrem Standort entfernt, aber so klar und deutlich sichtbar, als ob man ihn mit Händen greifen könnte, stieg bis zur Horizonthöhe aus der Tiefe empor.
Buchwalds Auge schweifte entlang dieser gewaltigen Horizontlinie. Dort drüben im Nordosten, deutlich erkennbar an den zwei nadelförmigen Minaretts der Zitadelle lag Kairo, am Fuß des Mokkatam, links davon im bläulichen Dunste die Ebene des Deltas, rechts die langgestreckte, horizontal geschichtete Felsenkette, die das Niltal vom Roten Meer trennt. Sie bildet gen Osten die Berge von Tura, an deren Fuß man das einsame Helluan erkennen konnte, wenn man wußte, wo es zu suchen war. – Weiter nach Süden hin glitt der Blick über das dort sich verflachende Niltal Oberägyptens, dessen schmaler, grüner Streifen, da und dort vom aufblitzenden Spiegel des Stroms belebt, die gelben Flächen der zwei großen Wüsten trennt: im Osten die arabische Gebirgswüste, im Westen die flachen Sandhügel der lybischen Wüste. Dort oben, im fernsten Süden, wo die Einsenkung nach dem Fayum abzweigt, sind die Pyramiden von Daschur zu erkennen. In gleicher Richtung, jedoch näher, liegen die Totenfelder von Sakkara, wo die Palmenwälder von Mit-Rahine die Lage der alten Königsstadt Memphis andeuten. Dort erhebt sich in fünf selbst von hier aus erkennbaren Stufen die uralte Staffelpyramide, die von vielen für das allerälteste Bauwerk Ägyptens gehalten wird. Sie hat in der Tat sieben Stufen, sagen die Gelehrten dieser Schule und sehen hierin einen Beweis ihres chaldäischen Ursprungs; worüber, als Buchwald dies schüchtern erwähnte, Thinker die Nase rümpfte; denn er gehörte zu einer andern Schule, für die fünf viel besser paßt als sieben. Endlich, noch näher bei Gise, liegen die drei kleinen Pyramiden von Abusir. Nach Westen hin breitet sich in weitem Bogen die einsame Fläche der lybischen Wüste, die im Norden, den gewaltigen Kreis schließend, wieder das blaugrüne Delta berührt.
In nächster Nähe, tief unter ihren Füßen erkannten die Freunde mit wunderbarer Schärfe in der Klarheit der kristallreinen Luft fast jeden Stein auf dem weiß und gelb glänzenden Felsboden, erkannten selbst das grüne Tischchen von ihrer Höhlenwohnung, welcher eine kleine Schar Araber unter der Führung des Kochs soeben einen Besuch abstattete. Weiter links lag die Sphinx, wie ein Spielzeug, und da und dort sah man in die dunkeln Schachte der Mastabas, die einzigen kleinen schwarzen Punkte in der gelben Fläche. Etwas weiter entfernt gen Osten zog der mattgrüne Streifen der Niltalsohle von Süden nach Norden an diesem Totenfeld der Natur und der Menschheit vorüber und der Strom mit seinen stummen Zeichen fruchtbringenden Lebens. Er hatte schon vor Jahrtausenden das Volk ernährt, das diese Riesenbauten schuf. Heute noch erhält er es, während alles ringsumher von Babylon bis Karthago eine leblose Wüste geworden ist.
»Und welche Bilder sehen wir von der zertrümmerten Spitze, auf der wir stehen«, sagte Thinker langsam, »wenn wir statt des leiblichen das geistige Auge aufschlagen: den dunklen Anfang der Menschengeschichte, den nur der Höchste kennt; all die Verirrungen der ägyptischen Urzeit, aus denen die hochgepriesene Kunst der Griechen emporstieg. Dann die Perser und Mazedonier, und die Römer in ihrem Glanz als Herrscher der Welt. Die Wiege des Christentums und eines der vielen Gräber, die es sich selber grub, nachdem es seine Ideale zertrümmert und seinen Erlösungsgedanken vergessen hatte. Später die Araber in ihrem Glanz und Zerfall; glänzend auch noch im Zerfall. Und jetzt, seit Europa wieder gebieterisch an die Tore des Morgenlandes schlägt, eine neue wunderliche Blüte, bereit sich zu entfalten, die dem Lande Glück und Segen bringen kann, glänzender als je; oder auch das Gegenteil – wer kann es wissen? Hier stehen wir im Zentrum der menschenbewohnten Erde, in der Mitte der Weltgeschichte. Begreifen Sie jetzt, lieber Buchwald, weshalb Er gerade an diese Stelle sein Heiligtum gestellt hat?«
»Wer?« fragte Buchwald.
Thinker schwieg.
»Aber wer?« Der Maler wurde eigensinnig. Manchmal setzte sich ihm die Mystik seines Freundes auf die Nerven, wie sie ihn zu andern Zeiten belustigte. Klarheit wollte er haben.
»Ich weiß es nicht«, sagte Thinker demütig. »Ich weiß es noch nicht. Helfen Sie mir suchen. Heißen wir ihn Cheops, wie die andern. Aber es war kein Mensch gewöhnlicher Art, soviel weiß ich gewiß. Ein gewöhnlicher Mensch hätte die Grundwahrheiten des Weltalls und die Geschichte der Menschheit nie und nimmer in einem solchen Bau niederlegen können.«
»Aber bester Herr Thinker – ich bitte Sie –«
»Lieber Buchwald, ich bitte Sie, warten Sie noch ein wenig. Haben Sie Geduld mit sich selbst. Die Wahrheit wird über uns kommen wie ein gewappneter Mann. Sie wird uns erschrecken, aber wir werden frohlocken.«
Thinkers schwarze Gestalt hatte sich hoch aufgerichtet. Er starrte mit seiner Prophetenmiene gen Osten und bewegte die Lippen, ohne hörbar zu sprechen. Man sah, er war in einer andern Welt.
»Verrückt!« dachte Buchwald mit einem leisen Schauder der Ehrfurcht. Es war das wunderliche Gefühl, das man im Morgenlande, vom Ganges bis zum Nil, seit Urzeiten kennt: wo sie in dem Verrückten den Entrückten verehren.
Hipp, hipp, hurra! schallte es wie eine schneidende Dissonanz in diesem Augenblick über die Plattform und hinter der Kante der Nordseite tauchte das harmlose, krebsrote Gesicht des angloindischen Chirurgen auf. »Hulloh!« fuhr er mit wohlwollendem Erstaunen fort: »der Rabenvater ist auch schon da. Sie entschuldigen doch, aber es macht etwas warm in dieser Gegend. Dabei geht alle Etikette zum Kuckuck. – Up, Miss Jemima, up! Unsereins ist oben. Alt-England hat wieder einmal gesiegt. – Guter Gott – wenn Sie mir's nicht übelnehmen wollen, liebenswürdigste unserer transatlantischen Schwestern, wie sieht der Herr Papa aus! Schwarzblau! Das gibt eine Katastrophe. – Können sie bei einem Aderlaß behilflich sein? Haben Sie zufällig eine Lanzette in der Tasche?« wandte er sich mit der größten Vertraulichkeit an Thinker.
»Ich würde Ihnen gerne ein paar Unzen abzapfen, wenn wir das Geräte dazu hier hätten«, sagte Buchwald, da Thinker sich in stummer Verachtung abwandte.
»Nicht mir; dem Schmalzhändler, dem Yankee!« lachte der Chirurg. »Ihr Freund ist wohl der Hohepriester dieser erhabenen Tempelstätte. Donnerwetter«, fügte er leise hinzu, »macht er ein Spinnengesicht!« dann sich rasch abwendend: »Miss Jemima, hipp, hipp, hurra! Wieder eine oben!«
Sie kam allmählich herauf, die Hälfte der entsetzlichen Gesellschaft, stöhnend, pustend und jubilierend, je nach der körperlichen Verfassung der einzelnen: der Berliner Papierfabrikant hinter Jemima, der zweite junge Engländer, der seinen Beduinen von Zeit zu Zeit einen zornigen Stoß gab, und im übrigen das Schweigen eines Stockfischs bewahrte, der amerikanische Fleischhändler, dessen Frau auf der zehnten Stufe von unten mit zwei Franzosen umgekehrt war, nachdem sie ihrem widerstrebenden Mann das Versprechen abgenommen hatte, ihre Jemima nicht zu verlassen. Flehentlich, fast weinend, hatte dieser auf dem ganzen Leidensweg seine Tochter gebeten, die ›tolle‹ Besteigung aufzugeben. Sie würdigte ihn nur einmal einer Antwort:
»Papa, mein Wahlspruch ist: Exelsior! Wenn du dafür zu träge bist, so rutsche wieder hinunter!«
Der wackere Mann, der den Hohn seiner Angehörigen nicht verdiente, denn er hatte ein Leben der Arbeit für sie geopfert, seufzte tief und rutschte weiter, aufwärts.
»Gott sei Dank!« ächzte er, als ihn seine Beduinen mit dem letzten: Gentlemen satisfied – up! aufrichteten und zärtlich auf beiden Seiten stützten, so daß er nicht umfallen konnte. »Gott sei Dank, Jemima! Wenn du deinen Vater umgebracht hast, wirst du an mich denken. Den alten Cheops soll aber ein siediges –«
Thinker wandte sich langsam um und sah dem armen Mann starr ins Gesicht.
»Ich bitte Sie um Verzeihung, Herr – Herr –« stotterte der Fleischhändler, nach Luft schnappend.
»Rabenvater!« flüsterte der Chirurg.
»Halt dein Maul, Webster!« sagte sein anständigerer, stummer Freund.
»Es ist ein freies Land, hier oben, so viel ich sehe«, versetzte jener. »Davon macht auch unser verehrter Vetter aus Yankeeland Gebrauch. Hipp, hipp, hurra! Wer hat die Whiskyflasche?«
»Ich bitte Sie um Verzeihung«, begann der Fleischhändler wieder. »Ich fluche nicht, gewohnheitsmäßig. Ich bin überhaupt gegen das Fluchen. Aber das ist zuviel! Sind Sie verheiratet, Herr Fremder? Solch ein Mädel wie meine Jemima, das ist wirklich zuviel. Sie würde sieben Väter unter die Erde bringen, mit ihrem verdammten ›Excelsior‹!«
Er entglitt den Händen der Beduinen und ließ sich auf den Boden fallen wie ein Maismehlsack aus Illinois.
»Gentlemen satisfied, bakshish very good!« bemerkten seine Helfershelfer, ihn gierig anblickend.
»Aber nicht ›up‹! Ihr Teufel, nicht ›up‹; das hat ein Ende!« stöhnte der Daliegende und suchte, mit Aufbietung der letzten Kräfte nach seiner Börse; dann sank er auf die Seite, wie ein gestrandetes Schiff, und regte sich nicht mehr.
»Papa, Papa«, rief nach einigen Minuten der Umschau Fräulein Jemima, indem sie ihren regungslosen Vater mit einem roten Sonnenschirmchen scherzhaft in die Rippen stieß, »Herr Webster sagt, die kleine Pyramide dort unten habe der Tochter deines Freundes Cheops gehört. Und er weiß eine Geschichte von ihr; er will sie mir aber nicht erzählen. Erzähl' mal!«
»Laß mich in Ruh!« stöhnte der Papa.
»Erzähl' einmal, sag' ich!« wiederholte das Töchterlein; scharf, mit einem zweiten ermunternden Stoß des Sonnenschirms.
»Au!« schrie der Fleischhändler, erfreuliche Zeichen wiederkehrenden Lebens verratend. »Na – also, wenn du darauf bestehst«, begann er dann, noch immer keuchend. »Der alte Cheops war ein Pharao. Er hatte eine Tochter, die hieß Jemima. Sie brachte ihren Vater zu solcher Verzweiflung, daß er sich die – die große Pyramide baute.«
»Stupid!« rief Miss Jemima entrüstet und wandte sich wieder ihrem Freund Webster zu, der soeben mit einem neuen ›Hipp, hipp, hurra!‹ einen großen Korb begrüßte, den zwei Fellachin nicht ohne wirkliche Anstrengung heraufgeschleppt hatten.
»Das war mein Gedanke!« sagte der Berliner, mit Bewußtsein.
»Und mein Geldbeutel!« fügte der stille Engländer bei.
»Ich aber bin der einzige, der auf der Höhe der Zeit steht, und aus Geld und Gedanken etwas zu machen weiß«, rief Webster, zog einen Champagnerkorkenzieher hervor und machte sich über den Korb her, dessen Inhalt er rasch und niedlich auf dem höchsten Gestein der Plattform ausbreitete. Alles scharte sich um den improvisierten Tisch, ein paar Korken knallten in die Luft und der Berliner ließ in einem Englisch, an dem der gute Wille das Beste war, das aber trotzdem der Sprachgewandtheit des deutschen Kaufmannsstandes Ehre machte, ein neues Paar, Jemima und den alten Cheops, hoch leben. Staunend erkannte Webster den höheren Geistesschwung seines Rivalen an. Buchwald und Thinker, die aufs dringendste eingeladen wurden, an dem Festmahl teilzunehmen, hatten höflich dankend abgelehnt. Sie setzten sich an der nordwestlichen Ecke der Plattform nieder, die Beine behaglich über die Kante des Felsblocks hängend, der ihnen zum Sitz diente. Je lauter es um den Festmahlstein zuging, um so tiefer wurden die Schatten, die sich auf Thinkers Zügen lagerten.
»Seien Sie kein Rabenvater, Verehrtester«, rief ihm Webster zu, dem in der Hitze der Sekt rasch zu Kopf stieg und der auch in nüchternem Zustand seinen bescheidenen Gedankenvorrat nach Möglichkeit verwerten mußte. »Lassen Sie wenigstens ihr Junges trinken.«
Buchwald wollte auffahren, aber Thinker legte die Hand auf seine Schulter.
»Lassen sie das Geziefer schwatzen!« sagte er bitter. »Sie meinen es nicht böse. Aber es ist schmerzlich, einen herrlichen Abend in dieser Weise geschändet zu sehen.«
»Und nun zum Schluß!« rief Webster nach einer weiteren Viertelstunde des Lachens und Trinkens, das in einer Teebude bei Kew nicht fröhlicher und nicht schaler hätte sein können. Die beste Stimmung schien die Gesellschaft ergriffen zu haben und alle wünschten natürlich, zur ewigen Erinnerung an dieses klassische Mahl, ihre unvergänglichen Namen auf dem zehntausendjährigen Denkmal – man nahm es nicht mehr genau mit den Tausenden – des größten der Pharaonen eingegraben zu sehen.
»Damen voran!« erklärte Webster. »Miss Jemima Prudentia Switchley von Nummer 28 Fultonstraße New York U. S. Wer hat einen Bleistift?«
Darauf hatte das Dutzend Araber in der Südwestecke der Plattform schon längst gewartet. Es ist ein alter Brauch: der Reisende zeichnet seinen Namen möglichst auf den höchsten Stein, auf dem er Raum findet, die Beduinen schneiden ihn, zu zehn Paras den Buchstaben, in das merkwürdig weiche Material und der berühmte Afrikareisende ist verewigt. Der Gipfel ist gewöhnlich bedeckt mit den Namen dieser Berühmtheiten. Weder Thinker noch einer der andern Teilnehmer der Besteigung wußten, daß alle zwei bis drei Monate die klugen Kinder Sems sämtliche Steine voll berühmter Namen mit flüssigem Gips übergossen, um ihre lohnende Tätigkeit ohne räumliche Hindernisse fortsetzen zu können. Sonst hätte Thinker die Sache wohl weniger ernst genommen. Er trat höflich aber sehr entschlossen auf den kleinen Webster zu und sagte:
»Gestatten Sie, daß ich mich selbst vorstelle: der Reverend Dr. Joseph Thinker; Pyramidenvilla, Sydenham, London. Ich muß Sie dringend bitten, dieses Bauwerk, das mir verehrungswürdiger erscheint als ich auszusprechen vermag, nicht in der beabsichtigten Weise zu verunstalten.«
»Donnerwetter«, sagte Webster, »mein Name ist Webster. Harry Webster, dreiundachtzig Stella Lane, Bradford. Er ist so gut als ein anderer; ich schneide ihn ein, wo ich Platz finde. Und Miss Jemima Switchley klingt auch nicht schlecht. Die junge Dame wird Ihnen dies ohne Zweifel selbst deutlich machen.«
»Mit jungen Damen bespreche ich diese Dinge nicht«, versetzte Thinker fast unhöflich und setzte sich ohne weiteres auf das in zehn Zentimeter langen Buchstaben aufgezeichnete ›Jemima‹. Dabei konnte er den ehrenwerten Familiennamen der Switchley, sowie Fultonstraße bequem mit seinen Rockschößen decken.
»Verdammter Schwarzrock«, murmelte Webster in aufsteigendem Zorn, »kann ich Ihnen Jemima in die Beine schneiden lassen? Es ist freies Land hier oben. Sie haben die alten Steinblöcke nicht gepachtet. Gehen Sie weg – oder –«
Buchwald stand auf und stellte sich vor Thinker, der ruhig sitzen blieb. Der kleine Webster wurde rot wie ein Truthahn und ballte die Fäuste. Aber die Verhältnisse waren nicht günstig. Er hätte dem Maler unter dem erhobenen Arm durchspazieren können.
»Spiele nicht den Narren«, sagte sein stiller Gefährte leise. »Wenn der andere dich über die Kante drängt, liegst du dem alten Cheops näher, als dir lieb ist.«
Webster hatte sich in Boxerstellung geworfen und war fast bis an den Rand der Plattform zurückgetreten. An Mut fehlte es dem kleinen Mann offenbar nicht. Doch drehte er sich jetzt um, sah die fast unabsehbare Flucht der steilen Stufen hinunter und erbleichte.
»Ein andermal!« murmelte er, mit plötzlicher Ernüchterung. »All right, ein andermal, Mister –! Entschuldigen Sie mich. In Gegenwart von Damen boxe ich nicht. Das mag in Ihrem Vaterland Mode sein. Es ist nicht englisch – o nein! – es ist nicht englisch! Und ich will verdammt sein« – sein Zorn wuchs wieder – »wenn Sie mich daran kriegen, etwas zu tun, was ein englischer Gentleman nicht tut. Habe die Ehre!«
Harry Webster hob seinen Korkhelm, bot Jemima Switchley den Arm und führte sie an den Rand der Plattform, wie wenn er seine Dame aus einem Salon geleitete. Dort wurden beide ohne viele Zeremonien von ihren Beduinen ergriffen. Der Abstieg begann. Auf der dritten Stufe drehte sich der kleine Doktor noch einmal um, ohne den großen eines Blicks zu würdigen.
»Jem«, rief er seinem Freund zu, »ich bin ein wenig in Eile. Ich muß noch ins Innere des verflixten Gemäuers, denn ich habe meiner alten Tante ein Stück vom Sarkophag des Pharao versprochen und der Kuckuck soll mich holen, wenn ich mein Versprechen nicht halte. Es wird nicht überall ein Rabenvater sitzen, wo es gilt, Damen einen Dienst zu erweisen. Du gehst mit, hoffe ich; allein will ich in den Löchern nicht herumkriechen. Man muß sich hierzuland eine Leibgarde halten, wie die Hochwürden dort oben.«
Er verschwand hinter der nächsten Stufe und bald hörte man, schwächer und schwächer, aus der Tiefe das ferne Lachen und Plaudern der Absteigenden. –
Thinker saß noch immer auf dem Stein, die Ellbogen auf den Knien, das Gesicht in beiden Händen begraben, ein Bild der Verzweiflung. Buchwald legte die Hand auf seine Schulter.
»Sehen Sie um sich, lieber Freund!« sagte er tröstend; »das Geschmeiß ist verschwunden.«
»Wie ist es nur möglich, daß mein eigenes Vaterland solche Menschen hervorbringt?« fragte er, mit einem vorwurfsvollen Blick gegen den Himmel.
»Es waren Amerikaner dabei«, tröstete Buchwald, »und leider Gottes auch ein Deutscher. Die zwei Franzosen, die zur Gesellschaft gehörten, kamen nicht bis herauf. Sie sind ohne Zweifel nicht besser.«
»Alles eine Rotte Korah!« stöhnte Thinker. »Und nun kriecht das kleine Scheusal in die Königskammer; in das Allerheiligste, das wir auf dieser Erde kennen und klopft mit seinen unseligen Fingern an der heiligen Truhe herum. Gott sei Dank, daß der Granit, der das große Rätsel verewigt, härter ist, als die schwächliche Hand des Bösen! Er wußte, was er tat, der große Baumeister, als er das härteste Gestein aus Syene herbeischleppte, um es im Innersten seiner Pyramide zu bergen. O diese Kainsbrut!«
Die Sonne berührte jetzt den Horizont: eine rote Kugel in goldflimmerndem Dunste, der die ganze westliche Wüste in ein Feuermeer verwandelte. Im Osten gegen den dunklen Abendhimmel, auf dem sich der kreisförmige Schatten der Erdkugel deutlich abzeichnete, standen blutrot der Mokattam und die Berge von Tura. Zwei riesige, dunkelblaue Dreiecke, die scharfen Schatten der Pyramiden, erstreckten sich quer über das Niltal, als wollten sie es erdrücken. Es war ein fast unheimliches Bild in seiner Pracht und stummen Größe. Nur dort unten, gen Kafr, sah man ein paar bunte Fleckchen sich ameisenartig gegen den Nil hin bewegen; die Karawane der Reisenden, die Thinker aus der Fassung gebracht hatte.
»Gott sei Dank!« seufzte er auf. »Der Mensch war nicht im Innern. Er konnte den Frevel in so kurzer Zeit nicht begehen. Aber andere werden kommen und werden sich Zeit nehmen; und was sie mit Hämmern und Meißeln nicht zuwege bringen, vermag das Pulver. Natürlich; sie wissen nicht, was sie tun. Es ist Satan, der die Torheit der Menschen benützt, um das Ewige zu vernichten.«
Nach einer langen Pause erhob er sich, sah in die untergehende Sonne und sagte mit strahlenden Blicken:
»Es war nicht umsonst, was wir sahen. Nun weiß ich, was meine Aufgabe in diesem Lande ist. Andere sind geschickter als ich, zu forschen und zu enträtseln; ich fühle das längst. Ich werde mich bescheiden, nachzuprüfen, was diese Männer in dem heiligen Gestein lesen. Meine Aufgabe ist, es zu retten vor der Torheit und Bosheit der Menschen. Wie ich dies angreife, weiß ich noch nicht, aber bei diesem letzten Sonnenstrahl, der alles um uns her vergoldet, wie er es seit Tausenden von Jahren täglich getan hat: ich werde es tun. Mit meinen eigenen Händen werde ich das Heiligtum schützen und diesen Greueln ein Ende machen!«
Die Sonne war untergegangen. Rasch und schweigend kletterten die beiden Einsiedler in der bleichen Abenddämmerung zur Erde herab, Thinker sichtlich in hundert Plänen vertieft, Buchwald in fast unheimlichem Erstaunen: wo es mit seinem wunderlichen Freund noch hinauswolle. Das Schlimmste war: Er fühlte, wie sie auch ihn gefangennahm, diese Pyramide, mit ihrer stillen, erdrückenden Wucht. Jetzt waren sie unten und da stand sie, beredt und schweigend, wie immer, ob die Menschen um sie her sie anbeteten oder in Stücke zu schlagen suchten, ob sie Weisheit in ihr sahen, oder über sie verrückt wurden. Eine fast sichtbare, eine unheimlich fühlbare Kraft lag in der unzerstörbaren Ruhe ihres Daseins. Buchwald schüttelte sich; es half nichts. Er folgte Thinker, der mit großen Schritten und gesenkten Hauptes der Gräberwohnung zuschritt.