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Auseinandersetzung mit dem Zweifel.

Die bisherigen Erörterungen haben das Geistesleben bei sich selbst zu befestigen und es im eignen Bereich den Hemmungen überlegen zu zeigen versucht, aber sie haben seine Stellung zum Ganzen der Welt unserer Erfahrung noch nicht in Erwägung gezogen; diese aber ist es, von der aus starke Zweifel gegen die behauptete Stellung des Geisteslebens und zugleich gegen die darauf gegründete Überzeugung von einem Sinn des Lebens erwachsen. – Von Alters her hat den Menschen die Wahrnehmung beschäftigt, aufgeregt und oft zur Verzweiflung getrieben, daß dasjenige, was er als das Höchste schätzt und was von ihm unsäglich viel Arbeit und Opfer verlangt, im Ganzen der Welt durchaus ohnmächtig scheint: die Natur geht gleichgültig über die Zwecke des Geistes hinweg, und das Schicksal macht keinen Unterschied zwischen gut und böse, weder eine Ordnung der Gerechtigkeit noch ein Reich der Liebe wird uns ersichtlich; selbst im Kreise des Menschen gelangt das Geistesleben nicht zu fester Stellung und sicherer Herrschaft, sondern es bildet hier eine bloße Nebenerscheinung, ja ein bloßes Werkzeug für die Interessen der Individuen wie der Parteien und erfährt damit die schmählichste Verkehrung, endlich aber zeigt die Erfahrung der Menschheit das Geistesleben in arger Zersplitterung, ja bitterer Verfeindung bei sich selbst und dadurch in seiner Gesamtwirkung gelähmt, – alle diese Eindrücke lassen es als ein bloßes Nebenerzeugnis des Weltprozesses erscheinen; kann ein solches unser Leben beherrschen und ihm einen Sinn gewähren?

Können wir diese Eindrücke leugnen oder sie als belanglos beiseite schieben? Wir können es nicht, sie müssen in dem dargelegten Gedankenzusammenhange nur noch schwerer in die Wagschale fallen. Denn erkennen wir im Geistesleben eine Weltbewegung, und sehen wir diese der Wirklichkeit eine Tiefe geben und sie allererst zu einem Beisichselbstsein führen, so wäre zu erwarten und zu verlangen, daß solche Weltbewegung sich allem anderen überlegen zeigte und alles andere sich dienstbar machte, es wäre zu erwarten, daß sie selbst in sicherem Zuge vordränge, spielend allen Widerstand der Dinge und der Menschen bräche, bei sich selbst aber alle Mannigfaltigkeit fest zusammenhielte und zu einem gemeinsamen Ziele lenkte. So ist durch die von uns vertretene Wendung das Rätsel noch gesteigert, das Dunkel noch vertieft, in keiner Weise eine Lösung erbracht.

Aber es fragt sich, was aus solcher Tatsache folgt. Erschütternd und zerstörend wirken könnte sie nur, wenn sie uns zur Preisgebung dessen zwänge, was sich aus dem bisherigen Verlauf der Untersuchung für das Geistesleben ergab, also auch zur Zurücknahme der Überzeugung, in ihm die Tiefe der Wirklichkeit zu finden; das aber kann sie nicht. Sie könnte es nur, wenn das Ergehen des Geisteslebens in der Welt der menschlichen Erfahrung über sein letztes Wesen und Sein entschiede, wenn wir jenen Welteindrücken keine ursprüngliche und keine vollgewachsene Tatsächlichkeit entgegenzusetzen hätten, und wenn die Sicherheit dessen, was wir bei uns selbst erleben, an dem hinge, was die uns umgebende Welt uns gewahren läßt. Erfassen wir uns selbst nur von der Welt her und haben wir uns nur so hoch einzuschätzen als sie uns bestätigt, so ist der Zweifel unüberwindlich, und es müssen jene Eindrücke zu innerer Zerstörung des Lebens führen. Aber das ist der leitende Gedanke dieser Untersuchung, und das entspricht auch dem tiefsten Zuge der Neuzeit, ja der gesamten Kulturbewegung, daß der Aufbau des Lebens nicht von außen nach innen, sondern von innen nach außen geht, und daß die ursprünglichsten, die beherrschenden und maßgebenden Tatsachen uns nicht von der Weltumgebung her zugehen, sondern im Lebensprozesse selbst, in dem, was er bei sich selbst erzeugt und erfährt, geboten werden. Ein begründender Lebensprozeß geht aller besonderen Erfahrung voran und hat sie dauernd zu tragen, selbst die Scheidung in Subjekt und Welt entwickelt sich innerhalb seiner, nur sein Vermögen faßt die zerstreuten Eindrücke des unmittelbaren Daseins zu einer Welt zusammen und stellt sie als ein Reich der Gegenstände der Zuständlichkeit des Subjekts entgegen.

Nun hat uns eine nähere Betrachtung und Ergründung des Lebensprozesses gezeigt, daß er in sich eine eigentümliche Bewegung trägt, die ein wesentlich neues Leben gegenüber dem durch das Nebeneinander des natürlichen Daseins beherrschten einführt; es wurden dabei nicht bloß einzelne Erscheinungen ersichtlich, sondern es erschien eine durchgehende Hauptlichtung in aller Mannigfaltigkeit, und es schloß sich diese Mannigfaltigkeit zu einem eigentümlichen Ganzen zusammen, es wurden nicht bloße Ansichten und Deutungen, Bilder und Schatten eines draußen befindlichen Tatbestandes geboten, sondern die Tatsächlichkeit lag in dem Aufbau des Lebens selbst, sie fand sich in ihm und erhielt zugleich eine unangreifbare Gewißheit; das Leben hing hier nicht am Erkennen, sondern das Erkennen gewann eine eigentümliche Gestalt erst aus der Synthese und dem dadurch gewonnenen Charakter des Lebens. Diese Grundtatsache, die Tatsache des Aufsteigens eines selbständigen Geisteslebens in uns, heben auch die schwersten Widerstände der Weltumgebung nicht auf; sie mögen zeigen, daß der Weltstand den Forderungen des Geisteslebens nicht entspricht, und uns damit von diesem Weltstande und auch vom Stande des Menschen wenig günstig zu denken zwingen, sie mögen uns auch vor neue Aufgaben stellen, aber nun und nimmer können sie uns jene Grundtatsache auch nur im mindesten zweifelhaft machen, sie werden uns dieselbe eher noch befestigen, indem ihr Widerspruch sie deutlicher abgrenzt und klarer hervortreten läßt. Aber so entschieden wir solche unangreifbare Sicherheit der Grundtatsache als allgemeingültig verfechten, so wenig wir sie zu einer Sache subjektiven Geschmackes herabsinken lassen, für den Einzelnen wie für ganze Zeiten gewinnt sie eine Überzeugungskraft nur mit der kräftigen Entfaltung und der vollen Bewußtheit eines geistigen Lebensgehaltes; wo es daran fehlt, wo das Leben sich innerlich spaltet und den Eindrücken der Welt keine ursprüngliche Kraft entgegenzusetzen hat, da gewinnen diese allerdings die Oberhand, da werden Zweifel und Unglaube unwiderleglich, 'da kann das Leben keinen Sinn mehr behaupten.

So zeigt auch die Erfahrung der Geschichte, daß die Wirkung der Weltumgebung auf das Ganze der Überzeugung sich wesentlich nach dem bemaß, was das Geistesleben ihr an innerem Halt und an sicherer Richtung entgegenzusetzen hatte. So war z.B. den alten Christen das Dunkel der Weltverhältnisse in vollstem Maße gegenwärtig; wenn es sie nicht in der Festigkeit ihres Glaubens zu erschüttern vermochte, so geschah das, weil ihr Leben von einer inneren Notwendigkeit beherrscht war, die sie allen Verwicklungen nach draußen hin weit überlegen machte. Umgekehrt waren oft Zeiten voll glänzender Leistung und staunenswerter Kraftentfaltung dem Zweifel nicht gewachsen, weil ihr Leben sich nicht in ein Ganzes zu fassen und dabei zu einer ursprünglichen Tiefe vorzudringen vermochte. So ist es nicht eine reflektierende Überlegung, sondern es ist die Gestaltung des Lebens selbst, woran die Überwindung des Zweifels hängt; nur die Schwäche und Leere des Lebens gibt ihm Macht über unsre Seele. Auch heute kann nur eine innere Kräftigung des Lebens über den Zweifel hinausführen.

Aber wenn wir uns so den feindlichen Eindrücken der Weltumgebung in keinerlei Weise beugen, wir können sie nicht einfach beiseite stellen und unberührt durch sie unseren Weg verfolgen. Denn das geistige Leben, wie es hier verstanden und verfochten wird, ist nicht ein Sondergebiet, in das wir uns, der Wirren und Mühen satt, zurückziehen und abschließen könnten, sondern es macht seinem Wesen nach auf das Ganze der Wirklichkeit Anspruch, es muß bei sich selbst verlieren, es muß ins Enge und Bloßsubjektive sinken, wenn es jenen Anspruch aufgibt und den Kampf mit den Widerständen einstellt. Beharrt es aber im Anspruch und Kampf, so wird sich durch jene Erfahrung ihm der Anblick des Lebens und die Gestaltung seiner Aufgabe erheblich verändern. Wenn unsere Welt nicht als ein Schauplatz gelten kann, auf dem die Vernunft zu einem Siege gelangt, wenn aber zugleich auf einem vollen und reinen Sieg der Vernunft aus innerer Notwendigkeit bestanden werden muß, so kann unsere Welt nicht das Ganze der Wirklichkeit bilden, sie kann nur ein besonderer Ausschnitt sein, eine Stätte, wo sich wohl für die Vernunft kämpfen, nicht aber ihr Sieg herbeiführen läßt. Wo immer solche Überzeugung von der Besonderheit und von der Unfertigkeit unserer menschlichen Welt sich befestigt, da wird das Urteil über den letzten Wert der Erlebnisse behutsamer ausfallen müssen, als es gewöhnlich ausfällt. Ist unser ganzes menschliches Dasein nur ein Stück einer weiteren Ordnung, so läßt sich in ihm keine volle Aufklärung erwarten, so bleibt die Möglichkeit offen, daß manches, was uns als sinnlos erscheint, in weiteren Zusammenhängen doch einen Sinn gewinnt. Erfahren wir doch innerhalb des Lebens selbst oft genug, daß etwas, was zunächst eitel Hemmung und Nachteil schien, sich im weiteren Verlauf als eine Förderung erwies. Die kecke Verneinung des Lebens kommt oft von dem falschen Maßstabe, der bei der Beurteilung angelegt wird. Man verlangt vom Leben Glück und versteht unter Glück vornehmlich Gelingen und Behagen; das führt leicht zu einer völligen Verwerfung. Aber wenn jenes Glück nicht das höchste Ziel wäre, wenn es auch bei vollkommenster Gestaltung als unzulänglich befunden würde, wenn vielmehr für uns ein inneres Festwerden und Vordringen des Lebens, eine Selbstvertiefung die Hauptsache wäre, dann möchte auch die Beurteilung der Erlebnisse eine andere werden, dann könnte auch das einen Wert gewinnen, was zunächst nur als aussichtsloser Kampf und als niederdrückendes Leid erscheint.

Jedoch bloße Möglichkeiten führen in den ungeheuren Wirren des Lebens nicht weit; sie selbst können eine Macht nur durch eine Wirklichkeit erlangen, welche hinter ihnen steht und ihnen Leben einflößt. Das aber könnte nur geschehen, wenn Kampf und Leid keine bloße Abwehr bedeuteten, sondern auch eine positive Förderung brächten; sehen wir also, ob und in welcher Weise das geschieht. Daß der Widerstand der Welt oft eine unüberwindliche Starrheit zeigt, daß auch im menschlichen Kreise alles Gewonnene gefährdet bleibt und sich hier leicht die vermeintliche Vernunft in Unvernunft verkehrt, daß wir also nach dieser Richtung hin stets eines Erfolges unsicher sind, das ist nicht wohl zu leugnen. In keiner andern Weise kann unser Wirken und überhaupt die Lebensbewegung einen Sinn erlangen, als wenn darin eine innere Fortbildung des Lebens erfolgt, wenn es selbst in den Erfahrungen und Kämpfen gewinnt, ja einer neuen Stufe zugeführt wird. Auf einer solchen inneren Erhöhung wird namentlich da zu bestehen sein, wo das menschliche Geistesleben beim Menschen nicht als im wesentlichen fertig und als seiner Hauptrichtung völlig sicher gilt, sondern eben an dieser Stelle schwere Probleme erkannt werden, die ohne die Möglichkeit einer Weiterbildung des Lebens schlechterdings unangreifbar sind. Deutlich scheiden sich hier zwei Lebenstypen, welche ihrer geschichtlichen Beziehung nach der griechische und der christliche heißen mögen. Dort erscheint das Geistige als sicher im Menschen gegründet und greifbar vorhanden, als eine Art von höherer Natur; das Leben kann dann keine andere Aufgabe haben als die, diesen göttlichen Teil im Menschen kräftig herauszuheben, ihn gegen alle Angriffe zu behaupten, ihn mit voller Klarheit zur Darstellung zu bringen. Es entfällt damit alle innere Bewegung des Lebens und zugleich die Möglichkeit einer wahrhaftigen Geschichte, auch hat jene Selbstdarstellung für die Dauer dem Leben keinen genügenden Inhalt geboten. Der christliche Lebenstypus, der weit über die kirchlichen Formulierungen hinausreicht, stellt die inneren Probleme des Lebens, stellt namentlich die moralische Verwicklung voran; die Bewegung des Lebens gewinnt ihm dadurch einen Wert, daß in ihm die Geisteswelt dem Menschen einen gesteigerten Inhalt offenbart, seine Kraft dafür aufruft, ihn durch Mitteilung einer neuen Lebenstiefe über jene Verwicklung hinausführt. Das ergibt eine innere Geschichte des Einzelnen nicht nur, sondern der gesamten Menschheit, das gibt dem Leben allererst ein Ziel und eine Spannung bei sich selbst. Zugleich aber ergibt sich hier ein anderes Verhältnis zu Hemmung und Leid. Sie gelten nun nicht mehr als etwas, das schlechterdings abzuwehren und möglichst fernzuhalten sei, sondern sie werden hier innerlich vom Leben umspannt und können, sofern es weitere Tiefen enthält, zu deren Herausbildung wirken.

Daß nun freilich solche Tiefen vorhanden sind, und daß sie auch dem Menschen sich eröffnen, das ist keineswegs selbstverständlich, sondern das bedarf einer Erweisung durch die eigene Erfahrung des Lebens. Sie hat aber solchen Erweis durch weltgeschichtliche Leistung, die vom Ganzen des gemeinsamen Lebens bis in die Seele des Einzelnen reicht, in Wahrheit erbracht. So zeigt die Religion, so zeigt die Ethik, so zeigt die Gesamtart des Lebens die Entfaltung einer überwindenden Geistigkeit im Unterschied von einer grundlegenden sowohl als einer kämpfenden. Die Religion wird von vornherein zum Grundbestande eines Lebens gehören, das eine selbständige Geistigkeit und ihr Innewohnen im Menschen anerkennt; alle Entwicklung solcher Geistigkeit muß letzthin aus der Kraft des Ganzen fließen und an seiner Unendlichkeit teilhaben. Aber es entsteht bei uns Religion auch in weiter verstärktem Sinne, Religion, welche nicht nur das Ganze in der Lebensarbeit gegenwärtig hält, sondern es auch in direkter Wendung zu ihm im Gegensatz zu jener Arbeit erfaßt und dadurch neue Tiefen des Lebens gewinnt. So erst entstand Religion im charakteristischen Sinne mit der vollen Weltüberlegenheit und der dadurch erschlossenen reinen Innerlichkeit, mit der Belebung eines Absoluten im Menschen gegenüber aller sonstigen Bedingtheit seines Daseins. Diese Lebensstufe ist immer nur annähernd zum Ausdruck zu bringen, und es wird das eher noch der Kunst als der Wissenschaft gelingen, aber daß sich hier neue Inhalte des Lebens, allem Vermögen des bloßen Subjekts überlegene Inhalte erschließen, darüber kann nicht wohl ein Zweifel sein.

Nicht anders steht es mit der Moral, auch bei ihr vollzieht sich jenseit aller Willkür der Individuen eine innere Abstufung des Lebens. Die Moral ist von vornherein kein abgesondertes Gebiet, sondern sie erstreckt sich auf die ganze Weite des Lebens. Denn überall kommt es darauf an, die selbständige Geistigkeit als eigenes Leben zu ergreifen, in ihr den eignen Schwerpunkt zu finden, so geht durch das ganze Leben bis in alle Verzweigung hinein ein schroffes Entweder – Oder. Aber nun kommen die Verwicklungen des Lebens und stellen nicht nur allen Erfolg nach außen in Frage, sondern machen uns auch im Innern unsicher; ein Stocken des Lebens ist nicht zu vermeiden, wenn das Handeln nicht in der Seele selbst eine Aufgabe finden und eine Kräftigung vollziehen kann, wenn es keine Aufrechterhaltung und Befestigung der Gesamtbewegung auch gegenüber den Verwicklungen jener Weltarbeit gibt. Erst mit jener gewinnt ein gesichertes Recht und einen festen Grund die Schätzung des Selbstwerts der reinen Gesinnung, auf die sich nicht wohl verzichten läßt. Denn so erst wird die Gesinnung mehr als ein bloß passives Verhalten oder ein bloßes Bereitsein zum Werke, so kann sie volle Handlung, ja die Seele alles Handelns werden, indem hier das Ganze des Geisteslebens gegenüber einem andersartigen oder doch unzulänglichen Weltstande aufrecht gehalten wird. Erst mit solcher Wendung gewinnt die Moral die reine Innerlichkeit, die überlegene Hoheit, die Unabhängigkeit von allem äußern Erfolg, welche ihr im Ganzen des Lebens eine einzigartige Stellung gewähren.

So entsteht durch den Kampf hindurch und mit dem Gewinn einer überwindenden Geistigkeit eine wesentliche Vertiefung des gesamten Geisteslebens. Erst mit dieser Vertiefung kann es unter menschlichen Verhältnissen seine volle Ursprünglichkeit und Selbständigkeit wahren. Damit gewinnen auch Hemmung und Leid ein anderes Ansehen. Nur sei die Sache nicht so verstanden – leider wird sie oft so verstanden –, als ob jene durch ihr bloßes Dasein den Menschen zu fördern vermöchten, als ob das Leid ihn ohne viel Mühe seinerseits weiterführte. Denn das tut es keineswegs, vielmehr liegt aller Gewinn an der Tätigkeit, welche es anregt, nur sie kann das Leben auf einen neuen Stand erheben. Die sentimentale Anpreisung des Leides als bloßen Leides ist nicht selten eine Hemmung des Lebens geworden.

Auch darf sich die überwindende Geistigkeit nicht von der grundlegenden und kämpfenden ablösen und ihnen gegenüber festlegen. Bei Preisgebung des Zusammenhanges kann sie leicht die Kraft der Gestaltung verlieren und zu bloß subjektiver Stimmung sinken. Innerhalb des Zusammenhanges aber ist die überwindende Geistigkeit unentbehrlich, um dem Geistesleben die Selbständigkeit und Selbstgenügsamkeit voll zu sichern, ohne die es sich nicht zu behaupten vermag. Die innere Bewegung des Geisteslebens selbst, nicht des bloßen Menschen, gibt die sicherste Gewähr dafür, daß die Arbeit des Lebens nicht ins Leere verrinnt.

Wie solche Überzeugungen auf das Ganze des Weltbildes wirken müssen, das läßt sich hier nicht erörtern, wohl aber sei einer Forderung gedacht, die daraus für die Gestaltung des menschlichen Zusammenseins erwächst. Das Zusammensein des Menschen gewinnt eine eigentümliche Art nur durch unser geistiges Vermögen; ohne seine Entwicklung gibt es kein Staats- und Gesellschaftsleben im unterscheidend menschlichen Sinne. Jenes Leben aber kann niemanden ausschließen und muß mit den allgemeinen Bedingungen unserer Lage rechnen, es hat die Menschen zu nehmen wie sie sind, ein weites Entgegenkommen gegen den Stand der Erfahrung ist hier nicht zu vermeiden, über ein Gemenge von Vernunft und Notwendigkeit laßt sich hier nicht hinauskommen, im besondern wird sich hier Echtgeistiges und Bloßmenschliches aufs engste verquicken. Wo also auf einer Selbständigkeit des Geisteslebens und auf einer Überlegenheit gegen das bloßmenschliche Dasein bestanden wird, da wird eine besondere Art der Gemeinschaft verlangt werden müssen, welche, von der Notwendigkeit des Lebens befreit, sich die Vertretung und die Pflege der selbständigen Geistigkeit zur Aufgabe macht; eine solche hätte die ewigen Ziele gegenüber den Strömungen der Zeit, das Wahre und innerlich Notwendige gegenüber der bloßen Zweckmäßigkeit, die geistigen Inhalte gegenüber den menschlichen Interessen zu vertreten, sie hätte überhaupt ein Reich der selbständigen Geistigkeit so gut es möglich der Menschheit gegenwärtig zu halten, die ihm innewohnenden Wertschätzungen zu verfechten, eine ihm entsprechende geistige Atmosphäre zu bilden. Ohne durch ein Zusammenwirken der Menschen zu einer solchen Verkörperung zu gelangen, sinkt, ja zerfällt schließlich die Selbständigkeit des geistigen Lebens, und es bleibt nur jenes Gemisch von Menschlichem und Geistigem, was, als Ganzes und Letztes behandelt, das Leben tief herabsetzen muß und es alles Sinnes beraubt.

Das Unbefriedigtsein der Gegenwart bei so vielen glänzenden Erfolgen wird sicherlich zum Teil durch das Entschwinden oder doch die Schwächung einer Gemeinschaft der selbständigen Geistigkeit bewirkt. Die Menschheit besaß eine solche Gemeinschaft in den christlichen Kirchen, aber so wie sie vorliegen, entsprechen sie nicht den Forderungen der wesentlich veränderten geistigen Lage. Zunächst befriedigt jede der Hauptgestaltungen schon auf dem eigenen Boden der Religion nicht mehr. Der Katholizismus hat sich bei einer früheren geschichtlichen Stufe, dem Mittelalter, starr festgelegt, er wird zu einem immer härteren Druck und muß sich notwendig immer weiter verengen, zugleich aber zu einer Verknöcherung des Lebens wirken. Der Protestantismus hat den unschätzbaren Vorzug der Freiheit und der Begründung des Lebens auf die Persönlichkeit, aber er ist viel zu wenig um ein Ganzes des geistigen Lebens, um die Gestaltung einer geistigen Welt bemüht und befindet sich daher in großer Gefahr, zu einer bloßsubjektiven Erregung der Individuen zu sinken, die vor Flachheit und Leere nicht schützt. Weiter aber ist zu erwägen, daß die Menschheit nach der Erweiterung des Lebens gegen das Mittelalter jene überlegene Gemeinschaft nicht mehr ausschließlich auf die Religion zu gründen vermag. Denn mag die Religion den innersten Quellpunkt des Lebens bilden, sie tut das nur innerhalb eines Ganzen selbständiger und wesenhafter Geistigkeit, diese Geistigkeit muß die Grundlage jener Gemeinschaft sein, so ist nach einer derartigen Erweiterung und inneren Umwandlung der bestehenden Kirchen zu streben als einer Grundbedingung für den Wiedergewinn eines Sinnes des Lebens.

Freilich ist das eine schwere und weitaussehende Sache, sie kann nicht gelingen, ohne daß zuvor andere Aufgaben gelöst sind, ohne daß im besondern die beherrschenden Grundzüge des Geisteslebens aus dem jetzigen Chaos kräftig herausgearbeitet und der Menschheit deutlich zum Bewußtsein gebracht sind. Aber welche Schwierigkeiten auf dem Wege liegen, das ist eine Frage für sich; jedenfalls winkt hier ein hohes Ziel; je mehr wir uns ihm näherten, und je mehr Anschaulichkeit damit eine selbständige Geisteswelt erhielte, desto mehr würden wir auch der Hemmung und dem Leid entgegenzusetzen haben, desto weniger würden sie unserem Leben einen Sinn zu rauben vermögen.


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