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Das Wachstum der Freiheit und Selbsttätigkeit.

Zu einem Sinn des Lebens gehört notwendig der Besitz der Freiheit und eine Verwandlung der bloßen Tätigkeit in Selbsttätigkeit, das Vordringen zu einem Selbstleben. Denn ohne das kann es nicht voll unser eigen werden, es würde etwas durch Natur oder Schicksal Zugewiesenes bleiben, das lediglich an uns, nicht durch uns geschähe; ein derartiges halbfremdes Geschehen, eine derartige auferlegte Rolle müßte uns innerlich gleichgültig bleiben, und unser Leben wäre mit einem lähmenden Widerspruche behaftet, wenn dies Gleichgültige unsere ganze Kraft gewinnen und uns zur Sache eigner Verantwortung werden sollte.

Aber die Freiheit in dem Sinne, wie sie uns hier beschäftigt, findet beim Menschen der Gegenwart wenig Liebe. Von allen Seiten berichtet man uns, das alte Problem sei jetzt endgültig gelöst und der Mensch sei ganz und gar als ein Stück eines Weltmechanismus erwiesen, nur eine unpräzise Denkart könne in dessen Getriebe Lücken finden, durch welche die Freiheit einschleichen könne. So ein unbedenklicher Verzicht auf alle Freiheit; daß zugleich das Leben alles Beisichselbstsein und damit die Möglichkeit irgendwelches Sinnes verliert, wird kaum beachtet oder doch nicht in seiner zerstörenden Wirkung gewürdigt.

Da uns das Bestehen auf einem Sinn des Lebens einen so laschen und leichten Verzicht verbietet, so müssen wir fragen, ob die hier gebotene Fassung des Geisteslebens das Problem der Freiheit in eine günstigere Lage bringt. Sie tut das nach unserer Überzeugung in Wahrheit, sie tut es sowohl durch eine neue Art der Begründung der Wahrheit als durch den eigentümlichen Inhalt der Wirklichkeit, den sie eröffnet.

Die Sache der Freiheit erscheint namentlich deshalb als verzweifelt und verloren, weil man sich in wissenschaftlicher Arbeit ein Weltbild, ein Schema der Wirklichkeit entworfen hat, worin die Freiheit nicht paßt; namentlich ist es die mechanisch-kausale Fassung der Natur, welche auf das menschliche Leben und das Innere der Seele übertragen wird; daß sie für Freiheit und Selbsttätigkeit keinen Raum gewährt, das kann allerdings nicht zweifelhaft sein. Aber ob jene Übertragung mit Recht erfolgt, das läßt sich gar wohl bezweifeln.

In Wahrheit darf der Lebensprozeß nicht auf dem Umwege über die Welt seine Deutung suchen, sondern die Entscheidung liegt bei dem, was er durch seine eigne Entwicklung aufweist und fordert. Sollte er, wenigstens auf seiner Höhe, eine Ursprünglichkeit und eine Verwandlung in Selbsttätigkeit zeigen, so wäre das als eine Tatsache fundamentaler Art anzuerkennen, erst an zweiter Stelle käme dann die Frage in Betracht, wie sich das mit jener Verkettung der Dinge auseinandersetzen mag. Nun und nimmer dürfen primäre Tatsachen sekundären, dürfen den Ansprüchen einer besonderen Theorie Selbsterfahrungen des Lebens aufgeopfert werden. Ob das unser Bild der Wirklichkeit minder glatt und einfach gestaltet, braucht uns wenig Sorge zu machen, oder ist es so sicher, daß die Welt gerade so beschaffen sein muß, wie sie sich für unsere menschlichen Begriffe am bequemsten zurechtlegt? Das aber läßt sich nicht wohl bezweifeln, daß wer die Welt ganz und gar in eine Verkettung gegebener Elemente verwandelt und ihr damit alle Ursprünglichkeit nimmt, ihr zugleich alles Beisichselbstsein, alles innere Leben raubt.

Was den Inhalt des Lebens betrifft, so bildet bei Anerkennung einer selbständigen Geistigkeit als des Grundes der Wirklichkeit diesen Grund nicht mehr ein starres Sein, das unnahbar hinter aller Betätigung liegt, sondern ein bei sich selbst befindliches und sich selbstentfaltendes Leben; an einem solchen Leben läßt sich ein Anteil gewinnen und, soweit das gelingt, auch unser Leben in Selbsttätigkeit und Freiheit stellen. Nun ist das geistige Leben nicht als ein selbständiges anzuerkennen, ohne daß es dem Menschen, wie er ist und lebt, weit ferner rückt und ihm zur schweren Aufgabe wird; aber zugleich wächst auch unsere Anspannung und Leistung jenem gegenüber, zugleich wird klar, daß in aller echtgeistigen Betätigung eine Anerkennung und Aneignung der Geisteswelt, damit aber auch eine Entscheidung steckt. Diese Entscheidung ist kein Werk des bloßen Augenblicks und der bewußten Überlegung, und sie geht vor allen einzelnen Punkten auf das Ganze jener Welt, als solche aber durchdringt sie das ganze Leben; was immer an echter Geistigkeit bei uns aufkommt, das trägt jene Anerkennung, Aneignung und damit Entscheidung in sich; durch nichts wird diese mehr erwiesen als durch den harten Kampf, den durch den Gesamtverlauf der Geschichte der Mensch um die Aufrechterhaltung und die Durchbildung des Geisteslebens führen muß und führt, auch in die Seele des Einzelnen reicht er hinein. Überall erscheint ein deutlicher Unterschied zwischen einer Geistigkeit, die uns nur nebensächlich anhaftet, und einer solchen, die vollauf unser eignes Leben wird. Dieses werden aber kann sie nur durch unsre eigne Tat und Entscheidung, durch unsre Einssetzung mit dem Geistesleben, durch eine Hineinlegung des ganzen Affekts unserer Selbsterhaltung in jenes Leben.

Eine solche Aneignung des Geisteslebens, ein Persönlichwerden dieses Lebens, wie es heißen könnte, gibt ihm erst die volle Ursprünglichkeit und Selbstgewißheit; eine solche aber verlangt jedes große Schaffen vordringender und umwälzender Art; eine geistige Betätigung instinktmäßiger, gebundener und abgegrenzter Art, wie der Durchschnitt der Erfahrung sie gewöhnlich bietet, genügt dafür nicht. Jene Ursprünglichkeit läßt sich nicht in einem Augenblicke für die anderen gewinnen und für die Folge der Zeit aufspeichern, sondern sie ist immer von neuem, und doch in einem Zusammenhange, durch den ganzen Lauf des Lebens zu erringen, sie erhebt das Leben über eine bloße Folge von Augenblicken. Denn in dem Gebiete des Geisteslebens wirkt nicht wie in dem der Natur, was einmal ist, unablässig fort, bis es von außen her Veränderungen erfährt, sondern es sinkt alsbald, sobald die Seele des Menschen von der Sache weicht und sie nicht unablässig erneuert, auch bei äußerem Fortbestehen wird es dann zu mechanischer Gewöhnung, zu Halbheit und Schein. So tragt alle echte Geistigkeit in sich eine Tat, eine Tat des ganzen Lebens; das Leben ist hier nicht ein bloßes Ablaufen eines Fadens, sondern ein immer neues Einsetzen und fortdauerndes Schaffen.

Das erst läßt die Lebensbewegung der Menschheit wie auch des Einzelnen in rechter Weise verstehen. Sie ist nicht eine bloße Evolution in dem Sinne, daß das Spätere in sicherer Folge und mit zwingender Notwendigkeit aus dem Früheren hervorwüchse, sondern was die Vergangenheit errang und was sie an die Gegenwart bringt, das ist, geistig angesehen, für diese nicht mehr als eine Möglichkeit, die immer erst einer eignen Entscheidung und Ergreifung harrt. Ohne das gäbe es keine wahrhaftige Gegenwart.

Weiter aber erscheint ein freies Aufsichnehmen des Geisteslebens und ein inneres Einswerden des Menschen mit ihm namentlich in der Tatsache, daß sich in unserem Kreise seine Durchbildung erst durch die eigne Arbeit des Menschen vollzieht; nichts läßt ihn mit jenem Leben enger zusammenwachsen und in ihm mehr sein Selbst finden als die Mühen und Sorgen, die Schmerzen und Opfer, die jene Arbeit verlangt. So gewiß sie in einem überlegenen Geistesleben begründet sein muß, die nähere Gestaltung muß der Mensch erst erringen, sein Streben baut sich nicht wie eine Pyramide auf einer gegebenen Grundlage in gewiesener Richtung und unter ruhigem Fortgang auf, sondern die Zweifel greifen immer wieder in die Grundlage zurück und machen auch die Hauptrichtung unsicher, eines geistigen Charakters seines Lebens muß der Mensch sich immer von neuem vergewissern. Die Lage der Gegenwart stellt uns das besonders deutlich vor Augen.

Ähnliches gilt für das Leben des Einzelnen. Nur der Naturalismus kann die Individualität als eine gegebene und geschlossene Größe behandeln, die nur nach außen hin zu tun hat; in Wahrheit ist die Erringung einer geistigen Individualität ein hohes Ziel, das viel Arbeit, gewöhnlich auch viel Umwandlung und Ausscheidung verlangt; das Aufsichnehmen dieser Arbeit ist nicht möglich ohne ein Anerkennen und volles Aneignen der eignen Art, es liegt darin eine Entscheidung für sich selbst, eine Selbstbejahung, eine umfassende Tat.

Das alles tritt im äußeren Anblick des Lebens sehr zurück, aber innerlich ist es vorhanden und wirksam; was aber nach dieser Richtung wirkt, das findet eine energische Zusammenfassung und Verstärkung mit der Anerkennung der Selbständigkeit des Geisteslebens. Damit eröffnet sich für die ganze Weite des Lebens ein großer Gegensatz, verschiedene Stufen des Alls stellen im Menschen sich dar, es gilt eine Verlegung des Schwerpunkts seines Lebens, zugleich aber eröffnet sich die Möglichkeit einer Mitarbeit am Bau des Alls. An seiner Stelle kann die Bewegung nicht ohne sein Eintreten, ohne seine Entscheidung weiterkommen. Was wäre geeigneter, seinem Leben einen Sinn und Wert zu geben als eine solche Möglichkeit eines Aufsteigens zu einem selbsttätigen Leben, das in der eigenen Befestigung zugleich am Besitz und an der Bewegung des Ganzen der Wirklichkeit teilnehmen läßt?


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