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Jene Widerspruchsfülle und jene Sinnlosigkeit möchte die Gemüter nicht allzusehr aufregen, wenn die Zeit matt und träge dahinschliche und eines starken Lebensdranges entbehrte; wo die Frage keine Sorge macht, da kann das Fehlen einer Antwort keinen Schmerz bereiten. Aber wir wissen, daß unsere Zeit alles eher als matt und träge ist, daß ein glühender Lebensdrang sie durchwaltet und in gewaltige Arbeit treibt, auch daß diese Arbeit voll großer Erfolge ist; es ist eine mächtig bewegte, unablässig vordringende, das ganze überkommene Dasein umwandelnde Zeit. Wenn sich einer solchen Zeit aus allen Erfolgen im Einzelnen und nach besonderen Richtungen kein Erfolg im Ganzen und für den Gesamtstand des Menschen heraushebt, wenn all das unermeßliche Getriebe auf sein Inneres geprüft eine Leere erweist, so läßt sich ein solches Mißverhältnis unmöglich gelassen ertragen; wer irgend kräftiger Art ist, der muß sich mit ihm auseinandersetzen oder doch abzufinden suchen. So werfen sich die einen mit aller Kraft in die Arbeit hinein und suchen in ihrem rastlosen Fortschritt einen Ersatz für jene Lücke und Leere; aber nur zeitweilig kann solche Lösung genügen, da der Mensch nicht aufhören kann sich schließlich in ein Ganzes zu fassen, als ein Ganzes zu fühlen und für dieses Ganze einen Inhalt zu fordern, den die Arbeit ihm nicht zu geben vermag. Daher setzen denn die anderen alles daran, die Befriedigung des ganzen Menschen in der besonderen Richtung zu finden, die sie selbst der Arbeit und dem Leben geben; so legen sie darin den ganzen Affekt und all ihre Hoffnung hinein. Aber dabei auch nur in ihrer eignen Meinung weiterkommen können sie nicht ohne das Vermögen jener besonderen Leistung zu überspannen; sie pressen künstlich mehr aus ihm heraus, als es in Wahrheit enthält, sie bekommen damit ein aufgebauschtes, schillerndes, ja innerlich unwahres Leben, das sie nur zum Schein und anderen gegenüber, nie bei sich selbst befriedigen kann. Das Ganze der Menschheit aber gerät durch eine solche Wendung in immer größere Spaltung und Unsicherheit. Mehr und mehr scheiden sich verschiedengerichtete Lebensströme und verlieren allen Zusammenhang, jede der streitenden Bewegungen hat ihren eigenen Lebensraum und ihren eignen Begriff von Wirklichkeit, jede gestaltet ihre Größen und Güter eigentümlich und faßt die Aufgaben anders, es fehlt eine gemeinsame geistige Währung, indem was der eine als vollwertig und allgemeingültig gibt, dem anderen eine bloße Scheidemünze bedeutet. Milderte nicht die von der Geschichte und der Gesellschaft dargebotene geistige Atmosphäre diese Konflikte und verbärge nicht die gemeinsame Sprache die Differenzen, so müßten wir erkennen, daß wir innerlich in völlig getrennten Welten leben und uns nur von außen berühren, daß wir umsomehr auseinandergehen, je mehr das Leben in ein Ganzes gefaßt und ihm ein Sinn zu geben versucht wird. Eine solche innere Spaltung aber schwächt die Menschheit in allem, wozu es einer inneren Gemeinschaft und verbindender Überzeugungen bedarf, sie läßt sie nicht zu gemeinsamen Erfahrungen vom Ganzen des Lebens und zu vordringendem geistigen Schaffen gelangen, sie gibt bei den großen Lebensproblemen der flachen Reflexion und der kecken Verneinung das Übergewicht, sie schädigt auch das Vermögen der Selbsttätigkeit und zugleich die moralische Kraft der Menschheit. Die innere Auflösung und das geistige Chaos, die damit entstehen, begünstigen eine Behandlung der Probleme, die den Forderungen der Sache direkt widerspricht. Glücklich ist hier der Enge, der in geistiger Farbenblindheit nur sieht, was in der Richtung seiner Bestrebungen liegt, während alle anderen Erfahrungen und Eindrücke, mögen sie noch so eindringlich sein, sich seinem Blicke verbergen; ein solcher feiert die Größe und den Adel des alle seine Kräfte und Neigungen ungehemmt auslebenden Individuums und sieht nicht das üppige Aufwuchern schrankenloser Selbstsucht und weichlicher Genußsucht, das uns heute umgibt und schädigt; ein solcher preist die schrankenlose Entfaltung sinnlicher Triebe als eine Rückkehr zur echten und lauteren Natur, obschon die moderne Sinnlichkeit ihren raffinierten und greisenhaften Charakter ohne alle Verschleierung kundtut. Glücklich in solcher Verwirrung auch der, der sich sicher und froh an der Oberfläche bewegt und kein Organ dafür besitzt, daß Gedankenmassen ihre Voraussetzungen und ihre Konsequenzen haben; ein solches wurzelloses Denken kann die schroffsten Widersprüche ruhig ertragen, es kann z. B. den Menschen wissenschaftlich möglichst niedrig einschätzen, ihn möglichst ganz mit dem Tiere zusammenwerfen und zugleich im praktischen Leben, in Staat und Gesellschaft für die Größe und Würde des Menschen schwärmen und sie zum leitenden Prinzip des Handelns erheben. Glücklich ist hier auch der geistig Anschauungslose, der in bloßen Formeln sein volles Genügen findet; er kann sich für Abstrakta wie Vernunft und Freiheit, Fortschritt und Entwicklung, Immanenz und Monismus usw. begeistern, ohne von den Formeln zu einem belebenden Inhalt zu streben und das Recht dieses Inhalts zu erhärten.
Alle solche Hülfen der Einzelnen aber sind augenscheinlich Nachteile für die Menschheit, unmöglich kann sie sich der damit drohenden Zerrüttung ergeben. Sie kann es namentlich nicht, wenn die Frage erwacht und die Sorge um sich greift, ob nicht der Mensch im Zusammenhange des Weltalls eine besondere Stellung und eine besondere Aufgabe habe, ob die Probleme seines Lebens nicht über sein subjektives Glück und sein bloßes Behagen hinausreichen, ob auf ihm, ob auf jedem Einzelnen nicht auch eine Verantwortung ruht, der er sich dauernd nicht zu entziehen vermag. Solche Fragen können nicht auftauchen, ohne daß der Mensch sich in tiefem Dunkel gegenüber der Welt und in schweren Problemen und Konflikten des eignen Wesens findet; erwachen diese Probleme einmal, so können sie lawinenhaft anschwellen und zur allbeherrschenden Hauptsache werden, so kann sich in Stimmung und Streben ein völliger Umschlag vollziehen. Der überwiegende Zug der Neuzeit auf die Arbeit an der Welt hat diese Probleme zurücktreten, ja beinahe vergessen lassen, die glänzenden Erfolge der Arbeit drängten alle andere Sorge in den Hintergrund. Aber wenn nun mehr und mehr zur Empfindung gelangt, daß gegenüber aller Arbeit auch die Seele ein eignes Recht behält, und wenn zugleich in der Seele Verwicklungen über Verwicklungen aufsteigen, so kann das Leben seine Hauptrichtung ändern und im Kampf um ein geistiges Sein eine unvergleichlich größere Schwere, aber auch Tiefe gewinnen. Derartige Bewegungen durchwogten die Gemüter gegen den Ausgang des Altertums und machten sie inneren Wandlungen geneigt, denen das Christentum schließlich eine eigentümliche, vielfach durch die Zeitverhältnisse bedingte Verkörperung gab. Manches von dem, was damals aufkam und die Gemüter einnahm, muß uns heute als mythologisch erscheinen und berührt uns wie eine ferne Vergangenheit. Aber ob nicht hinter dem, was der Besonderheit der bloßen Zeit angehört, ein bleibendes Problem liegt, ein Problem, dem der Mensch für die Dauer sich nicht zu entziehen vermag? Wir müssen uns später darüber näher orientieren, soviel aber ist schon hier gewiß, daß das Lebensproblem einen ungeheuren Ernst gewinnt, wenn klar und deutlich vor Augen steht, daß das unmittelbare Dasein mit all seinen glänzenden Leistungen dem Leben keinen Sinn und Wert zu geben vermag, daß ein Leben, das dort seinen Abschluß sucht, in einen schweren Widerspruch, in eine völlige Enttäuschung ausläuft. Jenes Ergebnis aber ist uns deutlich vor Augen getreten, nun bleibt keine andere Wahl als ein Verzicht auf alle Vernunft oder eine wesentliche Weiterbildung des Lebens. Alle Scheinhülfen müssen zusammenbrechen, sobald die Sache ins Ganze gefaßt und die schmerzliche Enttäuschung, welche die moderne Menschheit mit der bloßen Daseinskultur erlebte, vollauf anerkannt wird.