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Der Kapitän warf einen schnellen, beobachtenden Blick auf den Detektiv. Was wohl geschehen würde, dachte er, wenn der Aermste Asbjörn Krag erkannte. Würde er genügend Gewalt über sich haben, um sich nicht zu verraten? Erkannte er ihn aber nicht – und das war das wahrscheinlichste –, wie wollte Asbjörn Krag ihm dann die Gegenstände übergeben, die ihm zur Flucht verhelfen sollten?
Stumpf und interesselos blickte Harald Vik den Eintretenden entgegen. Asbjörn Krag bemerkte, daß der Gram schon Spuren in seinem Gesicht hinterlassen hatte.
»Dies ist der eine der fünf Verhafteten«, erklärte der Direktor.
Der Detektiv nickte und sah nach der Uhr. Es fiel dem Kapitän auf, daß Krag die Uhr lange in der Hand behielt. Es war eine massiv goldene Kapseluhr, die mit einigen eigentümlichen Verzierungen versehen war. Der Kapitän wunderte sich nicht wenig darüber, wie Asbjörn Krag mit der Uhr umging; als aber sein Blick auf Harald Vik fiel, ahnte er gleich den Zusammenhang. Wie behext starrte der Unglückliche sekundenlang die Uhr an, wobei sein Gesicht höchste Verwunderung ausdrückte. Sein Erstaunen dauerte jedoch nur wenige Sekunden; danach wurde er wieder stumpf und teilnahmslos. Der Kapitän nahm an, daß der Detektiv mittels der Uhr den Verhafteten davon in Kenntnis gesetzt hatte, wer der Besucher sei. Der Direktor hatte diesen Vorfall gar nicht beachtet. Er glaubte augenscheinlich, daß der ›hohe Gast‹ durch das Hervorziehen der Uhr merken lassen wollte, er könne nicht mehr seiner kostbaren Zeit der Besichtigung des ›Schwarzen Sternes‹ opfern. Im geheimen war der Kapitän dem jungen Norweger von Herzen dankbar, daß er im entscheidenden Moment seine Selbstbeherrschung zu wahren gewußt hatte.
Der ›hohe Gast‹ sagte dem Verschwörer nun einige Worte des Trostes. Mit großer Gewandtheit lenkte er seine Rede auf das religiöse Gebiet; sowohl der Direktor als auch der Kapitän hörten andächtig zu. Krag hatte überhaupt während des ganzen Gesprächs mit dem Gefangenen immer wieder die Bibel und die Religion erwähnt, was den Kapitän eigentlich recht gewundert hatte; nun sah er jedoch ein, daß dies gerade mit Krags Absichten übereinstimmte.
Jeder Gefangene hatte in seiner Zelle eine Bibel liegen; so auch Harald Vik. Krag ging an den Tisch und nahm das Buch, das recht ansehnliche Dimensionen hatte.
»Für Sie, mein junger Freund,« sagte der ›hohe Gast‹ mit ernster Stimme, »weiß ich einen Bibelspruch, von dem ich glaube, daß er Ihnen in Ihrer einsamen, verlassenen und verzweifelten Lage zum Troste sein kann.«
Asbjörn Krag befühlte seine Taschen, dabei sagte er halblaut: »Wo in aller Welt habe ich doch nur meine Brille gelassen?« Schließlich fand er sie und setzte sie mit großer Würde auf; darauf begann er mit der Verlesung der betreffenden Bibelstelle. Der Kapitän merkte, daß nun für ihn der Augenblick gekommen sei, sich nützlich zu erweisen. Krag stand am vergitterten Fenster, mit dem Rücken gegen das einfallende Licht, und hielt das umfangreiche Buch dicht vor der Nase, so daß es den übrigen Anwesenden fast unmöglich war, sein Gesicht zu sehen. Er las mit leise zitternder Stimme die ziemlich lange Bibelstelle. Der Aufmerksamkeit des Kapitäns entging es jedoch nicht, daß der Direktor ein fast unmerkliches Gähnen unterdrückte.
Der Kapitän, welcher die Aufmerksamkeit des Direktors von Asbjörn Krag ablenken wollte, wandte sich an diesen mit den Worten:
»In dieser Zelle ist es recht hell.«
Verbindlich lächelnd erwiderte der Direktor:
»Das kommt von der hohen Lage. Von hier aus kann man auf die Dächer der Stadt hinunterblicken.«
»Ich glaube,« wandte der Kapitän ein, »daß es den Gefangenen lieber ist, ein Stückchen blauen Himmels zu sehen.«
Der Direktor wies hinaus.
»Sie können von hier auch den Himmel sehen«, bemerkte er. »Im großen ganzen haben die Untersuchungsgefangenen weit mehr Bequemlichkeiten als die Strafgefangenen.«
Krag hatte nun aufgehört zu lesen und schloß behutsam das Buch. Mit teilnehmenden Worten reichte er es dem Gefangenen.
»Nehmen Sie dies Buch, mein lieber, irregeleiteter junger Mann, studieren Sie es; halten Sie es mit beiden Händen fest. Nur in diesem Buch werden Sie Rettung finden.«
Harald Vik ergriff das Buch, und der Kapitän sah, wie er es förmlich zusammenpreßte; denn seine Finger wurden ganz weiß.
Währenddessen hatte Asbjörn Krag sich eilig an den Direktor gewandt.
»Ich hoffe,« sagte er, »daß ich Sie mit meinen langen Reden an die Gefangenen nicht ermüde.«
»Keineswegs,« entgegnete dieser, »es freut mich sehr, daß Exzellenz auf das seelische Wohl dieser Unglücklichen bedacht sind.«
»Es ist ja auch das Wichtigste«, sagte wiederum der ›hohe Herr‹, indem er seine Brille in die Tasche steckte.
»Nichts ist wichtiger als gerade dieses«, erwiderte der Direktor sehr ernst und geleitete nun die Besucher über den Korridor weiter zur nächsten Zelle.
Es war die Zelle des Anführers der Verschwörung – Crawbury.
Dieser war ein großer, brutaler Mensch; er empfing sowohl den Direktor als auch den ›hohen Herrn‹ mit offenbarer Verachtung.
Als Krag mit den gewohnten Reden beginnen wollte, unterbrach ihn der Anarchist mit groben Scheltworten. Vor lauter Ueberraschung verlor Krag die Brille und blickte sehr betroffen den Direktor an, der eine bedauernde Handbewegung machte und Crawbury eine ernste Zurecht-Weisung erteilte. Er machte ihn darauf aufmerksam, daß es einer der bekanntesten Männer Europas sei, der ihn jetzt in seiner Zelle besuche.
Mit aufdringlicher Neugier starrte Crawbury den ›hohen Herrn‹ an, indem er leise vor sich hin murmelte, daß gerade dieser sich ausgezeichnet dazu eigne, auf der Spitze eines Dolches zu sitzen.
Der ›hohe Herr‹ zog sich schleunigst zur Tür zurück und beruhigte sich erst, als sich zwischen ihm und dem Anarchisten die Zellentür geschlossen hatte. Er strich sich über sein graumeliertes Haar und sagte:
»Das war ja ein ekelhafter Mensch – entsetzlich!«
Mitleidig lächelnd wollte der Direktor ihn weiterführen; aber der ›hohe Herr‹ war recht unsicher geworden.
»Sind die Verschwörer alle so wie dieser – ich meine, so brutal, so ganz unzugänglich für den Trost der Religion?« fragte er stotternd.
»Ja,« antwortete der Direktor, »recht hartgesotten sind sie schon.«
»Ich glaube, ich werde dann lieber weitere Zellenbesuche aufgeben. Derartige Szenen wirken – wie soll ich sagen? – sie bringen mich ganz aus der Fassung. Das sind wirklich sehr unangenehme Menschen. – Uebrigens ist die Uhr auch schon halb fünf.«
»Ganz wie Exzellenz wünschen«, sagte der Direktor, indem er sich verneigte.
Der Direktor selbst war halbwegs froh darüber, daß die lange Wanderung durch das ungeheure Gefängnis nun ihren Abschluß finden sollte. Er führte seine Gäste zum Eingang des Gefängnisses zurück, wo das Auto noch immer wartete. Eine Anzahl Beamte stand wieder zur Parade da.
Der ›hohe Gast‹ dankte für alle Aufmerksamkeiten und bedauerte, keine Gelegenheit gehabt zu haben, die Angehörigen des Herrn Direktors zu begrüßen. Krag und der Kapitän bestiegen das Auto, das schnell davonjagte. Der Direktor blieb zurück und verneigte sich tief in dem aufwirbelnden Staub. Er war ein außerordentlich höflicher Mann.
»Zum Museum!« rief Krag. Das Auto bog in eine Seitenstraße ein. Während der Fahrt sagte Asbjörn Krag kein Wort. Verschiedentlich trocknete er sich jedoch mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn; seine Hand zitterte merklich. Der Kapitän wußte, nach dieser ungeheuren Anspannung war die Reaktion eingetreten. Einige Minuten der Ruhe taten ihm not. Was wollte er jedoch im Museum?
Nach etwa viertelstündiger Fahrt hielt das Auto vor dem prachtvollen Marmorpalast, dem großen Nationalmuseum, in dem sich ungeheure Schätze befanden. Krag sprang zuerst aus dem Wagen; er war wieder voller Spannkraft und Energie.
»Ich habe Sie jetzt nicht mehr nötig«, sagte er zum Schofför, indem er ihm eine Geldnote reichte. »Nach dem Besuch des Museums werden wir nach Hause spazieren.«
Der Schofför bedankte sich für die gute Bezahlung; kurz darauf war der große, grüne Wagen im Straßengewimmel verschwunden.
»Wollen wir jetzt das Museum besichtigen?« fragte der Kapitän erstaunt. »Komm mit!« sagte Krag.
Sie gingen eiligst durch mehrere große Säle. Der Besuch war zu dieser Tageszeit recht mäßig; man sah fast keine Leute. Hier und da stand ein schläfriger Aufseher, und zuweilen sahen sie eine Malerin, die irgendeinen alten Meister kopierte.
Schließlich gelangten sie an einen menschenleeren, halbdunklen Korridor. Hier blieb Asbjörn Krag stehen, entledigte sich der Perücke und der angegrauten Koteletten. Nun wischte er sich noch energisch mit dem Taschentuch das Gesicht – und war wieder der alte.
»Nur dies wollte ich«, sagte er
Durch einen Nebenausgang gelangten sie wieder auf die Straße. Der Himmel hatte sich inzwischen bewölkt, und es sah aus, als ob sich ein Unwetter über der Stadt zusammenziehen wollte. Sie riefen die erstbeste Droschke herbei und verlangten aufgeschlagenes Verdeck.
»Zum Alabamakai!« rief Krag.
In der verdeckten Droschke waren sie den Blicken der Leute entzogen. Um sechs Uhr waren sie wieder an Bord des Dampfers. Hier trafen sie den zweiten Steuermann, der sie ungeduldig erwartete.
Bevor Krag am Vormittag das Schiff verlassen hatte und der Kapitän sich umkleidete, hatte er dem Steuermann einen Befehl erteilt.
Der Detektiv erkundigte sich nun, ob diesem Befehl Folge geleistet war.
»All right«, gab der Steuermann zur Antwort.
Unten in der Kajüte zeigte er Krag eine Strickleiter, die er hergestellt hatte, während die beiden fort waren. Sie bestand aus dünnen Stricken, war aber außerordentlich stark. »Wie lang?« fragte Krag.
»Wie Sie sagten, – acht Meter.«
»Das ist gut.«
Asbjörn Krag unterbreitete ihnen nun seinen Plan.
»Du wirst wohl darüber orientiert sein,« sagte er zum Kapitän, »daß unser unglücklicher Landsmann nun unterrichtet ist. Heute nacht um zwölf Uhr wird er die Tür zur Zelle erbrochen haben.«
»Hast du ihm die Stemmeisen geben können?«
»Ich gab ihm den Bohrer und die Stahlsäge. Mehr braucht er nicht. Diese beiden Dinge zog ich aus der Tasche, während ich – wie du dich wohl erinnern wirst – meine Brille suchte. Ich legte sie zwischen die Blätter der Bibel und bat ihn, das Buch gut festzuhalten.«
Verständnisinnig lächelnd nickte der Kapitän.
»Wenn es ihm aber gelingt, aus der Zelle herauszukommen, was dann?«
»Dann weiß er ganz genau, wie er sich zu verhalten hat. Außerdem legte ich noch einen Brief zwischen die Seiten des Buches. Hierin findet er einen Grundriß des Gefängnisses; ein roter Strich zeigt ihm den Weg, den er, in der Dunkelheit schleichend, benutzen soll. Er wird dann an eine bestimmte Stelle der Umfassungsmauer gelangen und hier eine Strickleiter, die über die Mauer geworfen ist, vorfinden. Hier ist die großartige Strickleiter; der Steuermann hat sie hergestellt. Wie du siehst, hat sie an beiden Enden Widerhaken. Es wird gar nicht schwierig sein, sie an der Mauer zu befestigen, die gerade an dieser Stelle recht uneben ist.«
»Wie willst du aber die Leiter über die Mauer schaffen?«
»Das soll der Steuermann besorgen. Hier siehst du eine Karte von dem ›Schwarzen Stern‹ und seiner nächsten Umgebung. Genau an diesem Punkt muß Harald Vik die Mauer übersteigen. Die Winstonstreet ist nachts absolut menschenleer; denn wegen der unheimlichen Nachbarschaft liegen hier nur Lagerhäuser und Gärtnereien, weder Wohnhäuser noch Läden. Außerdem kommt uns die Dunkelheit zustatten. Das Glück wird uns schon günstig sein, Kapitän. Wir werden eine recht dunkle Nacht bekommen. Hörst du, wie der Regen schon gegen unser Skylight schlägt. Um halb zwei Uhr werden die Lichter in dieser Straße ausgelöscht; um zwei Uhr geht der Steuermann die Straße entlang und wirft die Strickleiter über die Mauer. Unterdessen warten wir in ›New Holborn‹, dem Nachtcafe, das nur etwa sechs Minuten von der Winstonstreet entfernt liegt. Alles dieses ist auch in dem Brief an Harald Vik angegeben. Vor dem Cafe ›New Holborn‹ werden wahrscheinlich einige Wagen halten. Der Flüchtling soll in den dritten Wagen einsteigen. Ich werde es schon so einrichten, daß unser Wagen beständig der dritte in der Reihe bleibt.«
»Das ist ein großartiger Plan,« sagte der Kapitän. »Es wäre ein Jammer, sollte er mißglücken.«
»Er soll gelingen«, gab der Detektiv zur Antwort.
Nachts um halb eins waren Asbjörn Krag und der Kapitän wieder in der Stadt. Eine ganz eigentümliche Nacht war es, dunkler als gewöhnlich. Alle Lichtscheine kämpften gegen diese Dunkelheit, die sich in immer dichteren Massen entgegenwälzte und mit ihrer Schwärze alles Licht zu ersticken suchte. Gewaltige Nebelmassen mußten über der Stadt liegen, denn ein unheimlicher Widerschein, eine regenschwere Atmosphäre lag über allem.
Im Nachtcafe ›New Holborn‹ hatte die Stimmung ihren Höhepunkt erreicht. Aber sowohl Asbjörn Krag als auch der Kapitän waren mit dem Gedanken, was nun geschehen müßte, so sehr beschäftigt, daß sowohl der Lärm als auch der Glanz und die Musik wie in weiter Ferne an ihrem Bewußtsein vorbeiglitten.
Um zwei Uhr kam der Steuermann und machte die Mitteilung, daß alles planmäßig vor sich gegangen sei. Keine Menschenseele wäre auf der Straße gewesen, als die Strickleiter über die Mauer geworfen wurde.
Um halb drei verließen die Herren das Cafe, um im Wagen Platz zu nehmen. In diesem Augenblick mußte der Norweger, wenn alles gut gegangen sei, seine Freiheit erlangt haben.
In größter Spannung warteten sie. Langsam wie eine Schnecke schlichen die Minuten dahin; stundenlang schienen sie zu sein. Die Uhr wurde drei; ein Wagen nach dem andern fuhr weg. Als es gegen halb vier ging, schöpfte Krag Verdacht.
Der Steuermann ging, um nachzusehen.
Nach einer Viertelstunde kam er atemlos zurückgerannt und stürzte sich eiligst in den Wagen.
»Die Strickleiter,« flüsterte er, »die Strickleiter ist fort.«
Der Kapitän saß wie versteinert da. Asbjörn Krag rief jedoch dem Kutscher ruhig zu:
»Zum Alabamakai!«
Unterwegs entfuhr ihm nur das eine Wort: »Mißglückt!«
Dabei lag eine solche Niedergeschlagenheit in seiner Stimme, daß sie auf den Kapitän den größten Eindruck machte.
Als sie an Bord kamen, machte der Kapitän alles klar zur Abfahrt. Das Schiff lag unter Dampf. Der Kapitän war sehr nervös.
»Glaubst du,« fragte er Krag, »daß der Direktor des Gefängnisses den Zusammenhang entdeckt hat?«
»Nein.« antwortete Krag, »noch nicht; aber er wird es schon entdecken. Ich bat Vik, den Brief zu vernichten.«
Als der Dampfer sich in Bewegung setzen wollte, begann das Leben auf dem Kai sich eben zu regen. Ein kleiner Zeitungsjunge kam mit den Morgenzeitungen angerannt.
Asbjörn Krag rief ihn zu sich an die Schiffsreling.
»Es ist ratsam, die neuesten Ereignisse zu erfahren, ehe wir Amerika verlassen«, murmelte er.
Kaum hatte er die erste Zeitung entfaltet, als er ganz aufgeregt dem Kapitän zurief:
»Halt an! Um Gottes willen, halt das Schiff an!«
Sofort stoppte die Maschine.
Der Kapitän eilte auf Asbjörn Krag zu, der, noch blaß von der Erregung, ihm die Zeitungen reichte.
Mitten auf der ersten Seite stand:
Einer der Verschwörer entflohen!
»Eben vor Drucklegung des Blattes erfahren wir, daß einer der Verschwörer, Harold Wigh, heute nacht aus dem ›Schwarzen Stern‹ entflohen ist. Er ist mit Hilfe einer Strickleiter über die Mauer entwichen. Die Flucht muß um zwei Uhr vor sich gegangen sein. Um halb drei fand die Nachtwache seine Zellentür erbrochen und die Zelle leer. Nähere Einzelheiten fehlen.«
Der Kapitän starrte den Detektiv ganz verdutzt an.
»Also doch«, sagte er leise.
Krag nickte. Er war nun wieder ganz ruhig geworden.
»Allem Anschein nach«, sagte er, »ist ihm die Flucht gelungen. Dann ist es mir aber ein Rätsel, daß wir den Flüchtling nicht schon an Bord haben. Er weiß, wo er uns treffen wird. Warten wir noch eine Stunde.«
Sie warteten bis gegen sechs Uhr.
»Noch eine Stunde wollen wir warten«, sagte Krag.
Um halb sieben kamen abermals neue Zeitungen an Bord. Es war die zweite Auflage. Hierin war die ganze Flucht beschrieben. Die Sache war natürlich die Sensation des Tages. Einige Ueberschriften lauteten:
Die Flucht aus dem »Schwarzen Stern«.
Die falsche Exzellenz und ihr Sekretär.
Der Direktor übers Ohr gehauen.
Der Kapitän begann wieder unruhig zu werden. Um sieben Uhr morgens stieß das Schiff von Land und dampfte hinaus. Harald Vik war nicht an Bord.
Asbjörn Krag stand am Heck und starrte nach der großen Stadt hinüber, von welcher nun das rege Leben des beginnenden Tages Besitz genommen hatte. Von dem ungeheuren Steinkoloß erhebt sich ohrenbetäubender Lärm gen Himmel. Eisenbahnzüge kreuzen sich mit lautem Getöse auf den Brücken; die Straßen schreien auf unter der Last der Hunderttausende von Rädern. Im Morgennebel gleicht die Stadt einer kolossalen, noch rauchenden Brandruine.
Asbjörn Krag verläßt seinen Platz und geht zum Kapitän auf die Kommandobrücke.
»Heute«, sagt der Detektiv, »ist mein Leben um ein Rätsel reicher geworden.«
Und hiermit verlassen wir vorläufig Asbjörn Krag, den wir erst in Norwegen wieder antreffen.
Kehren wir zurück zu seinem Landsmann Harald Vik, der dazu ausersehen war, das merkwürdigste Abenteuer, das sich in neuerer Zeit abgespielt hat, zu erleben.