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Dank dieser neuen Wendung in Schwester Glegg's Gemüthsverfassung, fand Schwester Pullet bei ihrem Vermittlungsversuche überraschend wenig Schwierigkeiten. Ihre Meinung freilich, sie müsse ihrer älteren Schwester sagen, wie man sich in Familien-Angelegenheiten zu benehmen habe, wies Frau Glegg auf das schärfste zurück, und namentlich verletzte sie Frau Pullet's Bemerkung, es würde doch übel aussehen, wenn die Leute mit Recht sagen könnten, die Dodsons hätten einen Familienzwist. Wenn dem guten Namen der Familie sonst keine Gefahr drohe, als von ihr, meinte Schwester Glegg, dann könne Schwester Pullet ihr Haupt ruhig auf's Kissen legen.
»Man wird doch nicht von mir erwarten, denk' ich«, bemerkte Frau Glegg schließlich, »daß ich wieder nach der Mühle gehe, ehe Betty mir ihren Besuch gemacht hat, oder daß ich hingehen soll und vor meinem Herrn Schwager auf die Kniee fallen und ihn um Verzeihung bitten, daß ich ihm einen Gefallen thue, aber nachtragen thu' ich's ihm nicht, und wenn Tulliver höflich mit mir spricht, dann werde ich wieder höflich gegen ihn sein. Mir braucht keiner zu sagen, was sich schickt.«
Da mithin eine Fürsprache für die Tullivers unnöthig war, so war es ganz natürlich, daß Tante Pullet in ihrer Besorgniß um sie etwas nachließ und auf den Aerger zurückkam, den sie am Tage vorher von den Kindern dieses offenbar vom Schicksal verfolgten Hauses gehabt hatte. Frau Glegg bekam eine sehr umständliche Erzählung zu hören, wobei Onkel Pullet's unvergleichliches Gedächtniß einige schätzbare Beiträge lieferte, und während Tante Pullet die arme Betty wegen ihrer unglücklichen Kinder bedauerte und halb und halb sich bereit erklärte, Gretchen auf ihre Kosten weit weg in eine gute Erziehungsanstalt zu schicken, wo sie zwar immer noch eben so braun bleiben würde, aber doch eine Menge Unarten ablegen könne, so tadelte Tante Glegg ihre Schwester Betty wegen ihrer Schwäche und rief prophetisch alle Leute, die noch am Leben wären, wenn es mit den Tulliver'schen Kindern wirklich schlecht ginge, zu Zeugen auf, daß sie, Frau Glegg, von Anfang an immer gesagt habe, es müsse so kommen, – mit dem schließlichen Zusatze, es sei ihr selbst ganz wunderbar, wie alle ihre Worte einträfen.
»Ich darf also bei Betty vorsprechen und ihr sagen, daß Du nicht mehr böse bist und daß alles wieder sein soll wie früher, und daß alles beim alten bleibt?« sagte Frau Pullet kurz vor dem Abschied.
»Ja, Sophie, das kannst Du thun«, erwiderte Frau Glegg; »Du kannst Schwager Tulliver sagen, und Betty auch, daß ich nicht böses mit bösem vergelte; ich weiß, als die älteste ist es meine Pflicht, in jeder Beziehung ein Beispiel zu geben, und das thu' ich auch. Wer bei der Wahrheit bleiben will, der kann mir nichts anderes nachsagen.«
Frau Glegg war also in einem Zustande hoher Befriedigung über ihre eigene wahrhaft erhabene Großmuth, und nun überlasse ich dem Leser zu beurtheilen, mit welcher Empfindung sie denselben Abend, grade nachdem Schwester Pullet fort war, von Schwager Tulliver eine kurze Anzeige des Inhalts empfing, sie brauche sich wegen ihrer fünfhundert Pfund nicht zu ängstigen, da sie dieselben spätestens im Laufe des nächsten Monats zusammen mit den bis dahin fälligen Zinsen zurückerhalten würde; übrigens habe Mr. Tulliver durchaus nichts gegen Frau Glegg, und sie werde ihm in seinem Hause immer willkommen sein; aber er verlange keine Gefälligkeit von ihr, weder für sich noch für seine Kinder.
Es war wieder die arme Frau Tulliver, welche diesen verhängnißvollen Schritt beschleunigt hatte, und zwar lediglich weil sie in ihrer unverwüstlichen Vertrauensduselei hoffte, dieselben Ursachen könnten jederzeit verschiedene Folgen haben. Sie hatte schon oft genug erlebt, daß ihr Mann etwas that, blos weil andre sagten, er könne es nicht thun, oder ihn wegen dieses angeblichen Unvermögens bemitleidet oder sonst seinen Stolz gekränkt hatten; und doch hoffte sie heute, wenn sie ihm beim Thee erzähle, Schwester Pullet werde mit Schwester Glegg alles wieder in's Geleise bringen und er brauche also nicht an die Rückzahlung des Geldes zu denken, so werde das einen fröhlichen Abend geben. Ihr Mann aber hatte nie in seinem Entschlusse gewankt, das Geld zurückzuzahlen, und jetzt schrieb er sofort einen Brief an Frau Glegg, um jede Möglichkeit eines Mißverständnisses zu beseitigen. Frau Pullet für ihn vermitteln und bitten, für ihn bitten – nun wahrhaftig, das fehlte noch! Tulliver schrieb nicht gern einen Brief und fand das Verhältniß zwischen Sprechen und Schreiben, was man gewöhnlich Orthographie nennt, eines der schlimmsten Dinge in dieser schlimmen Welt. Indeß wurde er bei seiner inneren Aufregung ungemein rasch damit fertig, und wenn seine Orthographie mit der von Frau Glegg nicht ganz stimmte, so schadete das nichts; sie gehörten beide einer Generation an, wo die Orthographie noch eine offene Frage war.
Tante Glegg ließ sich durch diesen Brief nicht bestimmen, ihren letzten Willen zu verändern und die Tulliver'schen Kinder von ihrem kleinen Antheil an den tausend Pfund auszuschließen, die sie hinterließ; denn sie war eine Frau von Grundsätzen. Niemand sollte nach ihrem Tode von ihr sagen können, sie habe ihr Geld nicht vollkommen gleich unter ihre Verwandten vertheilt; bei einem Testament mußten persönliche Eigenschaften hinter dem entscheidenden Umstande der Blutsverwandtschaft zurückstehen, und wenn sie sich bei der Vertheilung ihres Vermögens durch Laune hätte leiten lassen und ihre Vermächtnisse nicht genau nach dem Verwandtschaftsgrade abgemessen hätte, so wäre ihr das für die Zukunft eine Schande gewesen, die ihr schon jetzt das Leben verbittert hätte. Es war dies von jeher ein Grundsatz der Familie Dodson, eine Form jenes Ehr- und Rechtsgefühls, welches zu den stolzen Traditionen solcher Familien gehört, und diese Tradition ist gleichsam das Salz gewesen, welches in unsern Provinzen die Gesellschaft gesund erhalten hat.
Aber obschon der Brief die Grundsätze der Tante Glegg nicht erschüttern konnte, machte er den Bruch in der Familie weiter und schärfer, und was namentlich die Wirkung angeht, die er auf Frau Glegg's Meinung über Schwager Tulliver hatte, so erklärte sie feierlich, von jetzt an werde sie nicht ein Wort mehr über ihn verlieren; offenbar war er zu verwahrlost, als daß sie auch nur einen Augenblick von ihm hätte Notiz nehmen können. Erst zu Anfang August, am Abend vorher, ehe Tom nach seiner neuen Pension gebracht wurde, machte Frau Glegg ihrer Schwester Tulliver einen Besuch, blieb aber dabei die ganze Zeit in ihrem Einspänner sitzen und ließ ihre Ungnade daran merken, daß sie sich absichtlich jedes Rathes und Urtheils enthielt; denn wie sie nachher gegen Schwester Deane äußerte: »so leid mir Betty thut, daß sie so 'nen Mann hat, die Folgen davon muß sie selbst tragen«, und Schwester Deane stimmte ihr darin bei, Betty thue ihr leid.
An dem Abend meinte Tom zu Gretchen: »Du liebe Zeit, Gretchen, Tante Glegg kommt schon wieder auf Besuch; ich bin froh, daß ich wegkomme; jetzt kriegst Du's ganz allein!« Gretchen war schon so betrübt über den nahen Abschied von Tom, daß ihr dieser Scherz sehr unfreundlich erschien, und als sie zu Bett ging, weinte sie sich in Schlaf.
Dem eigensinnigen Tulliver legte sein rasches Vorgehen die weitere Verpflichtung auf, nun auch möglichst rasch den richtigen Mann zu finden, der ihm fünfhundert Pfund auf einen Schuldschein liehe. »Es darf aber keiner von Wakem seinen Klienten sein«, sagte er zu sich selbst, und nach vierzehn Tagen kam es doch so, nicht, weil Tulliver's Wille zu schwach war, sondern weil die Macht der Verhältnisse zu stark war. Der einzig passende Darleiher war ein Klient von Wakem.