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Eine weite Ebene, durchzogen von dem Floß, der zwischen grünen Ufern allmälich sich verbreiternd dem Meere zuströmt, halbwegs in seinem Laufe mit stürmischer Umarmung von der rauschenden Fluth gehemmt. Die mächtige Meerfluth führt schwarze Schiffe, hoch beladen mit frischduftenden Tannenbalken, oder wohlgerundeten Säcken mit Oelsaat, oder dunkelglänzenden Kohlen, landeinwärts bis hinauf zu der altfränkischen Stadt St. Ogg, deren rothe Ziegeldächer und stattliche Werften zwischen dem Uferrande und einer niedrigen bewaldeten Hügelreihe sich hinziehen und in dem flüchtigen Glanze eines Februar-Sonnenblicks dem Wasser einen matten Purpurschimmer geben. Weit hinaus erstreckt sich nach beiden Seiten üppiges Weideland, untermischt mit den dunklen Streifen von Ackerfeldern, die theils zum Besäen fertig, theils schon mit dem zarten Grün der ersten Blätter des Winterkorns angehaucht sind. Auch goldige Flecke sind in der Landschaft; hinter den Hecken, welche die Felder einschließen, erheben sich noch hie und da Kornschober vom vorigen Jahre. Aus der Ferne ragen die Masten der Schiffe herein, und die rothbraunen Segel scheinen sich mit den Zweigen der breiten Eschen zu vermischen. Gerade bei der Stadt mit den rothen Ziegeldächern fließt der Rieselbach muntern Laufes in den Fluß. Wie lieblich das Bächlein ist mit dem Geriesel seines dunklen Wassers! Er scheint mir wie ein lebendiger Gefährte, der lustge Gesell, während ich am Ufer entlang wandre und auf seine leise Stimme höre, als sei es die Stimme eines, der mich lieb hat, aber taub ist. Wohl erinnere ich mich dieser großen hängenden Weiden. Wohl erinnere ich mich dieser steinernen Brücke.
Und da ist die rothe Mühle selbst. Ich muß ein paar Augenblicke still stehen auf der Brücke und mir die Mühle ansehen, obschon am Himmel drohende Wolken sind und es spät am Nachmittag ist. Der Blick ist hübsch, selbst im kahlen Februar; möglich, daß die kalte feuchte Jahreszeit dem saubern behaglichen Wohnhause, welches so alt ist wie die Rüstern und Kastanienbäume, die es vor dem Nordwinde schützen, einen Reiz mehr giebt. Der Strom ist voll bis zum Rande und liegt hoch in dieser kleinen Weidenpflanzung und spült fast hinweg über den Grasbehang des Stückes Gartenland vor dem Hause. Wie ich so hinblicke auf den vollen Strom, das frische Gras, den zarten hellgrünen Hauch, welcher die mächtigen Linien der dicken Stämme und Aeste mildert, die aus den kahlen röthlichen Zweigen hervorsehen, da verliebe ich mich in das feuchte Element und beneide die weißen Enten, die hier unter den Weiden ihre Köpfe tief in's Wasser tauchen, ohne Ahnung, wie ungeschickt sie in der trocknen Oberwelt aussehen.
Das Rauschen des Wassers und das Getöse der Mühle wiegen mich in eine träumerische Taubheit, welche die friedliche Stille der Scene zu erhöhen scheint. Es ist mir als sei das Rauschen ein großer Vorhang, der mich von der übrigen Welt abschließt. Da weckt mich der Donner des mächtigen Müllerwagens, der mit Kornsäcken beladen nach Hause fährt. Der brave Müllerknecht denkt an sein Mittagessen, welches ihm im Backofen so bös eintrocknet, so spät ist es ihm geworden; aber er wird nicht für sich selbst sorgen, bis er seine Pferde gefuttert hat, die starken, friedfertigen, sanftblickenden Thiere, die – so will mich bedünken – mit schüchternem Vorwurf zu ihm hinüberschielen, daß er so furchtbar mit der Peitsche knallt, als wäre das bei ihnen nöthig. Seht nur, wie sie kräftig anziehen, um die Auffahrt nach der Brücke zu überwinden, mit der doppelten Kraft, welche die Nähe des Stalles giebt! Wie ihre massigen behaarten Füße die feste Erde zu packen scheinen, wie die geduldige Kraft ihrer Nacken sich unter das schwere Geschirr beugt, wie ihre Muskeln an Bug und Schenkel arbeiten! Es müßte hübsch sein, sie bei ihrem sauer verdienten Futter wiehern zu hören und, den schweißtriefenden Hals frei vom Joche, die gierigen Nüstern in den schmutzigen Eimer tauchen zu sehen. Jetzt sind sie auf der Brücke; rascheren Schrittes geht es hinab, und gleich darauf verschwindet der Wagen bei einer Wendung des Weges hinter Bäumen.
Nun kann ich mein Auge wieder auf die Mühle richten und das rastlose Rad beobachten mit dem Demantgefunkel seines stürzenden Wassers. Auch das kleine Mädchen da stellt seine Beobachtungen an; die ganze Zeit, die ich auf der Brücke bin, hat sie genau auf demselben Flecke am Rande des Wassers gestanden. Der komische weiße Hund neben ihr mit den braunen Ohren scheint gegen das Rad anzubellen; vielleicht ist er eifersüchtig, daß sein kleiner Spielkamerad im Velpelhut so ganz verloren ist in das Drehen und Rauschen. Der kleine Spielkamerad, scheint mir, sollte in's Haus gehen; es ist hohe Zeit für sie; auch strahlt heller Feuerschein verlockend zu ihr hinaus, behaglicher als das immer dunkler werdende Grau am Himmel. Auch für mich ist's wohl Zeit, meine Arme von dem kalten Steingeländer der Brücke wegzunehmen …
O, die Arme sind mir wirklich ganz verklommen. Ich habe meine Ellbogen auf die Stuhllehne gestützt und geträumt, ich stände auf der Brücke vor der rothen Mühle, wie ich vor vielen Jahren an einem Februar-Nachmittage wirklich dort stand. Ehe ich einduselte, wollte ich euch erzählen, wovon Herr und Frau Tulliver sich unterhielten, als sie an demselben Nachmittage, von welchem ich geträumt habe, beim hellen Feuer in dem Wohnzimmer linker Hand saßen.