Frederik van Eeden
Der kleine Johannes
Frederik van Eeden

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Es war in der Tat der Schweif eines Löwen und keine Bettquaste. Johannes und Wistik saßen jetzt auf dem Rücken des gewaltigen Tieres, über ihnen war alles dunkel, aber vor ihnen, dort, wohin der Löwe schaute, begann es langsam zu dämmern.

Behutsam ließen sie sich auf den Boden gleiten. Sie waren in einer großen Grotte. Johannes sah die Wassertropfen an den Felswänden glitzern.

Wie sehr sie sich auch bemühten, leise und unbemerkt an dem Untier vorüberzuschleichen: es gewahrte sie dennoch und drehte ihnen mit einer raschen Bewegung seinen riesigen Kopf zu, mißtrauisch und aufmerksam.

»Er tut nichts,« sagte Wistik, und der Löwe sah sie an, gleich als wären sie ein paar Fliegen, die zu verzehren sich nicht der Mühe lohnte.

Sie traten hinaus; grell schien dort die Sonne. Und nachdem er einige Augenblicke völlig geblendet gewesen, sah Johannes eine weite herrliche Berglandschaft vor sich.

Sie standen auf der Seitenwand eines hohen, felsigen Berges, und sahen tief unter sich lachende grünende Täler, aus denen das Rauschen von Bächen und Wasserfällen zu ihnen emporklang.

In der Ferne ein blitzendes blendendes Funkeln von Sonnenlicht auf einem dunkeln kobalt-blauen Meer. Den Strand konnten sie sehen, und auch wie die sich brechenden Wogen weißer und immer weißer wurden. Aber ganz geräuschlos schien das alles. Es war zu weit entfernt, als daß sie etwas zu hören vermocht hätten.

Hoch oben ein klarer Himmel – aber die Sonnenscheibe konnte Johannes nicht sehen. Ringsumher alles still; die blauen und die weißen Blumen zwischen den Felsen regten sich nicht, nur das Rauschen der Wasser in den Tälern war hörbar.

»Nun, Johannes, was sagst du denn hierzu? Das ist doch noch schöner als die Dünen, nicht wahr?« fragte Wistik, indem er befriedigt mit dem Kopf nickte.

Johannes war entzückt und empfand eine seltsame Freude, während er diesen weiten, weiten Raum mit den Felsen, den Blumen, den Schluchten und dem Meere vor sich sah.

»O, Wistik, wo sind wir hier?« fragte er leise und voller Entzücken.

»Hier habe ich nun meine neue Mütze her,« sagte Wistik.

Johannes blickte ihn an. Das hübsche Mützchen, das in der Dämmerung schwarz erschienen war, leuchtete jetzt hellrot. Es war eine phrygische Mütze.

»Phrygien?« fragte Johannes, denn er wußte sehr wohl, wie diese Mützen hießen.

»Wohl möglich,« sagte Wistik, »ist das nicht ein prächtiger Fund? und ich weiß auch schon,« hier flüsterte er Johannes wieder gewichtig etwas ins Ohr, »daß sie hier von dem goldenen Schlüsselein und dem kleinen Buch, das wir beide suchen, mancherlei wissen.«

»Ist das Büchelchen hier?« fragte Johannes.

»Das weiß ich noch nicht,« antwortete Wistik ein wenig zaghaft, »das habe ich nicht gesagt. Aber die Menschen hier wissen etwas davon, das ist sicher.«

»Sind hier Menschen?«

»Ja natürlich, Menschen und Nymphen und Elfen und allerhand Tiere. Und sie alle wissen darum.«

»Ist Windekind auch hier, Wistik?«

»Das denke ich wohl, Johannes, aber ich habe ihn noch nicht gesehen. Wollen wir mal suchen?«

»Ach ja, Wistik. Aber wie kommen wir dort hinunter? es ist so steil, wir werden uns den Hals brechen.«

»Aber nein, wenn du dich nur nicht fürchtest. Laß dich nur schweben, es geht wundervoll.«

Anfangs hatte Johannes nicht den Mut. Er war völlig wach, er träumte nicht. Und wenn man sich vollständig wachend von einem hohen Felsen herabstürzt, dann fällt man sich tot; aber wenn man träumt, dann schadet es nicht. Wenn er jetzt nur wüßte, ob er träumte oder wachte.

»Komm, Johannes, wir haben nicht viel Zeit.«

Da wagte er es und ließ sich hinunterschweben. Und es ging leicht und herrlich. Langsam glitt er hinab durch die weiche stille Luft, während er Arme und Beine wie ein Schwimmer bewegte.

»Sollte es denn doch nur ein Traum sein?« fragte er sich, während er aufmerksam die schöne blühende Welt betrachtete, die sich unter ihm breitete.

»Wie meinst du das?« fragte Wistik. »Du bist doch Johannes, und was du siehst, das sieht Johannes. Dein Körper liegt allerdings schlafend im Hause deiner Tante. Aber hast du jemals bei Tage etwas so deutlich gesehen wie dies?« »Nein,« sagte Johannes.

»Nun also, dann könntest du Tante Serena und ihr Landhaus wohl ebensogut einen Traum nennen.«

Ein großer Vogel, ein Adler, umkreiste sie mit leisem Flügelschlag, während er sie mit seinem spähenden Blick beäugte.

Unter ihnen, in dem dunkeln Grün des Tales, ward ein kleiner leuchtender Säulentempel sichtbar. Daneben stürzte ein Bergstrom rauschend herab. Still und kerzengerade standen hohe Zypressen rings umher mit ihren mattgrauen Stämmen und ihrem schwärzlich-grünen Laubwerk. Ein feiner, feuchter Nebel stieg aus dem niederrauschenden Wasser auf und blieb zwischen den leuchtend-grünen Myrten und Magnolien hängen, von einem feinen Regenbogen umkränzt. Nur dort, wo das Wasser aufspritzte, fuhr ein leichtes Zittern durch die Blätter. Sonst alles regungslos.

Aber allüberall erklang aus den Sträuchern und Büschen das Gezwitscher von Vögeln. Die Finken schlugen ihren hellen Schlag und die Amseln pfiffen unermüdlich ihr stets neues Liedchen.

Doch horch! das war kein Vogel. Das war ein weiserer innigerer Sang, eine Melodie, die etwas kündete, etwas, das Johannes zu Herzen ging wie die Worte eines Freundes. Es war das liebliche Spiel einer Flöte oder Schalmei. So konnte kein Vogel singen.

»O, Wistik, wer tut das? Das ist schöner noch als Amsel und Nachtigall.«

»Pst,« sagte Wistik, die Augen weit geöffnet, »das ist erst die Flöte. Aber nachher wirst du sie singen hören.«

Sie schwebten in ein breites Tal, auf eine Bergwiese herab. Der klare, bläulich-grüne Strom zog sich durch die sonnenbeschienene Rasenfläche hin, inmitten blutroter Anemonen, gelber und weißer Narzissen und violetter Hyazinthen. Zu beiden Seiten standen dichte runde Azaleenbüsche, gänzlich mit duftenden rötlichen Blüten überdeckt. Weiße Schmetterlinge flatterten darüber hin. Dahinter erhoben sich hoch die Lorbeerbäume, die Myrten, die Oliven, die Kastanien, und höher hinauf die Zedern und Pinien, bis zu halber Höhe der rötlich-grauen granitenen Bergwand.

Es war so still, so friedlich; große blaue Libellen wiegten sich mit dunkeln Flügeln über den gelben Narzissen, die am Strome entlang nickten.

Da sah Johannes einen Hirsch entfliehen, rasch, leichtfüßig, gleichsam von den Soden emporschnellend – dann wieder einen – und noch einen!

Und näher erklang das Flötenspiel – jetzt auch von Gesang begleitet. Es erscholl aus dem schattenreichen Kastanienwalde und widerhallte herrlich von den Bergwänden, begleitet von dem ernsten, gleichmäßigen Rauschen des Stromes. Man hörte die Stimmen von Männern und Frauen. Kraftvoll-streng und lieblich-klar – und hin und wieder das laute Aufjubeln hoher freudiger Kinderstimmchen.

Und da kamen sie herbei, die Menschen: ein froher buntfarbiger Zug. Sie alle trugen Blumen – Kränze auf dem Kopf – Guirlanden in den Händen oder um die Schultern gewunden: die Flötenspieler, die Männer, die Frauen und die Kinder. Und sie selber glichen bunten Blumen in ihren hellfarbigen zierlichen Gewändern. Sie hatten alle dichtes lockiges Haar, das im Sonnenschein wie dunkles Gold erglänzte. Ihr Körper und ihre Gesichtszüge waren von der Sonne gebräunt, aber wenn die Falten ihrer Gewänder hinwegglitten, so schimmerte ihr Leib darunter weiß wie Milch. Die Älteren schritten langsam und majestätisch einher nach den Rhythmen der Musik, und die Kinder trugen Körbchen mit Früchten, Bändern und grünen Zweigen; die jungen Frauen und Männer aber tanzten, während sie vorübergingen, so, wie Johannes noch niemals hatte tanzen sehen. Sich wiegend bewegten sie ihre Körper mit kleinen Sprüngen, hin und wieder einen Augenblick stillstehend in anmutiger Haltung, indem sie die Arme abwechselnd über den Kopf erhoben und das lose Gewand leicht lüfteten, um es dann wieder in zierlichen Falten zusammenzufügen.

Und wie schön sie waren! Nicht einen einzigen sah Johannes, mochte er nun alt oder jung sein, der nicht jene edlen feinen Züge und jene klaren feurigen Augen besaß, in denen der tiefe Sinn zu finden war, den er stets und immerfort im Antlitz der Menschen suchte. Das, was ihm einen Menschen sogleich zum Freunde machte, was in ihm das Verlangen erweckte, innig und vertraut mit ihm zu werden, das Feuer, das er zum erstenmal in Windekinds Augen gesehen und das er in all den häßlichen Menschengesichtern, zwischen denen zu leben er verdammt war, so schmerzlich vermißte, sie hatten es alle: Mann und Frau, Greis und Kind.

»O, Wistik,« flüsterte er, während er vor Rührung kaum zu sprechen vermochte, »sind dies Menschen und keine Elfen? Können Menschen denn so schön sein? Sie sind viel schöner als Blumen, viel schöner als Tiere. Sie sind schöner als alles hier in der Natur.«

»Nun, was habe ich dir gesagt?« antwortete Wistik, während er sich vergnügt die dünnen Beinchen rieb. »Menschen passen sehr gut in die Natur, ausgezeichnet sogar. Aber wir haben bisher nur die verkehrte Marke zu sehen bekommen, den Ausschuß, Johannes, den Abfall. Die Richtigen aber sind so übel nicht, das habe ich dir doch stets gesagt.«

Johannes entsann sich dessen nicht, wollte aber seinem kleinen Freunde nicht widersprechen. Er hoffte jetzt nur, daß diese herrlichen Menschen zu ihm kommen, ihn als Ihresgleichen erkennen und in ihren Kreis aufnehmen würden. Dann würde er glücklich sein und die Menschen sehr lieb haben und stolz sein auf sein eignes Menschtum.

Allein der schöne Zug kam näher und glitt vorüber, ohne daß ihn auch nur ein einziger bemerkte. Auch hörte Johannes, daß sie in einer fremden, ihm unverständlichen Sprache sangen.

»Darf ich sie nicht anreden?« fragte er erregt. »Würden sie mich wohl verstehen?«

»Aber nein, Johannes,« antwortete Wistik entrüstet, »wo denkst du hin? – Dies ist hier weder ein Märchen noch ein Traum. Es ist echt, alles echt.«

»Muß ich denn wieder zurück zu Tante und zu Daatje und zum Herrn Pfarrer?«

»Jawohl,« sagte Wistik verlegen.

»Und das Schlüsselein? und das Büchelchen? und Windekind?«

»Die können wir noch suchen.«

»Siehst du,« sagte Johannes, »so ist es nun immer mit dir, du versprichst wunder was und es endet jedesmal mit einer Enttäuschung.«

»Dafür kann ich nichts,« antwortete Wistik.

Sie gingen weiter, schweigend und beide ein wenig entmutigt. Da gewahrten sie auch Menschenwohnungen zwischen all dem Grün. Einfache Bauwerke aus dunklem Holz und leuchtendem Stein, kunstvoll verziert und bemalt. Der Wein wucherte an den Säulen, und von den Dächern hingen Ranken einer seltsamen dickblättrigen Pflanze mit tiefroten Blüten herab, so daß es schien, als ob die Mauern bluteten. Allüberall nisteten Vögel, und in den Marmornischen sah man kleine vergoldete Statuen stehen. Da waren keine Türen und keine Gitter – nur hier und dort hing ein bunter schwerer Teppich vor einem Durchgang. Leer und still war es – denn alle waren fort – aber sie hatten bei ihrem Weggehen nichts verschlossen oder aufgehoben. Vor den Häusern schwelten in bronzenen Becken feine Essenzen, deren blaue Rauchsäulen sich langsam durch die stille Luft emporkräuselten.

Dann zogen sie weiter in den Wald hinein, der hinter den Häusern lag. Dort hing dämmeriger Schatten und eine geheimnisvolle feierliche Stille. Üppig wucherte das Moos auf den schweren Felssteinen, zwischen denen gewaltige Kastanienbäume und Zedern wuchsen. Schäumende Bächlein rauschten abwärts – und immerfort war es Johannes, als sähe er dieses oder jenes Wesen, einen Hirsch oder ein anderes Tier ihn verstohlen anblicken und dann schleunigst wieder zwischen den Stämmen verschwinden. »Sind das Hirsche?« fragte Johannes.

»Nein, nein,« antwortete Wistik, während er einen Finger emporstreckte. »hör' nur, wie sie lachen. Hirsche lachen nicht.«

Und in der Tat hörte Johannes jedesmal, wenn er eine Gestalt in der Dämmerung des Waldes verschwinden sah, ein leises Raunen, das deutlich wie das Lachen eines Menschen erklang.

»Gib jetzt gut acht, jetzt werden wir ihn sehen,« sagte Wistik.

»Wen?« fragte Johannes.

»Pst,« flüsterte Wistik geheimnisvoll, während er auf einen lichten Fleck am Waldesrande deutete.

Dort erblickte Johannes ein so reizendes Bild, daß er sprachlos stehen blieb, um die Lippen ein flüchtiges Lächeln des Staunens und der Freude.

Der Wald zeigte dort eine Lichtung, und die Sonne schien hell auf eine grasbewachsene blumenreiche Stelle. In der Mitte stand ein einsamer ungeheuer dicker Kastanienbaum, um dessen Fuß sich ein klares Bächlein wand, das von weißen Narzissen umsäumt war. Ringsum prangten hohe Rhododendron mit ihren glänzenden dunkeln Blättern und Hunderten von purpurnen halbrunden Blütendolden. Am Fuße des Baumes saß im Schatten seines Laubes eine seltsame Gestalt, dunkel und zottig, von zarten weißen Wesen umringt. Johannes wußte nicht, was er von ihnen denken sollte. Sie waren gar licht und lieblich und lagen in allerhand anmutigen Stellungen zwischen hohen Gräsern und Narzissen. Es waren Menschen, wie es schien, aber ganz klein, und so weiß wie der Schaum des Büchleins. Und ihre langen Haare waren so leicht, daß sie in der windstillen Luft ihre Köpfchen sacht zu umschweben schienen.

In ihrer Mitte saß die dunkle, zottige Gestalt, die Arme um die Knie gelegt, die Hände ausgestreckt. Er hatte einen langen grauen Bart, ein altes runzliges freundliches Gesicht, trug große goldene Ohrringe, auf dem Kopf eine Blätterkrone, um die Schultern ein rotes Blumengewinde, das mit lebendigen gelben Faltern verziert war, und hatte nackte braune Arme, eine breite dicke rauhhaarige Brust und gänzlich mit einem rotbraunen wolligen Fell bedeckte Beine. Auf jeder Hand hielt er einen Finken, und die beiden Vögel schlugen der Reihe nach ihren längsten Schlag; und dann lachte der Alte und nickte wohlwollend und befriedigt, und die kleinen, weißen Wesen um ihn her lachten mit ihm. Auf seiner Schulter saß ein Eichhorn und schälte Kastanien, so daß die Schalen in seinen grauen Bart fielen.

»O, Wistik,« rief Johannes halb lachend, halb weinend vor Freude. »Ich weiß, wer das ist, ich kenne ihn. Das ist Pan, Vater Pan.«

»Das ist wohl möglich,« sagte Wistik mit einem sehr klugen Gesicht. »Der wird uns gewiß Rede stehen, versuch' es nur einmal.«

Schüchtern trat Johannes näher. Aber kaum hatte er den ersten Fuß auf die blumenbewachsene Lichtung gesetzt, als die kleinen weißen Nymphchen auch schon im Handumdrehen auseinanderstoben, so rasch und so unhörbar, als wären sie Eidechsen; und nur ihr helles leises Spottgelächter und ein leichtes Rauschen im Schatten der dunkeln Rhododendron war noch hörbar. Auch die beiden Finken flogen davon, und die gelben Falter aus seinem Blumenkranz, und das Eichhorn schoß mit seinen scharfen Nägeln in den nächsten Baum. Pan aber blieb ruhig dasitzen, mit gesenktem Kopf, herabhängenden Händen und freundlich spähenden Äuglein.

»Ich kenne dich wohl,« klang es aus seinem breiten Munde, während er, den dicken Kopf ein wenig zur Seite geneigt, Johannes immerfort nickend anblickte.

»O, Vater Pan,« sagte Johannes, zitternd vor Ehrfurcht und Staunen, »kennt Ihr mich? Wollt Ihr mir antworten? Wo sind wir hier?«

Pan nickte noch immer wohlwollend und beruhigend.

»Phrygien,« sagte er. »Goldenes Jahrhundert! – jawohl.«

»Und kennt Ihr Wistik auch und Windekind? und wißt Ihr um das Schlüsselein und das Büchelchen?«

»Wistik – jawohl, – wüßt ich nur alles! Du kannst aber mal gierig fragen, du Allesfrager. Wistik und Allesfrager, ein schönes Paar.«

Und Pan lachte laut mit einem erstaunlich großen Mund voll großer weißer Zähne.

»Wer ist doch dieser Windekind, Vater Pan?«

»Mein süßer Liebling – mein herziges, schönes Söhnchen ist er! Zwei Dottern aus einem Ei – wenngleich ich alt, plump und zottig bin, und er glatt und fein und schön.«

»Werde ich ihn jemals wiedersehen?«

»Warum denn nicht? er kommt oftmals hierher. Und dir gefällt es hier doch gut, nicht wahr?«

»Aber Wistik sagt, daß ich hier nicht bleiben kann.«

»Das kannst du jetzt auch nicht. Aber warum solltest du nicht eines Tages wiederkommen?«

»Wäre das wohl möglich?«

Pan machte ein drollig-erstauntes Gesicht und blies die Backen auf.

»O du lieber, kleiner Allesfrager, komm', gib mir dein Pfötchen –«

Vertraulich legte Johannes seine kleine Hand in die breite, offene Handfläche, die außen rauh und dunkel, innen aber weiß und glatt war. »Weißt du das noch nicht? So laß dich von Vater Pan durch ein einziges Wort glücklich machen. Gut behalten, hörst du wohl? Allesfrager kann, was Allesfrager will. – Alles, wenn er nur weiterhin geduldig wollen wird. Aber nun sage du mir einmal, wie kennst du mich?«

»Ich sah vielerlei Bilder von Euch.«

»Und waren die ähnlich?«

»Nein,« sagte Johannes, »ich finde Euch viel schöner. Auf den Bildern gleicht Ihr dem Teufel –«

»Hahaha,« lachte Pan, während er die großen Hände hart über seinem Kopf zusammenschlug. »Der bin ich selber, Allesfrager. Sie haben einen Teufel aus mir gemacht, um die Menschen von mir abzubringen. Aber sag mal, glaubst du nun, daß ich schlecht bin? – noch ein Pfötchen, so – und noch eins!«

Johannes legte seine beiden Hände in Pans Riesenhände und sagte mutig: »Ich weiß, wer Ihr seid. Ihr seid gut. Ihr seid die Natur.«

»Halt doch deinen Mund, du kleiner Schwätzer mit deinen pedantischen Modeworten. Schämst du dich denn gar nicht?«

Johannes errötete heftig, die Tränen traten ihm in die Augen, und er hatte ein Gefühl, als möchte er sich verkriechen, gleichviel wohin. Pan aber zog ihn an sich und streichelte ihm die Wangen.

»Nun, nun, weine nur nicht. Das ist nicht so schlimm. Du kommst auch aus einem schauderhaften Nest. Ich bin nicht schlecht und Wistik auch nicht. Uns kannst du ruhig vertrauen.«

»Das habe ich ihm auch gesagt,« sagte Wistik gewichtig und mit Nachdruck.

»Du kleiner Allesfrager,« fuhr Pan dann sehr ernsten Blickes fort. »Es gibt allerdings wohl einen schlechten Teufel, aber der ist viel häßlicher als ich, nicht wahr, Wistik? – Du kennst ihn ja. Ist er nicht häßlicher? So sag' doch!« –

Niemals vergaß Johannes Wistiks Gesichtsausdruck, als Vater Pan ihn dies laut fragte, mit starrem funkelndem Blick. Der kleine Kerl ward totenbleich, sein Mündchen öffnete sich, er preßte beide Hände auf den Magen und flüsterte kaum hör bar mit zitternden Kiefern: »Abscheulich!!«

»Ah so,« sagte Pan. »Und das bin ich nicht. Wistik soll ihn dir nur mal zeigen. Und der sieht den dummen Menschen, von denen du jetzt kommst, viel ähnlicher als ich.«

»Tante Serena?« fragte Johannes erstaunt, »ist die denn nicht gut und vortrefflich? ist die ein dummer Mensch?«

»Nun, nun, mein lieber kleiner Allesfrager,« sagte Pan begütigend, »alles ist relativ. Aber daß sie dem bösen Teufel mehr gleicht als ich, das ist sicher.«

»Wie ist das denn möglich?« fragte Johannes in großem Staunen.

Pan wurde ein wenig ungeduldig. »Ist dir das denn ein solches Rätsel? So frage sie nur, sie möchte dir mal das kleine Bäumchen zeigen, das sie in ihrem Schrank stehen hat, und an dem die goldenen Äpfel wachsen; aber vergiß es nicht!«

»Recht so, recht so,« murmelte Wistik, während er vor Freude in die Händchen klatschte.

Da erklang plötzlich in der Ferne ein unheimliches Lärmen, ein kurz ausgestoßenes heiseres Gebrüll, das im Walde widerhallte.

»Der Löwe!« rief Wistik aus, und er lief, was er nur laufen konnte.

Auch Johannes fühlte sich angstbeklommen. Er begriff, daß seine Zeit gekommen war. Aber er wollte noch nicht. Flehentlich fragte er:

»Vater Pan, werde ich das Büchelchen finden?«

»Sei meiner Worte eingedenk,« sagte Pan. »Allesfrager kann alles, was Allesfrager will. Wollen ist Können. Aber es muß das rechte Wollen sein.«

Wieder erklang das grausige Gebrüll. Viel näher jetzt. Johannes streckte die Hände aus – im Zwiespalt zwischen heftig sich steigernder Angst und dem heißen Wunsch den Augenblick noch auszunützen.

»Eine Frage noch!« rief er: »Wer ist Markus?«

Da sah er, wie Pans Augen sich weit öffneten und ihn voll tiefer Rührung anstarrten. Wild und traurig war sein Blick, wie der eines verwundeten Tieres, und Johannes bemerkte zum erstenmal, was für schöne große Augen er hatte. Dann hob er die ausgebreiteten Hände empor, bedeckte damit sein Antlitz und begann zu weinen mit lautem Jammergeheul. Die Luft ward dick und dunkel und ein schwerer Regen prasselte hernieder.

Da brüllte der Löwe zum drittenmal ...


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