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Die Drakes, deren das Tagebuch der Schwester erwähnt, sind die Familie des Bildhauers, dem Berlin und manche andere deutsche Stadt so herrliche Kunstwerke verdankt.
Er gehörte auch zu unseren Nachbarn. Ich bemerkte schon, daß sein Haus von der Lennéstraße aus das erste in der Schulgartenstraße Heute Königgrätzer Straße. war, und ihn und die junge Frau, die er vor kurzem heimgeführt hatte, verband eine warme Freundschaft mit der Mutter.
Auch uns Kindern war er gewogen, und er duldete uns sowohl in dem Atelier, das mit seinem Hause verbunden war, wie in dem anderen größeren im Tiergarten. Ja er gab uns gern ein Stück Ton, um irgend etwas daraus zu kneten.
Oft habe ich daselbst stundenlang seinem Schaffen zugeschaut und ihm etwas vorgeplaudert oder lieber noch zugehört, wenn er uns von seiner Kindheit erzählte, in der er ein ganz armer Junge gewesen. Dabei forderte er uns auf, dankbar zu sein, daß wir es besser hätten; doch fügte er gewöhnlich hinzu, er möchte dennoch für nichts in der Welt die Tage hergeben, in denen er barfuß umhergelaufen.
Dabei leuchteten ihm die hellen, reinen Künstleraugen, und es muß auch ein köstliches Hochgefühl sein, mit eigener Kraft die schwersten Hindernisse besiegt und sich bis zum Gipfel des Höchsten im Leben, der Kunst, hinaufgeschwungen zu haben.
Das ahnte ich schon bei seinen Erzählungen, und ich finde heute jeden beneidenswert, der wie er, sein Kunstgenosse Ritschl und mein lieber Freund Josef Kopf in Rom, die alle drei lorbeergekrönte Meister der Bildhauerkunst wurden, der eigenen Kraft alles schuldet.
In Drakes Atelier sah ich Statuen, Büsten und Reliefs aus der rohen Masse des Tones entstehen, sah ich das Gipsmodell von den Punktierern auf den Marmor übertragen und den Meister mit sicherer Hand herrliche Formen aus dem Urkalk erwecken. Was ich nicht verstand, das erklärte der gelassene, freundliche Mann uns mit nie versagender Geduld, und so gewann ich früh einen Einblick in das Schaffen der Bildhauer.
Es sind Kindheitserinnerungen, die mich in der »Uarda« die Gestalt des kleinen Pennu, im »Homo sum« die des Polykarp, im »Kaiser« den Pollux und in »per aspera« den daseinsfrohen Alexander darstellen ließen, wenn mich auch das Leben später mit vielen Künstlern zusammenführte.
Ich hatte übrigens im letzten Berliner Jahre auch das Atelier eines anderen Bildhauers oft besucht. Er hieß Streichenberg, und seine Werkstätte lag in unserem Garten in der Linkstraße.
Wenn in Drakes Werkstatt sinniger Ernst waltete, so herrschte in der des Professors Streichenberg künstlerische Fröhlichkeit. Er pfiff oder sang oft bei der Arbeit, und sein junger italienischer Punktierer schlug die Gitarre. Aber während ich noch genau weiß, was Drake in unserer Gegenwart zur Ausführung brachte und einzelne Gruppen des köstlichen Reliefs »Die Genien des Tiergartens«, das er vor unseren Augen modellierte, zeichnen konnte, erinnere ich mich keines einzigen Streichenbergschen Werkes, um so besser aber der lebhaft munteren Weise dieses Künstlers, der uns in den Märztagen 1848 als Volksführer wieder begegnete.
Auch gute Werke der Kunst gehörten zu unserer täglichen Umgebung; denn in den Wohnzimmern hingen viele Gemälde, die der Vater von dem seinen geerbt. Es befanden sich unter ihnen außer den schönen Porträts von Beadley und Schadow, deren ich schon erwähnte, gute alte Niederländer, unter denen ein Edelknabe von Ferdinand Bol die erste Stelle einnahm, Landschaften von Philipp Hackert, eine Marine von Gudin und andere mehr. So wurden uns wenigstens einige gute Schöpfungen der Maler zeitig vertraut. Doch es war uns auch schon jung vergönnt, einen Blick in ihre Werkstätten zu Werfen. Da gab es zunächst einen jungen Porträtmaler Ernecke, dem die Mutter in der Lehrzeit den Weg geebnet hatte und in dessen Atelier ich gelangte, als sie ihm aufgetragen hatte, mein Bildnis zu malen. Dort herrschte eine mehr als künstlerische Anordnung, und ich erinnere mich noch gern seiner frohen Laune und des einen Löffels, den er »weitergab«, als er uns während einer Sitzung Kaffee gekocht hatte.
In der Schmidtschen Schule gehörten Franz und Paul Meyerheim zu unseren Kameraden, und wie war ich so voll von Bewunderung, als einer von ihnen – ich glaube Franz, der damals wie wir zehn oder elf Jahre zählte – uns einen Husaren zeigte, den er selbst auf ein Stück Leinwand in Öl gemalt hatte. Die Brüder nahmen uns auch mit in das elterliche Haus, und dort sah ich den freundlichen Vater, den Schöpfer so vieler liebenswürdigen Bilder aus dem Land- und Kinderleben, bei der Arbeit.
Der hochbegabte Franz ist leider jung gestorben, mit dem genialen, heiteren und kraftvoll selbständigen Paul hat mich aber das Leben wieder zusammengeführt.
Auch ein Mitglied der Künstlerfamilie Begas, Adalbert, von dem ich später schöne Porträts sah, dem ich aber leider nicht wieder begegnete, gehörte zu unseren Alters- und Spielgenossen. Durch ihn kamen wir auch in das Heim der Seinen am Karlsbad.
Am unvergeßlichsten blieben mir unsere Begegnungen mit Peter Cornelius, der auch in der Lennsstraße wohnte.
Denke ich an ihn, so ist es mir immer, als blickte er mir wieder ins Antlitz. Wer einmal in seine Augen schaute, der konnte sie nimmer vergessen. Tieferen und gewaltigeren bin ich nicht wieder begegnet. Er war ein kleines Männlein mit wachsbleichen und beinahe herben, doch wohlgebildeten Zügen und schlichtem, langem kohlschwarzem Haar. Man hätte ihn übersehen können, wenn die Augen nicht gewesen wären, die alles andere an ihm verschwinden ließen, wie das Licht der Sonne den Sternenschein. Sie bewirkten, daß er unter Tausenden die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Ihr majestätisch leuchtender Blick forderte Gehorsam, und mit ihm hat er die Massen bezwungen und durchgeistigt, die sein gewaltiger Genius in wunderbar durchdachter Ordnung auf den kleinen Raum seiner Kartons zusammenführte. Der ihm eigene gemessene Ernst und die vornehme Zurückhaltung seines Wesens waren wohl geeignet, Kinder von ihm fernzuhalten, ja sie abzuschrecken, und wir waren dem strengen kleinen Mann, von dem wir gehört hatten, daß er zu den Größten unter den Großen gehöre, aus dem Wege gegangen. Als er und seine freundliche Gattin aber mit der Mutter bekannt geworden waren, rief er uns zu sich heran, und es ist unbeschreiblich, wie sich seine herben Züge im Verkehr mit uns Kleinen sänftigten, bis sie den Ausdruck freundlichster Herzensgüte gewannen. Und mit wie eingehender, ich möchte sagen väterlicher Güte er mit uns zu reden und sogar in seiner bedeutsamen Weise zu scherzen verstand! Ich sollte es besser als die anderen erfahren; denn mein blonder Lockenkopf war ihm brauchbar für einen Kunstzweck erschienen, und die Mutter hatte ihm gern gestattet, mich zum Modell zu benützen. Da hab' ich ihm denn mehrere Tage hintereinander etliche Stunden stillhalten müssen, doch gesteh' ich zu meiner Schande, daß ich mich nur noch erinnere, bei diesen Sitzungen besonders gute verzuckerte Früchte genossen zu haben.
Ich muß jetzt lächeln, wenn ich bedenke, daß er aus mir wildem Jungen, der vielleicht kurz vorher von dem Feind aus dem Blumenkeller Prügel bekommen hatte, einen Engel oder Genius des Friedens machte.
Später begegnete ich ihm noch einmal, und dies Zusammentreffen hat die Erinnerungen aus der Jugendzeit, die ich hier genau, wie sie mir vor Augen schweben, wiederzugeben versuchte, nur bestätigt.
Weit näher als Peter Cornelius stand ein anderer berühmter Bewohner der Lennsstraße unserem mütterlichen Hause. Es war der Oberkonsistorialrat und Hofprediger Strauß, der die Nr. 3 bewohnte.
Verschiedenere Männer als er und sein großer Künstlernachbar lassen sich schwer denken, obgleich ihre Wiegen nicht allzu weit voneinander gestanden hatten; denn der Maler war in Düsseldorf, der Geistliche zu Iserlohn in Westfalen geboren.
Cornelius schwebt mir vor wie ein besonders seiner Typus der romanischen Rasse, während ich Strauß ein Urbild des derben niedersächsischen Stammes nennen möchte. Breitschulterig, voll, rotwangig, mit klugen, aber durchaus freundlichen blauen Augen und einer klangvollen Baßstimme, die große Räume zu bewältigen gewohnt war, ging er auf festen Beinen in sicherem Behagen, Behagen erweckend, dahin. Es war ihm etwas von der selbstgewissen und doch seinen Würde des wohlgestellten und unterrichteten katholischen Prälaten eigen; doch kam dazu noch die Streitbarkeit der Protestanten.
Wer ihm näher in das gesunde Antlitz schaute, der fand darin nicht nur wohlwollende Güte, sondern auch überlegene Klugheit und deutliche Spuren jener freudigen Schwungkraft der Seele, die ihm eine so große Gewalt über die Kerzen der ihm lauschenden Gemeinde und gelegentlich auch über das Gemüt und den Geist des Königs verlieh.
Seine kirchliche Richtung ist nicht die meine geworden, doch glaube ich, daß seine strenge Wortgläubigkeit auf Überzeugung beruhte, und nicht auf ihn ist das widrige Zurschautragen der Frömmigkeit, um sich dem König angenehm zu machen, zurückzuführen. Unsere Knabenzeit fällt ja in die Jahre, in denen Alexander von Humboldt, als er einmal den König in die Friedenskirche zu Potsdam begleitet hatte, auf die spöttische Frage, wie er, den man bei Hofe für einen Freigeist hielt, in das Gotteshaus komme, die treffende Antwort erteilte: »Um Karriere zu machen, Exzellenz.«
Wenn der Hofprediger Strauß uns auf der Straße begegnete und uns mit der klang- und salbungsvollen Stimme sein »Guten Morgen, meine lieben Täuflinge!« entgegenrief, so ging einem das Herz auf, als habe man einen Segen empfangen. Mich nannte er und sein Sohn Otto wegen meines blonden Lockenkopfes »Marc Aurel«, und wie oft hat seine kräftige Hand sich in meine Haarfülle versenkt, um mich zu sich heranzuziehen.
Strauß stand dem Könige Friedrich Wilhelm IV. sehr nahe, und er hat in wichtigen Momenten auch Einfluß auf seine politischen Entscheidungen gehabt. Dennoch konnte sich der seltsam geartete Fürst nicht enthalten, auch ihm gegenüber der Neigung zu billigen Witzen nachzugeben. Als er ihn zum Hofprediger ernannt hatte, rief er Alexander von Humboldt zu: »Ein naturhistorisches Kunststück, das du mir doch nicht nachmachen kannst! Ich habe einen Strauß zum Dompfaffen Strauß war Domprediger. gemacht.«
Fritz, der älteste Sohn des würdigen Mannes, besuchte mich in Leipzig. Unsere Studien auf dem Gebiet der biblischen Geographie hatten uns zu verschiedenen Ansichten geführt, doch mitten in die wissenschaftlichen Meinungsverschiedenheiten mischten sich fortwährend Erinnerungen aus der Lennéstraße.
Weit öfter als seiner, des sehr viel älteren, hatte ich seines jüngeren Bruders Otto, damals ein frischer und liebenswürdiger junger Mann, und seiner Mutter, eine warmherzige und freundliche Rheinländerin von vornehmer Haltung, gedacht.
Unsere Mutter hielt große Stücke auf den Hofprediger. Er hatte uns alle getauft und sollte später meine Schwestern konfirmieren und unsere Martha trauen. Aber so wert er der Mutter auch als Freund und Ratgeber war, konnte sie sich doch nicht zu seiner strengen Glaubensrichtung bekennen. Zwar genoß sie das Abendmahl mit den Schwestern nur von seiner Hand, doch zog sie die Predigten des Feldpropstes Bollert und später die des trefflichen Sydow den seinen vor. Ich erinnere mich noch sehr Wohl ihrer Betrübnis, als Bollert, dessen freiere Auslegung der Schrift bei Hofe Ärgernis erregt hatte, nach Potsdam verschickt wurde.
Ein drolliges Echo der Wirkung dieser Maßregel finde ich in dem Tagebuch unserer Paula wieder, und es wäre damals einem heranwachsenden Mädchen mit lebhaftem Geiste auch geradezu unmöglich gewesen, dergleichen Urteile, die sich ihm aufdrängten, wohin es kam, zu überhören.
Königstreu war alles um uns her, ja der Geheimrat Seiffart, einer unserer allernächsten Freunde, ein höchst schneidiger Konservativer, dem man das Wort vom »beschränkten Untertanenverstande«, das indes seinem Chef, dem Minister von Rochow, angehört, zuschreiben wollte. Doch warme Sehnsucht nach würdigeren politischen Zuständen und nach einer Verfassung auch für das wackere, loyale, denkende und wohlunterrichtete preußische Volk erfüllte die meisten näheren Bekannten der Mutter und ausnahmslos die jüngeren.
Im nämlichen Hause mit uns wohnten zwei Männer, die für ihre politische Überzeugung gelitten hatten, die Brüder Grimm. Unter den Göttinger Sieben waren sie, wie bekannt, als Opfer der Willkür des Königs Ernst August von Hannover von ihren Lehrstühlen verdrängt worden.
Ihre würdigen Gestalten gehören für mich zu den edelsten, unvergeßlichen Erinnerungsbildern aus der Lennéstraße. Sie waren gleichsam Eins, und man sah sie selten allein. Dennoch hatte jeder die ihm eigene Individualität völlig bewahrt.
Wenn je das Äußere bedeutender Männer der Vorstellung entsprach, die man sich nach ihren Taten und Werken bildete, so war es das ihre. Man brauchte sie nicht zu kennen, um auf den ersten Blick zu wissen, daß man es mit großen Arbeitern auf dem Gebiete des geistigen Lebens zu tun hatte. Nur ob sie Gelehrte waren oder Dichter, hätte auch der geübte Beobachter schwer zu entscheiden vermocht. Ihr lang wallendes gewelltes Haar und ein ideales Etwas, das sie beide umwob und ihnen aus den Augen sprach, hätte vielleicht eher auf diese Vermutung, die Bildung der gedankenschweren, von strenger Arbeit zeugenden Stirnen und die etwas nach vorn geneigte Haltung auf jene geführt. Wilhelms mildere Züge waren doch wohl die eines Poeten, Jakobs strengere und der durchdringende Blick seiner Augen ließen leichter den großen Forscher in ihm erkennen. So sicher wie beide zu den gewaltigsten Förderern der deutschen Wissenschaft gehörten, so gewiß hatte sie aber auch die Muse schon in der Wiege geküßt. Nicht allein die Art der Wiedergabe unserer deutschen Volksmärchen, nein, fast jede ihrer Schriften legt Zeugnis ab für eine poetische Anschauungsweise und eine nur dem dichterischen Genius eigene Intuition. Manche ihrer Schriften ist auch voll von poetischer Schönheit.
Daß beide Männer in des Wortes vollster Bedeutung waren, sah man ihnen gleichfalls auf den ersten Blick an. Sie haben es bewiesen, als sie, um auf ihrer Überzeugung zu beharren, sich und die Ihren einer ungewissen Zukunft preisgaben, und als sie, schon in höheren Jahren, die Riesenarbeit, ein deutsches Wörterbuch von dem Umfang und der Tiefe des ihren herzustellen, auf sich nahmen.
Jakob sah aus, als könnte nichts ihn beugen, Wilhelm, als sei er ebenso stark, doch geneigt, sich aus Liebe nachgiebig zu erweisen.
Und welche bezaubernde, ja, ich möchte sagen kindliche Liebenswürdigkeit paarte sich mit der Mannheit in diesen beiden! Ja, sicherlich war ihnen jene erhabene Einfalt eigen, die das Genie mit dem Kinde, das der Heiland zu sich berief, gemein hat. Das sprach ihnen aus den Augen, die so tief zu schauen vermochten, das klang aus ihrer Rede, die das Schwerste so leicht bewältigte, wenn sie sich herabließen, mit den eigenen Kindern und oft auch mit uns so herzig zu verkehren und so naiv zu scherzen, daß wir uns bisweilen versucht fühlten, uns für die Klügeren zu halten.
Aber wir wußten, mit welchen Riesen des Geistes wir verkehrten, und man hätte es mir wenigstens nicht zu sagen brauchen. Es war mir immer, wenn sie mich zu sich heranriefen, als hätte mich der König dessen gewürdigt.
Nur Wilhelm war verehelicht, und das Weib, das er zu dem seinen gemacht, hatte kaum ihresgleichen an sonniger und schlichter Herzensgute. Eine freundlichere, mütterlichere, liebere Matrone ist mir nie wieder begegnet. Man glaubte ihr Kind zu sein, wenn sie mit einem verkehrte, und wie sorgte sie für die beiden, die sie »die Männer« nannte, und ihre Kinder.
Hermann, der sich als Dichter einen guten Namen erwarb und zu den allerhervorragendsten unserer Ästhetiker gehört, war weit älter als wir. Der lange, oft wie in Gedanken versunken dahinschreitende junge Mann galt uns für etwas Besonderes, Unnahbares; sein jüngerer Bruder Rudolf war dagegen ein heiterer Jüngling, dessen Schönheit und Frische mir unsagbar Wohl gefiel. Wenn er mit elastischen Schritten, als fordere er das Leben zum Kampfe heraus, daherkam und ich ihn immer drei Stufen der Treppe auf einmal überspringen sah, freute ich mich, und ich wußte, daß die Mutter ihn besonders gern mochte. Das galt auch von der »Gustel«, seiner Schwester, die so herzensgut und freundlich war wie ihre Mutter.
Deutlich seh' ich heute noch den Fackelzug vor mir, dem wir von den höher gelegenen Grimmschen Fenstern aus zusehen durften, als die Berliner Studentenschaft die verehrten und geliebten Brüder mit einem solchen feierte; doch noch ein hellerer Feuerschein ist mir im Gedächtnis geblieben. Das brennende Opernhaus war es, das ihn weithin verbreitete. Die Mutter, die uns gern an allem wahrhaft Merkwürdigen, das eine Erinnerung für das Leben zu bleiben versprach, teilnehmen ließ, nahm uns aus den Betten mit in das Credésche Nebenhaus, wo Seiffarts wohnten und das mit einem Türmchen gekrönt war. Von ihm aus folgten wir bewundernd dem tiefer und tiefer erglühenden Himmel, zu dem die Flammen oft mit gierigen Zungen hinanlohten.
Dazu durchschnitten wie glühende, funkenstiebende Vögel gestaltenlose Massen das Dunkel. Rauchsäulen vermischten sich mit dem Gewölk, und der Ruf der Feuerglocken begleitete mit metallenen, Hilfe heischenden Stimmen dies große Schauspiel. Ich zählte erst sechs Jahre, und doch erinnere ich mich deutlich, wie Ludo und ich am nächsten Tage in die Lutzesche Schwimmanstalt geführt wurden und schon auf dem sandigen Exerzierplatze, dann am Ufer der Spree und auf dem Wasser größere und kleinere Stücke halb verkohlter Kulissen fanden, die der Nachtwind bis hierher getragen hatte. Das waren die glühenden Vögel gewesen, deren Flug ich von dem Credéschen Turm aus gefolgt war.
Diese Mitteilung führt mir ins Bewußtsein, wie zeitig die Mutter für die Ausbildung unseres Körpers besorgt war; denn ich erinnere mich genau, daß uns der Hauslehrer, der uns kleine Gesellen immer ins Bad führte, beim Schwimmen auf solche Dekorationsstücke aufmerksam machte. Als ich, elf Jahre alt, nach Keilhau kam, war ich dieser Kunst vollkommen mächtig.
Ich bin überhaupt jünger, als es sonst zu geschehen pflegt, zu mancherlei gekommen, weil ich mit dem anderthalb Jahre älteren Bruder, wie ich schon bemerkte, gleichsam eins war und mir darum, was ihm zukam, nicht wohl vorenthalten werden konnte.
Auch im Schlittschuhlaufen wurden wir früh geübt, und wie viel schöne Stunden verlebten wir, oft auch mit den Schwestern, auf der Eisbahn bei der Luisen- und den Rousseauinseln im Tiergarten, Die ersten Damen, die sich damals als Schlittschuhläuferinnen auszeichneten, waren die Gattin und Tochter des berühmten Chirurgen Tieffenbach, zwei schöne, biegsame Erscheinungen, die sich höchst graziös auf dem Eise bewegten, und die in ihren mit Pelz verbrämten Jacken und polnischen, mit Zobel besetzten Mützchen allgemeine Vewunderung erregten.
Im ganzen fanden wir Zeit genug für dergleichen; doch ging uns manche freie Stunde durch den Musikunterricht verloren. Ludo lernte Klavierspielen; ich aber hatte mir ein anderes Instrument erwählt. Zu unseren besten Kameraden gehörte nämlich außer den schon genannten, den drei prächtigen Söhnen des Geheimrats Österreich und anderen mehr, ein netter Junge namens Viktor Rubens, dessen Eltern gleichfalls mit der Mutter befreundet waren. In dem gastlichen Hause dieser liebenswürdigen Menschen hatte ich, etwa neun Jahre alt, den Komponisten Vieuxtemps Geige spielen hören. Wie berauscht war ich nach Hause gekommen und hatte die Mutter gebeten, mir Unterricht auf diesem Instrument erteilen zu lassen. Der Wunsch war erfüllt worden, und viele Jahre bemühte ich mich mit erfolglosem Eifer, etwas auf der Violine zu leisten. Zwar brachte ich es zu einer gewissen Handfertigkeit, doch genügten mir die eigenen Leistungen so wenig, daß ich eines Tages die Hoffnung aufgab, ein ausübender Musiker zu werden, und meine schöne Geige – eine Gabe der Großmutter – einem talentvollen jungen Virtuosen, dem Sohne des Französischlehrers der Schwestern, schenkte.
Einen großen Eindruck machte auf mich schon damals die Schauspielerin Crelinger durch ihre majestätische Erscheinung und die tiefe, klangvolle Stimme, wenn sie die Mutter besuchte. Sie, ihre Tochter Klara Stich, später Frau Liedtcke, die herrliche Sängerin Frau Jachmann-Wagner und die anmutige Frau Schlegel-Köster waren die einzigen Mitglieder der Bühne, die in den der Mutter so nahe stehenden Geppertschen Kreisen verkehrten und dadurch auch mit uns in Berührung kamen.
Frau Crelingers Gatte war ein hochbegabter Jurist und Justizrat; ich habe sie aber unter all den Rätinnen, die sie umgaben, sich nie des Titels ihres Gemahls bedienen sehen. Sie war in Gesellschaft »Frau«, für das Publikum »die Crelinger«. Sie wußte, was dieser Name bedeute. Wenn dem Mimen die Nachwelt auch keine Kränze flicht, so tut es doch die dankbare Erinnerung der Überlebenden. Bis ans Ende will ich der Weihestunden nicht vergessen, die ich dieser großen und edlen Menschendarstellerin später schulden sollte.
Auch Frau Jachmann-Wagner verdankte ich in der Oper wie im Schauspiel großen Genuß. Jetzt macht sie sich durch die wahrhaft künstlerische Ausbildung junger Sängerinnen verdient.
Unter dem Nachlaß der Mutter befand sich auch ein humoristisches Briefchen, das die Ankunft eines Freundes aus Oranienburg meldete, und das unterschrieben war:
»Ihr pudeltreuer Runge.
Geboren in aller Stille
Zu Neustadt an der Bille.«
Er ist denn auch erschienen, und nicht einmal, sondern mehrmals. Er hatte den Titel »Professor«, war Chemiker, und ich hörte von sachverständigen Freunden, daß ihm ihre Wissenschaft schöne Entdeckungen verdankte.
Er hatte zu den Bekannten des Vaters gehört, und wer diesem sprudelnd lebhaften, witzig heitern Herrn begegnet war, der konnte ihn schwer vergessen.
Geist und Gutherzigkeit leuchteten dem starken Manne mit dem fleischigen Gesicht und dem langen, bis über den gedrungenen Hals reichenden schlichten dunklen Haar aus den fröhlichen Augen. Wenn er mich lachend in die Luft schwang, lachte ich mit, und es war mir, als ob die ganze Welt mitlachen müßte.
Solchem Original und Kraftmenschen bin ich seit vielen Lustren nicht wieder begegnet, und wie freute es mich, da ich in der Lebensbeschreibung des Germanisten Wackernagel las, als es ihm in Berlin elend gegangen war, habe ihn Hoffmann von Fallersleben sowie derselbe Chemiker Runge nach Breslau geladen, um mit ihnen die eigene Armut zu teilen, die so weit ging, daß sie oft am Abend nicht wußten, woher sie morgen das tägliche Brot nehmen sollten. Das sah dem Alten ähnlich, und was gibt es Erfreulicheres, als zufällig Gutes von denen zu hören, die wir des Besten für fähig hielten!
Wie viele andere Namen mit und ohne Geheimrats- und Professorentitel kommen mir hier noch in den Sinn; doch muß ich mir versagen, ihrer weiter zu gedenken.
Nur dem Fräulein Lamperi gebührt hier noch eine Stelle. Schon damals speiste sie wenigstens einmal in der Woche bei uns und gehörte zu den treuesten Anhängseln unseres Hauses. Sie war die Erzieherin meines Vaters und seiner einzigen Schwester gewesen und sodann als Kammerfrau in den Dienst der Prinzeß von Preußen, der späteren Kaiserin Augusta, getreten. Damals lebte sie teils von ihrer Pension, teils von einer kleinen Rente, die ihr die Großmutter ausgesetzt hatte, teils von dem Unterricht, den sie in der Musik, der französischen und italienischen Sprache erteilte.
Auch sie gehörte zu den Originalen, nach denen man jetzt vergeblich sucht.
Sie war so geschickt, daß sie sich unglaublicherweise ihre Perücke und einige falsche Zähne selbst verfertigt hatte, und doch stammte sie aus einem Hause, dessen Frauen nicht gewohnt gewesen waren, im eigenen Dienste die Hände zu rühren; denn das Blut der ehrwürdigen und vornehmen Florentiner Familie Altoviti stoß in ihren Adern. Ihr Vater war als ein Marchese dieses Namens zur Welt gekommen, doch von dem seinen enterbt worden, als er sich mit einer Tänzerin Lamperi gegen seinen Willen ehelich verbunden. Mit ihr war der Verstoßene erst nach Warschau, dann nach Berlin gegangen und hatte sich und die Seinen durch Sprachunterricht ernährt. Die eine Tochter war ein hervorragendes Mitglied des Berliner Balletts, die andere, durch den sorgfältigsten Unterricht dazu vorbereitet, Erzieherin geworden. Sie gab den Schwestern verschiedene Stunden und übte strenge Kritik an den Handlungen aller Nebenmenschen und auch an den unseren. »Ich kann einmal nicht anders, ich muß sagen, was ich denke,« war das beschönigende Wort, das jeder strengen Ausstellung folgte, und ihr danke ich zuerst die Überzeugung, daß es weit leichter ist, eine abfällige Meinung, wenn es straflos geschehen kann, auszusprechen, als sie zurückzuhalten, sowie das Motiv zu meinem Märchen »Das Elixier«.
Ich werde auf Fräulein Lamperi zurückzukommen haben, denn sie hörte nicht auf, unserem Kaufe nahezustehen bis an ihr Ende, und sie ist an neunzig Jahre alt geworden. Übrigens haben ihre vornehmen Angehörigen in Florenz - zu ihrer Ehre sei es gesagt – sie nie verleugnet, sie, wenn sie nach Berlin kamen, besucht, und ihrem Leichenzug folgte die Equipage des italienischen Gesandten, der auch zu der Vetterschaft ihres Vaters gehörte. Die große menschenfreundliche Güte, womit Kaiser Wilhelm I. und seine hohe Gemahlin der früheren Dienerin gedachten, hat ihr Greisenalter vielfach verschönt.
Eine der treuesten Freundinnen meiner Schwester Paula und unseres Hauses wußte damals leider mehr von mir als ich von ihr. Sie hieß Babette Meyer und ist heute Frau Gräfin Kalckreuth. Damals wohnte sie in unserer Nähe und war ein allerliebstes graziöses Kind, das noch nicht bei uns verkehrte.
Als Erwachsene – wir waren schon gute Freunde geworden – erzählte sie mir einmal, sei sie an einem Wintertage aus der Schule gekommen, und andere Knaben hätten sie mit Schneebällen geworfen. Da wären Ludo und ich, »die Ebersschen Jungen«, erschienen, und nun habe sie sich schon verloren gegeben; statt jedoch über sie, wären wir über die anderen Buben hergefallen, die uns unsere Beute streitig machen wollten, und hätten sie zu Paaren getrieben; sie aber sei glücklich aus der Szylla und Charybdis entkommen.
Vor dieser rühmlichen Tat hatten wir freilich in der Zeit des Schneeballens auch die jungen Damen des Tiergartens nicht immer unangegriffen gelassen. Ich verzeihe es uns, wie es uns vergeben wurde; – wirklich peinlich ist mir aber der Gedanke, daß wir auch einen armen Irrsinnigen, den die ganze Tiergarten» und Lennsstraße kannte, und der sich ernstlich einbildete, von Glas zu sein, nicht ungeschneeballt ließen.
In Gedanken an das ungeheure Gelächter, dessen wir uns nicht enthalten konnten, wenn der Ärmste rief: »Laßt mich! Ich springe auseinander; es klirrt schon!« begann ich dies zu erzählen, doch ich hemmte die schreibende Hand; denn das tut mir weh, wenn ich mir jetzt vorstelle, wie gräßliche Ängste unser Unverstand diesem Unglücklichen bereitet haben mag. Wir waren ja alle nichts weniger als herzensrohe Kinder, und doch ist es keinem eingefallen, sich in den winselnden Mann hineinzuversetzen und seinen Schmerz zu dem unsern zu machen. Doch wir konnten es nicht; denn dazu ist das Kind noch zu sehr in dem eigenen Ich befangen, und wie viel fehlt ihm, um in solchem Falle das Ergötzliche vom Traurigen zu unterscheiden. Wäre dem Glasmanne nur einmal der Ruf: »Es tut mir weh!« von den geängstigten Lippen gekommen, ich glaube, wir hätten nicht weiter geworfen.
Aber unser junges Herz hat doch nicht unter allen Umständen dem Ergötzlichen gestattet, freundlichere Regungen in den Schatten zu stellen. Der »Mann von Glas« besaß nämlich ein weibliches Seitenstück in der »verrückten Frau Hofrätin mit der Samtenveloppe«. Diesen Titel hatte sie ihrem abgeschabten Samtmäntelchen gegeben, als böse Buben – waren wir auch dabei? – sie mit Schneebällen bewarfen, und sie uns bat, ihre Samtenveloppe zu schonen. Einmal aber, als einer von uns sie bei Glatteis auf eine »Schlidderbahn« (in Leipzig Schussel) führen wollte, traten Ludo und ich ihnen in den Weg und wehrten es ihnen. Das hatte natürlich eine tüchtige Prügelei zur Folge, doch freut es mich noch heute.