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Während dies in Bordeaux vorfiel, während der Pöbel den Leichnam des unglücklichen Canolles durch die Straßen schleppte, und der Herzog von Larochefoucault zurückkehrte und dem Stolze der Prinzessin schmeichelte, während Cauvignac mit Barrabas die Tore der Stadt wieder erreichte, hielt eine Karosse, von vier atemlosen, mit Schaum bedeckten Pferden gezogen, auf dem Bordeaux entgegengesetzten Ufer der Gironde an.
Es hatte soeben elf Uhr geschlagen.
Ein Läufer, der zu Pferd folgte, sprang hastig zu Boden, sobald er den Wagen unbeweglich sah, und öffnete den Kutschenschlag.
Eine Dame stieg rasch aus, befragte den von blutigem Schein geröteten Himmel und horchte auf den entfernten Lärm.
»Ihr wißt gewiß, daß uns niemand gefolgt ist?« sagte sie zu ihrer Kammerfrau, die nach ihr ausstieg.
»Nein, Madame,« antwortete diese; »die Piqueurs, die auf Euern Befehl zurückgeblieben sind, haben den Wagen eingeholt und sagen, sie hätten nichts gesehen und nichts gehört.«
»Und Ihr, hört Ihr nichts in der Richtung der Stadt?« – »Es kommt mir vor, als hörte ich entferntes Geschrei.«
»Seht Ihr nichts?« – »Ich sehe etwas wie den Schimmer einer Feuersbrunst.«
»Das sind Fackeln.«
»Ja, Madame, ja, denn sie bewegen sich, sie laufen wie Irrlichter. Hört Ihr, Madame? der Lärm verdoppelt sich, und das Geschrei wird ganz deutlich.«
»Mein Gott!« rief die junge Frau und sank auf dem feuchten Boden auf die Knie; »mein Gott! mein Gott!«
Die Kammerfrau hatte sich nicht getäuscht; es bewegten sich in der Tat Fackeln, das Geschrei schien näher zu kommen; man hörte einen Flintenschuß, dem fünfzig andere folgten, dann ein gewaltiges Geräusch, dann erloschen die Fackeln, und das Geschrei entfernte sich; der Regen fing an herabzustürzen, ein Sturm brauste am Himmel; aber was kümmerte sich die junge Frau darum? Sie fürchtete sich nicht vor Blitzen.
Ihre Augen waren beständig auf die Stelle geheftet, wo sie so viele Fackeln gesehen, wo sie einen so gewaltigen Lärm gehört hatte. Sie sah nichts mehr, sie hörte nichts mehr, und bei dem Schimmer der Blitze kam es ihr vor, als wäre der Platz leer.
»Oh! ich habe nicht die Kraft, länger zu warten,« rief sie. »Nach Bordeaux! Man führe mich nach Bordeaux!«
Plötzlich hörte man ein Geräusch von Pferden, das sich rasch näherte.
»Ah!« rief sie, »endlich kommen sie. Hier sind sie. Lebe wohl, Finette, ziehe dich zurück, Finette, ich muß allein gehen; nehmt sie zu Euch auf Euer Pferd, Lombard, und laßt alles, was ich mitgebracht habe, im Wagen.«
»Aber was wollt Ihr denn machen, Madame!« rief die Kammerfrau ganz erschrocken.
»Gott befohlen, Finette, lebe wohl!«
»Warum Lebewohl, Madame? Wohin geht Ihr denn?« – »Ich gehe nach Bordeaux.«
»Oh! im Namen des Himmels, tut das nicht, Madame, sie werden Euch töten.«
»Nun, warum glaubst du denn, daß ich dahin gehen will?«
»Oh! Madame! Lombard zu Hilfe! herbei, wir müssen sie verhindern . . .«
Ein Reiter, in einiger Entfernung von einem andern Reiter gefolgt, jagte wirklich herbei; man hörte sein Pferd mehr brausen als schnauben.
»Meine Schwester! meine Schwester!« schrie er. »Oh! ich komme noch zu rechter Zeit.«
»Cauvignac!« rief Nanon. »Nun, ist es abgemacht? Erwartet er mich? Brechen wir auf?«
Aber statt zu antworten, springt Cauvignac vom Pferde und faßt Nanon, die ihn mit der unbeweglichen Starrheit der Wahnsinnigen gewähren laßt, in seine Arme. Er legt sie in den Wagen, läßt Finette und Lombard zu ihr einsteigen, schließt den Kutschenschlag und schwingt sich auf sein Roß. Wieder zu sich gekommen, schreit und zermartert sich die arme Nanon vergebens.
»Laßt sie nicht los,« ruft Cauvignac, »laßt sie um alles in der Welt nicht los. Barrabas, bewache den andern Schlag, und dir, Kutscher, zerschmettere ich die Hirnschale, wenn deine Pferde aus dem Galopp fallen.«
Diese Befehle werden so rasch gegeben, daß ein Augenblick des Zögerns eintritt; der Wagen setzt sich sehr langsam in Bewegung; die Bedienten zittern, die Pferde wollen nicht vorwärts.
»Aber beeilt Euch doch, tausend Teufel!« schrie Cauvignac; »sie kommen, sie kommen!«
Man vernahm wirklich in der Ferne den Hufschlag von Pferden, dem Rollen eines Donners ähnlich, der rasch und drohend näher kommt.
Die Furcht ist ansteckend. Bei Cauvignacs Worten begreift der Kutscher, daß irgend eine große Gefahr droht, und faßt die Zügel seiner Pferde.
»Wohin fahren wir?« stammelte er . . .
»Nach Bordeaux! nach Bordeaux!« ruft Nanon aus dem Innern des Wagens.
»Tausend Donner, nach Libourne!« schreit Cauvignac,
»Herr, die Pferde werden fallen, ehe sie zwei Meilen gemacht haben.«
»Ich verlange nicht, daß sie so viel machen! ruft Cauvignac und peitscht sie mit seinem Degen. »Wenn sie nur bis Ferguzons Posten kommen, mehr fordere ich nicht.«
Und die plumpe Maschine setzt sich in Bewegung und rollt mit einer furchtbaren Geschwindigkeit fort. Menschen und Pferde beleben sich gegenseitig; die einen durch Geschrei, die andern durch Wiehern.
Nanon, von nutzlosem Ringen erschöpft, fällt kalt in die Arme ihrer Kammerfrau.
Cauvignac ist am Kutschenschlage vorbeigeritten und hat die Köpfe der Pferde erreicht. Sein Roß läßt einen Feuerstreifen auf dem Pflaster der Straße zurück.
»Herbei! Ferguzon, herbei!« ruft er.
Und er hört etwas wie ein Hurrah in der Ferne.
»Hölle!« schreit Cauvignac, »du spielst gegen mich, doch ich glaube, du wirst heute abermals verlieren,«
Es fallen mehrere Flintenschüsse von hinten, aber vorn antwortet man durch ein allgemeines Feuer.
Der Wagen hält an, zwei Pferde sind vor Anstrengung gestürzt, ein drittes hat eine Kugel niedergeschmettert.
Ferguzon und seine Leute fallen über die Truppen des Herrn von Larochefoucault her; da sie ihnen der Anzahl nach dreifach überlegen find, so vermögen die Bordolesen keinen Widerstand zu leisten, wenden ihre Pferde, und Sieger und Besiegte, Verfolger und Flüchtige, verschwinden wie eine Wolke, die der Wind fortträgt, in der Finsternis der Nacht.
Cauvignac bleibt mit den Dienern allein, und Finette sucht die jedes Gefühles beraubte Nanon wiederzubeleben.
Zum Glück war man nur hundert Schritte von dem Dorfe Carbonblanc entfernt. Cauvignac trug Nanon in seinen Armen bis zum ersten Hause des Dorfes, hier legte er, nachdem er Befehl gegeben hatte, den Wagen nachzubringen, seine Schwester auf ein Bett, zog sodann aus seiner Brust einen Gegenstand hervor, den Finette nicht erkennen konnte, und steckte ihn in die krampfhaft zusammengepreßte Hand der armen Frau.
Als Nanon am andern Tage aus dem, was sie für einen furchtbaren Traum hielt, erwachte, griff sie mit dieser Hand in ihr Gesicht und etwas Seidenes, Duftendes streifte ihre bleichen Lippen.
Es war eine Haarlocke von Canolles, die Cauvignac heldenmütig mit Gefahr seines Lebens von den bordolesischen Tigern erobert hatte.