Alexander Dumas
Der Frauenkrieg
Alexander Dumas

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Sechstes Kapitel.

Der Mond begann sich zu erheben, als der Vicomte, gefolgt von dem treuen Pompée, das Gasthaus des Meisters Biscarros verließ und auf der Straße nach Paris forteilte.

Nach ungefähr einer Viertelstunde, während deren sich der Vicomte ganz seinen Gedanken überließ und etwa anderthalb Meilen zurücklegte, wandte er sich nach seinem Reitknecht um, der ernst drei Schritte hinter seinem Herrn einherkam.

»Pompée,« fragte der junge Mann, »hast du vielleicht meinen rechten Handschuh?« – »Nicht, daß ich wüßte, gnädiger Herr.«

»Was machst du denn an deinem Felleisen?« – »Ich sehe, ob es gut angebunden ist, und ziehe die Riemen fester, damit es nicht klingt. Der Klang des Goldes bringt Unglück, gnädiger Herr, und veranlaßt besonders bei Nacht schlimme Zusammentreffen.«

»Das ist wohlgetan, Pompée,« versetzte der Vicomte, »und ich sehe es gern, daß du so sorgfältig und klug bist.«

»Das sind ganz natürliche Eigenschaften bei einem Soldaten, Herr Vicomte, Eigenschaften, die sich vortrefflich mit dem Mut vereinigen lassen. Da der Mut jedoch nicht Verwegenheit ist, so bedauere ich, offenherzig gestanden, daß Herr Richon uns nicht begleiten konnte; denn zwanzigtausend Livres sind, besonders in so stürmischen Zeiten wie die gegenwärtigen, schwer zu bewachen.«

»Was du da sagst, ist sehr gescheit, Pompée,« antwortete der Vicomte, »und ich bin in jeder Beziehung deiner Meinung.«

»Ich wage sogar zu behaupten,« fuhr Pompée, trotz aller Furcht durch die Billigung des Vicomte kühn gemacht, fort, »daß es unklug ist, sich so preiszugeben, wie wir es tun. Reiten wir also nebeneinander, wenn es Euch gefällig ist, damit ich meine Muskete untersuchen kann.«

»Nun, Pompée?« – »Das Feuerrad ist in gutem Zustand, und wer uns anhalten wollte, könnte eine schlimme Viertelstunde durchzumachen haben. Oh! oh! was seh' ich dort?«

Pompée wies entsetzt auf etwas Weißschimmerndes in der Ferne, das sich, sobald der Mond hinter den Wolken hervorkam, als ein paar Hemden erwies, die mit ausgespannten Ärmeln hinter einer Hecke zum Trocknen hingehängt waren.

Nachdem sich die beiden Helden von diesem unnützen Schrecken erholt hatten, überlegten sie sich, daß es für sie besser sei, sich im Schatten und nicht im Mondschein zu halten.

Jedoch bewahrte auch diese Vorsicht nicht vor einem neuen Abenteuer, da sie bald einen Schatten vor sich gehen sahen, der anscheinend eine Muskete trug. Nach längerem Bangen und Hangen ermannte sich Pompée so weit, daß er rief: »Holla! Freund, wer seid Ihr?«

Der Schatten hielt mit einer Bewegung sichtbaren Schreckens an, und es stellte sich heraus, daß es ein armer Handelsmann war, der nicht weniger Angst vor den Reitern gehabt hatte, als diese vor ihm. Der mitleidige Vicomte reichte dem Zitternden, selbst noch zitternd, mit seiner kleinen, weißen Hand eine halbe Pistole, worauf sich der arme Teufel, dem Himmel für dieses glückliche Zusammentreffen dankend, entfernte.

»Ihr habt unrecht gehabt, Herr Vicomte, Ihr habt sehr unrecht gehabt,« sagte Pompée nach zwanzig Schritten.

»Unrecht! worin?« – »Darin, daß Ihr diesem Menschen eine halbe Pistole gabt. Bei Nacht muß man nie zugestehen, daß man Geld hat. War nicht der erste Ruf dieses Hasenfußes, er habe keinen Pfennig bei sich?«

»Das ist richtig,« erwiderte der Vicomte lächelnd, »aber es war ein Hasenfuß, wie Ihr sagt, während wir, wie Ihr ebenfalls sagt, Kriegsleute sind, die nichts fürchten.«

»Zwischen Fürchten und Mißtrauen, Herr Vicomte, ist ein ebenso großer Unterschied, wie zwischen Bangigkeit und Klugheit. Ich wiederhole aber, es ist nicht klug, einem Unbekannten, den man auf der Landstraße trifft, zu zeigen, daß man Geld besitzt.«

»Wenn dieser Unbekannte aber allein und ohne Waffen ist?« – »Er kann einer bewaffneten Bande angehören; er kann ein Spion sein, den man vorgeschoben hat, um das Terrain zu rekognoszieren; er kann mit Massen zurückkommen, und was sollen zwei Menschen allein, so tapfer sie auch sein mögen, gegen Massen tun?«

Dieser Weisheit hatte der Vicomte nichts entgegenzusetzen und schwieg. Da es in einer Stunde Tag sein sollte, fing er auch wirklich an, sich zu beruhigen. Da hielten plötzlich beide Reiter, die inzwischen in den Wald bei dem Ort Marsas herum gelangt waren, an; sie hatten ganz deutlich hinter sich den Galopp mehrerer Pferde gehört.

Zu gleicher Zeit hoben ihre eigenen Pferde die Köpfe in die Höhe, und eines von ihnen wieherte.

»Diesmal,« sagte Pompée mit erstickter Stimme, »Herr Vicomte, werdet Ihr hoffentlich ein wenig Gelehrigkeit zeigen und die Sache der Erfahrung eines alten Soldaten überlassen. Ich höre eine Truppe berittener Leute; man verfolgt uns. Ah! es ist die Bande Eures falschen Handelsmanns. Ich sagte es Euch wohl. Keinen falschen Mut, retten wir unser Leben und unser Geld; die Flucht ist zuweilen ein Mittel zum Siege . . .«

»Wohl, fliehen wir, Pompée,« erwiderte der Vicomte zitternd.

Pompée gab beide Sporen; sein Pferd, ein vortrefflicher Rotschimmel, sprang unter dem Stachel mit einem Eifer, der das Berberroß des Vicomte entflammte, und beide jagten wie der Blitz auf dem Pflaster fort, aus dem die Funken sprangen.

Dieses Rennen dauerte ungefähr eine halbe Stunde; aber statt Boden zu gewinnen, kam es den zwei Flüchtlingen vor, als näherten sich ihre Feinde.

Plötzlich erhob sich mitten aus der Finsternis eine den Fliehenden gräßlich klingende Stimme, die Pompées graue Haare sich sträuben ließ.

»Sie rufen: ›Halt‹!« murmelte er, »sie rufen: ›Halt!‹«

»Nun, sollen wir anhalten?« fragte der Vicomte.

»Im Gegenteil, verdoppeln wir womöglich unsere Geschwindigkeit! Vorwärts! vorwärts!«

»Ja, ja, vorwärts! vorwärts!« rief der Vicomte, diesmal ebenso erschrocken wie sein Verteidiger.

»Sie kommen näher! hört Ihr sie?« sagte Pompée.

»Ach, ja.«

»Es sind ihrer mehr als dreißig. Hört Ihr? Sie rufen abermals. Wir sind verloren!«

»Reiten wir die Pferde tot!« sagte der Vicomte, am ganzen Leibe zitternd.

»Vicomte! Vicomte!« rief die Stimme. »Halt, halt, halt! alter Schuft!«

»Das ist einer, der uns kennt. Das ist einer, der weiß, daß wir der Frau Prinzessin Geld bringen. Das ist einer, der weiß, daß wir konspirieren. Wir werden lebendig gerädert!«

»Halt! halt!« fuhr die Stimme fort.

»Sie schreien, man solle uns aufhalten,« sagte Pompée, »sie haben Leute voraus; wir sind abgeschnitten!«

»Wenn wir uns auf die Seite, in dieses Feld hier werfen und unsere Verfolger vorüberziehen lassen?«

»Das ist ein Gedanke,« sagte Pompée, »vorwärts!«

Sie ließen ihre Tiere zugleich Zügel und Knie fühlen und wandten sich links. Das Pferd des Vicomte sprang, geschickt gehoben, über den Graben; aber das plumpere Pompées nahm zu wenig Rand; die Erde sank unter seinen Füßen, und es stürzte mit seinem Herrn nieder. Der arme Reitknecht stieß einen Schrei der Verzweiflung aus.

Der Vicomte, der bereits fünfzig Schritte auf dem Felde gemacht hatte, hörte diesen Unglücksruf, wandte, obgleich selbst voll Schrecken, sein Pferd um und kehrte zu seinem Gefährten zurück.

»Gnade!« rief Pompée. »Lösegeld! ich ergebe mich! Ich gehöre zu dem Hause Cambes.«

Ein ungeheures Gelächter antwortete auf dieses klägliche Geschrei, und der Vicomte, der in diesem Augenblick anlangte, sah Pompée den Steigbügel des Siegers umfassen, der ihn mit einer vor Lachen sich schüttelnden Stimme zu beruhigen suchte.

»Der Herr Baron von Canolles!« rief der Vicomte.

»Ja, bei Gott! Aber, Vicomte, es ist nicht schön, daß Ihr die Leute, die Euch suchen, so rennen laßt.«

»Der Herr Baron von Canolles!« wiederholte Pompée, immer noch an seinem Glücke zweifelnd. »Der Herr Baron von Canolles und Herr Castorin?«

»Ja, Herr Pompée,« sagte Castorin, sich auf den Steigbügeln erhebend, um über die Schultern seines Herrn zu sehen, der lachend sich auf den Sattelknopf beugte. »Was macht Ihr denn da in dem Graben?«

»Ihr seht es,« erwiderte Pompée; »mein Pferd stürzte in dem Augenblick, wo ich mich, da ich Euch für Feinde hielt, zum Zweck einer kräftigen Verteidigung verschanzen wollte. Herr Vicomte,« fuhr Pompée, aufstehend und sich schüttelnd, fort, »es ist Herr von Canolles.«

»Wie, mein Herr, Ihr hier?« murmelte der Vicomte mit einer Art von Freude, die unwillkürlich in seinem Tone durchdrang.

»Wahrhaftig, ja, ich selbst,« antwortete Canolles und schaute den Vicomte mit einer Festigkeit an, die sich durch das Auffinden des Handschuhes erklärte. »Ich langweilte mich zum Sterben in dem Gasthause. Richon verließ mich, nachdem er mir mein Geld abgenommen hatte. Ich erfuhr, Ihr wärt auf der Straße nach Paris abgereist. Glücklicherweise hatte ich in derselben Richtung ein Geschäft und begab mich auf den Marsch, um Euch einzuholen. Ich vermutete nicht, daß ich zu diesem Zwecke mit Sturmeseile jagen mußte. Teufel, mein Herr, was für ein Reiter Ihr seid!«

Der Vicomte lächelte und stammelte einige Worte.

»Castorin,« fuhr Canolles fort, »hilf doch Herrn Pompée auf den Sattel; du siehst, daß es ihm trotz seiner Geschicklichkeit nicht gelingen will.«

Castorin stieg ab und unterstützte Pompée, der nach und nach wieder seinen Sattel erreichte.

»Nun laßt uns weiter reiten, wenn es Euch gefällig ist,« sagte der Vicomte.

»Ja,« erwiderte Canolles, »aber ich will Euch nun, um Euch vor Ähnlichem zu bewahren, als Geleite dienen. Eine Verstärkung von zwei Mann wird für Euch nicht überflüssig sein.«

»Nein, gewiß nicht,« rief Pompée, »die Anzahl bildet die Sicherheit.«

»Und Ihr, Vicomte, was denkt Ihr von meinem Anerbieten?« fragte Canolles, als er sah, daß der Vicomte seinen höflichen Vorschlag mit weniger Begeisterung aufnahm, als sein Reitknecht.

»Ich, mein Herr,« versetzte der Vicomte, »ich erkenne darin Eure gewöhnliche Artigkeit und danke Euch aufrichtig dafür. Aber wir verfolgen nicht denselben Weg, und ich müßte fürchten, Euch lästig zu werden.«

»Wie,« sagte Canolles ärgerlich, da er merkte, daß der Vicomte sein Verhalten vom Gasthaus fortsetzen wollte, »wir verfolgen nicht denselben Weg? Geht Ihr nicht nach . . .«

»Nach Chantilly,« rief eilig Pompée, der bei dem Gedanken zitterte, seine Reise ohne einen andern Gefährten als den Vicomte fortsetzen zu müssen.

Dieser machte eine sehr bezeichnende Gebärde der Ungeduld, und wenn es Tag gewesen wäre, hätte man sehen können, wie ihm die Röte des Zorns in die Wangen stieg.

»Vortrefflich!« rief Canolles, ohne daß er den wütenden Blick zu bemerken schien, mit dem der Vicomte den alten Pompée niederschmetterte. »Chantilly ist gerade mein Weg. Ich gehe nach Paris, oder vielmehr,« fügte er lachend hinzu, »seht, Vicomte, ich habe nichts zu tun und weiß nicht, wohin ich gehe. Geht Ihr nach Paris, so gehe ich nach Paris; geht Ihr nach Lyon, so gehe ich nach Lyon; geht Ihr nach Marseille, ich habe längst eine Leidenschaft, die Provence zu sehen, und gehe nach Marseille.«

»Mein Herr,« versetzte der Vicomte mit einer gewissen Festigkeit, die er ohne Zweifel dem von Pompée angeregten Zorn zu danken hatte, »muß ich es Euch sagen? Ich reise ohne Gesellschaft, wegen persönlicher Angelegenheiten vom höchsten Belang, aus sehr ernsten Gründen, und wenn Ihr auf Eurer Absicht besteht, so nötigt Ihr mich zu meinem großen Bedauern, Euch zu bemerken, daß Ihr mich in meinen Schritten belästigt.«

Nur die Erinnerung an den kleinen Handschuh, den Canolles auf seiner Brust zwischen Rock und Hemd verborgen hielt, hielt den lebhaften und aufbrausenden Gascogner ab, loszubrechen.

»Mein Herr,« versetzte er mit ernstem Tone, »ich habe nie sagen hören, die Landstraßen gehören der einen Person mehr, als der andern. Man nennt sie sogar den Weg des Königs, auf den alle das gleiche Recht haben. Auch habe ich nicht die Absicht, Euch zu belästigen. Ich bin sogar hier, um Euch Dienste zu leisten, denn Ihr seid jung, schwach und ohne große Verteidigungsmittel. Ich glaube nicht auszusehen wie ein Mensch, der die Reisenden ausplündert, unterwerfe mich aber Eurem Spruch und kann nur mein Euch widerwärtiges Aussehen verwünschen. Vergebt mir, daß ich Euch lästig war. Ich habe die Ehre, Euch mein Kompliment zu machen. Glückliche Reise!«

Und Canolles ließ sein Pferd eine leichte Wendung machen und ritt, nachdem er den Vicomte gegrüßt hatte, auf die andere Seite der Straße, wohin ihm Castorin in der Tat und Pompée in der Absicht folgte.

Canolles spielte diese Szene mit so anmutiger Höflichkeit, mit so verführerischer Gebärde, indem er mit seinem breiten Hut seine reine, von schwarzen, seidenen Haaren beschattete Stirn wieder bedeckte, daß der Vicomte mehr von seiner vornehmen Miene, als von seinem Verfahren gerührt wurde. Der junge Mann beschleunigte hierauf den Gang seines Pferdes, holte Canolles ein, der sich stellte, als sähe und hörte er ihn nicht, und flüsterte ihm mit kaum verständlicher Stimme zu: »Herr von Canolles!«

Canolles bebte und wandte sich um; ein Schauer der Lust durchlief seine Adern, und es kam ihm vor, als ob sich alle Musik der himmlischen Sphären vereinigte, um ihm ein göttliches Konzert zu geben.

»Vicomte!« entgegnete er.

»Hört, mein Herr,« antwortete dieser mit einer weichen, samtartigen Stimme, »ich fürchte in der Tat, unhöflich gegen einen Mann von Eurem Verdienste zu sein. Vergebt mir meine Schüchternheit. Ich wurde von Eltern erzogen, die sich aus Liebe zu mir fortwährend ängsteten; ich wiederhole, vergebt mir, ich habe nie die Absicht gehabt, Euch zu beleidigen, und zum Beweis unserer aufrichtigen Aussöhnung erlaubt mir, an Eurer Seite zu reiten.«

»Wie?« rief Canolles, »hundertmal, tausendmal! Ich hege keinen Groll, und zum Beweis . . .«

Und er reichte ihm eine Hand, in die ein zartes, leichtes, flüchtiges Händchen fiel oder vielmehr schlüpfte.

Der Rest der Nacht verging unter tollem Geplauder des Barons; der Vicomte hörte beständig zu und lachte zuweilen.

»Doch sagt,« unterbrach der Vicomte den Redefluß des Gascogners, als der erste Morgenschimmer anbrach, »wie habt Ihr Eure Angelegenheiten mit dem Herzog von Epernon abgemacht?«

»Die Sache war nicht schwierig,« erwiderte Canolles. »Nach dem, was Ihr mir mitteiltet, hatte er mit mir zu tun, nicht ich mit ihm. Entweder ist er müde geworden, mich zu erwarten, und hat sich zurückgezogen, oder er ist halsstarrig gewesen und wartet noch.«

»Aber Fräulein von Lartigues?« fügte der Vicomte mit leichtem Zögern hinzu.

»Fräulein von Lartigues, Vicomte, kann nicht zugleich zu Hause bei Herrn von Epernon und im Goldenen Kalbe bei mir sein. Man muß von den Frauen nicht zu viel verlangen.«

»Das ist keine Antwort, Baron; ich frage Euch, wie Ihr Euch, bei Eurer Liebe zu Fräulein von Lartigues, von ihr trennen konntet?«

Canolles hätte gern dem Vicomte, den er jetzt im Tageslicht klar sehen konnte, seiner Herzensneigung nach geantwortet, aber da er trotz des kleinen Handschuhes und der kleinen Hand seiner Sache doch nicht völlig sicher war, so zügelte er sich noch und erwiderte die Frage des Vicomte mit jenem Lächeln, womit man alles beantwortet.

Man hielt in Barbezieux an, um zu frühstücken und die Pferde ausschnaufen zu lassen. Canolles frühstückte diesmal mit dem Vicomte, und bei dem Frühstück bewunderte er diese Hand, deren nach Bisam duftende Hülle eine so große Aufregung in ihm hervorgebracht hatte. In dem Augenblick, wo man sich zu Tische setzte, war der Vicomte überdies genötigt, seinen Hut abzunehmen und seine glatten, schönen, einer so zarten Haut entsprießenden Haare zu entblößen, und jeder andere, wie ein verliebter und darum blinder Mensch, wäre von seiner Ungewißheit befreit gewesen. Aber Canolles fürchtete das Erwachen zu sehr, um nicht die Dauer seines Traumes auszudehnen. Auch fand er etwas Reizendes in diesem Inkognito des Vicomte, das ihm eine Menge kleiner Vertraulichkeiten gestattete, die ein gänzliches Erkennen oder ein volles Geständnis ihm untersagt hätte. Er sprach also kein Wort, das den Vicomte auf den Verdacht bringen konnte, sein Inkognito sei verraten.

Nach dem Frühstück begab man sich wieder auf den Weg und ritt dann bis zum Mittagessen. Von Zeit zu Zeit brachte eine Müdigkeit, die er nicht verbergen konnte, auf das Gesicht des Vicomte eine bleichere Farbe oder in seinen Körper ein leichtes Beben, nach dessen Ursache ihn Canolles freundschaftlich fragte. Herr von Cambes lächelte dann und schien nicht mehr zu leiden. Er schlug sogar vor, noch stärker zu reiten, was aber Canolles mit der Bemerkung zurückwies, man habe einen weiten Weg zu machen, und es sei folglich wesentlich, die Pferde zu schonen.

Nach dem Mittagessen fiel es dem Vicomte etwas schwer, aufzustehen. Canolles erhob sich und unterstützte ihn.

»Ihr bedürft der Ruhe, mein junger Freund,« sagte er zu ihm; »eine derartige Reise würde Euch auf der dritten Etappe töten. Wir reiten in dieser Nacht nicht, sondern schlafen im Gegenteil. Ihr sollt Euch eines guten Schlummers erfreuen, und das beste Zimmer des Gasthofs soll das Eurige sein, oder ich will sterben.«

Der Vicomte schaute Pompée mit so verblüffter Miene an, daß Canolles seine Lachlust nicht unterdrücken konnte.

»Wenn man eine große Reise unternimmt, wie wir,« sagte Pompée, »so müßte jeder sein Zelt haben.«

»Oder ein Zelt für zwei,« versetzte Canolles mit der natürlichsten Miene der Welt »das würde genügen.«

Ein Schauer durchlief sichtlich den Körper des Vicomte.

Der Schlag war getan, und seine Wirkung entging Canolles nicht; aus einem Augenwinkel sah er, daß der Vicomte dem Alten ein Zeichen machte, Pompée näherte sich seinem Herrn, dieser sagte ihm leise einige Worte, und bald ritt Pompée unter irgend einem Vorwande voraus und verschwand.

Anderthalb Stunden nach diesem Vorfall, über den Canolles nicht einmal eine Erklärung forderte, erblickten die Reisenden, als sie in einen großen Flecken einritten, den Reitknecht auf der Schwelle eines Gasthauses von ziemlich gutem Aussehen.

»Ah, ah!« sagte Canolles, »es scheint, wir werden die Nacht hier zubringen, Vicomte?« – »Ja, wenn Ihr wollt, Baron.«

»Ich will alles, was Ihr wollt, denn, wie gesagt, ich reise für mein Vergnügen, während Ihr Eurer Äußerung nach in Geschäften reist. Nur befürchte ich, es wird Euch in diesem Neste an Bequemlichkeit fehlen.«

»Oh!« erwiderte der Vicomte, »eine Nacht ist bald vorüber.«

»Rasch mein Zimmer,« fuhr er, zu Pompée fort, der ihm den Steigbügel hielt. »In der Tat, Ihr habt recht, Herr von Canolles,« fügte er, sich nach seinem Gefährten umwendend, hinzu, »ich bin wirklich sehr müde.«

»Hier, gnädiger Herr,« sagte die Wirtin und deutete auf ein ziemlich großes Zimmer; es ging nach dem Hofe, seine Fenster waren vergittert und darüber lagen die Speicher des Hauses.

»Wo ist mein Zimmer?« rief Canolles.

Und er warf seine Augen lüstern auf eine Tür, die an die des Vicomte stieß und deren schwache Wand einen sehr gebrechlichen Wall gegen eine so geschärfte Neugierde, wie die seinige, bildete.

»Das Eurige?« sagte die Wirtin, »folgt mir, gnädiger Herr, ich werde Euch führen, worauf sie ihn an das Ende eines ganz mit Türen besetzten und vom Zimmer des Vicomte durch die volle Breite des Hofes getrennten Hausflurs führte.

»Nun bin ich meiner Sache gewiß,« sagte sich Canolles; »aber ich habe wie ein Dummkopf gehandelt; wollte ich jedoch böse Miene machen, so würde ich mein Spiel unwiederbringlich verlieren; nehmen wir also unser freundlichstes Gesicht an.«

Er kehrte also zurück und rief seinem Reisegefährten zu: »Gute Nacht, lieber Vicomte, Ihr bedürft in der Tat der Ruhe; soll ich Euch morgen wecken? Nein. Nun, so werdet Ihr mich vielleicht wecken, wenn Ihr aufgestanden seid. Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Baron,« erwiderte der Vicomte.

»Gut, gut, Vicomte,« murmelte Canolles, »morgen ist die Reihe an mir, die Wohnungen zu bestellen, und ich werde mich zu entschädigen wissen. Schön, er schließt alles bis auf die doppelten Vorhänge; er breitet ein Tuch davor aus, damit sogar sein Schatten unsichtbar wird. Beim Teufel, es ist ein sehr schamhafter Junge, dieser kleine Edelmann, aber gleichviel. Morgen!«

Und Canolles ging brummend in sein Zimmer zurück, kleidete sich in sehr übler Laune aus, legte sich verdrießlich nieder und träumte, Nanon finde in seiner Tasche den perlgrauen Handschuh des Vicomte.



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