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Indessen setzten sich, wie es Nanon gesagt hatte, der König, die Königin, der Kardinal und Herr de La Meilleraye in Bewegung, um die rebellische Stadt zu bestrafen, die es gewagt hatte, offen für die Prinzen Partei zu ergreifen; sie näherten sich langsam, aber sie näherten sich.
Es wurde beschlossen, in Vayres, dessen neuen durch den Herzog von Epernon eingesetzten Gouverneurs man ganz sicher zu sein glaubte, mit kriegerischem Pomp einzuziehen.
Die Königin befahl Guitaut, dem Kapitän der königlichen Garde, die Garden, die Musketiere und die Chevauxlegers zu versammeln. Der König stieg zu Pferde und stellte sich an ihre Spitze. Mazarins Nichte und die Ehrendamen stiegen in einen Wagen.
Man brach sogleich nach Vayres auf. Die Armee folgte, und da man nur noch zehn Meilen zurückzulegen hatte, so sollte sie drei bis vier Stunden nach dem König eintreffen und sich auf dem linken Ufer der Dordogne lagern.
Der König zählte kaum zwölf Jahre und war dennoch bereits ein schmucker Reiter, der sein Pferd mit aller Anmut führte und in seiner ganzen Person jenen Rassestolz offenbarte, der in der Folge aus ihm den in Dingen der Etikette anspruchsvollsten König Europas machte.
»Eines setzt mich in Erstaunen, Herr Marschall,« sagte Mazarin, als man der Festung näher kam, zu de La Meilleraye.
»Was, Monseigneur?« – »Mir scheint, die guten Gouverneure wissen in der Regel, was um ihre Festung her vorgeht, und sie sind einem König, wenn er die Gnade hat, nach dieser Festung zu marschieren, wenigstens eine Deputation schuldig.«
»Ah! bah!« sagte die Königin, in ein schallendes, aber gezwungenes Lachen ausbrechend, »Zeremonien! Geht, das ist unnötig, die Treue ist mir lieber.«
Herr de La Meilleraye bedeckte sich das Gesicht mit seinem Taschentuche, um, wenn nicht eine Grimasse, doch wenigstens seine Lust zu verbergen, eine solche zu machen.
»Aber es rührt sich in der Tat kein Mensch,« sagte der junge König, unzufrieden über ein solches Vergessen der Regeln der Etikette.
»Sire,« erwiderte Anna von Österreich, »hier sind die Herren de La Meilleraye und Guitaut, die Euch sagen werden, daß es die erste Pflicht eines Gouverneurs, besonders in einem feindlichen Lande ist, sich aus Furcht vor einem Überfall ruhig und gedeckt hinter seinen Mauern zu halten. Seht Ihr nicht Eure Fahne auf der Zitadelle flattern?«
Und sie deutete mit Stolz auf dieses bezeichnende Emblem, das bewies, wie sehr sie in ihrer Hoffnung recht hatte.
Der Zug setzte seinen Marsch fort und entdeckte ein vorgeschobenes Werk, das erst seit einigen Tagen errichtet zu sein schien.
»Ah! ah!« sagte der Marschall, »der Gouverneur scheint in der Tat ein Mann vom Handwerk zu sein. Dieser Vorposten ist gut gewählt und die Verschanzung geschickt angelegt.«
Die Königin schaute aus dem Kutschenschlage hervor, und der König erhob sich in seinen Steigbügeln.
Eine einzige Schildwache ging auf dem Halbmonde auf und ab; sonst schien die Verschanzung so öde und stumm, wie die Zitadelle.
»Gleichviel,« sagte Mazarin, »obschon ich die militärischen Pflichten eines Gouverneurs nicht kenne, obschon ich kein Soldat bin, finde ich doch diese Art, sich gegen eine Majestät zu benehmen, sehr seltsam.«
»Rücken wir vor,« sprach der Marschall, »wir werden sehen.«
Als die kleine Truppe nur noch hundert Schritte von der Verschanzung entfernt war, blieb die Schildwache, die bis jetzt auf und ab gegangen war, still stehen. Nachdem sie einen Augenblick geschaut hatte, rief sie: »Wer da?«
»Der König!« antwortete Herr de La Meilleraye.
Bei diesem einzigen Worte erwartete Anna von Österreich, die Soldaten würden laufen, die Offiziere sich beeilen, die Brücken niederfallen, die Tore sich öffnen, die Schwerter hoch in der Luft schwingen. Aber nichts von alledem fand statt.
Die Schildwache zog ihr rechtes Bein gegen das linke zurück, kreuzte die Muskete vor den Ankommenden, und beschränkte sich darauf, mit lauter, fester Stimme »Halt!« zu rufen.
Der König erbleichte vor Zorn; Anna von Österreich biß sich die Lippen blutig; Mazarin murmelte einen in Frankreich durchaus nicht anständigen italienischen Fluch; der Marschall de La Meilleraye hatte nur einen Blick für Ihre Majestäten, aber dieser war beredt.
»Ich liebe die Vorsichtsmaßregeln für meinen Dienst,« sagte die Königin, bemüht, sich selbst zu belügen; denn trotz der scheinbaren Sicherheit ihres Gesichtes fing sie an, in ihrem Innern unruhig zu werden.
»Ich liebe die Achtung vor meiner Person,« murmelte der König, seinen verdrießlichen Blick auf die unempfindliche Schildwache heftend.
Jetzt sah man oben auf dem Walle einen Mann erscheinen, an den sich die ganze Garnison anschloß.
Dieser Mann hob seinen Kommandostab in die Höhe; sogleich schlugen die Trommler den Marsch, die Soldaten des Forts präsentierten die Gewehre, und ein Kanonenschuß erscholl ernst und feierlich.
»Seht Ihr!« sagte die Königin, »sie entsprechen ihrer Schuldigkeit; besser spät, als gar nicht. Vorwärts!«
»Verzeiht, Madame,« entgegnete der Marschall de La Meilleraye, »aber ich sehe durchaus nicht, daß sie die Tore öffnen, und wir können nur hinein, wenn die Tore offen sind.«
»Sie vergessen dies zu tun, in dem Erstaunen und der Begeisterung, worein sie dieser erhabene Besuch, den sie nicht erwarteten, versetzt hat,« erlaubte sich ein Höfling zu bemerken.
»So etwas vergißt man nicht, mein Herr,« erwiderte der Marschall.
Dann sich gegen den König und die Königin umwendend, fügte er hinzu: »Erlauben mir Ihre Majestäten, Ihnen einen Rat zu geben?« – »Sprecht, Marschall.«
»Ihre Majestäten sollten sich auf fünfhundert Schritte von hier mit Guitaut und seinen Garden zurückziehen, während ich mit den Musketieren und den Chevauxlegers den Platz rekognosziere.«
Die Königin antwortete nur: »Vorwärts! und wir werden sehen, ob man uns den Durchgang zu verweigern wagt.«
Der junge König gab entzückt seinem Pferde die Sporen und befand sich zwanzig Schritte voraus. Der Marschall und Guitaut sprengten ihm nach und holten ihn ein.
»Man kommt hier nicht durch,« sagte die Schildwache, die ihre Stellung nicht verlassen hatte.
»Es ist der König!« riefen die Pagen.
»Zurück!« schrie die Schildwache mit einer drohenden Gebärde.
Zugleich sah man über der Brustwehr die Hüte und Musketen der Soldaten erscheinen, welche die erste Verschanzung bewachten.
Ein lang anhaltendes Gemurmel empfing diese Worte und diese Erscheinung. Herr de La Meilleraye ergriff das Pferd des Königs am Zaume, ließ es umwenden und befahl zugleich dem Kutscher der Königin, zurückzufahren. Die beleidigten Majestäten zogen sich ungefähr tausend Schritte von den ersten Schanzen zurück, während sich ihr Gefolge wie eine Schar Vögel nach dem Flintenschusse des Jägers zerstreute.
Der Marschall de La Meilleraye ließ etwa fünfzig Mann zur Bewachung des Königs und der Königin zurück, sammelte den Rest der Truppe und wandte sich wieder nach den Verschanzungen. Nachdem Guitaut ein weißes Tuch geschwenkt und als Parlamentär den Gouverneur zu sprechen verlangt hatte, sagte ein bleicher, aber ruhiger und höflicher Mann: »Hier bin ich.«
»Ihr seid der Gouverneur von Vayres?« – »Ja, mein Herr.«
»Und Ihr weigert Euch, das Tor Eurer Festung Seiner Majestät dem König und der Königin-Regentin zu öffnen?« – »Zu meinem Schmerze.«
»Und was verlangt Ihr?« – »Die Freiheit der Herren Prinzen, deren Gefangenschaft das Land verheert und zu Grunde richtet.«
»Seine Majestät unterhandelt nicht mit ihren Untertanen.«
»Das wissen wir wohl; wir sind auch bereit zu sterben, im Bewußtsein, daß wir für den Dienst des Königs den Tod empfangen, obgleich es den Anschein hat, als führten wir Krieg gegen ihn.«
»Es ist gut,« sagte Guitaut, »mehr wollten wir nicht wissen.« Er kehrte darauf zum Marschall zurück und meldete den Erfolg seiner Sendung.
Der Marschall ließ sofort aus den nächsten Dörfern alle Leitern holen, einen Teil seiner Reiter absitzen und zum Sturme vorrücken. Da demaskierten sich plötzlich sechs Batterien, und eine volle Salve strich unter die Angreifer. Vier Mann sanken nieder, und zum Entsetzen der Höflinge wurde einem Pferde vor dem Wagen der Königin der Bauch aufgerissen. Der Marschall erkannte, daß er mit seinen ungenügenden Kräften die kleine wohl verteidigte Feste nicht nehmen konnte. Es wurde daher beschlossen, daß die Majestäten sich in dem kleinen weißen Hause des Herzogs von Epernon, wo früher Nanon gewohnt hatte, einquartieren und hier die Erstürmung von Vayres abwarten sollten.
Der junge König konnte seine Aufregung nicht bemeistern und die Tränen nicht unterdrücken.
»Was habt Ihr denn, Sire?« fragte die Königin.
»Oh! nichts, Madame,« antwortete das Kind; »ich werde hoffentlich eines Tags König sein . . . und dann wehe denen, die mich beleidigt haben.«
»Wie heißt der Gouverneur?« fragte die Königin.
Niemand konnte ihr antworten, niemand wußte es.
Man erkundigte sich nun bei dem Fährmann, und dieser nannte Richon.
»Es ist gut,« sagte die Königin, »ich werde mich dieses Namens erinnern.«
»Und ich auch,« rief der junge König.