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An demselben Tag, an dem Canolles in Jaulnay unter den Augen der Frau von Cambes verhaftet worden war, reiste diese ab, um sich wieder zu der Prinzessin zu begeben, die sich vor Coutras befand.
Frau von Cambes reiste also traurig und zitternd ab. Pompée vermochte sie, trotz seiner Prahlereien, durchaus nicht zu beruhigen, und nicht ohne große Furcht sah sie gegen Abend an demselben Tag, an dem sie wieder von Jaulnay aufgebrochen war, einem Querwege folgend, eine beträchtliche Truppe von Reitern erscheinen.
Es waren Edelleute, die von dem bekannten Leichenbegängnisse des Herzogs von Larochefoucault zurückkehrten, das unter dem scheinbaren Grunde, seinem Vater die letzte Ehre zu erweisen, dem Prinzen von Marsillac als Vorwand gedient hatte, um aus Frankreich und der Picardie den ganzen Adel zusammenzuziehen, der Mazarin noch mehr haßte, als er dem Prinzen zugetan war. Ihr Führer, der neue Herzog von Larochefoucault, war selbst unter diesen Edelleuten, und von ihm erfuhr Frau von Cambes, was sich ereignet hatte. Der Herzog hatte mit seinen Scharen die wichtige Stadt Saumur entsetzen wollen; er war aber zu spät gekommen, denn der Kommandant hatte kurz zuvor den Platz an die Königlichen übergeben. Dagegen war es zum ersten Treffen zwischen den beiden Parteien gekommen, da der Herzog auf eine königliche Heeresabteilung gestoßen war und einen Kampf mit ihnen siegreich bestanden hatte. Der Herzog, der mit seinen dicken schwarzen Haaren, seiner beweglichen eingekniffenen Lippe, mit seiner galligen Blässe und seiner verdrießlichen Stirn einen melancholischen Eindruck machte, schaute beständig Claire mit seinen kleinen Fuchsaugen scharf musternd an. Aus seinen schonungslosen Fragen ersah sie, daß er, von dem sie wußte, daß er ihr früher eine lebhafte Zuneigung geschenkt habe, alle ihre geheimsten Schritte ausgekundschaftet hatte. Er wußte von ihrem ersten Zusammensein mit Herrn von Canolles in Jaulnay, er wußte auch, daß der junge Offizier sich willig in Chantilly hatte täuschen lassen, und als er nun hörte, der junge Offizier sei auf Mazarins Befehl verhaftet, zeigte er hierüber trotz Claires Klagen nicht nur kein Mitleid, sondern lebhafte Genugtuung und Freude.
Der Herzog gab ihr zum Schutze eine Abteilung seiner Reiter mit, und zwei Tage nachher befand sich Frau von Cambes wieder bei der Prinzessin.
Um den üblen Folgen, die das Ausspionieren des Herzogs von Larochefoucault haben konnte, vorzubeugen, sagte sie in Erwiderung der Komplimente, die ihr die Prinzessin machte: »Madame, beglückwünscht mich nicht zu sehr wegen der Gewandtheit, die ich entwickelt haben soll, denn es gibt Leute, die behaupten, der Offizier, den wir zu betören meinten, sei sich völlig klar darüber gewesen, was er von der wahren und von der falschen Prinzessin von Condé zu halten habe.«
Da diese Ansicht der Prinzessin zum Teil ihr Verdienst genommen hätte, das sie sich bei Ausführung der List erworben zu haben glaubte, so erwiderte sie: »Ja, ja, meine liebe Claire, ja, ich begreife; jetzt, wo unser Mann sieht, daß wir ihn getäuscht haben, möchte er sich gern das Ansehen geben, als habe er uns begünstigt; leider greift er etwas spät nach diesem Mittel, da er gewartet hat, bis er in Ungnade gefallen ist. Jedoch wir haben uns zur Zeit mit wichtigeren Angelegenheiten zu befassen,« fuhr sie fort, sich ihren anwesenden beiden Räten, der Frau von Tourville und Herrn Lenet, zuwendend. Es stand zunächst die Frage zur Beratung, wer eine von Frau von Tourville entworfene und von Lenet umredigierte Proklamation an die Bordolesen an erster Stelle unterzeichnen sollte. Die Dame stimmte für den Herzog von Larochefoucault, während Herr Lenet für den jungen Herzog von Enghien eintrat.
»Aber Ihr gefährdet den jungen Prinzen,« fiel ihm seine alte Widersacherin ins Wort.
»Es ist nur zu billig, daß er gefährdet wird. Madame, da man sich für ihn schlägt.«
»Aber die Bordolesen lieben den Herzog von Bouillon, sie beten den Herzog von Larochefoucault an, während sie den Herzog von Enghien nicht einmal kennen.«,
»Ihr seid im Irrtum,« antwortete Lenet, ein Papier aus seiner Tasche ziehend, welche die Prinzessin stets durch ihren Inhalt in Erstaunen setzte, »denn hier ist ein Brief von dem Herrn Präsidenten von Bordeaux, worin er mich bittet, die Proklamation durch den jungen Herzog unterzeichnen zu lassen.«
»Ei! kümmert Euch nichts um die Parlamente, Lenet,« rief die Prinzessin, »es lohnt sich nicht der Mühe, der Gewalt der Königin und des Herrn von Mazarin zu entgehen, wenn wir in die der Parlamente fallen.«
»Will Eure Hoheit nach Bordeaux hinein?« – »Allerdings.«
»Wohl, ohne dies geht es nicht, sie werden kein Zündkraut für einen andern als den Herzog von Enghien abbrennen.«
Frau von Tourville biß sich in die Lippen.
»Ihr habt uns also von Chantilly fliehen, Ihr habt uns hundertundfünfzig Meilen machen lassen,« sagte die Prinzessin, »damit wir eine Schmach von den Bordolesen hinnehmen?«
»Was Ihr für eine Schmach haltet, Madame, ist eine Ehre. Was kann für die Prinzessin von Condé schmeichelhafter sein, als zu sehen, daß man sie aufnimmt und nicht die anderen?«
»Also werden die Bordolesen selbst die zwei Herzoge nicht aufnehmen?« – »Sie nehmen nur Eure Hoheit auf.«
»Was kann ich allein tun?« – »Bei Gott, zieht nur ein, laßt bei Eurem Einzug die Tore offen, und die andern ziehen hinter Euch ein.«
»Wir können ihrer nicht entbehren.«
»Das ist meine Meinung und in vierzehn Tagen wird es auch die Meinung des Parlaments sein. Bordeaux stößt Eure Armee zurück, vor der es sich ängstet, und in vierzehn Tagen wird es sie zur Verteidigung rufen. Ihr könnt dann das doppelte Verdienst ansprechen, zweimal getan zu haben, was die Bordolesen von Euch verlangen, und dann, seid unbesorgt, lassen sie sich vom ersten bis zum letzten Mann für Euch töten.«
»Bordeaux ist also bedroht?« fragte Frau von Tourville.
»Sehr bedroht,« antwortete Lenet, »deshalb ist es dringend, dort eine bestimmte Stellung einzunehmen. Solange wir nicht drin sind, kann Bordeaux, ohne daß sein Glück dadurch gefährdet wird, sich weigern, uns seine Tore zu öffnen; sind wir einmal dort, so kann uns Bordeaux nicht, ohne sich zu entehren, aus seinen Mauern jagen.«
»Und wer bedroht Bordeaux, wenn ich fragen darf?«
»Der König, die Königin, Herr von Mazarin. Die königlichen Streitkräfte sammeln sich; unsere Feinde fassen festen Fuß; die Insel Saint-George, die nur drei Meilen von der Stadt entfernt liegt, hat soeben Verstärkung, eine Zufuhr an Munition und einen neuen Gouverneur erhalten. Die Bordolesen werden versuchen, die Insel zu nehmen, und sich natürlich schlagen lassen, da sie es mit den besten Truppen des Königs zu tun haben. Gehörig gestriegelt werden sie dann mit lauter Stimme die Herzöge von Bouillon und Larochefoucault herbeirufen. Dann haltet Ihr diese beiden Herzöge in Euren Händen, dann schreibt Ihr den Parlamenten die Bedingungen vor.«
»Aber wäre es nicht besser, einen Versuch zu machen, diesen neuen Gouverneur für uns zu gewinnen, ehe die Bordolesen eine Niederlage erlitten haben, die sie entmutigen dürfte?«
»Seid Ihr in Bordeaux, wenn diese Niederlage stattfindet, so habt Ihr nichts zu befürchten; den Gouverneur zu gewinnen, ist nicht möglich.«
»Nicht möglich! warum?« – »Weil der Gouverneur ein persönlicher Feind Eurer Hoheit ist.«
»Ein persönlicher Feind von mir?« – »Ja.«
»Woher rührt diese Feindschaft?« – »Davon, daß er Eurer Hoheit die Täuschung, deren Opfer er in Chantilly gewesen ist, nie verzeihen wird. Oh! Herr von Mazarin ist kein Dummkopf, wie Ihr glaubt, obgleich ich mich beständig abmühe, um Euch das Gegenteil zu beweisen; es mag zum Belege dienen, daß er auf die Insel Saint-George, das heißt an die wichtigste Stelle den Offizier geschickt hat, über den Ihr so viel lachtet, und der durch seine unbegreifliche Ungeschicklichkeit Euch entfliehen ließ.«
»Herrn von Canolles!« rief Claire.
»Ja.«
»Herr von Canolles Gouverneur der Insel Saint-George?«
»In Person.«
»Unmöglich! ich habe ihn in meiner Gegenwart, vor meinen eigenen Augen verhaften sehen.«
»Ganz richtig, aber er erfreut sich ohne Zweifel eines mächtigen Schutzes, und seine Ungnade hat sich in Gunst verwandelt.«
»Und Ihr hieltet ihn bereits für tot, meine arme Claire!« rief lachend die Prinzessin.
»Seid Ihr Eurer Sache ganz sicher?« fragte Claire, im höchsten Maße erstaunt.
Lenet steckte die Hand seiner Gewohnheit gemäß in die bekannte Tasche, zog ein Papier heraus und erwiderte: »Hier ist ein Brief von Richon, der mir alle Umstände der Bestallung des neuen Gouverneurs meldet und nur sein Bedauern darüber ausdrückt, daß Eure Hoheit nicht ihn selbst vermittels jenes Blanketts des Herzogs von Epernon auf die Insel Saint-George gesetzt hat.«
»Und Ihr seid sicher,« unterbrach Claire, die für nichts anderes Gedanken hatte, »daß derselbe Herr von Canolles, den man in Jaulnay verhaftet hat, nunmehr Gouverneur der Insel Saint-George ist?« – »Ich habe die vollkommene Gewißheit.«
»Herr von Mazarin hat eine eigene Art, seine Gouverneure in ihre Gouvernements zu führen,« sagte Frau von Cambes.
»Ja,« meinte die Prinzessin, »dahinter steckt sicher etwas.«
»Allerdings,« erwiderte Lenet, »Fräulein Nanon von Lartigues.«
»Nanon von Lartigues,« rief die Vicomtesse von Cambes, der eine furchtbare Erinnerung das Herz zerriß.
»Diese Dirne!« sagte die Prinzessin verächtlich.
»Ja, Madame.« antwortete Lenet. »Das Mädchen, das Eure Hoheit zu sehen sich weigerte, als es sich um die Gunst, vorgestellt zu werden, bewarb, und das die Königin, in den Gesetzen der Etikette weniger streng als Ihr, empfangen hatte, weshalb das Mädchen Eurem Kammerherrn antwortete, die Frau Prinzessin von Condé sei vielleicht eine größere Dame als Anna von Österreich, aber Anna von Österreich besitze sicher mehr Klugheit, als die Prinzessin von Condé.«
»Ihr hättet sie vielleicht an der Stelle Ihrer Hoheit ehrfurchtsvoll empfangen?« sagte Frau von Tourville mit spitzigem Tone.
»Nein, Madame,« erwiderte dieser, »ich hätte sie lachend empfangen und würde sie erkauft haben.«
»Wenn es sich nur darum handelt, sie zu erkaufen, so ist es immer noch Zeit.«
»Es ist allerdings immer noch Zeit; nur wird es zu dieser Stunde für unsere Börse zu teuer sein.«
»Wieviel kostet sie?« fragte die Prinzessin.
»Fünfmalhunderttausend Livres vor dem Kriege.«
»Aber jetzt?« – »Eine Million.«
»Um diesen Preis würde ich Herrn von Mazarin erkaufen.«
»Wohl möglich,« sagte Lenet; »die Waren sinken manchmal im Laufe der Dinge im Preise.«
»Aber, wenn man sie nicht erkaufen kann, so muß man sie festnehmen,« sagte Frau von Tourville, die stets für die gewaltsamen Mittel war.
»Madame, Ihr würdet damit Ihrer Hoheit einen wahren Dienst erweisen, aber es wird schwer zu erreichen sein, da man gar nicht weiß, wo sie ist. Doch, wir wollen zuerst in Bordeaux einziehen, später werden wir auch nach der Insel Saint-George gelangen.«
»Nein, nein,« rief Claire, »ziehen wir zuerst nach der Insel Saint-George.«
Dieser aus der Tiefe des Herzens quellende Ausruf ließ die Frauen sich nach ihr umwenden, während Lenet Claire so aufmerksam, wie vorher Herr von Larochefoucault, aber mit mehr Wohlwollen anschaute.
»Bist du denn toll?« rief die Prinzessin, »du hörst doch, daß Lenet sagt, der Platz sei uneinnehmbar.«
»Das ist möglich,« entgegnete Claire, »aber ich glaube doch, daß wir ihn nehmen werden. Laßt mich nur das Abenteuer versuchen. Scheitere ich, so versucht es auf Eure Weise.«
»Wie!« rief die Prinzessin erstaunt, »du willst nach der Insel Saint-George gehen?« – »Ich gehe.«
»Allein?« – »In Begleitung von Pompée.«
»Und du fürchtest dich nicht?« – »Ich gehe als Parlamentär, wenn Eure Hoheit die Gnade haben will, mir ihre Instruktionen zu übergeben.«
»Oh! das ist neu,« rief Frau von Tourville; ich wußte nicht, daß man sich so schnell zum Diplomaten modeln kann.«
»Wie unzulänglich ich auch sein mag, Madame,« antwortete Claire, »so werde ich es doch versuchen, wenn es mir die Frau Prinzessin erlauben will.«
»Sicher wird es Euch die Frau Prinzessin erlauben,« sagte Lenet, der Prinzessin einen Blick zuwerfend, »und ich bin sogar überzeugt, daß, wenn es auf der Welt eine Person gibt, die bei einer solchen Unterhandlung durchzudringen vermag, Ihr dies seid . . .«
»Und was wird denn die Frau Vicomtesse tun, was ein anderer nicht zu tun vermöchte?« – »Sie wird mit Herrn von Canolles verhandeln, was ein Mann nicht tun würde, ohne zum Fenster hinausgeworfen zu werden.«
»Ein Mann, das mag sein,« versetzte Frau von Tourville, »aber eine Frau . . .«
»Geht eine Frau nach der Insel Saint-George,« sagte Lenet, »so ist es besser, wenn es die Frau Vicomtesse unternimmt, da sie zuerst den Gedanken gehabt hat.«
In diesem Augenblick trat ein Bote bei der Frau Prinzessin ein, der einen Brief vom Parlament von Bordeaux überbrachte.
»Ah!« rief die Prinzessin, »ohne Zweifel die Antwort auf meine Frage.«
Die beiden Frauen näherten sich, neugierig und teilnahmsvoll. Lenet aber blieb mit seinem gewöhnlichen Phlegma an seinem Platze; ohne Zweifel wußte er bereits, was der Brief enthielt.
Die Prinzessin las mit gierigen Blicken.
»Sie fordern mich, sie rufen mich, sie erwarten mich!« rief sie.
»Ah!« rief Frau von Tourville mit triumphierendem Tone.
»Aber die Herzöge,« entgegnete Lenet, »aber das Heer?«
»Sie sprechen nicht davon.«
»Dann sind wir entblößt,« versetzte Frau von Tourville.
»Nein,« entgegnete die Prinzessin, »denn durch das Blankett des Herzogs von Epernon werde ich Vayres haben, das die Dordogne beherrscht.«
»Und ich,« sagte Claire, »ich werde Saint-George, den Schlüssel der Garonne, haben.«
»Und ich,« fügte Lenet hinzu, »werde die Herzöge und das Heer haben, wenn Ihr mir Zeit dazu gönnt.«