Alexander Dumas
Der Frauenkrieg
Alexander Dumas

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Vierzehntes Kapitel.

Kaum war Ravailly auf einem frischen Pferde davongejagt, als ein neuer Lärm aus der Ferne ertönte und sich immer näher zog.

Frau von Condé und Lenet, die auf den Balkon getreten waren, sahen nun am Ende der Straße eine eifrige, gedrängte Menge, die Arme in die Luft werfend und mit flatternden Taschentüchern erscheinen. Jetzt verstanden sie auch deutlich die Worte: »Branne! Der Gouverneur von Branne! Der Gouverneur gefangen!«

»Ah! ah!« sagte Lenet, »der Gouverneur von Branne gefangen? Das ist gar nicht so schlimm. Es gibt uns eine Geisel, die für Richon haftet.«

»Haben wir nicht bereits den Gouverneur der Insel Saint-George?« entgegnete die Prinzessin.

Mittlerweile war die Menge immer mehr angewachsen, und der kleine etwa dreißig Mann starke Trupp, der den Gefangenen umgab, schien ihn kaum gegen die Wut der Menge schützen zu können.

»Tod! Tod!« schrie das Volk, »Tod dem Gouverneur von Branne!«

Da die Prinzessin trotz Lenets Aufforderung zögerte, etwas zur Rettung des Gefangenen zu tun, und die Soldaten dem Ansturm der Menge zu erliegen drohten, forderte Lenet selbst eine in der Nähe stehende Abteilung der Bürgergarde auf, den Soldaten beizustehen.

»Wenn dem Gefangenen ein Haar auf dem Haupte gekrümmt wird, so seid ihr mir mit euren Köpfen dafür verantwortlich,« rief er.

Bei diesen Worten stürzten zwanzig Musketiere, den besten Familien von Bordeaux angehörend, vor, durchbrachen die Menge mit Kolbenstößen und verbanden sich mit der Eskorte; es war die höchste Zeit, einige Klauen, länger und schärfer als die andern, hatten bereits Fetzen von dem blauen Rocke des Gefangenen gerissen.

»Ich danke, meine Herren,« sagte der Gefangene, »denn Ihr habt es verhindert, daß mich diese Kannibalen verschlangen; das ist sehr wohlgetan. Teufel! wenn sie die Leute nur so fressen, so werden sie eines Tages die königliche Armee, sobald sie Eure Stadt stürmt, mit Haut und Haar aufspeisen.«

Und er zuckte die Achseln und lachte.

»Ah! das ist ein Tapferer,« rief die Menge, als sie die vielleicht nur geheuchelte Ruhe des Gefangenen wahrnahm, und wiederholte dabei den Scherz, der ihrer Eitelkeit schmeichelte: »Es ist ein wahrhaft Mutiger! Er hat keine Furcht. Es lebe der Gouverneur von Branne!«

»Bei Gott, ja,« rief der Gefangene, »es lebe der Gouverneur von Branne. Es wäre mit sehr angenehm, wenn er leben könnte.«

Die Wut des Volkes verwandelte sich nun in Bewunderung, und diese Bewunderung drückte sich alsbald in kräftigen Worten aus. Es fand eine wahre Huldigung für den Gouverneur von Branne, das heißt für unsern Freund Cauvignac, statt.

Denn es war, wie unsere Leser wohl schon erraten haben, Cauvignac, der unter dem prunkhaften Namen eines Gouverneurs von Branne auf eine so traurige Weise in die Hauptstadt der Guienne einzog.

So beschützt durch seine Wachen und durch seine Geistesgegenwart, wurde der Kriegsgefangene in das Haus des Präsidenten Lalasne gebracht, und sodann vor die Prinzessin geführt.

Durch seine Geistesgegenwart und seine Redefertigkeit gelang es ihm, der Prinzessin die Meinung beizubringen, er habe trotz des gegenteiligen Anscheins nicht Verrat begangen, sondern sei nur vom Unglück verfolgt gewesen. Er habe gar nicht in der Festung geweilt und könne schon darum gar nicht seine Leute beeinflußt haben; er habe sie nur, weil er für sie von der prinzlichen Partei keine Bezahlung erhalten habe, freigeben müssen und sie nicht hindern können, sich zu verkaufen. Lenet durchschaute den gewissenlosen Glücksritter wohl, achtete aber die Tatkraft und Geschicklichkeit, mit der Cauvignac seinen Hals aus der Schlinge zog, und ließ die Prinzessin gewähren.

Diese erklärte Cauvignac wohl als Gefangenen, gab ihm aber Erlaubnis, sich gegen sein Ehrenwort ganz frei in der Stadt zu bewegen.

»Nun entfernt Euch,« sagte sie schließlich, »wir verlassen uns auf Eure Redlichkeit als Edelmann und auf Eure Ehre als Soldat.«

Cauvignac ließ sich das nicht zweimal sagen; er verbeugte sich und ging ab; aber während er, das Kinn in der Hand, die Treppe hinabstieg, sagte er bei sich: »Nun handelt es sich darum, meine hundertundfünfzig Mann für etwa hunderttausend Livres abermals an sie zu verkaufen, was gar wohl möglich ist, da der gescheite und ehrenwerte Ferguzon vollkommene Freiheit für sich und die Seinigen erhalten hat. Ich werde sicher früher oder später Gelegenheit dazu finden. Schön, schön,« fuhr er ganz getröstet fort, »ich sehe, daß ich dadurch, daß ich mich fangen ließ, kein so schlechtes Geschäft gemacht habe, wie ich anfangs glaubte.«

Nach der mannhaftesten und geschicktesten Verteidigung, wobei der Marschall bei der Erstürmung einer einzigen Schanze fünf- bis sechshundert Mann hatte opfern müssen, fiel Richon in der Tat dem Verrat zum Opfer. De La Meilleraye hatte sich entschlossen, da die kleine Festung sonst für ihn uneinnehmbar schien, eine regelmäßige Belagerung mit Laufgräben einzuleiten, als der Herzog von Epernon mit seinem Heere zu ihm stieß, wodurch die königliche Armee von zwölftausend Mann auf das doppelte anwuchs. Unter diesen Umständen wurde für den nächsten Tag ein allgemeiner Sturm festgesetzt. Als aber Richon an diesem Morgen seine Leute hinter den Schanzen aufstellte, bemerkte er zu seinem Erstaunen eine meuterische Haltung. Er rief einen der Murrenden an sich heran, und als dieser den Gehorsam verweigerte, ergriff ihn der starke, mutvolle Mann und schleuderte ihn über die Brustwehr. Da er aber bemerkte, daß weit mehr als die Hälfte seiner Soldaten, von Ferguzon durch den Hinweis auf die Größe der drohenden Gefahr unschwer aufgewiegelt, meuterisch gesinnt war, sah er, daß er verloren sei.

»Ich kann mich nicht allein verteidigen,« sagte er, »will mich aber auch nicht ergeben. Da mich meine Soldaten verlassen, so mag einer für sie unterhandeln, wie es ihm beliebt und wie es ihnen beliebt, aber dieser eine werde ich nicht sein. Wenn nur die paar Tapferen, die mir treu geblieben sind, mit dem Leben davon kommen . . . mehr verlange ich nicht. Sprecht, wer wird der Unterhändler sein?« – »Ich, mein Kommandant, wenn Ihr wollt, und wenn mich meine Gefährten mit ihrem Vertrauen beehren,« sagte Ferguzon vortretend.

»Ja, ja, der Leutnant Ferguzon! Der Leutnant Ferguzon!« riefen fünfhundert Stimmen.

»Ihr also?« sagten Richon. »Ihr könnt frei in Vayres aus und ein gehen.«

»Und Ihr habt mir keine besonderen Bedingungen zu geben, mein Kommandant?« – »Die Freiheit für meine Leute.«

»Und für Euch?« – »Nichts.«

Eine solche Verleugnung hätte verirrte Menschen zurückgebracht; aber nicht diese, die nicht nur verirrt, sondern verkauft waren.

»Ja! ja! die Freiheit für uns!« riefen sie.

»Seid unbesorgt, Kommandant,« sagte Ferguzon, »ich werde Euch in der Kapitulation nicht vergessen.«

Richon lächelte traurig, zuckte die Achseln, ging in seine Wohnung zurück und schloß sich in seinem Zimmer ein.

Ferguzon begab sich sogleich zu den Royalisten. Herr de La Meilleraye wollte jedoch nichts ohne Genehmigung der Königin tun, die Königin aber hatte, um, wie sie sagte, nicht mehr der Schmach des Heeres beizuwohnen, das kleine Haus Nanons verlassen und ihr Quartier in dem Stadthause von Libourne genommen.

Der Marschall gab deshalb Ferguzon zwei Soldaten zur Bewachung, stieg zu Pferde und eilte nach Libourne. Er fand Herrn von Mazarin, dem er eine große Neuigkeit mitzuteilen glaubte; aber bei den ersten Worten des Marschalls trat ihm der Minister mit seinem gewöhnlichen Lächeln entgegen und sagte: »Wir wissen alles, Herr Marschall, die Sache ist gestern abend in Ordnung gebracht worden. Unterhandelt mit dem Leutnant Ferguzon, aber macht Euch für Herrn Richon nur mit Eurem Worte verbindlich.«

»Wie, nur mit meinem Worte?« entgegnete der Marschall, »ist mein Wort verpfändet, so gilt es hoffentlich soviel wie eine Handschrift.«

»Tut es nur, Herr Marschall; ich habe von Seiner Heiligkeit besondere Indulgenzen, die mir gestatten, die Leute ihres Eides zu entbinden.«

»Es ist möglich,« sagte der Marschall; »aber diese Indulgenzen gehen die Marschälle von Frankreich nichts an.«

Mazarin lächelte und bedeutete dem Marschall durch ein Zeichen, er könne nach dem Lager zurückkehren.

Der Marschall kam murrend zurück, gab Ferguzon einen geschriebenen Schirmbrief für sich und seine Leute, und verpfändete sein Wort in Beziehung auf Richon. Zwei Stunden nachher, als Richon bereits von seinen Fenstern aus die Verstärkung erblickte, die ihm von Ravailly zugeführt wurde, trat man in sein Zimmer und verhaftete ihn im Namen der Königin.

Im ersten Augenblick prägte sich eine große Zufriedenheit auf dem Antlitz des tapferen Kommandanten aus: blieb er frei, so konnte ihn Frau von Condé im Verdacht des Verrats haben; war er gefangen, so bürgte diese Gefangenschaft für ihn.

In dieser Hoffnung blieb er zurück, statt sich mit den andern zu entfernen. Er wurde nach Libourne gebracht und vor die Königin geführt, die ihn hochmütig vom Scheitel bis zur Zehe maß, vor den König, der ihn mit einem wütenden Blick niederschmetterte, vor Herrn von Mazarin, der zu ihm sagte: »Ihr habt ein hohes Spiel gespielt, Herr Richon.«

»Und ich habe verloren, nicht wahr, Monseigneur? Nun fragt es sich nur noch, um was wir spielen.«

»Ich fürchte, Ihr habt um Euren Kopf gespielt,« erwiderte Mazarin.

»Man melde Herrn von Epernon, daß ihn der König sehen will,« sagte Anna von Österreich. »Dieser Mensch aber hat hier sein Urteil zu erwarten.«

Und mit stolzer Verachtung sich zurückziehend, verließ sie das Zimmer, dem König die Hand reichend und gefolgt von Mazarin und den Höflingen.

Herr von Epernon war wirklich vor einer Stunde eingetroffen, aber der verliebte Greis konnte sich nicht enthalten, vor allen andern Nanon aufzusuchen, der er aufrichtige Komplimente über das mutige Verhalten ihres vermeintlichen Bruders machte.

Nanon aber dachte nur an die Befreiung ihres Geliebten. Sie war so rasend in Canolles verliebt, daß sie den Gedanken an eine Untreue seinerseits stets ungläubig zurückwies, so oft er sich auch in ihrem Innern regte. In seiner Sorge, sie zu entfernen, hatte sie nur eine zärtliche Teilnahme erblickt; sie hielt ihn für gewaltsam gefangen, sie beweinte ihn, und sie sehnte sich nach dem Augenblick, wo sie ihn mit Hilfe des Herrn von Epernon befreien könnte. Sie war es auch, die durch zehn Briefe, die sie an den Herzog schrieb, mit aller Gewalt seine Rückkehr beschleunigt hatte, und nun bat sie ihn mit aufgehobenen Händen, ihren Bruder von der Gefangenschaft zu befreien.

»Das kommt vortrefflich,« erwiderte der Herzog, »ich habe soeben erfahren, daß der Gouverneur von Vayres sich hat gefangen nehmen lassen. Ich schicke den Gouverneur von Vayres an Frau von Condé zurück, die uns dafür Canolles gibt; das kommt im Krieg jeden Tag vor.«

»Ja, aber wird Frau von Condé Herrn von Canolles nicht höher schätzen, als einen einfachen Offizier?« – »Wohl, dann schickt man ihr statt eines Offiziers zwei, drei; kurz man ordnet die Sache so, daß Ihr zufrieden seid, meine Schönste, und wenn unser tapferer Kommandant von Saint-George nach Libourne kommt, bereiten wir ihm einen Triumph.«

Nanon war außer sich vor Freude. Wieder in den Besitz Canolles' zu gelangen, das war der glühende Traum aller ihrer Stunden. Was Herr von Epernon sagen würde, wenn er erführe, wer dieser Canolles wäre, darum kümmerte sie sich wenig. War Canolles einmal gerettet, so wollte sie ihm offen sagen, es sei ihr Geliebter, sie wollte es ganz laut aussprechen, sie wollte es aller Welt sagen!

So standen die Dinge, als der Bote der Königin eintrat.

»Seht,« sagte der Herzog, »das geht ganz erwünscht; ich begebe mich zur Königin und bringe die Auswechslungsurkunde zurück.«

»Somit kann mein Bruder hier sein? . . .« – »Vielleicht morgen.«

»Geht,« rief Nanon, »und verliert keine Minute. Oh! morgen, morgen,« fügte sie, ihre Arme mit einem bewunderungswürdigen Ausdruck des Gebetes zum Himmel erhebend, hinzu. »Morgen, Gott wolle es!«

»Ah! welch ein Herz!« murmelte Herr von Epernon, während er sich entfernte.

Als der Herzog von Epernon in das Zimmer der Königin trat, biß sich Anna von Österreich, rot vor Zorn, in ihre dicken Lippen, welche die Bewunderung ihrer Höflinge bildeten, gerade weil sie der mangelhafte Punkt ihres Gesichtes waren.

Der Herzog schaute die Königin erstaunt an; sie hatte seinen Gruß nicht erwidert und betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn von der Höhe ihrer königlichen Majestät herab.

»Ah! ah, Ihr seid es,« sagte sie endlich, nachdem sie eine Zeit lang geschwiegen hatte; »kommt hierher, daß ich Euch mein Kompliment über die Art und Weise mache, wie Ihr die Ämter in Eurem Gouvernement besetzt.«

»Was habe ich denn getan, Madame,« fragte der Herzog voll Verwunderung, »und was ist denn geschehen?« – »Es ist zum Gouverneur von Vayres ein Mann ernannt worden, der mit seinen Kanonen nach dem König geschossen hat; . . . mehr nicht.«

»Von mir, Madame?« rief der Herzog; »Eure Majestät irrt sich offenbar. Ich habe den Gouverneur von Vayres nicht ernannt, wenigstens nicht, daß, ich wüßte. Die Ernennung Richons muß von den Ministern Eurer Majestät herrühren.«

»Dann unterzeichnen meine Minister Epernon,« erwiderte die Königin mit scharfem Tone.

»Wieso?« – »Allerdings, da sich diese Unterschrift auf dem Patente des Herrn Richon findet.«

»Unmöglich, Madame,« entgegnete der Herzog.

Die Königin zuckte die Achseln. – »Unmöglich!« sagte sie. »Wohl, so lest.«

Und sie nahm ein auf dem Tische liegendes Patent und gab es dem Herzog.

Herr von Epernon ergriff das Patent, durchlief es mit gierigen Blicken, untersuchte jede Falte des Papiers, jedes Wort, jeden Buchstaben und war ganz bestürzt; eine furchtbare Erinnerung durchzuckte seinen Geist.

»Kann ich diesen Herrn Richon sehen?« fragte er.

»Nichts leichter,« antwortete die Königin; »ich habe ihn in dem Zimmer nebenan warten lassen, um Euch dieses Vergnügen zu bereiten.«

»Man führe den Elenden herein,« rief sie den Wachen zu.

Die Wachen gingen hinaus, und einen Augenblick nachher wurde Richon mit gebundenen Händen eingeführt. Der Herzog schritt auf ihn zu und heftete auf den Gefangenen einen Blick, den dieser mit seiner gewöhnlichen Würde aushielt.

»Legt ihm einen Mantel auf die Schultern, bindet ihm eine Maske vor das Gesicht,« sagte der Herzog, »und gebt mir eine angezündete Kerze.«

Sofort vollzog man die zwei ersten Befehle und brachte die Kerze. Der Herzog näherte das Patent dem Lichte, und bei der Wärme der Flamme erschien ein mit sympathetischer Tinte unter die Unterschrift gezeichnetes doppeltes Kreuz auf dem Papier.

Bei diesem Anblick erheiterte sich die Stirn des Herzogs, und er rief: »Madame, dieses Patent ist allerdings von mir unterzeichnet, aber es war weder für Herrn Richon, noch für einen andern bestimmt, sondern ist mir von diesem Menschen betrügerisch abgerungen worden; doch ehe ich dieses Blankett aus den Händen gab, hatte ich auf das Papier ein Zeichen gemacht, das Eure Majestät darauf sehen kann, und dieses Zeichen dient als schlagender Beweis gegen den Schuldigen. Schaut!«

Die Königin nahm gierig das Papier und beschaute es, während ihr der Herzog die Marke mit dem Ende des Fingers zeigte.

»Ich verstehe kein Wort von der Anschuldigung, die Ihr gegen mich vorbringt,« sagte Richon ganz einfach.

»Wie,« rief der Herzog, »Ihr wart nicht der verlarvte Mann, dem ich dieses Papier auf der Dordogne zugestellt habe?« – »Ich habe vor diesem Tage nie mit Eurer Herrlichkeit gesprochen,« antwortete Richon mit kaltem Tone.

»Wart Ihr es nicht, so war es ein von Euch abgesandter Mann, der an Eurer Stelle erschien.«

»Es würde mir nichts nützen, wollte ich die Wahrheit verbergen,« sagte Richon stets mit derselben Ruhe; »dieses Patent, Herr Herzog, habe ich von der Frau Prinzessin von Condé aus den Händen des Herrn Herzogs von Larochefoucault erhalten; es war mit meinem Namen und Vornamen von Herrn Lenet, dessen Handschrift Ihr vielleicht kennt, ausgefüllt. Wie das Patent in die Hände der Frau Prinzessin gelangte, ist mir völlig unbekannt, kümmert mich sehr wenig und geht mich nichts an.«

»Ah! Ihr glaubt?« versetzte der Herzog mit höhnischem Tone.

Darauf näherte er sich der Königin und erzählte ihr eine ziemlich lange Geschichte, der Anna von Österreich ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte; es war die Mitteilung von Cauvignacs Angeberei und das Abenteuer auf der Dordogne; als Frau begriff die Königin vollkommen die Regung der Eifersucht des Herzogs.

Sobald er geendigt hatte, sagte sie: »Das ist nur eine Schändlichkeit, die noch zum Hochverrat hinzukommt; wer kein Bedenken trug, auf seinen König zu schießen, konnte auch das Geheimnis einer Frau verkaufen.«

»Man muß ihm sein Urteil fällen,« sagte die Königin. »Versammelt den Kriegsrat, wobei Ihr den Vorsitz führt, Herr Herzog von Epernon. Wählt Eure Beisitzer und dann rasch zu Werke gegangen.«

»Madame,« sagte Richon, »es ist kein Kriegsrat zu versammeln, kein Urteil zu fällen. Ich bin Gefangener auf das Wort des Herrn Marschalls de La Meilleraye; ich bin freiwilliger Gefangener, denn ich konnte Vayres mit meinen Soldaten verlassen, ich konnte vor- oder nachher fliehen und habe es nicht getan.«

»Ich verstehe mich nicht auf solche Angelegenheiten,« sagte die Königin, »habt Ihr gute Gründe, so macht sie vor den Richten geltend. Könnt Ihr hier nicht bequem Sitzung halten, Herr Herzog?«

»Ja, Madame,« antwortete dieser; und er wählte zwölf Offiziere im Vorzimmer und bildete auf der Stelle das Tribunal.

Der Prozeß wurde mit größter Beschleunigung durchgeführt, um so mehr, als Richon, der bald die Nutzlosigkeit alles Argumentierens einsah, sich in verächtliches Schweigen hüllte. Innerhalb einer Stunde war alles getan, der Referent beantragte die Todesstrafe und sämtliche Richter stimmten ihm bei.

Richon hörte das Urteil, als sei er nur Zuschauer gewesen, und wurde, immer unempfindlich und stumm, noch während der Sitzung dem Generalprofoß übergeben.

Der Herzog von Epernon begab sich zur Königin; er fand sie in vortrefflicher Laune und wurde von ihr zur Tafel geladen. Der Herzog, der sich in Ungnade glaubte, nahm die Einladung an und ging zu Nanon, um ihr von dem guten Stande der Dinge Mitteilung zu machen.

Er erzählte ihr, daß die Ernennung zum Kommandanten von Vayres mittels des ihm damals von dem Angeber erpreßten Blanketts erfolgt sei, daß man aber den Schuldigen nun in Händen habe.

»Und dieser Mensch,« fragte die erschreckte Nanon mit zitternder Stimme, »was habt Ihr mit ihm gemacht?«

»Ah! wahrhaftig,« antwortete der Herzog, »Ihr sollt selbst sehen, was wir mit ihm gemacht haben; ja,« fügte er aufstehend hinzu, »das macht sich vortrefflich, hebt diesen Vorhang auf, oder öffnet nur das Fenster; es ist ein Feind des Königs, und den kann man wohl hängen sehen.«

»Hängen!« rief Nanon, »was sagt Ihr, Herr Herzog? hängen will man ihn?«

»Ja, meine Schöne. Seht Ihr unter der Halle an jenem Balken den baumelnden Strick, seht Ihr das Volk herbeilaufen? Bemerkt Ihr die Füsiliere, die den Mann bringen, dort unten, links? Seht, der König stellt sich an sein Fenster.«

Nanons Herz hob sich in ihrer Brust und schien bis in ihre Kehle emporzusteigen; sie hatte jedoch mit einem raschen Blicke gesehen, daß der Mann, den man herbeiführte, nicht, wie sie bisher gefürchtet hatte, Cauvignac war.

»Gut, gut,« sagte der Herzog, »Herr Richon wird kurzweg gehängt, das wird den Burschen die Frauen verleumden lehren.«

»Aber,« rief Nanon, den Herzog bei der Hand ergreifend und alle ihre Kräfte zusammenraffend, »aber dieser Unglückliche ist nicht schuldig; er ist vielleicht ein tapferer Soldat; er ist am Ende ein ehrlicher Mann; Ihr laßt einen Unschuldigen ermorden.«

»Nein, nein, Ihr täuscht Euch sehr, meine, Liebe; er ist Fälscher und Verleumder. Überdies, wäre er auch rechtmäßig Gouverneur von Vayres, so bliebe er immerhin Hochverräter: und das genügte, ihm den Hals zu kosten.«

»Ah, mein Gott! mein Gott! Irgend etwas sagt mir, daß dieser Mann unschuldig ist,« rief Nanon, »und daß sein Tod allen Unglück bringen wird. Oh! Herr, in des Himmels Namen, gewährt mir die Begnadigung dieses Mannes.«

»Unmöglich, meine Teure, die Königin selbst hat ihn verurteilt, und da habe ich keine Gewalt mehr.«

Nanon stieß einen Seufzer aus, der einem Ächzen glich.

In diesem Augenblick war Richon unter der Halle angelangt; man führte ihn, der immer ruhig und schweigsam blieb, bis zu dem Balken, von dem der Strick herabhing; eine Leiter war zum voraus aufgerichtet und harrte seiner. Richon stieg diese Leiter mit festem Tritte hinauf und beherrschte mit seinem majestätischen Haupte die Menge, auf die sich sein mit kalter Verachtung bewaffneter Blick heftete. Der Profoß schlang ihm nun den Knoten um den Hals, und der Ausrufer erklärte mit lauter Stimme, der König lasse dem Sieur Etienne Richon, Fälscher, Verräter und Bauern, sein Recht widerfahren.

»Wir leben in einer Zeit,« sagte Richon, »wo es besser ist, ein Bauer zu sein, wie ich, als Marschall von Frankreich zu heißen.«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als die Leiter unter ihm weggezogen wurde und sein Körper an dem unseligen Balken hin und her schwankte.

Eine allgemeine Bewegung des Schreckens zerstreute die Menge, ohne daß ein einziger Ruf: »Es lebe der König!« sich hörbar machte, obgleich jeder die Majestäten noch an ihrem Fenster sehen konnte.

»Nun,« sagte der Herzog, »ich glaube, diese Hinrichtung wird als gutes Beispiel dienen, und ich bin neugierig, was die Bordolesen tun werden, wenn sie erfahren, daß man ihre Gouverneure hängt.«

Bei diesen Worten brach Nanon bei dem Gedanken an das, was die Bordolesen tun könnten, ohnmächtig zusammen.



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