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Die Nacht lagerte sich über Bordeaux, und abgesehen von der Gegend der Esplanade, wohin sich alles drängte, schien die Stadt verlassen. Dort aber, auf der Esplanade, im Nachtnebel, hörte man einen dumpfen, fortwährenden Lärm, ähnlich dem Tosen der Fluten, wenn sie ins Meer zurückstürzen.
Die Prinzessin hatte ihre Korrespondenz beendigt und ließ dem Herzog von Larochefoucault sagen, sie könnte ihn empfangen.
Zu ihren Füßen, demütig auf einen Teppich gekauert, mit der lebhaftesten Angst ihr Gesicht studierend, schien Frau von Cambes den Augenblick zu erwarten, wo sie, ohne lästig zu sein, sprechen könnte; aber diese erzwungene Geduld, diese geflissentliche Sanftmut wurden durch das krampfhafte Zucken ihrer Hände, die ein Taschentuch zerknitterten, Lügen gestraft.
»Siebenundsiebenzig Unterschriften,« rief die Prinzessin, »Ihr seht, daß nicht alles Vergnügen ist, wenn man die Rolle einer Königin zu spielen hat.«
»Oh! wohl, Madame,« erwiderte die Vicomtesse; »denn indem Ihr die Stelle der Königin einnahmt, verlieht Ihr Euch zugleich ihr schönstes Vorrecht, das, Gnade zu üben.«
»Und das, zu strafen, Claire,« versetzte stolz die Prinzessin von Condé.
»Und die achtundsiebenzigste kommt unter einen Begnadigungsbrief, nicht wahr, Madame?« sagte Claire.
»Was sagst du, Kleine?« – »Ich sage, meines Erachtens sei es für mich Zeit, hinzugehen und meinen Gefangenen zu befreien; soll ich ihn nicht mit dem furchtbaren Schauspiel, seinen Gefährten zum Tode führen zu sehen, verschonen? Ah! Madame, da Ihr Gnade üben wollt, so laßt sie vollständig angedeihen.«
»Wahrhaftig, du hast recht, Kleine; aber ich vergaß in der Tat mein Versprechen unter diesen ernsten Geschäften, und du hast wohlgetan, daß du mich daran erinnertest.«
»Also?« rief Claire ganz freudig.
»Also tue, was du willst.«
»Noch eine Unterschrift, Hoheit,« sagte Claire mit einem Lächeln, welches das härteste Herz erweicht hätte, mit einem Lächeln, das kein Maler wiederzugeben vermöchte, weil es nur der Frau, die liebt, das heißt dem gottähnlichsten Wesen, eigen ist.
Sie schob ein Papier auf den Tisch der Prinzessin und bezeichnete mit der Fingerspitze die Stelle, worauf sich ihre Hand legen sollte.
Frau von Condé schrieb:
»Befehl an den Herrn Gouverneur des Schlosses Trompette, die Frau Vicomtesse von Cambes zu Herrn Baron von Canolles, dem wir hiermit die volle Freiheit geben, einzulassen.«
»Ist es so gut?« fragte die Prinzessin,
»Oh! ja, Madame!« rief Frau von Cambes.
»Und ich soll unterzeichnen?« – »Ganz gewiß.«
»Liebe Kleine, man muß alles tun, was du willst,« sagte die Prinzessin mit ihrem freundlichsten Lächeln und unterzeichnete.
Claire fiel über das Papier her, wie ein Adler über seine Beute. Sie nahm sich kaum Zeit, der Prinzessin zu danken, drückte die Schrift an ihr Herz und stürzte aus dem Gemache.
Auf der Treppe begegnete sie Herrn von Larochefoucault, dem sie einen kurzen, freudigen Gruß zurief. Der Herzog blieb einen Moment auf dem Ruheplatz der Treppe stehen und folgte ihr, ehe er bei Frau von Condé eintrat, mit den Augen bis zu den untersten Stufen.
Als er zu Ihrer Hoheit kam, sagte er: »Madame, alles ist bereit.«
»Wo?« – »Dort unten auf der Esplanade.«
»Ah! sehr gut,« erwiderte die Prinzessin, große Ruhe heuchelnd, weil sie fühlte, daß man sie beobachtete, und weil sie um keinen Preis sich schwach zeigen wollte. »Wohl, wenn alles bereit ist, so geht, Herr Herzog.«
Der Herzog zögerte.
»Haltet Ihr es für angemessen, daß ich dem Akte beiwohne?« sagte die Prinzessin mit einem Zittern der Stimme, das sie trotz ihrer Selbstbeherrschung nicht völlig zu bewältigen vermochte.
»Ganz wie es Euch beliebt, Madame,« erwiderte der Herzog.
»Wir werden sehen, Herzog, wir werden sehen; Ihr wißt, daß ich viele Verurteilte begnadigt habe?« – »Ja, Madame.«
»Und was sagt Ihr zu dieser Maßregel?« – »Ich sage, daß alles, was Eure Hoheit tut, wohlgetan ist.«
»Ja,« sagte die Prinzessin, »ich ziehe das vor. Es ist würdiger von uns, den Epernonisten zu zeigen, daß wir uns nicht fürchten, Repressalien zu gebrauchen und als Macht gegen Macht mit Ihrer Majestät zu unterhandeln, daß wir aber, auf unsere Kraft vertrauend, das Böse ohne Wut, ohne Übertreibung vergelten.«
»Das ist sehr politisch.«
»Nicht wahr?« sagte die Prinzessin, die aus dem Ton Larochefoucaults seine wahre Ansicht zu erkennen suchte.
»Doch,« fuhr der Herzog fort, »es ist immer noch Eure Meinung, daß einer von beiden den Tod Richons sühnen soll; denn bliebe dieser Tod ungerächt, so könnte man glauben, Eure Hoheit schätze die Tapferen, die sich ihrem Dienste widmen, gering.«
»Oh! gewiß; einer von beiden wird sterben, bei meinem Fürstenworte.«
»Darf ich wissen, wem Eure Hoheit Gnade bewilligt hat?« – »Herrn von Canolles.«
»Ah!«
Dieses Ah! wurde auf eine seltsame Weise ausgesprochen.
»Nun wohl,« fuhr der Herzog fort, »wenn mir Eure Hoheit nichts anderes zu befehlen hat, so verabschiede ich mich von Eurer Hoheit.«
»Also noch diese Nacht?« fragte Frau von Condé.
»In einer Viertelstunde.«
Lenet schickte sich an, dem Herzog zu folgen.
»Ihr wollt das Schauspiel mit ansehen, Lenet?« fragte die Prinzessin.
»Oh! nein, Madame,« antwortete Lenet; »Ihr wißt, ich bin nicht für die heftigen Gemütsbewegungen, und werde mich begnügen, halbwegs, das heißt bis zum Gefängnis zu gehen, um das rührende Schauspiel der Befreiung des armen Canolles durch die von ihm geliebte Frau zu sehen.«
Der Herzog machte eine Philosophenmiene; Lenet zuckte die Achseln, und der Leichenzug verließ den Palast, um sich nach dem Gefängnis zu begeben.
Frau von Cambes hatte nicht fünf Minuten gebraucht, um diesen Raum zurückzulegen; sie kam an, zeigte den Befehl der Schildwache bei der Zugbrücke, dann dem Schließer und ließ endlich den Gouverneur rufen.
Dieser prüfte den Befehl mit dem trockenen Auge eines Gefängnisgouverneurs, das sich weder bei Todesurteilen, noch bei Begnadigungen belebt, erkannte das Siegel und die Unterschrift der Frau von Condé, verbeugte sich vor der Vicomtesse, ließ den Leutnant rufen, gab ihm den Begnadigungsbefehl und hieß ihn, Herrn von Canolles in Freiheit setzen zu lassen.
Schnell begaben sich der Leutnant – es war derselbe, der mit Canolles und Cauvignac gesprochen hatte – und Frau von Cambes, welche die Erlaubnis erhielt, ihn zu begleiten, in den Gefängnishof.
»Der Oberschließer!« rief der Leutnant.
Dann sich zu Frau von Cambes umwendend, sagte er: »Seid unbesorgt, Madame, er wird sogleich hier sein.«
Der zweite Gefangenwärter erschien und meldete: »Herr Leutnant, der Oberschließer ist verschwunden; man hat ihn vergebens gerufen.«
»Oh!« rief Frau von Cambes, »wird dies abermals einen Verzug veranlassen?«
»Ihr habt doppelte Schlüssel von allen Kerkern?« fragte der Offizier.
»Ja,« antwortete der Gefangenenwärter.
»Öffnet das Zimmer von Herrn von Canolles.«
»Herr von Canolles, Nr. 2?«
»Allerdings, Nr. 2, öffnet rasch.«
»Ich glaube, es sind beide beisammen,« versetzte der Gefangenenwärter: »man wird den Besten aussuchen.«
Gefangenenwärter sind immer spaßige Leute.
Endlich öffnete sich die Tür. Canolles, der Tritte im Gange gehört, der die Stimme der Vicomtesse erkannt hatte, wirft sich in ihre Arme, und sie, über jede Rücksicht erhaben, preßt ihn mit aller Gewalt an ihre pochende Brust.
Die Gefahr, der er preisgegeben war, die ewige Trennung, an der sie so nahe wie an einem Abgrunde gestanden haben, gleichen alles aus.
»Nun, mein Freund,« sagte sie, strahlend vor Freude und Stolz, »Ihr seht, daß ich Wort halte; ich habe Eure Begnadigung erlangt, wie ich es Euch versprach, und komme, Euch zu holen.«
Und während sie sprach, zog sie Canolles nach dem Gange fort.
»Mein Herr,« sagte der Leutnant, »Ihr mögt Euer ganzes Leben dieser Dame widmen, denn ihr habt Ihr es offenbar zu verdanken.«
Canolles antwortete nicht, aber sein Auge schaute zärtlich den Befreiungsengel an, und seine Hand drückte die Hand der Frau . . .
»Oh! eilt nicht so sehr,« sagte der Leutnant lächelnd, »es ist vorbei, und Ihr seid frei; nehmt Euch also Zeit, Eure Fittiche zu schwingen.«
Aber Frau von Cambes zog Canolles, der ihr lächelnd nachgab, mit fieberhafter Eile fort. Endlich befanden sie sich wieder im Hofe; noch eine Tür und das Gefängnis liegt hinter ihnen.
Nun öffnete sich auch diese letzte Schranke. Aber auf der andern Seite der Tür versperrte eine Schar von Edelleuten, Leibwachen und Bogenschützen die Zugbrücke; es ist Herr von Larochefoucault mit seinen Trabanten.
Frau von Cambes schauderte, ohne zu wissen warum. Es war ihr immer ein Unglück widerfahren, so oft sie diesem Mann begegnete.
Ging in Canolles irgend eine Bewegung vor, so blieb sie im Grunde seines Herzens und stieg nicht auf sein Gesicht empor.
Der Herzog grüßte Frau von Cambes und Canolles und blieb sogar stehen, um ihnen einige Artigkeiten zu sagen. Dann machte er dem Haufen von Edelleuten und Leibwachen, die ihm folgten, ein Zeichen, und ihre Reihen öffneten sich.
Plötzlich vernahm man eine Stimme aus dem Hintergrunde des Hofes: »He! Nr. 1 ist leer, der andere Gefangene ist nicht mehr in seinem Zimmer; ich suche ihn vergebens und kann ihn nirgends finden.«
Bei diesen Worten durchlief alle ein Schauer, der Herzog von Larochefoucault bebte, und unfähig, eine erste Bewegung zu unterdrücken, streckte er seine Hand aus, als wollte er Canolles festnehmen.
Claire sah die Bewegung und erbleichte.
»Kommt, kommt,« sagte sie zu dem jungen Manne, »laßt uns eilen.«
»Verzeiht, Madame,« sagte der Herzog; »ich bitte Euch um einen Augenblick Geduld: wir wollen diesen Irrtum aufklären, ich stehe Euch dafür, es ist in einer Minute abgemacht.«
Und auf ein zweites Zeichen des Herzogs schloß sich der Haufen wieder, der sich geöffnet hatte.
»Aber, mein Herr,« fragte Claire, »wozu soll ich warten? Frau von Condé hat die Freilassung des Herrn von Canolles unterzeichnet; hier ist der Befehl, er enthält seinen Namen; nehmt, seht.«
»Ja wohl, Madame, und es ist auch nicht meine Absicht, die Gültigkeit dieses Befehles in Abrede zu ziehen, er wird in einem Augenblick ebensogut sein, wie jetzt; faßt also Geduld, ich habe jemand abgeschickt, der ungesäumt zurückkommen muß.«
»Aber was geht das uns an?« fragte Claire, »und was hat Herr von Canolles mit dem Gefangenen in Nr. 1 gemein?«
»Herr Herzog,« sagte der Kapitän der Garden, den Herr von Larochefoucault abgeschickt hatte, »wir haben vergebens gesucht; der andere Gefangene ist nirgends zu finden; der Oberschließer ist ebenfalls verschwunden, und das Kind des letzteren, das man befragt hat, sagt, sein Vater und der Gefangene haben sich durch die geheime Pforte, die nach dem Flusse führt, entfernt.«
»Ho! ho!« rief der Herzog, »wißt Ihr etwas davon, Herr von Canolles? Eine Entweichung!«
Bei diesen Worten begreift und errät Canolles alles. Er begreift, daß es Nanon ist, die über ihm wachte; er begreift, daß er es ist, den man holen wollte, daß er es ist, den man als Bruder des Fräulein von Lartigues bezeichnet hatte; daß Cauvignac, ohne es zu wissen, seinen Platz eingenommen und die Freiheit da gefunden hat, wo er den Tod zu finden glaubte. Er fährt mit den Händen an die Stirn, erbleicht und wankt ebenfalls und erholt sich erst wieder, als er die Vicomtesse an seinem Arme zittern und erbleichen sieht; keines von diesen Zeichen eines unwillkürlichen Schreckens ist dem Herzog entgangen.«
»Schließt die Tore,« rief dieser. »Herr von Canolles, habt die Güte, zu verweilen; Ihr begreift, es muß sich alles aufklären.«
»Aber, Herr Herzog,« rief die junge Frau, »es ist hoffentlich nicht Euer Wille, Euch dem Befehle der Prinzessin zu widersetzen?«
»Nein, Madame,« erwiderte der Herzog, »doch ich halte es für wichtig, sie von dem, was vorgeht, in Kenntnis zu setzen. Ich sage Euch nicht: ›Ich werde selbst dahin gehen;‹ Ihr könntet glauben, es sei meine Absicht, einen Einfluß auf unsere erhabene Gebieterin auszuüben, sondern ich sage Euch: ›Geht Ihr, Madame, denn besser als irgend jemand, werdet Ihr von Frau von Condé Gnade zu erflehen wissen.‹«
Lenet machte Claire ein unmerkliches Zeichen.
»Oh! ich verlasse ihn nicht,« rief Frau von Cambes, krampfhaft den Arm des jungen Mannes pressend.
»Und ich,« sagte Lenet, »ich laufe zu Ihrer Hoheit; kommt mit mir, Herr Kapitän, oder Ihr selbst, Herr Herzog.«
»Wohl, ich begleite Euch; der Herr Kapitän wird hier bleiben und die Nachforschungen in meiner Abwesenheit fortsetzen; vielleicht findet er den andern Gefangenen.«
Und als wollte er dem letzten Teile seiner Rede noch einen besondern Nachdruck geben, sagte der Herzog von Larochefoucault dem Offizier einige Worte ins Ohr, worauf er sich mit Lenet entfernte. In demselben Augenblick werden die zwei jungen Leute durch die Woge von Reitern, die Herrn von Larochefoucault folgt, und hinter denen sich das Tor wieder schließt, in den Hof zurückgedrängt.
Seit zehn Minuten hat die Szene einen so ernsten, so düsteren Charakter angenommen, daß die Anwesenden einander stumm anschauen, und in den Augen Claires und Canolles' zu lesen suchen, wer von beiden am meisten leide. Canolles begreift, daß alle Kraft von ihm kommen muß; er ist liebevoll gegen seine Freundin, die mit geröteten Augen und zitternden Knien an seinen Armen hängt, ihn drückt, an sich zieht, ihm mit einer Miene erschreckender Zärtlichkeit zulächelt, und irre Blicke auf all den Menschen umherlaufen läßt, unter denen sie vergebens einen Freund sucht.
Der Kapitän, der seinerseits Befehle vom Herzog von Larochefoucault erhalten hat, spricht ebenfalls leise mit seinen Offizieren. Canolles, dessen Auge sicher ist, dessen Ohr auf die geringsten Worte horcht, die seinen Zweifel in Gewißheit verwandeln können, hört ihn, obgleich er die Vorsicht gebraucht, so leise als möglich zu reden, die Worte sprechen: »Man müßte jedoch ein Mittel finden, die arme Frau zu entfernen.«
Er trachtet nur danach, seinen Arm von dem liebevollen Drucke zu befreien, der ihn zurückhält, Claire bemerkt seine Absicht und klammert sich mit ihrer ganzen Kraft an ihn an.
»Man muß noch mehr suchen,« ruft sie; »man hat vielleicht schlecht gesucht und wird diesen Menschen wiederfinden. Suchen wir, suchen wir alle, er kann unmöglich entwichen sein. Warum wäre Herr von Canolles sonst nicht ebensogut wie er entwichen? Auf! Herr Kapitän, ich flehe Euch an, gebt Befehle, daß man sucht.«
»Man hat gesucht, Madame,« antwortete er, »und sucht noch in diesem Augenblick. Der Kerkermeister weiß wohl, daß die Todesstrafe seiner harrt, wenn er seinen Gefangenen nicht zum Vorschein bringt; Ihr begreift also wohl, daß er ein Interesse dabei hat, aufs eifrigste zu suchen,«
»Mein Gott!« murmelte Claire, »und Herr Lenet kommt nicht zurück!«
»Geduld, teure Freundin, Geduld,« sagte Canolles, mit jenem weichen Tone, in dem man mit Kindern spricht, »Herr Lenet ist soeben erst weggegangen und hat kaum die Wohnung der Frau Prinzessin erreichen können; laßt ihm wenigstens Zeit, das Vorgefallene auseinanderzusetzen und sodann mit der Antwort zu uns zurückzukehren.«
Und während er diese Worte sprach, drückte er sanft die Hand der Vicomtesse.
Als er sodann den starren Blick und die Ungeduld des Offiziers wahrnahm, sagte er: »Kapitän, wollt Ihr mit mir sprechen?«
»Allerdings, mein Herr,« antwortete der Kapitän, dem die Überwachung der Vicomtesse höchst peinlich wurde.
»Mein Herr,« rief Frau von Cambes, »führt uns zu der Frau Prinzessin, ich bitte Euch inständig. Was tut das Euch? Es ist besser, Ihr führt uns zu ihr, als daß wir hier in Ungewißheit bleiben; sie wird ihn sehen, mein Herr, sie wird mich sehen, ich rede mit ihr, und sie wiederholt ihr Versprechen.«
»Madame,« sagte der Offizier eifrig, »das ist eine vortreffliche Idee; geht selbst, geht, Ihr habt alle Hoffnung auf einen günstigen Erfolg!«
»Was sagt Ihr, Baron?« erwiderte die Vicomtesse, »glaubt Ihr, daß es gut sein wird? Wollt Ihr mich nicht täuschen? Was soll ich tun?«
»Geht, Madame,« sagte Canolles mit einer äußersten Anstrengung gegen sich selbst.
Die Vicomtesse ließ seinen Arm los, versuchte es, einige Schritte zu machen, kehrte aber dann wieder zu ihrem Geliebten zurück und rief: »Oh! nein, nein, ich werde ihn nicht verlassen.«
»Gott sei gelobt, Herr Lenet und der Herr Herzog kommen zurück,« fügte sie hinzu, als sie das Tor öffnen hörte.
Hinter dem Herzog, der mit seiner unempfindlichen Miene eintrat, erschien wirklich Lenet mit verstörtem Blick und zitternden Händen. Beim ersten Blick begriff Canolles, daß er nichts mehr zu hoffen hatte und daß er wirklich verurteilt war.
»Nun?« fragte die junge Frau, während sie eine so heftige Bewegung auf Lenet zu machte, daß sie Canolles mit sich fortzog.
»Nun,« stammelte Lenet, »die Frau Prinzessin ist in Verlegenheit.«
»In Verlegenheit?« rief Claire, »was soll das bedeuten?« – »Das bedeutet, daß sie nach Euch verlangt,« sagte der Herzog, daß sie Euch sprechen will.«
»Ist das wahr, Herr Lenet?« rief Claire, ohne sich darum zu bekümmern, was in dieser Frage Beleidigendes für den Herzog lag.
»Ja, Madame,« stammelte Lenet.
»Aber er?« – »Nun, Herr von Canolles kehrt in sein Gefängnis zurück, und Ihr bringt ihm die Antwort der Prinzessin,« erwiderte der Herzog.
»Werdet Ihr bei ihm bleiben, Herr Lenet?« fragte Claire.
»Madame, ich verlasse ihn nicht.«
»Ihr verlaßt ihn nicht, Ihr schwört es mir?«
»Mein Gott!« murmelte Lenet, den jungen Mann anschauend, der sein Urteil erwartete, und die junge Frau, die ein Wort von ihm töten sollte.
»Ihr schwöret nicht, Herr Lenet?«
»Ich schwöre es Euch,« antwortete der Rat und legte mit der größten Anstrengung seine Hand an sein Herz, das unter dieser Marter beinahe brach.
»Ich danke, mein Herr,« sagte ganz leise Canolles, »ich begreife.«
Dann sich zur Vicomtesse umwendend, sagte er: »Geht, Madame, Ihr seht wohl, daß ich zwischen Lenet und dem Herrn Herzog keine Gefahr laufe.«
»Laßt sie nicht gehen, ohne sie zu küssen,« flüsterte Lenet.
Kalter Schweiß brach aus Canolles' Stirn; er fühlte es wie einen Nebel vor seinen Augen hinziehen; er hielt Claire zurück, stellte sich, als hätte er ihr einige Worte leise zu sagen, näherte sie seiner Brust und sagte, sich an ihr Ohr bückend: »Bittet ohne Erniedrigung; ich will für Euch leben, aber es muß Euer Wille sein, daß ich geehrt lebe.«
»Ich werde so bitten, daß ich dich rette,« erwiderte sie; »bist du nicht mein Gatte vor Gott?«
Und indem er sich zurückzog, fand Canolles ein Mittel, ihren Hals mit seinen Lippen zu berühren, aber mit soviel Vorsicht, daß sie es nicht fühlte, und daß die arme Wahnsinnige sich entfernte, ohne ihm seinen letzten Kuß zurückzugeben. In dem Augenblick, wo sie den Hof verließ, wandte sie sich um; aber es hatte sich zwischen ihr und dem Gefangenen eine Hecke von Menschen gebildet.
»Freund,« sagte sie, »wo bist du? Ich kann dich nicht mehr sehen; ein Wort, noch ein Wort, daß ich den Ton deiner Stimme höre.«
»Geht, Claire,« rief Canolles, »ich erwarte Euch.«
»Herr Lenet, lieber Herr Lenet,« rief Claires Stimme in der Ferne, »ich baue auf Euch, Ihr seid mir verantwortlich!«
Und das Tor schloß sich hinter ihr.
»Gut,« murmelte der Herzog, »es geht nicht ohne Mühe; aber wir haben doch eine Möglichkeit vor uns.«