Alexander Dumas
Der Frauenkrieg
Alexander Dumas

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I. Band.

Erstes Kapitel.

In einiger Entfernung von Libourne, der heiteren Stadt Südfrankreichs an der Dordogne, lag einst ein hübsches Dorf mit weißen Mauern und roten Dächern, halb verborgen unter Linden und Buchen, das später im Bürgerkrieg vernichtet wurde. Damals aber, zur Zeit unserer Geschichte, das heißt im Monat Mai des Jahres 1650, stand dieses Dorf, das Matifou hieß, noch in voller Blüte, und die Straße von Libourne nach Saint-André ging mitten durch die symmetrisch aneinander gereihten Häuser. Hinter einer von diesen Häuserreihen, etwa hundert Schritte entfernt, schlängelte sich der Fluß, dessen Breite und Stärke hier schon die Nähe des Meeres zu verkündigen anfängt.

Fünfhundert Schritte von dem Dorfe lag ein einzelnes Gebäude, welches das Auge des müden und erfrischungsbedürftigen Reisenden in ganz besonderem Maße erquickt hätte. Denn das goldene Kalb, das, auf rotes Blech gemalt, an einer Eisenstange ächzte, lud zum Weilen ein, und Meister Biscarros sorgte dafür, daß niemand, der dieser Einladung folgte, enttäuscht wurde.

An einem schönen Abende des erwähnten Monats stand er auf der Schwelle des Hauses, weiß gekleidet nach dem Gebrauche der Opferpriester aller Zeiten und aller Länder, und rupfte mit seinen erhabenen Händen Feldhühner und Wachteln, die er so gut zuzubereiten verstand und darum auch in allen Einzelheiten selbst besorgte.

Als das letzte Tageslicht geschwunden war, ließ sich der erste Gesang der Nachtigall in einem nahen Gesträuch vernehmen und bei den ersten Noten, die der Kehle des gefiederten Musikers entstiegen, begann Meister Biscarros ebenfalls zu singen, ohne Zweifel, um die Nachtigall zu begleiten. Infolge dieser musikalischen Nebenbuhlerschaft und der Aufmerksamkeit, die der Wirt seiner Arbeit schenkte, bemerkte er eine Truppe von sechs Reitern nicht, die am Ende des Dorfes Matifou erschien und nach seinem Gasthause vorrückte.

Aber ein Ausruf, der aus einem Fenster des ersten Stockes kam, sowie die schnelle, geräuschvolle Bewegung, mit der dieses Fenster geschlossen wurde, bewirkte, daß der würdige Gastwirt seine Nase in die Höhe reckte. Er sah nun den Reiter, der an der Spitze seiner Truppen auf ihn zukam, dabei aber stets vorsichtig um sich spähte und die Hand nicht von der Muskete ließ.

»Das ist ein vornehmer Herr, der mein Haus sucht,« sagte Biscarros; »der würdige Edelmann scheint aber kurzsichtig zu sein. Mein goldenes Kalb ist doch frisch gemalt, und das Schild springt bedeutend vor. Wir wollen uns ein wenig ins Licht stellen.«

Er pflanzte sich also mitten auf der Straße auf, wo er fortfuhr, das Geflügel mit Gebärden voll Erhabenheit und Majestät zu rupfen.

Diese Bewegung brachte die vom Wirt erwartete Wirkung hervor. Kaum erblickte ihn der Reiter, als er gerade auf ihn zuritt und mit höflicher Begrüßung zu ihm sagte: »Um Vergebung, Meister Biscarros, habt Ihr nicht auf dieser Seite eine Truppe bewaffneter Leute gesehen?«

Biscarros fühlte sich im höchsten Grade geschmeichelt, als er seinen Namen nennen hörte, und grüßte ebenfalls aufs freundlichste. Es war ihm entgangen, daß der Fremde mit einem Blicke, den er auf sein Gasthaus warf, den Namen und die Eigenschaft auf dem Schilde gelesen hatte.

»Was bewaffnete Leute betrifft, mein Herr,« antwortete er nach kurzem Nachdenken, »so habe ich nur einen Edelmann und seinen Reitknecht gesehen. Sie kehrten vor ungefähr einer Stunde bei mir ein.«

»Ah, ah!« sagte der Fremde, das Kinn eines bartlosen und dennoch bereits männlichen Gesichtes streichelnd, »ah, ah! ein Edelmann und sein Reitknecht befinden sich in Eurem Wirtshause, und beide bewaffnet, behauptet Ihr?«

»Mein Gott, ja, mein Herr. Soll ich diesem Edelmann sagen lassen, daß Ihr ihn zu sprechen wünscht?«

»Nein,« versetzte der Fremde. »Einen Unbekannten zu stören, wäre unschicklich, besonders wenn dieser Unbekannte von Stande ist. Nein, nein, Meister Biscarros, habt nur die Güte, ihn mir zu schildern oder vielmehr zu zeigen, ohne daß er mich sieht.«

»Ihn zu zeigen ist schwierig, mein Herr, da er sich selbst zu verbergen scheint; denn er schloß sein Fenster in dem Augenblick, wo Ihr und Eure Gefährten auf der Straße sichtbar wurdet; ihn zu schildern ist viel leichter. Es ist ein kleiner, blonder, zarter junger Mensch, kaum sechzehn Jahre alt und scheint gerade die nötige Kraft zu haben, um den Hofdegen zu tragen, der an seinem Wehrgehänge befestigt ist.«

Die Stirn des Fremden faltete sich unter dem Schatten einer Erinnerung.

»Sehr gut,« sagte er, »ich weiß, was Ihr sagen wollt, ein junger Mensch, blond, von weiblichem Aussehen, auf einem Berber reitend und gefolgt von einem alten Reitknecht, der so steif ist, wie der Piquebube. Die suche ich nicht.«

»Nun, in Erwartung dessen, den der Herr sucht und der hier vorbeikommen muß, weil es nur eine Straße gibt, könnte der Herr bei mir eintreten und mit seinen Gefährten eine Erfrischung einnehmen.«

»Ich danke; ich kann nicht mehr als Euch danken und Euch bitten, mir zu sagen, wieviel Uhr es sein mag.«

»Es schlägt soeben sechs Uhr im Dorfe, mein Herr; hört Ihr den schweren Klang der Glocke?«

»Wohl. Nun noch einen letzten Dienst, Herr Biscarros.«

»Mit Vergnügen.«

»Sagt mir gefälligst, wie ich mir einen Nachen und einen Schiffer verschaffen könnte.«

»Um über den Fluß zu setzen?«

»Nein, um darauf spazieren zu fahren.«

»Nichts leichter. Der Fischer, der mir meine Fische liefert, hat jetzt sein Tagewerk vollbracht und sitzt ohne Zweifel beim Essen. Ihr könnt von hier aus seine Barke an den Weiden, ganz da unten neben der Ulme, angebunden sehen. Sein Haus ist hinter jenem Weidengebüsch verborgen. Ihr findet ihn sicher bei Tische.«

»Ich danke, Meister Biscarros, ich danke,« sagte der Fremde, gab seinen Gefährten ein Zeichen ihm zu folgen, ritt rasch nach den Bäumen zu und klopfte an die bezeichnete Hütte. Die Frau des Fischers öffnete. Der Fischer saß, wie Meister Biscarros gesagt hatte, bei Tische.

»Nimm deine Ruder,« sagte der Reiter, »und folge mir. Es ist ein Taler zu verdienen.«

Der Fischer stand hastig auf.

»Wollt Ihr zum Fort Vayres hinabfahren?« fragte er.

»Nein. Ihr sollt mich nur bis mitten in den Fluß führen und einige Minuten mit mir da bleiben.«

Der Fischer machte große Augen. Da aber ein Taler zu verdienen war und er zwanzig Schritte hinter dem Reiter, der geklopft hatte, die Gesichter seiner Gefährten erblickte, so machte er keine Schwierigkeiten. Er erwiderte also schleunig, er stehe mit seiner Barke und seinen Rudern zu Diensten.

Die kleine Truppe rückte nun zum Flusse vor, und während der Fremde bis an den Rand des Wassers ritt, hielt sie auf der Höhe der Böschung still und stellte sich, ohne Zweifel aus Furcht vor einem Überfall, so auf, daß sie nach allen Seiten sehen konnte.

Der Fremde, ein großer, blonder, bleicher, junger Mann, von gescheitem Gesicht, – wenn auch ein dunkler Kreis seine blauen Augen umgab und ein zynischer Ausdruck seine Lippen umschwebte, – untersuchte sorgfältig seine Pistolen, steckte seine Muskete in das Bandelier, ließ einen langem Raufdegen in der Scheide spielen und heftete seine Blicke aufmerksam auf das entgegengesetzte Ufer.

»Nun,« sagte er dann ungeduldig zu seinen als Wachen aufgestellten Gefährten, »kommt er? Seht Ihr ihn rechts oder links, hinten oder vorn erscheinen?«

»Ich glaube,« erwiderte einer der Männer, »ich sehe eine schwarze Gruppe auf dem Wege von Isou; aber ich bin meiner Sache noch nicht ganz gewiß, denn die Sonne blendet mich. Halt! ja, ja, so ist es. Einer, zwei, drei, vier, fünf Männer; ein goldbordierter Hut und ein blauer Mantel. Es ist der Bote, den wir erwarten; er hat zu größerer Sicherheit ein Geleit mitgenommen.«

»Er hat recht gehabt,« antwortete phlegmatisch der Fremde. »Nimm mein Pferd, Ferguzon.«

Der, an den dieser Befehl in einem halb freundschaftlichen, halb gebietenden Tone gerichtet war, beeilte sich zu gehorchen und stieg an der Böschung hinab. Mittlerweile sprang der Fremde vom Pferde, warf dem andern in dem Augenblick, wo er sich ihm näherte, den Zügel zu und schickte sich an, in den Nachen zu gehen.

»Höre,« sagte Ferguzon und legte ihm seine Hand auf den Arm, »keine unnütze Verwegenheit, Cauvignac; bemerkst du die geringste verdächtige Bewegung seinerseits, so jage ihm eine Kugel durch den Kopf. Du siehst, der listige Gevatter führt eine ganze Truppe mit sich.«

»Ja, sie ist aber weniger stark als die unsrige. Außer der Überlegenheit des Mutes haben wir noch die der Anzahl, und es ist somit nichts zu befürchten. Ah! man sieht bereits ihre Köpfe.«

»Wie werden sie es machen?« sagte Ferguzon, »sie können sich keinen Nachen verschaffen. Doch wohl, dort findet sich einer wie durch ein Zauberwerk.«

»Er gehört meinem Vetter, dem Fährmanne von Ison, dem Dorfe dort drüben,« sagte der Fischer.

»Gut, der Blaumantel schifft sich ein,« sagte Ferguzon; »wahrhaftig allein, streng nach den Bedingungen des Vertrags.«

»Wir wollen ihn nicht warten lassen,« versetzte der Fremde, sprang ebenfalls in das Fahrzeug und machte dem Fischer ein Zeichen, sich an seinen Posten zu begeben.

»Wohl aufgepaßt, Roland!« rief Ferguzon, »der Fluß ist breit. Nähere dich nicht zu sehr dem entgegengesetzten Ufer, denn du könntest eine Ladung von ihren Musketen bekommen, die wir nicht zurückzugeben vermöchten. Halte dich möglichst weit diesseits.«

Der andere, den Ferguzon bald Roland, bald Cauvignac genannt hatte, machte ein Zeichen mit dem Kopf.

»Fürchte nichts,« sagte er. »Wird hier eine Unklugheit begangen, so geschieht es nicht von meiner Seite. Vorwärts!«

Der Fischer band sein Seil los, stieß seinen langen Bootshaken in die Erde, und die Barke fing an, sich vom Ufer zu entfernen; zu gleicher Zeit ging die Schaluppe des Fährmanns von Ison vom entgegengesetzten Ufer ab.

In der Mitte des Flusses war eine kleine Verpfählung, die sich drei Fuß über das Wasser erhob, und darüber wehte eine weiße Fahne, welche die langen Transportschiffe, die auf der Dordogne herankamen, vor einer gefährlichen Felsbank warnte.

Die Ruderer sagten sich, hier könne die Zusammenkunft der Parlamentäre stattfinden, und lenkten ihre Fahrzeuge deshalb in dieser Richtung. Der Fährmann von Ison kam zuerst an Ort und Stelle und band auf Befehl seines Passagiers sein Schiff an einen der Verpfählungsringe.

In diesem Augenblick wandte sich der andere Fischer seinem Reisenden zu, um dessen Befehle einzuholen; er war aber nicht wenig erstaunt, als er in seiner Barke einen verlarvten und in seinen Mantel eingewickelten Menschen fand.

Die Angst, die ihn nie verlassen hatte, verdoppelte sich jetzt und er fragte nur stammelnd die fremde Person um ihre Befehle.

»Binde deinen Kahn an dieses Holz,« sagte Cauvignac, die Hand nach einem der Pfähle ausstreckend, »so nahe als möglich dem Schiffe jenes Herrn.«

Der Ruderer gehorchte, und durch die Strömung Bord an Bord gelegt, erlaubten die Barken den zwei Bevollmächtigten, folgende Unterredung zu eröffnen.



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