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Zweites Kapitel

Der Soldatenaufruhr in Opis – Heimsendung der Veteranen – Harpalos in Griechenland – Zersetzung der Parteien in Athen – Befehl zur Rückkehr der Verbannten – Harpalos Umtriebe in Athen, der harpalische Prozeß – Die innere Politik Alexanders und ihre Wirkungen


Alexander hatte beschlossen, mit seiner Heeresmacht den Tigris aufwärts zu der Stadt Opis, wo sich die große Straße nach Medien und dem Abendlande scheidet, zu ziehen; die Lage der Stadt ließ ungefähr schon den Zweck des Marsches erraten. Zu gleicher Zeit lag es ihm am Herzen, sich über die Natur der Euphrat- und Tigrismündungen, über die Schiffbarkeit dieser Ströme und über den Zustand der Wasserbauten namentlich im Tigris, von denen das Wohl und Wehe der tiefliegenden Ufergegenden abhängt, zu unterrichten. Er übergab die Führung des Heeres an Hephaistion mit dem Befehl, auf der gewöhnlichen Straße an dem Tigris hinaufzuziehen. Er selbst bestieg mit seinen Hypaspisten, mit dem Agema und einer nicht bedeutenden Schar der Ritterschaft die Schiffe Nearchs, welche bereits den Eulaios herauf und bis in die Nähe von Susa gekommen waren. Er fuhr mit diesen, es mochte im April sein, den Strom von Susa hinab. Als sich die Flotte der Mündung nahte, wurden die meisten Schiffe, da sie durch die Fahrt von Indien her sehr mitgenommen waren, hier zurückgelassen; die schnellsten Segler wählte der König aus, um mit diesen in den Persischen Meerbusen hinabzufahren, während die anderen Schiffe durch den Kanal, welcher den Eulaios und Tigris nicht weit oberhalb ihrer Mündung verbindet, in den großen Strom gehen sollten. Er selbst segelte nun den Eulaios hinab in den Persischen Meerbusen, fuhr dann an der Küste und den Mündungen der verschiedenen Kanäle entlang bis zur Tigrismündung, und nachdem er sich über alles genau unterrichtet und namentlich die nötigen Anweisungen zur Gründung einer Stadt Alexandreia, zwischen dem Tigris und Eulaios hart am Strande gegeben hatte, steuerte er in den Tigris hinein und den Fluß stromauf; bald traf er die übrigen Schiffe und nach einigen Tagen das Landheer unter Hephaistion, das an den Ufern des Stromes lagerte. Bei der weiteren Fahrt stieß die Flotte mehr als einmal auf mächtige Flußdämme, welche von den Persern errichtet worden waren, angeblich um jeden feindlichen Einfall vom Meere her unmöglich zu machen; Alexander ließ, nicht bloß weil er Angriffe von der See her nicht weiter fürchtete, sondern namentlich um den Strom für Handel und Schiffahrt zu öffnen, diese Dämme, wo er sie fand, einreißen; zu gleicher Zeit traf er die nötigen Einrichtungen, um die Kanäle, die teils verstopft waren, teils ihre Deiche durchbrochen hatten, wieder zu reinigen und mit den nötigen Schleusen und Deichen zu versehen.

Es mochte im Monat Juli sein, als Heer und Flotte in Opis anlangten; man lagerte in der Umgegend der reichen Stadt. Die Mißstimmung der makedonischen Truppen hatte sich seit dem Aufbruche aus Susa keineswegs vermindert; die übertriebensten und verkehrtesten Gerüchte von dem, was der König mit ihnen beabsichtigte, fanden Glauben und steigerten ihr besorgliches Mißtrauen bis zur höchsten Spannung.

Da wurden sie zur Versammlung berufen; auf der Ebene vor Opis traten die Truppen an; der König hielt eine Ansprache, den Makedonen, wie er meinte, Erfreuliches zu verkünden: ›Viele unter ihnen seien durch vieljährige Dienste, durch Wunden und Strapazen erschöpft; er wolle sie nicht, wie frühere Verabschiedete, in den neuen Städten ansiedeln; er wisse, daß sie gern die Heimat wiedersähen; wer von den Veteranen bei ihm bleiben wolle, dem werde er diese Hingebung so zu vergelten wissen, daß sie beneidenswerter als die Heimgekehrten erscheinen und in der Jugend der Heimat das Verlangen nach gleichen Gefahren und gleichem Ruhm verdoppeln sollten; da jetzt Asien unterworfen und beruhigt sei, so könnten möglichst viele an der Entlassung teilnehmen.‹ Hier unterbrach den König ein wildes und verworrenes Geschrei: er wolle der Veteranen los sein, er wolle ein Barbarenheer um sich haben; nachdem er sie abgenutzt, danke er sie jetzt mit Verachtung ab, werfe er sie alt und entkräftet ihrem Vaterlande und ihren Eltern zu, von denen er sie sehr anders erhalten. Immer wilder ward der Tumult: er solle sie alle entlassen; mit dem, den er seinen Vater nenne, möge er fürder ins Feld ziehen! So tobte die Versammlung; der Soldatenaufruhr war in vollem Zuge. Im heftigsten Zorn stürzte Alexander vor der Bühne herab, unbewaffnet, wie er war, unter die lärmende Menge, die Offiziere seiner Umgebung ihm nach; mit mächtiger Faust packte er die nächsten Schreier, übergab sie seinen Hypaspisten, zeigte dort- und dahin, andere Schuldige zu ergreifen. Dreizehn wurden ergriffen; er befahl, sie zum Tode abzuführen. Der Schrecken machte dem Lärm ein Ende. Dann hielt der König eine zweite Ansprache, die Meuterei zu züchtigen.

Mögen die Worte, die ihn Arrian sprechen läßt, aus guter Überlieferung stammen oder frei nach der Situation erfunden sein, sie verdienen nach ihrem Hauptinhalt angeführt zu werden: »Nicht um euern Abzug rückgängig zu machen, werde ich noch einmal zu euch sprechen; ihr könnt gehen, wohin ihr wollt, meinethalben! nur zeigen will ich euch, was ihr durch mich geworden. Mein Vater Philippos hat Großes an euch getan; da ihr sonst arm und ohne feste Wohnsitze mit euren ärmlichen Herden in den Gebirgen umherirrtet, stets den Überfällen der Thraker, Illyrier, Triballer ausgesetzt, hat mein Vater euch angesiedelt, euch statt des Felles das Kriegskleid gegeben, euch über die Barbaren in der Nachbarschaft zu Herren gemacht, eurem Fleiße die Bergwerke des Pangaion, eurem Handel das Meer geöffnet, euch Thessalien, Theben, Athen, den Peloponnes unterworfen, die unumschränkte Hegemonie aller Hellenen zu einem Perserkriege erworben; das hat Philippos vollbracht, Großes an sich, im Verhältnis zu dem später Vollbrachten Geringes. Von meinem Vater her fand ich weniges Gold und Silber an Geräten im Schatze, nicht mehr denn sechzig Talente, an Schuld fünfhundert; ich selbst mußte achthundert Talente Schulden hinzufügen, um den Feldzug beginnen zu können; da öffnete ich euch, obschon die Perser das Meer beherrschten, den Hellespont, ich besiegte die Satrapen des Großkönigs am Granikos; ich unterwarf die reichen Satrapien Kleinasiens und ließ euch die Früchte des Sieges genießen, euch kamen die Reichtümer Ägyptens und Kyrenes zugute, euer ward Syrien und Babylon, euer Baktra, euer die Schätze Persiens und die Kleinodien Indiens und das Weltmeer, aus eurer Mitte sind die Satrapen, die Befehlshaber, die Strategen. Was habe ich selbst von all den Kämpfen, außer den Purpur und das Diadem? nichts habe ich für mich erworben, und es ist niemand, der meine Schätze zeigen könnte, wenn er nicht eure Habe und was für euch bewahrt wird, zeigt; und warum sollte ich mir Schätze häufen, da ich esse wie ihr esset und schlafe wie ihr schlaft; ja mancher von euch lebt köstlicher denn ich, und manche Nacht muß ich durchwachen, damit ihr ruhig schlafen könnt. Oder bin ich, wenn ihr Mühe und Gefahr duldetet, ohne Kummer und Sorge gewesen? wer kann sagen, daß er mehr um mich, als ich um ihn geduldet? Wohl, wer von euch Wunden hat, der zeige sie, und ich will die meinen zeigen; kein Glied an meinem Körper ist ohne Wunde und keine Art von Geschoß oder Waffe, deren Narbe ich nicht an mir trage; von Schwert und Dolch, von Bogen und Katapultenpfeil, von Steinwurf und Keulenschlag bin ich verwundet worden, da ich für euch und euren Ruhm und eure Bereicherung kämpfte, und euch siegend über Länder und Meere, über Gebirge, Ströme und Wüsteneien führte. Die gleiche Ehe mit euch habe ich geschlossen, und die Kinder vieler von euch werden meinen Kindern verwandt sein; und wer von euch verschuldet war, unbekümmert wie es bei so reichem Solde, bei so reicher Beute möglich gewesen, dem habe ich seine Schuld getilgt; die meisten von euch haben goldene Kränze empfangen für die zum dauernden Zeugnis ihrer Tapferkeit und meiner Achtung. Und wer gefallen ist im Kampfe, dessen Tod war rühmlich und dessen Begräbnis ehrenvoll; von vielen derselben stehen eherne Statuen daheim, und ihre Eltern sind hochgeehrt, frei von Abgaben und öffentlichen Lasten. Endlich ist keiner von euch unter meiner Führung fliehend gefallen. Und jetzt hatte ich die Kampfesmüden unter euch, zur Bewunderung und zum Stolz unserer Heimat, zu entlassen im Sinn; ihr aber wollt alle hinwegziehen; so zieht alle hin! Und wenn ihr in die Heimat kommt, so sagt, daß ihr euren König Alexander, der die Perser, die Meder, die Baktrier und Saker besiegt, der die Uxier und Arachosier und Drangianer bewältigt, der die Parther, Chorasmier und Hyrkanier längs des Kaspischen Meeres gewonnen, der den Kaukasus jenseits der kaspischen Pässe überstiegen, der den Oxos und Tanais überschritten und den Indus, wie nur Dionysos vor ihm, und den Hydaspes, den Akesines, den Hyraotes und, hättet ihr nicht gehindert, auch den Hyphasis, der vom Indus herab in den Ozean fuhr, der durch die Wüste Gedrosiens zog, die niemand vor ihm mit einem Heere durchzogen, dessen Flotte vom Indus durch den Ozean nach Persien kam – daß ihr diesen euren König Alexander verlassen, und ihn zu schützen den besiegten Barbaren übergeben habt; das zu verkünden wird euch gewiß rühmlich vor den Menschen und fromm vor den Göttern sein; ziehet hin!« Nach diesen Worten stieg er heftigen Schrittes von der Tribüne und eilte nach der Stadt zurück.

Betroffen standen die Makedonen und schwiegen, nur die Leibwächter und die ihm Vertrautesten unter den Hetairen waren gefolgt. Allmählich begann sich das peinliche Schweigen in der Versammlung zu lösen; man hatte erhalten, was man gefordert; man fragte: was nun? was weiter? Sie alle waren entlassen, sie waren nicht mehr Soldaten; der Dienst und die militärische Ordnung, die sie bisher zusammengehalten, war gelöst, sie waren ohne Führung, ohne Rat und ohne Willen; die einen riefen zu bleiben, wieder andere schrien zum Aufbruch; so wuchs der Tumult und das wüste Geschrei, keiner befahl, keiner gehorchte, keine Rotte hielt sich beisammen; in kurzem war das Heer, das die Welt erobert, eine wüste und verworrene Menschenmasse.

Alexander hatte sich in das Königsschloß von Opis zurückgezogen; in der heftigsten Aufregung, wie er war, vergaß er die Sorge für seinen Körper; er wollte niemanden sehen, niemanden sprechen. So den ersten, so den zweiten Tag. Indes hatte in dem Lager der Makedonen die Verwirrung einen gefährlichen Grad erreicht; schnell und furchtbar zeigten sich die Folgen der Meuterei und das Unglück, das sinnlos Geforderte im Übermaß erreicht zu haben; ihrem Schicksal und ihrer Anarchie überlassen, ohnmächtig und haltungslos, da ihnen nicht widerstanden worden, ohne Entschluß zu wollen, ohne Kraft zu handeln, ohne das Recht und die Pflicht und die Ehre ihres Standes – was konnten sie beginnen, wenn sie nicht Hunger oder Verzweiflung zur offenbaren Gewalt trieb.

Alexander mußte sich vor einem Äußersten schützen; zugleich wollte er den letzten und freilich gewagten Versuch machen, die Makedonen zur Reue zu bringen. Er beschloß, sich ganz den asiatischen Truppen anzuvertrauen, sie nach dem Gebrauch des makedonischen Heeres zu ordnen, sie mit allen Ehren, die einst die Makedonen gehabt hatten, auszuzeichnen; er durfte erwarten, daß, wenn diese so das letzte Band zwischen sich und ihm Könige zerrissen sähen, sie entweder reuig um Vergebung flehen oder bis zur Wut empört zu den Waffen greifen würden; er war gewiß, daß er dann an der Spitze seiner asiatischen Truppen über die führerlosen Haufen den Sieg davontragen werde. Er berief am dritten Tage die Perser und Meder in das Königsschloß, eröffnete ihnen seinen Willen, wählte aus ihnen Hauptleute und Anführer im neuen Heere, nannte viele von ihnen mit dem Ehrennamen königlicher Verwandten, gab ihnen nach morgenländischer Weise das Vorrecht des Kusses; dann wurden die asiatischen Truppen nach makedonischer Weise in Hipparchien und Phalangen geteilt, es wurde ein persisches Agema, persische Hetairen zu Fuß, eine persische Schar Hypaspisten – »Silberschildner« – persische Ritterschaft der Hetairen, ein Agema persischer Ritterschaft gebildet; es wurden die Posten am Schlosse von Persern besetzt und ihnen der Dienst beim Könige übergeben; es wurde den Makedonen der Befehl gesandt, das Lager zu räumen und zu gehen, wohin sie wollten, oder sich, wenn sie es vorzögen, einen Führer zu wählen und gegen Alexander, ihren König ins Feld zu rücken, um dann von ihm besiegt zu erkennen, daß sie ohne ihn nichts seien.

Sobald dieser Befehl des Königs im Lager bekannt wurde, hielten sich die alten Truppen nicht länger; sie liefen nach dem Königsschloß, legten ihre Waffen vor den Toren nieder, zum Zeichen ihrer Demütigung und ihrer Reue; vor den geschlossenen Toren stehend schrien und flehten sie, hineingelassen zu werden, um die Urheber des Aufruhrs auszuliefern, sie würden Tag und Nacht nicht von hinnen weichen, bis sich der König erbarme.

Nicht lange, und der König trat heraus; da er seine Veteranen so in Reue sah, da er ihren Freudenruf und ihr erneutes Jammern hörte, vermochte er nicht, seinen Tränen zu wehren; dann trat er näher, um zu ihnen zu sprechen; sie drängten sich um ihn und hörten nicht auf mit Flehen, gleich als fürchteten sie das erste Wort ihres vielleicht noch nicht erweichten Königs. Ein alter, geachteter Offizier, einer der Hipparchen der Ritterschaft, Kallines, trat hervor, im Namen aller zu sprechen: was die Makedonen vor allem schmerze, sei, daß er Perser zu seinen Hetairen gemacht habe, daß Perser sich nun Alexanders Verwandte nennen und ihn küssen dürften, und von den Makedonen sei nie einer dieser Ehre teilhaftig worden. Da rief der König: »Euch alle mache ich zu meinen Verwandten und nenne euch also von Stund an!« Er ging auf Kallines zu, ihn zu küssen; und es küßte ihn von den Makedonen, wer es wollte; sie nahmen ihre Waffen auf und zogen jauchzend in ihr Lager zurück. Alexander aber gebot, zur Feier der Versöhnung ein großes Opfer zu bereiten, und opferte den Göttern, denen er pflegte. Dann wurde ein großes Mahl gehalten, an dem fast das gesamte Heer teilnahm, in der Mitte der König, ihm zunächst die Makedonen, nach diesen die Perser, und weitere viele von den übrigen Völkerschaften Asiens; der König trank aus denselben Mischkrügen mit seinen Truppen und spendete mit ihnen die gleichen Spenden; hellenische Seher und die persischen Magier vollzogen dazu die heiligen Gebräuche. Der Trinkspruch, den der König sprach, war, daß die Götter alles Heil gewähren möchten, vor allem aber Eintracht und Gemeinschaft des Reiches den Makedonen und Persern. Es soll die Zahl derer, die an diesem Mahle teilnahmen, neuntausend gewesen sein, und diese alle spendeten zu gleicher Zeit und sangen den Lobgesang dazu.

So der Ausgang dieser schweren Krisis; es war das letzte Aufbäumen des altmakedonischen Wesens, in seiner eigensten und gewichtigsten Gestaltung; nun war es moralisch bewältigt. Die Maßregeln, denen es erlegen war, gaben diesem Siege Alexanders eine doppelte Wichtigkeit. Der Vorzug, den der König der makedonischen Kriegsmacht bisher hatte zugestehen müssen, war abgetan, asiatische Truppen traten in die Namen und Ehren des altmakedonischen Heeres ein; es gab fortan zwischen Siegern und Besiegten keinen anderen Unterschied, als den des persönlichen Wertes und der Treue für den König.

Wie mächtig, wie überwältigend in diesem Vorgang des Königs Persönlichkeit erscheinen mag, sie erklärt nicht alles. Immerhin kann man sagen: wenn das System Alexanders diese Probe zu bestehen vermochte, so ist das ein sicherer Beweis, daß dies Reichssystem, das so schnell und kühn aufgebaut war, so weit fertig und fest dastand, daß das Gerüst und die stützenden Träger seiner Gründung hinweggebrochen werden konnten. Aber hätten nicht ebensowohl die Veteranen in Opis den Sieg davontragen und damit dem Ixionsrausch des Königs ein Ende machen, den Beweis geben können, daß er in seiner Inbrunst statt der Göttin eine Wolke umarmt habe? Unfehlbar, wenn sie selbst noch in Wahrheit Makedonen gewesen wären; sie waren es nicht mehr, sie hatten selbst das Neue, das sie bekämpften, in sich aufgenommen; sie hatten sich in das asiatische Leben hineingelebt, ohne diesem neuen Elemente das Recht, zu dem es berufen war, zugestehen zu wollen; und dieser Hochmut, nur als Sieger dessen, das auch sie im innersten Wesen besiegt und durchdrungen hatte, gelten zu wollen, war die Schuld, um deren Willen sie erlagen. Indem das makedonische Heer, das Werkzeug, mit dem das Werk der neuen Zeit geschaffen war, von der mächtigen Hand des Meisters zerbrochen wurde und das Werk selbst fertig gesprochen und über seine Art und Wesen keine Frage mehr. Was auch die Zerwürfnisse und Verwirrungen der nächstfolgenden Zeit an den äußeren Formen dieses Reiches gerüttelt und zerstört haben, das hellenistische Leben, die große Einigung der hellenischen und asiatischen Welt mit allem Segen und Unsegen, den sie in sich trug, war für Jahrhunderte gegründet.

So hatte sich das Neue durch alle Stadien innerer und äußerer Gefährdungen hindurchgekämpft; als Gedanke einer neuen Zeit erkannt, als Prinzip des neuen Königtums ausgesprochen, als Regiment des Reiches an der Spitze, als Heeresmacht organisiert, als Zersetzung und Umgestaltung des Völkerlebens in voller Arbeit, hatte es nur noch möglichst durchgreifend und den wesentlichen Interessen der Völker gemäß sich zu betätigen. Dies war die Arbeit für die kurze Spanne Leben, welche das Schicksal dem Könige noch gönnen wollte, ihr Zweck oder doch ihr Erfolg.

Selbst die Zurücksendung der Veteranen mußte in diesem Sinne wirken; noch nie waren in solcher Zahl Truppen aus Asien in die Heimat zurückgekehrt, und mehr als alle früheren, hatten diese 10 000 Veteranen asiatisches Wesen in sich aufgenommen; ihr Beispiel, ihr Ruhm, ihr Reichtum, alles, was sie an verwandelten Ansichten und Bedürfnissen, an neuen Ansprüchen und Erfahrungen mitbrachten, mußte unter den Ihrigen in der Heimat von nicht minder starkem Einfluß sein, als ihn das Abendländische auf das Leben der östlichen Völker bereits ausübte; ob einen segensreichen, ist, wenn man der kleinen Leute, der Bauern und Hirten daheim gedenkt, eine andere Frage. Auf das feierlichste wurden die Veteranen aus dem Lager von Opis entlassen; Alexander verkündete ihnen, daß sie jeder den Sold bis zur Heimat und überdies ein Geschenk von einem Talente erhalten sollten; die Kinder, die morgenländische Frauen ihnen geboren, möchten sie, so forderte er, bei ihm lassen, damit sie nicht ihren Frauen und Kindern daheim Anlaß zu Unfrieden würden; er werde dafür sorgen, daß die Soldatenkinder makedonisch und zu Soldaten erzogen würden; und wenn sie Männer geworden, dann hoffe er sie nach Makedonien zurückzuführen und ihren Vätern wiederzugeben; für die Kinder der in den Feldzügen Gefallenen versprach er auf gleiche Weise zu sorgen, der Sold ihrer Väter werde ihnen bleiben, bis sie selbst sich gleichen Sold und gleichen Ruhm im Dienste des Königs erwerben würden; zum Zeichen seiner Fürsorge gäbe er ihnen den treuesten seiner Generale, den er wie sein eigen Haupt liebe, den Hipparchen Krateros, zum Hüter und Führer mit. So zogen die Veteranen von Opis aus, mit ihnen die Strategen Polysperchon, Kleitos, Gorgias, vielleicht auch Antigenes von den Hypaspisten, von der Ritterschaft Polydamas und Amadas; bei der Kränklichkeit des Krateros war Polysperchon als zweiter Befehlshaber der Truppen bestellt.

Die Weisungen für Krateros bezogen sich nicht bloß auf die Zurückführung der Veteranen; der Hauptzweck seiner Sendung war, die politische und militärische Leitung daheim an Antipatros' Stelle zu übernehmen, der dagegen Befehl erhielt, den Ersatz für die heimkehrenden Truppen zum Heere zu führen. Schwerlich war dies der entscheidende Grund; es mag vieles zusammengekommen sein, den Wechsel in der höchsten Stelle daheim notwendig zu machen. Die Uneinigkeit zwischen der Königin-Mutter und Antipatros hatte den höchsten Grad erreicht; immerhin mag die überwiegende, vielleicht die alleinige Schuld auf seiten der leidenschaftlichen und herrischen Königin gewesen sein; verfuhr sie doch im epeirotischen Lande, nachdem ihr Bruder Alexandros in Italien gefallen war, als sei sie Herrin des Landes; und die junge Witwe, ihre Tochter Kleopatra kehrte, vielleicht um höchst persönlichen Gefahren zu entgehen, mit ihrem fünfjährigen Knaben, dem rechten Erben des molossischen Königtums, nach Makedonien zurück. Alexander hatte die Mutter stets hochgeehrt und ihr jede Sohnespflicht erfüllt, aber ebenso entschieden ihre Einmischung in die öffentlichen Angelegenheiten zurückgewiesen; dennoch wurde sie nicht müde zu intrigieren, ihrem Sohne Vorwürfe und Klagen aller Art zu schreiben, eifersüchtig auf dessen Neigung zu Hephaistion auch diesen mit bitteren Briefen heimzusuchen, vor allem aber gegen Antipatros unablässig die heftigsten Beschuldigungen nach Asien zu senden. Antipatros seinerseits beschwerte sich ebenso bitter über die Königin-Mutter und deren Einmischung in die öffentlichen Angelegenheiten. Es wird die bezeichnende Äußerung Alexanders angeführt: »Antipatros weiß nicht, daß eine Träne meiner Mutter tausend solcher Briefe auslöscht.« Sein Vertrauen zu dem Reichsverweser in Makedonien erhöhten sie nicht; es war doch möglich, daß derselbe den Verlockungen der großen Gewalt, die ihm übertragen war, nicht widerstand: und wenn Antipatros nach der Hinrichtung seines Eidams Philotas insgeheim mit den Ätolern angeknüpft hatte, so war um so mehr Vorsicht geboten, wenn auch die immer neuen Beschwerden und Warnungen, die Olympias sandte, sich, soweit wir sehen, als nicht begründet erweisen mochten. Jedenfalls bezeugt Arrian, daß man von keiner Äußerung oder Handlung des Königs wisse, der seine Sinnesänderung gegen Antipatros bezeugt habe; er vermutet, daß ihm der König nicht als Strafe befohlen, nach Asien zu kommen, sondern nur, um vorzubeugen, daß beiden, seiner Mutter und dem Reichsverweser, nicht etwas Unseliges und selbst für ihn Unheilbares aus diesem Zwist entstände. Auch sollte Antipatros sein Amt keineswegs sofort niederlegen und nach Asien kommen, sondern das Regiment der ihm anvertrauten Länder bis zur Ankunft des Krateros, die sich bei den langsamen Märschen der Veteranen über Jahr und Tag hinziehen konnte, fortsetzen. Die sonderbare Wendung, die die hellenischen Angelegenheiten gerade jetzt nahmen, machte die Anwesenheit des erprobten Statthalters in Makedonien doppelt notwendig.

Wenn es irgendein gesundes nationales Empfinden in der hellenischen Welt gab, so hätten, sollte man meinen, die Siege Alexanders am Granikos, bei Issos, bei Gaugamela, die Befreiung der Hellenen Asiens, die Vernichtung der Handelsmacht von Tyros, die Vernichtung der Persermacht auch die Unversöhnlichen versöhnen, das Volk der Hellenen in allen Nerven erfrischen, es hätte mit freudigem Wetteifer mit an dem Werk sein müssen, für das einzutreten die hellenischen Staaten vertragsmäßig nicht bloß die Pflicht, sondern das Recht hatten. Die tonangebenden Staaten verstanden den Patriotismus und die nationale Sache anders. Wir sahen, wie Athen in dem Jahre der Schlacht von Issos daran war, seine Seemacht für Persien einzusetzen, wie König Agis in der Zeit, da Dareios auf der Flucht ermordet wurde, gegen Antipatros im Felde lag, wie die kleinern Staaten nur auf dessen ersten Sieg warteten, um sich ihm anzuschließen.

Mit der Niederlage der Spartaner im Sommer 330 war es in Hellas still geworden, aber der Groll und die Verstocktheit geblieben; die Größe der Zeit sahen sie nicht. »Was gibt es Unerwartetes und Ungehofftes«, sagte Äschines in einer Rede im Herbst 330, »das in unseren Tagen nicht geschehen wäre? Denn wir haben nicht ein gewöhnliches Menschenleben gelebt, sondern unsere Jahre sind zu einer Wunderzeit für die nach uns Lebenden geworden.« Und seitdem war noch Wunderbareres geschehen; diese fünf Jahre, ebenso reich an staunenswürdigen Taten im fernen Asien, wie kleinlich und schlaff daheim in Hellas, dort die Eroberung der baktrischen Länder, Indiens, die Erschließung des südlichen Ozeans, hier die fadenscheinige Trivialität kleinstaatlicher Geschäftigkeit und Phrasen über Phrasen, – in der Tat der moralische Wert oder will man lieber das Nettogewicht dieser hellenischen Politik und Politien sank tiefer und tiefer.

Seitdem die Wucht der makedonischen Macht übergroß und weiterer Widerstand gegen sie, der einzige Gedanke, der dem öffentlichen Leben der Staaten in Hellas, namentlich dem Athens und Spartas noch ein Ferment gegeben hatte, unmöglich geworden war, erlahmte auch der letzte Rest politischer Tatkraft in den Massen und der Unterschied der Parteien, wie sie sich in der Losung für oder wider Makedonien entwickelt hatten, begann sich zu verwirren und zu verwischen.

Wenigstens in Athen läßt sich diese Zersetzung der Parteien und die wachsende Haltlosigkeit des Demos einigermaßen beobachten. Lykurgos, der zwölf Jahre hindurch die Finanzen des Staates vortrefflich verwaltet hatte, mußte sie bei den Wahlen von 326 in die Hand des Mesaichmos, seines politischen und persönlichen Gegners, übergehen sehen. Der leidenschaftliche Hypereides, sonst immer an Demosthenes Seite, wandte sich seit den Vorgängen von 330, seit der damals versäumten Schilderhebung gegen Makedonien, von ihm und trat bald genug als Ankläger wider ihn auf. Freilich, Äschines war nicht mehr in Athen; er hatte, als die attischen Geschworenen in dem Prozeß gegen Ktesiphon – es war kurz nach der Niederlage des Königs Agis – zu Gunsten des verklagten und damit zu Ehren des Demosthenes entschieden hatten, die Heimat verlassen, um fortan in Rhodos zu leben. Aber es blieb in Athen noch Phokion, der alte strenge Patriot, der Alexanders glänzende Geschenke zurückwies, der in gleichem Maße seines Vaterlandes Verfall begriff und beklagte, und das nur zu erregbare Volk von Athen von jedem neuen Versuch zum Kampf gegen Makedonien, dem er es nicht mehr gewachsen sah, zurückzuhalten suchte. Es blieb Demades, dessen Einfluß nicht minder auf sein Verhältnis zu Makedonien, als auf seine Friedenspolitik, wie sie den Wünschen der Wohlhabenden entsprach und den genußlüsternen Pöbel mit Festschmausereien und Geldspenden zu ködern möglich machte, begründet war. »Nicht der Krieger«, so sprach er einst in der Ekklesia, »wird meinen Tod beklagen, denn ihm nützt der Krieg, und der Friede ernährt ihn nicht; wohl aber der Landmann, der Handwerker, der Kaufmann und jeder, der ein ruhiges Leben liebt; für sie habe ich Attika nicht mit Wall und Graben, wohl aber mit Frieden und Freundschaft gegen die Mächtigen geschützt.«

Und wenn Demosthenes selbst in der Zeit, da sich König Agis erhob, zwar in Sparta und sonst, wie man glaubte, zum Losschlagen getrieben hatte und doch in Athen nur ›wundersame Reden‹ führte, wenn er, wie man nicht minder sagte, unter der Hand mit Olympias, mit Alexander selbst Beziehungen anknüpfte, so war das nicht dazu angetan, das Vertrauen des Demos auf seine Leitung zu erhöhen; wenn man auch in dem schweren Jahre der Teuerung ihm, dem geschickten Verwalter, das Amt der Fürsorge für die Getreidezufuhr übertrug, in betreff der politischen Leitung der Stadt hörte die Ekklesia ihn wie seine Gegner rechts und links, und in der Regel wird der endliche Beschluß des souveränen Demos unberechenbar gewesen sein.

Die Zeit der Kleinstaaten war vorüber; in allen Beziehungen zeigte sich, daß diese Brocken und Bröckchen des staatlichen Kleinlebens der neugewordenen Machtbildung gegenüber unhaltbar geworden seien, daß die vollkommenen verwandelten politischen und gesellschaftlichen Zustände eine gründliche Umgestaltung auch in der Verfassung der Staaten forderten. Und wenn Alexanders Gedanke war, die Demokratie den hellenischen Städten nur noch für ihre kommunale Verwaltung zu belassen und sie mit der Macht und Autorität seiner großen Monarchie zusammenfassend zu überbauen, wenn dies Werk, durch seinen zu frühen Tod, oder will man lieber, durch die innere Notwendigkeit des hellenischen Wesens unvollendet geblieben ist, so liegt eben da der Grund jenes trostlosen Hinsiechens, mit dem das nächste Jahrhundert der hellenischen Geschichte den Ruhm besserer Zeiten besudeln sollte.

Im Sinne jenes Planes war es, daß Alexander zwei Maßregeln beschloß, die allerdings tief einschnitten.

Er forderte auch von den Hellenen göttliche Ehren. Was man auch in betreff der persönlichen Gesinnung des Königs und deren Umwandlung auf diesem Gebot folgern mag, jedenfalls war es weder so unerhört und frevelhaft, wie es dem auf monotheistischer Grundlage entwickelten Empfinden erscheinen darf, noch ist der wesentlich politische Charakter dieser Maßregel zu verkennen. Das hellenische Heidentum war seit lange gewohnt, die Götter anthropomorphistisch anzusehen, wie das Wort des alten Denkers lautet: »Die Götter seien unsterbliche Menschen, die Menschen sterbliche Götter.« Weder die heilige Geschichte noch die Dogmatik ruhte auf der festen Basis geoffenbarter, ein für allemal als göttlichen Ursprungs geltender Lehrschriften; es gab für religiöse Dinge keine andere Norm und Form als das Empfinden und Meinen der Menschen, wie es war und mitlebend sich entwickelte, daneben allenfalls die Weisungen der Orakelstätten und die vielerlei Zeichendeutung, die eben auch nur, wie der schwimmende Kork auf dem Strome, die Bewegung, der sie folgten, bezeichneten. Wenn nun das Orakel des Zeus Ammon, wie man auch spotten mochte, am Ende doch den König als Zeus-Sohn bezeichnet hatte, wenn Alexander, aus dem Geschlechte des Herakles und Achilleus, eine Welt erobert und umgestaltet, wenn er in Wahrheit Größeres als Herakles und Dionysos vollbracht hatte, wenn die Aufklärung seit lange die Gemüter von dem tieferen religiösen Bedürfnis entwöhnt, von den Ehren und Festen der Götter nur die Lustbarkeiten, die äußere Zeremonie und die kalendarische Bedeutung übriggelassen hatte, so wird man es begreiflich finden, daß für das damalige Griechentum der Gedanke an göttliche Ehren und Vergötterung eines Menschen nicht allzufern lag. Wie natürlich vielmehr dergleichen im Sinne der damaligen Zeit war, beweisen die nächsten Jahrzehnte bis zum Überdruß, nur daß der große Alexander der erste war, der für sich das in Anspruch nahm, was nach ihm die erbärmlichsten Fürsten und die verworfensten Menschen von Hellenen und Griechen, vor allem von den Athenern für ein Billiges erhalten konnten. Mag den einen Alexander dafür gelten, an seine eigene Gottheit geglaubt, den anderen, dieselbe für nichts als eine polizeiliche Maßregel gehalten zu haben, es wird von ihm der Ausspruch überliefert: »Zeus sei freilich aller Menschen Vater, aber nur die besten mache er zu seinen Söhnen.« Die Völker des Morgenlandes sind gewöhnt, ihren König als ein Wesen höherer Art zu verehren, und allerdings ist dieser Glaube, wie das Bedürfnis einer solchen Vorstellung sich auch nach den Sitten und Vorurteilen der Jahrhunderte umgestalten mag, die Basis jeder Monarchie, ja jeder Form von Herrentum; selbst die dorischen Aristokratien des Altertums gaben den von den Heroen ihrer Gründung Abstammenden dieses Vorrecht dem untertänigen Volk gegenüber, und das demokratische Athen gründete auf ein durchaus analoges Vorurteil gegen die Sklaven die Möglichkeit einer Freiheit, gegen welche die Monarchie Alexanders wenigstens den Vorzug hat, die Barbaren nicht als zur Sklaverei geboren anzusehen. Er empfing von den Barbaren die ›Anbetung‹, die sie ihrem Könige, dem ›gottgleichen Menschen‹, darzubieten gewohnt waren; sollte die hellenische Welt in dieser Monarchie ihre Stelle und ihre Ruhe finden, so war der erste und wesentlichste Schritt, die Griechen zu demselben Glauben an seine Majestät, den Asien hegte, und in dem er die wesentlichste Garantie seines Königtums erkannte, zu veranlassen und zu gewöhnen.

Zu der Zeit, als in Asien die letzten Schritte zur Verschmelzung des Abend- und Morgenländischen getan wurden, ergingen nach Griechenland hin die Aufforderungen, durch öffentliche Beschlüsse dem Könige göttliche Ehren zu gewähren. Gewiß taten die meisten Städte, was gefordert wurde. Der Beschluß der Spartaner lautet: da Alexander Gott sein will, so sei er Gott. In Athen brachte Demades den Vorschlag vor das Volk; Pytheas trat auf, gegen ihn zu sprechen: es sei gegen die solonischen Gesetze, andere als die väterlichen Götter zu ehren; als gegen ihn eingewandt ward, wie er, noch so jung, wagen könne, in so wichtigen Dingen zu sprechen, antwortete er: Alexander sei noch jünger. Auch Lykurgos erhob sich gegen den Vorschlag: was würde das für ein Gott sein, dessen Heiligtum verlassend man sich reinigen müßte. Bevor man in Athen zum Schluß kam, trat eine zweite Frage hinzu, welche unmittelbarer in das bürgerliche Gemeinwesen eingriff.

Dies war eine Anordnung des Königs über die Verbannten der hellenischen Staaten. Die Verbannungen waren zum größten Teil Folge politischer Veränderungen, und hatten wegen der Siege, die die Makedonen seit den letzten fünfzehn Jahren wiederholt davongetragen, natürlich die Gegner Makedoniens vorzüglich betroffen. Viele dieser politischen Flüchtlinge hatten früher in den Heeren des persischen Großkönigs Dienst und fortgesetzten Kampf gegen Makedonien gefunden; nach Persiens Fall irrten sie hilflos und heimatlos in der Welt umher; manche mochten Dienste im makedonischen Heere nehmen, andere wurden, während Alexander in Indien stand, von den Satrapen auf eigene Hand angeworben, noch andere zogen vagabundierend nach Griechenland zurück, um in der Nachbarschaft ihrer Heimatstädte auf eine Veränderung der Dinge zu warten, oder gingen nach dem Werbeplatz auf dem Tainaron, um von dort aus in irgend jemandes Sold zu treten. Die bedeutende Zahl dienstloser Leute mußte sich dort, seitdem Alexander allen Satrapen die Entlassung ihrer Söldner geboten, außerordentlich vermehrt haben; und in demselben Maße, als sie zahlreich, unglücklich und hoffnungslos waren, mußten sie für die Ruhe in Hellas gefährlich werden. Diese Gefahr abzuwenden gab es kein Mittel, als den Verbannten die Heimkehr zu bereiten; dadurch wurde auch denen, die durch makedonischen Einfluß verbannt waren, ihr Haß in Dankbarkeit umgewandelt und die makedonische Partei in den einzelnen Staaten verstärkt; die Staaten selbst waren fortan für die innere Ruhe Griechenlands verantwortlich, und wenn dann der innere Zwiespalt von neuem hervorbrach, hatte die makedonische Macht die Handhabe einzugreifen. Freilich war die Maßregel gegen die Artikel des korinthischen Bundes, ein offenbarer Eingriff in die dort garantierte Souveränität der Staaten, die zu demselben gehörten; es war vorauszusehen, daß die Ausführung der königlichen Weisung selbst in den Familien und in den Besitzverhältnissen Anlaß zu endlosen Verwirrungen geben mußte. Aber in erster Reihe kam diese Wohltat den Gegnern Makedoniens zugut; es war noch an der Zeit, daß, wie die Gegensätze nationaler Feindschaft zwischen Hellenen und Asiaten, so die der politischen Parteiung in den hellenischen Städten vor der Einheit des allen gemeinsamen Reiches dahinschwanden; das echt königliche Begnadigungsrecht in dieser Weise und in dieser Ausdehnung zu üben, war der erste Akt der höheren Autorität des Reiches, an die Alexander die Griechen zu gewöhnen hoffte.

Zur Verkündigung dieser Maßregel hatte er den Stagiriten Nikanor nach Griechenland gesandt; bei der Feier der olympischen Spiele des Jahres 324 sollte das königliche Schreiben publiziert werden. Die Kunde davon hatte sich im voraus verbreitet; von allen Seiten strömten die Verbannten gen Olympia, um das Wort der Erlösung zu vernehmen. In einzelnen Staaten dagegen brachte sie mannigfache Aufregung hervor, und während sich viele freuten, mit den Angehörigen und Befreundeten wieder vereint zu leben und durch eine große und allgemeine Amnestie die Ruhe und den Wohlstand besserer Zeiten zurückkehren zu sehen, mochten andere in diesem Befehl einen Eingriff in die Rechte ihres Staates und den Beginn großer innerer Verwirrungen verabscheuen. In Athen erbot sich Demosthenes zur Architheorie gen Olympia, um dort an Ort und Stelle mit dem Bevollmächtigten Alexanders zu unterhandeln und ihm die Folgen jener Maßregel und die Heiligkeit der korinthischen Bundes vertrage vorzustellen; dort blieben seine Bemühungen erfolglos. Während der Feier der hundertvierzehnten Olympiade, Ende Juli 324, in Gegenwart der Hellenen aus allen Landschaften, unter denen sich der Verbannten an 20 000 befanden, ließ Nikanor durch den Herold, der im Wettkampf der Herolde bekränzt war, das Dekret des Königs vorlesen. ›Der König Alexander den Verbannten der griechischen Städte seinen Gruß. An euerer Verbannung sind nicht wir schuld gewesen; aber die Rückkehr zur Heimat wollen wir allen, mit Ausschluß derer, auf denen Fluch haftet, bewirken. Demnach haben wir an Antipatros erlassen, daß er die Städte, welche die Aufnahme weigern, dazu zwinge.‹ Mit unendlichem Jubel wurde der Heroldsruf aufgenommen, und nach allen Seiten hin zogen die Verbannten mit ihren Landsleuten der lang entbehrten Heimat zu.

Nur Athen und die Aitoler weigerten sich, dem Befehl des Königs Folge zu leisten. Die Aitoler hatten die Oiniaden vertrieben, und fürchteten deren Rache um so mehr, da sich Alexander selbst für sie und ihr Recht entschieden hatte. Die Athener aber sahen sich im Besitz der wichtigsten Insel, die ihnen aus der Zeit ihrer früheren Herrschaft geblieben war, gefährdet; sie hatten in Timotheos Zeit die Bewohner von Samos vertrieben und das Land unter attische Kleruchen verteilt; diese hätten jetzt, nach dem Befehl des Königs, den früheren Bewohnern weichen und das, was sie seit mehr als dreißig Jahren selbst bewirtschaftet oder in Pacht ausgetan hatten, aufgeben müssen. Am empfindlichsten oder am geeignetsten aufzureizen mochte der Umstand sein, daß der König diesem Befehl die Form gegeben hatte, als wenn er einfach das gute Recht der Flüchtlinge zur Geltung bringe, als wenn es der Zustimmung der Staaten, die es betraf, gar nicht bedürfe, obschon die Verträge von 334 ausdrücklich bestimmten, daß keiner der verbündeten Staaten den Flüchtlingen aus einem verbündeten Staat zu Versuchen gewaltsamer Heimkehr behilflich sein sollte. Mit dem Befehl Alexanders war sichtlich, so konnte man sagen, die Autonomie und Souveränität des attischen Staates in Frage gestellt, und der Demos, wenn er demselben Folge leistete, bekannte sich dazu, dem makedonischen Königtum untertänig zu sein. War der Demos schon so seiner Ahnen unwürdig, Athen schon so ohnmächtig, sich dem despotischen Befehl beugen zu müssen? Gerade jetzt trat ein unerwartetes Ereignis ein, das, gehörig benutzt, die Macht der Athener bedeutend zu heben und ihrer Weigerung Nachdruck zu geben versprach.

Harpalos, der flüchtige Großschatzmeister Alexanders, hatte sich, wie erwähnt worden, auf der Küste Kleinasiens mit dreißig Schiffen, 6000 Söldnern und den ungeheueren Schätzen, die ihm anvertraut gewesen waren, gen Attika eingeschifft und war etwa im Februar dieses Jahres glücklich auf der Reede von Munychia angelangt. Er rechnete auf den günstigen Eindruck, den seine Getreidespenden in dem Hungerjahre auf das Volk gemacht hatten, auf sein Bürgerrecht, das ihm damals von dem Demos dekretiert war; Phokions Schwiegersohn Charikles hatte dreißig Talente von ihm empfangen, um das Grabmal der Pythionike zu bauen; auch andere einflußreiche Männer mochte er sich durch Geschenke verpflichtet haben. Aber auf Demosthenes' Rat hatte der Demos seine Aufnahme abgelehnt; dem Strategen Philokles, der die Hafenwache hatte, war die ausdrückliche Weisung gegeben, ihn, falls er die Landung zu erzwingen versuchen sollte, mit Gewalt abzuwehren. Darauf war Harpalos mit seinen Söldnern und seinem Schatz nach dem Tainaron gesegelt; mochten nach den Verkündigungen Nikanors viele von den Reisläufern auf dem Tainaron in die Heimat ziehen, dasselbe Dekret brachte bei den Aitolern und in Athen Wirkungen hervor, wie sie Harpalos nur wünschen konnte. Er ging zum zweiten Male nach Attika, ohne seine Söldner, nur mit einem Teil seines gestohlenen Geldes. Philokles wehrte ihm den Eingang nicht; Harpalos war ja attischer Bürger, kam nun ohne Kriegsvolk, als Schutzflehender. So, in demütiger Gestalt, erschien er vor dem Demos von Athen, stellte ihm seine Schätze und seine Söldner zur Verfügung, gewiß nicht ohne anzudeuten, daß jetzt mit kühnem Entschluß große Dinge zu vollbringen seien.

Schon war aus Kleinasien von des Königs Schatzmeister Philoxenos die Aufforderung nach Athen gekommen, den Schatzräuber auszuliefern. Es begann ein lebhafter Streit um diese Frage; der leidenschaftliche Hypereides war der Ansicht, daß man die herrliche Gelegenheit, Hellas zu befreien, nicht aus der Hand geben dürfe; die Freunde Makedoniens mögen ebenso eifrig die Auslieferung gefordert haben; aber selbst Phokion widersetzte sich diesem Vorschlage; Demosthenes stimmte ihm bei, schlug dem Volke vor, den Schutzflehenden und sein Geld in Verhaft zu nehmen, bis seinetwegen jemand von Alexander geschickt sei. Das Volk beschloß seinem Antrage gemäß, beauftragte ihn selbst mit der Übernahme des Geldes, die folgendentages geschehen sollte. Demosthenes fragte den Harpalos sofort nach der Summe, die er mit sich habe. Dieser nannte 700 Talente. Am nächsten Tage, als die Summe auf die Akropolis gebracht werden sollte, fanden sich nur noch 350 Talente; Harpalos schien die Nacht, die man ihm sonderbarer Weise noch sein gestohlenes Geld gelassen, benutzt zu haben, um sich Freunde zu gewinnen. Und Demosthenes unterließ, dem Volk die fehlende Summe anzuzeigen; er begnügte sich, zu veranlassen, daß dem Areopag die Untersuchung übertragen wurde mit der Zusage der Straflosigkeit für die, welche das empfangene Geld freiwillig abliefern würden.

Alexander scheint erwartet zu haben, daß Harpalos mit seinen Schätzen und Söldnern von den Athenern bereitwillig würde aufgenommen werden; wenigstens hatte er in die Seeprovinzen den Befehl gesandt, die Flotte bereit zu halten, um nötigenfalls Attika unverzüglich überfallen zu können; und in dem Lager Alexanders war damals viel die Rede von einem Kriege gegen Athen, auf den sich die Makedonen infolge der alten Feindschaft gar sehr freuten. In der Tat hatten die Athener, wenn sie ernstlich der Zurückführung der Verbannten sich zu widersetzen, dem Könige die göttlichen Ehren zu versagen, ihre volle Unabhängigkeit geltend zu machen beabsichtigten, in den Erbietungen und den Mitteln dieses Schutzflehenden alles, was ihnen zunächst zu einer energischen Verteidigung nötig war; sie hätten hoffen können, daß die Ätolier, die Spartaner, daß die Achäer und Arkader, denen der König die gemeinsamen Landtage ihrer Städte untersagt hatte, sich ihnen anschließen würden. Aber wenn sie sich nicht verbergen konnten, daß Harpalos zum zweiten Mal seine Pflicht in des Königs Dienst gebrochen und durch ein gemeines Verbrechen großen Stils dessen Strafe herausgefordert hatte, so hätte es ihnen nicht zur Unehre gereicht, wenn sie die geforderte Auslieferung bewilligt und dem, der sie als Beamter des Königs forderte, die weitere Verantwortung anheimgegeben hätten. Sie zogen es vor, sich für halbe Maßregeln zu entscheiden, die, weit entfernt, einen sicheren und ehrenvollen Ausweg zu bieten, der Stadt eine Verantwortlichkeit aufbürdete, die sie sehr in eine höchst zweideutige Lage bringen sollte.

Daß Philoxenos die Forderung der Auslieferung dringender wiederholte, scheint sich von selbst zu verstehen; es mag richtig sein, daß auch von Antipatros, von Olympias dasselbe Verlangen gestellt wurde. Da war eines Morgens Harpalos, trotz der Wächter, die man ihm gesetzt hatte, verschwunden. Es wäre unmöglich gewesen, wenn die zu seiner Obhut bestellte Kommission, Demosthenes an ihrer Spitze, ihre Schuldigkeit getan hätte; begreiflich, daß sofort gesagt und geglaubt wurde, Demosthenes habe sich wie die und die anderen bestechen lassen.

Er konnte nicht weniger tun, als sofort Untersuchung zu fordern, mit der nach seinem Antrage gleichfalls der Areopag beauftragt wurde. Der Strateg Philokles forderte und erhielt einen gleichen Beschluß des Volkes.

Langsam genug gingen die Untersuchungen des Areopag vorwärts. Noch war die Frage unerledigt, ob man dem Könige die göttlichen Ehren zugestehen solle; man mußte darüber zum Beschluß kommen, um die Gesandten abfertigen zu können, die in Babylon sein sollten, bevor er dahin zurückkehre. Ob man die göttlichen Ehren gewähren, den Ausgewiesenen die Heimkehr gestatten solle, wurde von neuem vor dem Demos verhandelt; auch Demosthenes sprach da wiederholt. »Als du den Zeitpunkt gekommen glaubtest«, sagt später Hypereides in dem Prozeß gegen Demosthenes, »daß der Areopag die Bestochenen kundmachen werde, da wurdest du plötzlich kriegerisch und versetztest die Stadt in Aufregung, um den Enthüllungen zu entgehen; als aber der Areopag die Verkündigung hinausschob, weil er noch nicht zum Schluß gekommen sei, da empfahlst du, dem Alexander die Ehren des Zeus, des Poseidon und welches Gottes er sonst wolle, zu gewähren.« Also Demosthenes riet in Sachen der göttlichen Ehren nachzugeben, in betreff der Verbannten es auf das Äußerste ankommen zu lassen. In diesem Sinne wurden die Gesandten instruiert und etwa Anfang November abgesandt.

Harpalos hatte sich, aus Athen flüchtend, nach dem Tainaron begeben, hatte sich von dort mit seinen Söldnern und seinen Schätzen – denn auf die Schilderhebung in Hellas schien keine Hoffnung mehr zu sein – nach Kreta begeben, war dort von seinem Freunde, dem Spartaner Thibron, ermordet worden, der dann mit den Söldnern und den Schätzen nach Kyrene flüchtete. Des Ermordeten vertrautester Sklave, der ihm die Rechnung geführt hatte, flüchtete nach Rhodos und wurde dem Philoxenos ausgeliefert. Er bekannte, was er von dem Gelde des Harpalos wußte.

So konnte Philoxenos die Liste der verwendeten Summen und die Namen derer, die davon empfangen, nach Athen senden. Demosthenes' Name war unter diesen nicht. Nach sechs Monaten hatte der Areopag seine Nachforschungen und Hausuntersuchungen beendet, und übergab nun die Sache dem Gericht. Es begann jene merkwürdige Reihe der harpalischen Prozesse, in denen die namhaftesten Männer Athens als Kläger oder Verklagte beteiligt waren; unter den Klägern Pytheas, Hypereides, Mnesaichmos, Himaios, Stratokies, unter den Verklagten auch Demades, der 6000 Stateren empfangen haben sollte, auch Philokles der Strateg, Charikles, des Phokion Schwiegersohn, auch Demosthenes. Er leugnete nicht, daß er zwanzig Talente von dem Gelde des Harpalos genommen habe, aber nur als vorläufigen Ersatz für die gleiche Summe, die er früher der Theorikenkasse vorgeschossen, wovon er nicht gern habe sprechen wollen; er beschuldigte den Areopag, daß er dem Alexander zu Gefallen, ihn habe beseitigen wollen; er führte seine Kinder vor, um das Mitleid der Geschworenen zu erregen. Alles vergeblich; er wurde verurteilt, das Fünffache dessen, was er erhalten hatte, zu zahlen, und da er die Summe nicht aufzubringen vermochte, ins Gefängnis geworfen, aus dem er Gelegenheit fand oder erhielt, am sechsten Tage zu entweichen.

Dieser Ausgang der harpalischen Prozesse war für Athen verhängnisvoll; die Geschworenen der Heliaia, der unmittelbare Ausdruck der öffentlichen Meinung, hatten allerdings das Wort der Ankläger gar wohl beachtet, daß sie über die Angeklagten, ein anderer aber über sie urteilen werde, und daß sie es sich selber schuldig seien, auch noch so berühmte Männer zu strafen; einmal unter so schiefen Prämissen, wie sie durch die in diesem harpalischen Handel so unsicher geführte attische Politik gestellt waren, hatten sie nach politischen Rücksichten, nicht ohne übereilte Strenge gegen die einen, mit noch unverdienterer Nachsicht gegen andere entschieden. Freigesprochen wurde Aristogeiton, der nach der Anzeige des Areopag zwanzig Talente empfangen hatte, der frechste und verächtlichste unter den Führern des Volkes. Vielleicht noch andere. Dagegen mußte der große Gegner der makedonischen Monarchie die Heimat meiden, mit ihm sank die Stütze der alt-demokratischen Partei und ihrer Traditionen; in Philokles verlor der Staat einen Feldherrn, der wenigstens oft genug zu diesem wichtigen Amte vom Volke erwählt worden war. Demades blieb trotz seiner Verurteilung, und sein Einfluß herrschte um so sicherer, je unbedeutender, besorglicher oder gewissenloser die Männer waren, die nach jenen Prozessen an der Leitung des Volkes teilnahmen; die Politik Athens wurde noch mehr als früher schwankend und bald unterwürfig. Man hatte den Verbannten die Heimkehr verweigert, man fürchtete fort und fort, daß sie von Megara aus und gestützt auf des Königs Amnestie die attische Grenze überschreiten würden; dennoch geschah zum Schutz der Stadt nichts, als daß eine Theorengesandtschaft an den König dekretiert wurde, die ihn um die Erlaubnis, die Verbannten nicht aufzunehmen, bitten sollte, eine Maßregel, die wenigstens im Interesse der attischen Freiheit vollkommen ungeschickt war, da der Staat einerseits seine Willensmeinung, bei der Bestimmung des korinthischen Bundes zu bleiben, bereits kundgegeben hatte, andererseits des Königs abschlägige Antwort nur zu gewiß vorauszusehen war.

Mehr als die äußere Wirkung dieser Vorgänge bedeutete die moralische Niederlage derjenigen Prinzipien, als deren Vertreter und Vorbild Athen angesehen wurde und sich selbst ansah. Einst hatte jener Kleon, der dem Demos seiner Zeit für den schärfsten Demokraten galt, demselben Demos gesagt: »Die Demokratie sei unfähig über andere zu herrschen«; wenn jetzt sich Athen der monarchischen Autorität, wie das hellenistische Königtum Alexanders sie geltend machte, fügen mußte, so war der letzte Anhalt dahin, den die Kleinstaaterei und die Selbstüberschätzung des Partikularismus noch gehabt hatte, die immer nicht hatte begreifen wollen, daß ›ein spannelanges Fahrzeug gar kein Fahrzeug sei‹; und die begonnene neue Gestaltung wirklicher Macht lagerte sich ruhig und mächtig auch über die hellenische Welt, freilich von ihr ein großes Opfer fordernd, aber ein Opfer, das Alexander selbst von sich und von seinen Makedonen forderte, mit dem er rechtfertigte und sühnte, was er vollbrachte.

Ein berühmter Forscher unserer Zeit hat Alexander den genialsten Staatsmann seiner Zeit genannt. Er war als Staatsmann, was Aristoteles als Denker. Der Denker konnte in der Stille und Abgezogenheit seines Geistes seinem philosophischen Systeme die ganze Geschlossenheit und Vollendung geben, die nur in der Welt der Gedanken möglich ist. Wenn das staatsmännische Werk Alexanders vorerst nur skizzenhaft und nicht ohne mannigfache Fehlgriffe im einzelnen, wenn die Art, wie er schuf, als persönliche Leidenschaft und Willkür oder vom Zufall bestimmt erscheint, so darf man nicht vergessen, daß es die ersten, aus der Friktion riesenhafter Verhältnisse hervorspringenden Gedanken sind, die ihm sofort und wie im Fluge zu Normen, Organisationen, Bedingungen weiteren Handelns werden, noch weniger verkennen, wie jeder dieser Gedankenblitze immer weitere Gesichtskreise erschloß und erhellte, immer heißere Friktionen schuf, immer drängendere Aufgaben stellte.

Die Armseligkeit der auf uns gekommenen Überlieferungen versagt uns jeden Einblick in die Werkstatt dieser Tätigkeiten, in die hochgespannte intellektuelle und moralische Arbeit dessen, der sich so unermeßliche Aufgaben stellte und sie löste. Kaum daß das, was uns noch vorliegt, das Äußerlichste von dem, was durch ihn geschehen, was zur Ausführung und Wirkung gelangt ist, fragmentarisch erkennen läßt. Fast nur in dem räumlichen Umfang dieser Geschehnisse geben sie uns ein Maß für die Kraft, die solche Wirkungen erzeugte, für den Willen, der sie leitete, für den Gedanken, dem sie entsprangen, eine Vorstellung von der Größe Alexanders.

Mag der nächste Impuls seines Handelns gewesen sein, den großen Kampf hinausführend, den sein Vater vorbereitet hatte, dem Reich, das er sich eroberte, Sicherheit und Dauer zu geben – mit dem glücklichen Radikalismus der Jugend ergriff oder erfand er sich zu diesem Zweck Mittel, die seine Kriegszüge an Kühnheit, seine Schlachten an Siegesgewalt übertrafen.

Das Kühnste war, was ihm die Moralisten bis auf den heutigen Tag zum schwersten Vorwurf machen: er zerbrach das Werkzeug, mit dem er seine Arbeit begonnen hatte, oder will man lieber, er warf das Banner, unter dem er ausgezogen war, den stolzen Haß der Hellenen gegen die Barbaren zu sättigen, in den Abgrund, den seine Siege schließen sollten.

In einer denkwürdigen Stelle bezeichnet Aristoteles als die Aufgabe seiner ›Politik‹, diejenige Staatsform zu finden, welche nicht die an sich vollkommenste, aber die brauchbarste sei: ›welche also ist die beste Verfassung und das beste Leben für die meisten Staaten und die meisten Menschen, wenn man an Tugend nicht mehr verlangt als das Maß der Durchschnittsmenschen, noch an Bildung mehr als ohne besondere Begünstigung der Natur und der Umstände möglich ist, noch eine Verfassung, wie sie nur im Reich der Ideale liegen kann, sondern ein Leben, das mitzuleben, eine Verfassung, in der sich zu bewegen den meisten Menschen möglich ist?‹ Er sagt: darauf komme es an, eine solche Staatsordnung zu finden, welche aus den gegebenen Bedingungen sich entwickelnd leicht Eingang und Teilnahme gewinnen wird; ›denn es ist kein geringeres Werk, eine Staatsordnung zu verbessern als eine von Grund aus neue zu schaffen, wie ja auch das Umlernen ebenso schwer ist wie das Erlernen‹. So weit geht der Philosoph in seinem Realismus; aber wenn er von den meisten Menschen, den meisten Staaten spricht, denkt er nur an die hellenische Welt, denn die Barbaren sind ja wie Tiere und Pflanzen.

Auch Alexander denkt völlig realistisch; aber er bleibt nicht vor den ›gegebenen Bedingungen‹ stehen, oder vielmehr seine Siege haben deren neue geschaffen; der Bereich, für den er sein politisches System einzurichten hat, umfaßt die Völker Asiens bis zum Indus und Jaxartes. Und er hat gesehen, daß diese Barbaren nicht wie Tiere und Pflanzen sind, sondern auch sie Menschen mit ihren Bedürfnissen, Begabungen, Tugenden, auch ihre Art zu sein voll gesunder Elemente, solcher zum Teil, die denen, welche in ihnen Barbaren verachtet haben, schon verloren gegangen sind. Waren die Makedonen vortreffliche Soldaten, so hatte König Philipp sie dazu erzogen, und Alexander gedachte, so wie er schon die Thraker, Paionen, Agrianer und Odryser ihnen ebenbürtig gemacht hatte, ebenso die Asiaten zu gleicher Tüchtigkeit und Zucht zu gewöhnen; der Feldzug in Indien zeigte, in welchem Maße es ihm damit gelang. Von hellenischer Bildung aber hatten die makedonischen Bauern und Hirten und Kohlenbrenner eben auch nicht mehr als ihre barbarischen Nachbarn jenseit des Rhodope und des Haimos, und die Doloper, Ätolier, Änianen, Malier, die Bauern von Amphissa sind in den hellenischen Landen nicht eben anders angesehen worden. Diese hellenische Bildung selbst aber, wie überschwenglich reich immer an Kunst und Wissenschaft, wie unvergleichlich, intellektuelle Gewandtheit und die Virtuosität persönlicher Strebsamkeiten zu entwickeln, – sie hatte die Menschen klüger, nicht besser gemacht, die ethischen Kräfte, auf die das Leben der Familie, des bürgerlichen, des staatlichen Gemeinwesens sich gründen muß, hatte sie in dem Maße, als sie sich steigerte, geschwächt und zersetzt, wie von den Trauben, wenn der Wein daraus gekeltert ist, nur die Trebern bleiben. Hätte Alexander nur den Hellenen und Makedonen Asien erobern, ihnen die Asiaten zu Sklaven geben wollen, sie wären nur um so schneller zu Asiaten, aber im schlimmsten Sinne zu Asiaten geworden. War es Herrschaft und Verknechtung, was seit Jahrhunderten der hellenischen Welt in immer neuen Kolonien immer weitere Ausdehnung, immer frische lebensvolle Schößlinge gebracht hatte? War hellenisches Leben bis zu den Libyern an der Syrte, den Skythen am Mäotischen See, den keltischen Stämmen zwischen den Alpen und Pyrenäen nicht in derselben Weise hinausgezogen, wie sie nun Alexander über die weite Feste Asiens auszubreiten gedachte? War nicht das hellenische Söldnertum, das so lange und in immer größerer Schar in aller Welt umher und nur zu oft gegen die hellenische Heimat selbst seine Kräfte vergeudet hatte, ein Beweis, daß die hellenische Heimat nicht mehr Raum genug hatte für die Fülle von Kräften, die sie erzeugte? Hatte sich nicht die Macht der Barbaren, die den Hellenen als geborene Sklaven galten, seit einem Jahrhundert fast nur noch durch die Streitkräfte, die Hellas ihnen verkaufte, aufrecht erhalten?

Gewiß hatte Aristoteles recht zu fordern, daß auf die gegebenen Bedingungen weiter gebaut werden müsse; aber er senkte die Sonde seines Denkens nicht tief genug hinein, wenn er diese Gegebenheiten so nahm, wie sie nach ihren schwachen und schwächsten Seiten, wie sie in ihren unhaltbar gewordenen Formen waren. Daß die hellenische wie asiatische Welt vor den Gewaltstößen der makedonischen Eroberung zusammengebrochen war, daß sich durch sie die geschichtliche Kritik völlig verrotteter, gedankenlos, unwahr gewordener Zustände vollzog, war nur die eine Seite der großen Revolution, die Alexander über die Welt brachte. Die Erinnerungen und die Kultur Ägyptens rechneten nach Jahrtausenden; welche Fülle polytechnischer Meisterschaft, astronomischer Beobachtungen, alter Literaturen bot die syrisch-babylonische Welt; und erschloß sich nicht in der lauteren Parsenlehre der Iranier und Baktrianer, in der Religion und Philosophie des Wunderlandes Indien eine Welt ungeahnter Entwicklungen, vor denen der noch so selbstgefällige hellenische Bildungsstolz staunen mochte? In der Tat, diese Asiaten waren nicht Barbaren wie die Illyrier, Traballer, Geten, nicht Wilde und Halbwilde, wie sich der hellenische Nativismus gern alles dachte, was nicht griechisch sprach; ihnen gegenüber hatten die Eroberer nicht bloß zu geben, sondern auch zu empfangen; es galt zu lernen und umzulernen.

Und damit – so könnte man schließen – begann der zweite Teil der Aufgabe, die sich Alexander gestellt hatte, die Friedensarbeit, die, schwieriger als die Waffensiege, diesen in gesicherten Zuständen ihre Rechtfertigung und eine Zukunft geben mußte.

Wie er aus Indien heimkehrend die Lage seines Reiches gefunden hatte, mußte er innewerden, welche Schäden an dem zu hastigen Aufbau, so wie er noch war, hafteten. Die Strenge seiner Strafen mochte der unmittelbaren Gefahr wehren, von neuen Freveln zurückschrecken, den Bedrückten wie den Bedrückern zeigen, daß ein scharfes Auge und eine gewaltige Hand über sie sei. Aber das Schwerere war, nach solchen zehn Jahren voll ungeheurer Wechsel und unvergeßlicher Aufregungen, nach allen den Steigerungen der Leidenschaften, der Ansprüche und Genüsse bei den Siegern, der Furcht und Erbitterung bei den Besiegten alle wieder zum ruhigen Atmen, zum Gleichmaß, zur Alltäglichkeit zu gewöhnen.

Wenigstens in Alexanders Art, vielleicht in der Lage der Dinge, mit denen er zu rechnen hatte, lag es nicht, in solcher Weise zu verfahren. Die Sonnenhöhe seines Lebens hatte er überschritten; es ging nun niederwärts und die Schatten wuchsen.

 

Es mag an dieser Stelle gestattet sein, die hauptsächlichsten Momente hervorzuheben, die das weiterdrängende Schwellen und Steigen der Flut von Schwierigkeiten bezeichnen, die nun einsetzte. In dem Maße, wie aus dem Getanen und den Prinzipien, die es in sich trug, Zuständlichkeiten werden sollten, traten Konsequenzen, Widersprüche, Unmöglichkeiten hervor, in denen das ›Antlitz‹, das der vollbrachten Tat, sich zeigte, und um so heftiger drängte die schwellende Bewegung weiter.

Wie die Maßregel, die Nikanor bei der olympischen Feier verkündete, politisch gewirkt hat, ist angegeben worden. Aber die nun Heimkehrenden hatten daheim ihr Haus, ihre Äcker gehabt, die seitdem konfisziert, verkauft und weiterverkauft waren. In jeder hellenischen Stadt folgten der Heimkehr der Flüchtlinge Ärgernisse und Prozesse mannigfacher Art. In Mytilene half man sich mit einem Vertrage zwischen den Verbannten und den Zurückgebliebenen, nach dem eine gemeinsame Kommission die Besitzverhältnisse regeln sollte; in Eresos ließ man ›nach dem Befehl des Königs‹ die Gerichte den Flüchtlingen gegen die Tyrannen, die sie ausgetrieben hatten, deren Nachkommen und Anhänger ihr Recht schaffen; in Kalymna übertrug man fünf Bürgern aus Jasos das Schiedsgericht. Es sind zufällige Notizen, die sich erhalten haben; in der Natur der Sache lag es, daß ungefähr jede hellenische Stadt in derselben Frage die gleiche Aufregung durchmachen mußte.

Eine zufällige Notiz ähnlicher Art läßt erkennen, daß Alexander einst den am Sipylos in Alt-Magnesia angesiedelten Soldaten je ein Ackerlos zugewiesen hatte; wann, unter welchen Umständen, mit welchen Rechten, ist nicht zu ersehen, noch ob die Angesiedelten Makedonen, Söldner oder sonst was waren. Gewiß war das kein vereinzelter Fall; aus Münzen sieht man, daß in Dokimeion, in Blaundos Makedonen, in Apollonia Thraker angesiedelt worden sind. Waren die Ackerlose, die solchen Ansiedlern gegeben wurden, auf städtischen Besitz angewiesen oder waren sie aus königlichen Domänen? Dieselbe Frage wiederholt sich bei den ›mehr als siebzig Städten‹, die Alexander gründete; und in welcher Verfassung, mit welchem Recht saßen diese Ansiedler neben den alten Einwohnern oder den Einheimischen, die mit in die Stadt zu ziehen veranlaßt wurden? Was war oder wurde königliche Domäne? In welchem Sinn verfügte Alexander über die Städte Kios, Gergethos, Elaia, Mylasa, wenn er dem Phokion anbot, sich eine von ihnen zu wählen?

Wir wissen nicht, inwieweit Alexander das alte System der Verwaltung, den persischen Steuerkataster, das hergebrachte Abgabensystem änderte oder ließ. Arrian gibt an, der König habe bei seiner Rückkehr nach Persien so hart gestraft, um die zu schrecken, die er ›als Satrapen, Hyparchen und Nomarchen‹ zurückgelassen habe; waren das die Rangstufen der Verwaltung? Wiederholten sie sich in allen Satrapien, oder gab es, wie Ägypten dafür ein Beispiel scheint, für die verschiedenen Gebiete des weiten Reiches verschiedene Verwaltungssysteme, ein anderes etwa für die syrischen Lande, ein anderes für die iranischen, für die baktrischen? War etwa nur in den Satrapien Kleinasiens und den Landen syrischer Zunge das Kassenwesen und die Tributerhebung besonderen Beamten unterstellt? Wie ihr Verhältnis zu den militärischen Befehlshabern in der Satrapie bestimmt, wie die Kompetenz der verschiedenen Beamtungen umgrenzt, wie es mit der Dotierung der einen und andern bestellt war, ist ebensowenig zu ersehen. Aber gelegentlich erfährt man, daß Kleomenes von Naukratis, der das ägyptische Arabien verwaltete, den Ausfuhrzoll auf Getreide vermehren, daß er alles Getreide in seiner Provinz aufkaufen konnte, um von der Teuerung, die namentlich in Athen drückend war, Gewinn zu ziehen, daß er die heiligen Krokodile usw. besteuerte. Von Antimenes, dem Rhodier, der, man sieht nicht deutlich welches Amt, in Babylon erhalten hatte, wird angegeben, daß er den außer Brauch gekommenen Zoll von zehn Prozent auf alle Einfuhr nach Babylon erneut, daß er eine Sklavenassekuranz eingerichtet habe, die gegen zehn Drachmen Beitrag für den Kopf jedem Herrn, dem ein Sklave entlief, die Erstattung seines Wertes sicherte. Mehr als noch eine und die andere Einzelheit der Art erfahren wir nicht; ebensowenig, wie in der Verwaltung die Städte neben den Stämmen (ἔϑνη), wie die Dynasten, die Tempelstaaten (Ephesos, Komana usw.), die abhängigen Fürsten standen.

Eins der stärksten Fermente für die neu werdenden Zustände muß die ungeheure Masse edlen Metalles gewesen sein, die die Eroberung Asiens in Alexanders Hand brachte. Vor dem peloponnesischen Kriege war Athen damit, daß es auf der Akropolis außer den silbernen und goldenen Geräten 9000 Talente geprägtes Silber im Schatz hatte, die größte Kapitalmacht der hellenischen Welt gewesen, und vor allem darin hatte es seine politische Überlegenheit über die noch völlig in der Naturwirtschaft verharrenden Staaten des peloponnesischen Bundes gesichert gesehn. Jetzt handelte es sich um ganz andere Summen. Außer dem, was Alexander in dem persischen Lager bei Issos, in Damaskus, in Arbela usw. erbeutete, fand er, wie angegeben wird, in Susa 50 000 Talente, in Persepolis ebensoviel, in Pasargadai 6000, weitere Summen in Ekbatana; es sollen dort von ihm 180 000 Talente niedergelegt worden sein. Was sonst an goldenen und silbernen Geräten, an Purpur, Edelsteinen, Kleinodien usw. in Alexanders Hand fiel, was in den Satrapien, was in Indien hinzugekommen ist, wird nicht angegeben.

Man wird auf jene Ziffern keine statistische Berechnung der Massen Goldes und Silbers gründen wollen, die mit der Eroberung Alexanders und im Laufe von zehn Jahren dem Verkehr wieder zugeführt wurden.

Aber wenn die neue Königsmacht, welche nun über Asien herrschte, die bisher totgelegten Reichtümer entfesselte, wenn sie von ihr wie das Blut vom Herzen ausströmten, so sieht man, wie damit, daß Arbeit und Verkehr sie in immer rascherer Zirkulation durch die lang unterbundenen und welk gewordenen Glieder des Reichs verbreiteten, das ganze wirtschaftliche Leben der Völker, deren Kraft die persische Herrschaft vampyrhaft ausgesogen hatte, sich aufrichten und steigern mußte. Freilich war damit ein entsprechendes Steigen der Preise, eine Verschiebung der Schwerpunkte des bisherigen Weltverkehrs, das Sinken der Handelsbilanz für diejenigen Plätze, von denen er sich abwandte, unvermeidlich verbunden, ein Umstand, aus dem vielleicht manche Erscheinungen in den althellenischen Landen, welche die nächste Folgezeit brachte, zu erklären sind.

Nach Herodots Angabe war der jährliche Betrag der Tribute im persischen Reich nach der Grundsteuer 14 560 euböische Talente. Eine freilich nicht aus bester Quelle stammende Angabe rechnet in dem letzten Jahre Alexanders den Ertrag des Tributs auf 30 000 Talente und fügt hinzu, daß im Schatz nur noch 50 000 Talente gewesen seien. Vor allem drückend war in der persischen Zeit die endlose Masse der Naturalleistungen gewesen, wie denn die für den königlichen Hof allein auf 13 000 Talente jährlich berechnet worden sind; und jeder Satrap, jeder Hyparch und Dynast folgte in seinem Bereich dem Beispiel des Großkönigs. Aus einigen Andeutungen ist zu schließen, daß Alexander das System der Naturallieferungen aufhob; in demselben Maße, wie früher des Großkönigs Anwesenheit eine Stadt oder Landschaft aussog, sollte sie fortan durch den Aufenthalt des königlichen Hoflagers gewinnen. Die Pracht, mit der sich der König namentlich in der letzten Zeit umgab, erdrückte nicht mehr, sondern förderte Verkehr und Wohlstand; und wenn erzählt wird, daß er, um sein ganzes Hofgesinde in Purpur zu kleiden, den Befehl nach Ionien sandte, allen Vorrat an Purpurstoffen daselbst aufzukaufen, so läßt dieser einzelne Fall auf andere ähnliche schließen. Es versteht sich wohl von selbst, daß auch die Satrapen, die Strategen usw. in den Provinzen nicht mehr auf Naturallieferungen gestellt waren; nicht minder, daß ihre ordnungsmäßigen Einnahmen hoch genug waren, sie mit dem nötigen Glanz leben zu lassen; was man auch von ihrer oft unsinnigen Verschwendung sagen mag, sie gaben zu verdienen. Durch reiche Schenkungen, z. B. bei den von Opis heimziehenden Veteranen ein Talent für den Mann, sorgte der König dafür, daß auch die Truppen, zumal die Ausgedienten, bequem leben konnten; und wenn der Soldat oft genug mehr verbrauchte, als er hatte, so bezahlte der König mit unerschöpflicher Freigebigkeit dessen Schulden. Daß er für Dichter, Künstler, Philosophen, Virtuosen, für jede Art wissenschaftlicher Forschung immer offene Hand hatte, ist bekannt; und wenn es heißt, daß Aristoteles behufs seiner naturhistorischen Untersuchungen die Summe von 800 Talenten zu seiner Verfügung erhielt, so würde man an der Wahrheit dieser Angabe zu zweifeln geneigt sein, wenn sie nicht durch den Umfang seiner Leistungen begreiflich würde.

Wenigstens erinnert mag hier werden an die großen Bauunternehmen Alexanders, von denen gelegentliche Erwähnung geschieht, so die Wiederherstellung des Kanalsystems in Babylonien, die Aufräumung der Abzugsgräben vom Kopaissee, der Wiederaufbau der verfallenen Tempel in Hellas, wozu er 10 000 Talente angewiesen haben soll, der Dammbau bei Klazomenai und die Durchstechung der Landenge von dort nach Teos, und manches andere.

Genug, um anzudeuten, was dem wirtschaftlichen Leben Alexanders Erfolge bedeuteten. Vielleicht nie wieder ist in diesen Beziehungen von dem persönlichen Einfluß eines Mannes eine so plötzliche und so tiefgreifende, so ungeheure Bereiche umfassende Umgestaltung ausgegangen. Sie war nicht das Ergebnis zusammentreffender Zufälligkeiten, sondern, soviel zu erkennen ist, gewollt und mit bewußter Konsequenz durchgeführt. Wenn einmal die Völker Asiens aufgerüttelt waren, wenn der Westen die Genüsse des Ostens, der Osten die Künste des Westens kennen und bedürfen gelernt hatte, wenn die Abendländischen, die in Indien oder Baktrien geblieben, die Asiaten, die aus allen Satrapien am Hofe versammelt waren, des Heimischen in der Fremde nur um so mehr begehrten, wenn das Durcheinander der verschiedensten Lebensweisen und Bedürfnisse, wie es sich zur höchsten Pracht gesteigert am Königshofe fand, in den Satrapien, in den Häusern der Vornehmen, in allen Kreisen des Lebens mehr oder minder zur herrschenden Mode werden mußte, so ergab sich unmittelbar das Bedürfnis eines großen und durchgreifenden Handelsverkehres, und es kam vor allem darauf an, demselben die sichersten und bequemsten Straßen zu öffnen und ihm in einer Reihe bedeutender Zentralpunkte Zusammenhang und Stetigkeit zu geben. Diese Rücksicht, neben der militärischen, hat Alexander von Anfang an bei seinen Gründungen und Kolonisierungen im Auge gehabt, und die meisten seiner Städte sind bis auf den heutigen Tag die bedeutendsten Emporien Asiens; nur daß heute die Karawanenzüge räuberischen Überfällen und willkürlichen Bedrückungen der Gewalthaber ausgesetzt sind, während in Alexanders Reiche die Straßen gesichert, die Räuberstämme der Gebirge und der Wüsten in Furcht gehalten oder zur Ansiedelung genötigt, die königlichen Beamten zur Förderung und Sicherung des Verkehrs verpflichtet und bereit waren. Auch die Kauffahrtei auf dem Mittelmeer wuchs außerordentlich, und schon jetzt begann das ägyptische Alexandrien Mittelpunkt des mittelländischen Verkehrs zu werden, der nach des Königs Plänen bald vor den Räubereien etruskischer und illyrischer Piraten geschützt werden sollte. Besonders wichtig aber war die unermüdliche Sorgfalt, mit der Alexander neue maritime Verbindungen zu eröffnen suchte; schon war es ihm gelungen, einen Seeweg vom Indus zum Euphrat und Tigris zu finden; die Gründung hellenistischer Hafenstädte an den Mündungen dieser Ströme gab dem Verkehr auf dieser Seite die nötigen Stützpunkte; was Alexander tat, denselben in Aufnahme zu bringen und dem Inneren des syrischen Tieflandes mit den Strommündungen in ähnlicher Weise, wie den Indusmündungen mit den oberen Induslandschaften, unmittelbare Handelsverbindung zu schaffen, wie er die Auffindung eines weiteren Seeweges vom Persischen Meerbusen aus um die Halbinsel Arabien bis in das Rote Meer und in die Nähe von Alexandrien plante, wie er Heer- und Handelsstraßen vom ägyptischen Alexandrien aus abendwärts an der Südküste des Mittelmeeres entlang zu führen beabsichtigte, wie er endlich in der Hoffnung, eine Verbindung des Kaspischen Meeres mit dem Nördlichen und weiter dem Indischen Ozean aufzufinden, in den hyrkanischen Wäldern Schiffe zu bauen anordnete, davon wird demnächst die Rede sein.

Noch ein anderer Gesichtspunkt verdient an dieser Stelle hervorgehoben zu werden, der der begonnenen Völkermischung, in der Alexander zugleich das Ziel und das Mittel seiner Gründungen sah. In einer Zeit von zehn Jahren war eine Welt entdeckt und erobert worden, waren die Schranken gefallen, die Morgen- und Abendland schieden, und die Wege geöffnet, die fortan die Länder des Aufganges und Niederganges miteinander vereinen sollten. Ein alter Schriftsteller sagt: ›Wie in einem Becher der Liebe waren die Elemente alles Völkerlebens ineinander gemischt, und die Völker tranken gemeinsam aus diesem Becher, und vergaßen der alten Feindschaft und der eigenen Ohnmacht‹.

Es ist hier nicht der Ort, darzulegen, zu welchen Folgen sich diese Völkermischung entwickelt hat; sie sind die Geschichte der nächsten Jahrhunderte. Aber schon in diesen ihren Anfängen lassen sich die Richtungen erkennen, die sich dann in Kunst, Wissenschaft, Religion, in allem menschlichen Erkennen und Wollen immer breiter entfaltet haben, oft wüst genug, oft zu Entartungen, in denen nur der historische Blick, der über Jahrhunderte hin die Zusammenhänge erfaßt, den in der Tiefe wirkenden mächtigen Zug des Fortschreitens zu entdecken vermag. Es war für die hellenische Kunst kein Gewinn, daß sie die stille Größe harmonischer Verhältnisse zu dem asiatischen Prunk gewaltiger Massen zu steigern, den Idealismus ihrer Darstellungen in der Üppigkeit kostbarer Materialien und realistischer Augenlust zu überbieten lernte. Die düstere Pracht der ägyptischen Tempel, die phantastischen Felsenbauten von Persepolis, die Riesentrümmer von Babylon, die indischen Prachtbauten mit ihren Schlangenidolen und den lagernden Elefanten unter den Säulen, das alles wurde dem hellenischen Künstler, mit den Traditionen seiner heimatlichen Kunst vermischt, immerhin ein reicher Schatz neuer Anschauungen und Entwürfe; aber schon schweiften die Konzeptionen ins Ungeheure; man erinnere sich jenes Riesenplans des Deinokrates, den Berg Athos zu einer Statue Alexanders auszumeißeln, deren eine Hand eine Stadt von zehntausend Einwohnern tragen, die andere einen Bergstrom in mächtigen Kaskaden in das Meer hinabgießen sollte. Auch die poetische Kunst versuchte es, an diesem neuen Leben Anteil zu gewinnen; sie entwickelte in der sogenannten neuen Komödie eine Feinheit psychologischer Beobachtung und eine Virtuosität, die Charaktere und Situationen des täglichen Lebens, des sozialen Kleinlebens möchte man sagen, zu schildern, die lebhafter als alles andere empfinden läßt, wie weit hinweg man von dem alten Zuge der großen Gemeininteressen, der großen Gedanken und Leidenschaften ist, die das Leben lebenswert machen. So dem Individuellen und Realistischen hingegeben, hat die hellenische Poesie weder aus den Heldenkämpfen, die sie jetzt sich vollziehen sah, noch aus den staunenswürdigen neuen Gestaltungen, die ihr durch sie erschlossen wurden, sich neue Bahnen gewonnen; sie hat nicht mehr vermocht, die Farbenpracht persischer Märchen oder die überirdische Feierlichkeit monotheistischer Psalmen und Prophetien in sich aufzunehmen; sie kehrte, wenn sie sich über das beliebte Tagtägliche erheben wollte, zur Nachahmung ihrer klassischen Zeit zurück und überließ es dem Morgenlande, die Erinnerung an den gemeinsamen Helden Iskander in tausend Sagen und Gesängen von Geschlecht zu Geschlecht zu vererben. Unter den redenden Künstlern der Hellenen konnte nur die jüngste, die noch frisch und lebendig unter den Zeitgenossen blühte, neue Formen zu gewinnen versuchen, und die sogenannte asiatische Beredsamkeit, blühend und überreich an Schmuck, ist ein charakteristisches Erzeugnis dieser Zeit.

Desto fruchtbarer war die Umgestaltung, welche in den Wissenschaften begann. Durch Aristoteles war jener großartige Empirismus ins Leben gerufen, dessen die Wissenschaft bedurfte, um des ungeheueren Vorrates von neuem Stoff, den Alexanders Züge jedem Zweige des menschlichen Erkennens eroberten, Herr zu werden. Der König, selbst Schüler des Aristoteles, und mit allem, was die Studien hellenischer Ärzte, Philosophen und Rhetoren bisher geleistet hatten, vertraut, bewahrte stets das lebendigste Interesse für sie; ihn begleiteten auf seinen Zügen Männer von allen Fächern der Wissenschaft; sie beobachteten, forschten, sammelten, sie vermaßen die neuen Länder und die Hauptstraßen darin. Ebenso begann für die geschichtlichen Studien eine neue Epoche; man konnte jetzt an Ort und Stelle forschen, konnte die Sagen der Völker mit ihren Denkmalen, ihre Schicksale mit ihren Sitten vergleichen, und trotz der unzähligen Irrtümer und Märchen, welche durch die sogenannten Schriftsteller Alexanders verbreitet wurden, ist doch erst mit dieser Zeit das Material und demnächst die Methode für die große geschichtliche Forschung gewonnen worden. In mancher Beziehung konnte die hellenische Wissenschaft unmittelbar von dem Morgenländer lernen, und die große Tradition astronomischer Beobachtungen in Babylon, die bedeutende Arzneikunde, die im indischen Lande gewesen zu sein scheint, die eigentümlichen Kenntnisse der Anatomie und Mechanik unter den Priestern Ägyptens gewannen unter der Hand hellenischer Forscher und Denker neue Bedeutung. Die eigentümliche Entwicklung des hellenischen Geistes hatte bisher die Philosophie als den Inbegriff alles Wissens dargestellt; jetzt emanzipierten sich die einzelnen Richtungen des Erkennens; die exakten Wissenschaften begannen, auf selbständige Empirie gestützt, sich zu entfalten, während die Philosophie, uneins über das Verhältnis des Denkens zur Wirklichkeit, bald die Erscheinungen für die Gedanken, bald die Erkenntnis für die Erscheinungen unzulänglich nannte.

Es liegt in der Natur der Sache, daß die Umgestaltung des Völkerlebens in sittlicher, sozialer, religiöser Beziehung langsamer und bis auf einzelne Eruptionen unmerklich vor sich gehen mußte; und wenn sich gegen das Neue, welches unter Alexanders Regiment natürlicher Weise zu plötzlich, zu unvorbereitet, oft gewaltsam ins Leben gerufen war, mit seinem Tode eine Reaktion hervortrat, welche in den dreißig Jahren der Diadochenkämpfe sich bald dieser, bald jener Partei anschloß, so war das Resultat kein anderes, als daß das Neue endlich zur Gewohnheit wurde und, nach den volkstümlichen Verschiedenheiten modifiziert, solche Formen annahm, in die sich das Leben der Völker unter einem fortan gleichen und gemeinsamen Prinzip weiter hineinbilden konnte. Auf ein allmähliches Verschwinden nationaler Vorurteile, auf eine gegenseitige Annäherung in Bedürfnissen, Sitten und Ansichten, auf ein positives und unmittelbares Verhalten der sonst entzweiten Volkstümlichkeiten gründete sich ein vollkommen neues, soziales Leben; und wie etwa in neuer Zeit gewisse Anschauungen, Voraussetzungen, Konvenienzen bis zu den Moden hinab, die Einheit der zivilisierten Welt bekundet, so hat sich in jener hellenistischen Zeit, und, ich zweifle nicht, unter ähnlichen Formen, eine Weltbildung durchgearbeitet, die am Nil und Jaxartes dieselben konventionellen Formen als die der guten Gesellschaft, der gebildeten Welt geltend machte. Attische Sprache und Sitte wurde die Richtschnur der Höfe von Alexandreia und Babylon, von Baktra und Pergamon; und als der Hellenismus seine politische Selbständigkeit dem römischen Staate gegenüber verlor, begann er in Rom die Herrschaft der Mode und Bildung zu gewinnen. So darf man den Hellenismus mit Recht die erste Welteinheit nennen; während das Achämenidenreich nichts als ein äußerliches Aggregat von Ländermassen war, deren Bevölkerungen nur die gleiche Knechtschaft miteinander gemein hatten, blieb in den Ländern des Hellenismus, selbst als sie zu verschiedenen Reichen zerfielen, die höhere Einheit der Bildung, des Geschmacks, der Mode, oder wie man sonst dieses stets wechselnde Niveau der menschlichen Gesellschaft nennen will.

Auf die sittlichen Zustände der Völker werden politische Veränderungen stets in dem Verhältnis der unmittelbaren Beteiligung weniger, vieler, aller an den Funktionen des Staates wirken. Dieselbe geschichtliche Versumpfung, welche die Völker Asiens bisher in den stumpfsten politischen Formen, den despotischen und den hierarchischen, hatte verharren lassen, ließ sie zunächst und zum guten Teil bei dem unermeßlichen Wechsel, der über sie gekommen war, stumm und passiv; wenn sich Alexander vielfach ihrem Herkommen und ihren Vorurteilen gefügt hatte, so zeigt das, auf welchem Wege allein es möglich war, sie allmählich über sich selbst hinauszuführen. Natürlich war der Erfolg dieser Bemühungen je nach dem Charakter der verschiedenen Völker sehr verschieden, und während die Uxier und Mardier erst lernen mußten, den Acker zu bestellen, ›die Hyrkaner, ehelich zu leben, die Sogdianer, ihre alternden Väter zu ernähren statt zu töten‹, hatte der Ägypter schon seinen Abscheu gegen die kastenlosen Fremdlinge, der Phöniker die Greuel seiner Molochsopfer zu verlernen begonnen. Dennoch konnte erst die Folgezeit allmählich eine neue und analoge Weise zu sein, zu denken und zu handeln heranbilden, um so mehr, da den meisten alt-asiatischen Völkern die Grundlage ihrer Moral, ihrer persönlichen und rechtlichen Verhältnisse, welche den Hellenen dieser Zeit nur noch in dem positiven Gesetz oder in der entwickelten Erkenntnis ethischer Prinzipien gegeben schien, in der Religion enthalten war und durch sie gewiß und zwingend galt. Die Völker Asiens aufzuklären, ihnen die Fesseln der Superstition, der unfreien Frömmigkeit, zu entreißen, ihnen das Wollen und Können selbstgewisser Verständigkeit zu erwecken und zu allen Konsequenzen, den heilvollen wie gefährlichen, zu steigern, kurz, sie für das geschichtliche Leben zu emanzipieren, das war die Arbeit, welche der Hellenismus in Asien zu vollbringen versucht und zum Teil, wenn auch erst spät, vollbracht hat.

Schneller und entschiedener ist die Umgestaltung der sittlichen Zustände in dem makedonischen und hellenischen Volkstum hervorgetreten. Beiden gemeinsam wird in Alexanders Zeit die Steigerung alles Könnens und Wollens, die Überspannung der Ansprüche und der Leidenschaften, das Leben in dem Moment und für ihn, der rücksichtslose Realismus; und doch, wie verschieden sind sie in jeder Beziehung. Der Makedone, vor drei Jahrzehnten noch von bäuerischer Einfalt, an der Scholle haftend und in dem gleichgültigen Einerlei seiner armen Heimat zufrieden, denkt jetzt nichts als Ruhm, Macht und Kampf; er fühlt sich Herr einer neuen Welt, die er stolzer ist zu verachten als erobert zu haben; aus den unablässigen Kriegsfahrten hat er jenes trotzige Selbstgefühl, jene kalte militärische Schroffheit, jene Geringschätzung der Gefahr und des eigenen Lebens heimgebracht, wie sie die Zeiten der Diadochen oft genug in der Karikatur zeigen; und wenn große geschichtliche Durchlebungen der Denkweise und der Physiognomie der Völker ihr Gepräge geben, so sind die Narben des zehnjährigen morgenländischen Krieges, die in endlosen Strapazen, in Entbehrungen und Ausschweifungen aller Art tief gefurchten Züge der Typus der Makedonen. Anders das hellenische Wesen daheim. Dessen Zeit ist vorüber; weder von dem Drange zu neuen Taten, noch von dem Bewußtsein politischer Macht gehoben, begnügen sich diese einst so rüstigen Hellenen mit dem Glanze ihrer Erinnerungen; das Prahlen ersetzt ihnen den Ruhm, und übersättigt von Genuß suchen sie um so mehr dessen oberflächlichste Form, den Wechsel; um so leichtfertiger, fahriger, parrhesiastischer, um so entfernter jeder einzelne, sich einer Verantwortung oder Autorität unterzuordnen, und um so loser und zuchtloser insgeheim geht das Griechentum in jene geistreiche, pikante, nervöse Vielgeschäftigkeit über, die immer das letzte Stadium in dem Leben der Völker bezeichnet; alles Positive, alles Haltende und Zusammenhaltende, selbst das Gefühl, Schlacke geworden zu sein, geht dahin; das Werk der Aufklärung hat sich vollbracht.

Man darf wohl sagen, daß durch diese Aufklärung, so nivellierend und widrig sie im einzelnen erscheint, die Kraft des Heidentums gebrochen und eine geistigere Entwicklung der Religion möglich geworden ist. Nichts ist in dieser Beziehung wirksamer gewesen als jene sonderbare Erscheinung der Göttermischung, der Theokrasie, an der in den nächstfolgenden Jahrhunderten alle Völker des Hellenismus Anteil nahmen.

Wenn man die Gottheiten, die Kulte, die Mythen des Heidentums als den eigensten und lebendigsten Ausdruck der ethnographischen und geschichtlichen Verschiedenheit der Völker betrachten darf, so lag da für das Werk, das Alexander schaffen wollte, die größte Schwierigkeit. Seine Politik traf den Nerv der Sache, wenn er, in dessen Person und Regiment zunächst jene Einheit sich darstellen mußte, in seiner unmittelbaren Umgebung so gut den indischen Büßer Kalanos und den persischen Magier Osthanes wie den lykischen Zeichendeuter Aristandros hatte, wenn er den Gottheiten der Ägypter, der Perser, der Babylonier, dem Baal von Tarsos, dem Jehovah der Juden sich in gleicher Weise wie ihre Gläubigen zuwandte und, alle Zeremonien und Ansprüche ihres Kultus erfüllend, dessen Bedeutung und Inhalt als offene Frage zur Seite ließ, vielleicht da und dort schon Anschauungen und Geheimlehren priesterlicher Weisheit begegnend, die in pantheistischer, deistischer, nihilistischer Fassung des Volksglaubens dem entgegenkam, was den gebildeten Hellenen ihre Philosophie gab. Des Königs Beispiel wird rasch genug in weiten und weiteren Kreisen gewirkt haben; man begann, nun dreister als es schon immer hellenische Art gewesen, Götter der Fremde heimisch zu machen und die heimatlichen Götter in denen der Fremde wiederzuerkennen, die Sagenkreise und Theogonien der verschiedenen Völker zu vergleichen und in Einklang zu bringen; man begann sich zu überzeugen, daß alle Völker, in mehr oder minder glücklichem Bilde, in ihren Göttern dieselbe Gottheit verehrten, mehr oder minder tief gefaßt dieselbe Ahnung des Überirdischen, des Absoluten, des letzten Zweckes oder Grundes auszusprechen versuchten, und daß die Unterschiede der göttlichen Namen, Attribute, Ämter, nur äußerliche und zufällige, zu berichtigen und zu ihrem Gedanken zu vertiefen seien.

So offenbarte es sich, daß die Zeit lokaler und nationaler, das heißt heidnischer Religionen vorüber, daß die endlich sich einigende Menschheit einer einigen und allgemeinen Religion bedürftig und fähig sei; die Theokrasie war selbst nichts als ein Versuch, durch Verschmelzung aller jener verschiedenen Religionssysteme eine Einheit hervorzubringen; nur daß sie auf diesem Wege in der Tat doch nimmer erreicht werden konnte. Es war die Arbeit der hellenistischen Jahrhunderte, die Elemente einer höheren und wahrhafteren Einigung zu erwirken, das Gefühl der Endlichkeit und Ohnmacht, das Bedürfnis der Buße und des Trostes, die Kraft der tiefsten Demut und Erhebung bis zur Freiheit in Gott und zur Kindschaft Gottes zu entwickeln; es sind die Jahrhunderte der Entgötterung der Welt und der Herzen, der tiefsten Verlorenheit und Trostlosigkeit, des immer lauteren Rufes nach dem Erlösenden.

In Alexander hat sich der Anthropomorphismus des hellenischen Heidentums erfüllt; ein Mensch ist Gott geworden; sein, des Gottes, ist das Reich dieser Welt, in ihm der Mensch erhöht zu der höchsten Höhe der Endlichkeit, durch ihn die Menschheit erniedrigt, vor dem anzubeten, der der sterblich Geborenen einer ist.


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