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Zweites Kapitel

Das makedonische Land, Volk, Königtum – König Philipps II. innere Politik – Der Adel, der Hof – Olympias – Alexanders Jugend – Zerwürfnis im Königshause – Attalos – Philipps II. Ermordung


Aber war Philipp, waren seine Makedonen Griechen, den Kampf gegen die Perser im Sinne des hellenischen Volkes und der hellenischen Geschichte übernehmen zu können?

Die Verteidiger der alten partikularistischen Politik und der hellenischen ›Freiheit‹ haben es oft genug bestritten, und ihr großer Wortführer Demosthenes geht in seinem patriotischen Eifer so weit, zu versichern, daß Philipp weder ein Hellene, noch mit Hellenen verwandt sei, sondern zu den Barbaren gehöre, die nicht einmal als Sklaven brauchbar seien.

Ältere Überlieferungen geben eine andere Auffassung. Äschylus läßt, wie schon angeführt ist, den König Pelasgos von Argos sagen, sein Volk, Pelasger nach ihm geheißen, wohne bis zu des Strymon klaren Wassern und umfasse wie das Bergland Dodona, so das Land am Pindus und die weiten Gaue Päoniens. Also dem alten Marathonkämpfer gelten die Völkerschaften, die das Flußgebiet des Haliakmon und des Axios bewohnen, für gleichen Stammes mit der alten Bevölkerung der Lande vom Olympos bis zum Tainaron, mit der im Westen des Pindus. Der hohe Pindus, der Thessalien vom Bergland Dodona und von Epiros scheidet, bildet in seinen nördlichen Fortsetzungen bis zum Schar-Dagh, dem alten Skardos, die Scheidung zwischen Makedonien und Illyrien; dann wendet sich das Gebirg nach Osten zu den Quellen des Strymon und weiter südostwärts auf dessen linker Seite als Orbelos zur Küste hinab, die natürliche Grenze des makedonisch-päonischen Gebietes auch gegen die thrakischen Völker im Osten und Norden vollendend. In dem so umschlossenen Gebiet durchbrechen der Haliakmon, der Axios mit seinen Nebenflüssen, der Strymon eine zweite, eine dritte Gebirgsreihe, die, dem Pindos-Skardos-Orbelos gleichsam konzentrisch, die innerste Küstenebene, die von Pella und Thessalonike am thermäischen Busen, umschließt; und der Doppelkranz von Talkesseln, durch welche die drei Ströme hindurchbrechen und, wenigstens der Axios und Haliakmon, in dieser Küstenebene einander nahe das Meer erreichen, macht die Bevölkerung dieser Lande, wie von Natur in kantonale Stämme zerfallen, und die Ebene der Küste zu deren gemeinsamer Mitte und Malstatt.

Nach den Erzählungen Herodots ist das Volk, das später den Namen Dorer geführt, aus Thessalien gedrängt, an den Pindus in das Tal des Haliakmon gezogen und hat dort den Namen Makedonen geführt. Andere Sagen lassen Argeas, den Stammvater der Makedonen, von Argos in der Orestis, am Quellgebiet des Haliakmon, ausziehen, und erklären damit den Namen Argeaden, mit dem das Königshaus wohl genannt wird. Nach anderer Überlieferung, die dann die landesübliche wurde, waren drei Brüder, Herakliden aus dem Fürstengeschlecht von Argos, das vom Temenos abstammt, nach Norden zu den Illyriern, dann weiter in das obere Land Makedoniens gekommen, hatten sich dann in Edessa festgesetzt, an den mächtigen Kaskaden, mit denen die Wasser in die weite, fruchtreiche Küstenlandschaft treten. Hier in Edessa, das auch Aigai genannt wird, habe Perdikkas, der jüngste der drei Brüder, das Königtum begründet, das dann in allmählichem Wachstum die nächstgelegenen Landschaften Emathia, Mygdonia, Bottiäa, Pieria, Amphaxitis in dem Namen der Makedonen vereinigte.

Sie gehörten zu denselben pelasgischen Stämmen, die einst alles hellenische Land innegehabt hatten, und von denen auch andere später den Hellenen, hinter deren Entwicklung sie zurückgeblieben, als Barbaren oder Halb-Barbaren erschienen. Die Religion, die Sitte der Makedonen bezeugt diese Gemeinschaft; mögen immerhin an den Grenzen Vermischungen mit illyrischen, mit thrakischen Stämmen stattgefunden haben, die makedonische Sprache erweist sich als den älteren Dialekten der hellenischen nahestehend.

Bis in die späte Zeit ist in der makedonischen Kriegsverfassung der Name der Hetairen in Übung geblieben. War derselbe, wie wohl nicht zu zweifeln, mit der Gründung des Königtums in das Land gekommen, so hatten die makedonischen Herakliden das gleiche Los mit ihren Vorfahren in dem Peloponnes, in ein fremdes Land eingewandert, ihre Macht und ihr Recht auf die Unterwerfung der dort Altheimischen gründen zu müssen, nur daß hier mehr als in einem anderen dorischen Lande das Alte mit dem Neuen sich mischte und zu einem Ganzen verschmolz, welches die Frische, aber auch die rohe Derbheit der Väter, man möchte sagen die Heroenzeit in ihrer unpoetischen Gestalt, bewahrte. Es gab da Sitten höchst altfränkischer Art. Wer noch keinen Feind getötet, mußte den Halfter umgegürtet tragen; wer noch keinen Eber im freien Anlauf erlegt hatte, durfte beim Gastmahl nicht liegen, mußte sitzen; bei der Leichenfeier hatte des Verstorbenen Tochter den Scheiterhaufen, auf dem der Leichnam verbrannt war, auszulöschen; es wird berichtet, daß die Trophäen des ersten Sieges, den Perdikkas über die einheimischen Stämme davontrug, durch den Willen der Götter über Nacht von einem Löwen umgerissen worden, zum Zeichen, daß man nicht Feinde besiegt, sondern Freunde gewonnen habe, und seitdem sei es makedonische Sitte geblieben, über besiegte Feinde, ob Hellenen oder Barbaren, keine Trophäen zu errichten; weder Philippos nach dem Tage von Chaironeia, noch Alexander nach den Siegen über die Perser, die Inder habe es getan.

In den Jahren dieser Siege schreibt Aristoteles: ›in den hellenischen Landen habe sich das Königtum nur in Sparta, bei den Molossern und in Makedonien erhalten, bei den Spartanern und Molossern, weil es in seiner Machtvollkommenheit so beschränkt worden sei, daß die Könige nicht mehr beneidet würden‹. Während allerorten sonst das Königtum, das sich in dem niederen Volk eine Stütze zu gewinnen versäumt hatte, dem Emporkommen des Herrenstandes erlegen war, während dann gegen diesen Herrenstand selbst das niedere Volk, lange von allem Anteil an der Leitung des öffentlichen Lebens ausgeschlossen und in Druck gehalten, sich endlich aufgelehnt, die edlen Geschlechter ihrer Vorrechte beraubt und sie in das gleiche Recht des demokratischen Gemeinwesens herabgezogen hatte, war Makedonien in seiner altertümlichen Königsherrschaft geblieben, da hier die Elemente der Reibung und des Hasses in dem Verhältnis der Stände nicht zur Ausbildung kamen; ›an Reichtum und Ehre über alle hervorragend‹, blieb hier das alte Königtum.

Es gab hier Gefahren anderer Art. Das Königtum gehörte dem königlichen Geschlecht; aber die Erbfolge in demselben war nicht so fest normiert, daß sie jeden Zweifel und Hader im voraus ausgeschlossen hätte. Je freier hier die königliche Gewalt blieb, um so mehr forderte sie von dem, der sie innehatte, persönliche Tüchtigkeit und Leistung; und nur zu oft geschah es, daß Unmündige, Unfähige, Lässige dem tüchtigeren Bruder oder Vetter weichen mußten; so hat nach Alexandros I. des Philhellenen Tod dessen jüngerer Sohn Perdikkas II. nicht geruht, als bis er seine älteren Brüder Amyntas, Philippos, Alketas zur Seite geschoben hatte; so hat Perdikkas Sohn Archelaos, der in unrechtmäßiger Ehe geboren war, den rechtmäßigen Erben verdrängt und, ehe er heranwuchs, ermordet. In anderen Fällen gab die Vormundschaft, die geordnete Form der Prostasie, die Handhabe zur Usurpation.

Dazu noch ein anderes; mehrere Beispiele zeigen, daß jüngeren Söhnen des Königs, auch wohl Fremden, Teile des Landes zu eigenem erblichen Besitz abgetreten wurden, gewiß unter der Oberhoheit des Königs, aber doch mit so fürstlicher Befugnis, daß sie auch zu Waffendienst aufbieten und eigene Truppen halten durften. So hatte der jüngere Bruder des Philhellenen Alexandros, Arrhidaios, das Fürstentum Elymiotis im oberen Lande erhalten, und es blieb in dessen Geschlecht; so des Perdikkas Bruder Philippos ein Gebiet am oberen Axios. Das Königtum konnte nicht erstarken, wenn es diese Fürstenlinien nicht in Parition zu halten vermochte, zumal solange die Paionen, die Agrianer, die Lynkestier, andere Grenzgebiete unter selbständigen Fürsten ihnen Rückhalt gaben. Zuerst Alexandros der Philhellene, in der Zeit der Perserkriege, scheint die Lynkestier, die Paionen, die Oresten, die Tymphaier zur Anerkennung der makedonischen Oberhoheit gezwungen zu haben; aber die Fürsten dort behielten ihren Fürstenstand und damit ihre fürstlichen Güter.

Von der Verfassung und Verwaltung Makedoniens ist zu wenig überliefert, als daß man sagen könnte, wieweit sich des Königs Macht erstreckt habe. Wenn König Archelaos im letzten Jahrzehnt des peloponnesischen Krieges eine Fülle neuer Einrichtungen schaffen, wenn König Philipp II. das Münzwesen seines Landes, das bis dahin höchst ungleichartig gewesen war, neugestalten, wenn er ein völlig neues Heerwesen schaffen konnte, so muß das Königtum eine sehr weitgehende Befugnis normativer Verordnung gehabt haben. Aber gewiß bestimmte, was Recht sei, die Gewohnheit und das Herkommen, ergänzte den Mangel der Verfassung. Man wird sagen dürfen, daß das Königtum ebenso weit von asiatischer Despotie, wie das Volk von Leibeigenschaft und sklavischer Unterwürfigkeit war; ›die Makedonen sind freie Männer‹, sagt ein alter Schriftsteller, nicht Penesten, wie die Masse des Volkes in Thessalien, nicht Heloten, wie im spartanischen Lande, sondern ein Bauernvolk, gewiß nicht ohne freien und erblichen Besitz, gewiß nicht ohne Gemeindeverfassung mit Ortsversammlung und Ortsgericht, alle zu den Waffen pflichtig, wenn der König das Land aufruft. Noch in später Zeit gilt das Heer als versammeltes Volk, wird zur Volksversammlung berufen zu Beratung und Gericht.

In diesem Heere tritt deutlich ein zahlreicher Adel hervor unter dem Namen der ›Hetairen‹, der Kriegsgesellen, wie ihn schon die homerischen Gesänge kennen. Diesen Adel wird man kaum als Herrenstand bezeichnen dürfen; was ihn auszeichnete, war wohl nur größeres Besitztum, die Erinnerungen edler Abstammung, nähere Beziehung zur Person des Königs, der treue Dienste mit Ehren und Geschenken belohnte. Selbst die Familien von fürstlichem Adel, die früher in den oberen Landschaften selbständige Herrschaft gehabt und, nachdem sie von dem mächtigeren Königtum Makedoniens abhängig geworden, doch den Besitz ihres früheren Territoriums behalten hatten, traten wohl mit ihrem Volk in die Verhältnisse ein, welche für das Königsland galten. Größere Städte in hellenischem Sinn gab es in diesem Bauern- und Adelslande nicht; die an der Küste liegenden waren hellenische Kolonien, selbständige Gemeinwesen, im bewußten Gegensatz gegen das Binnenland.

Gegen die Zeit der Perserkriege, namentlich unter dem ersten Alexandros, ›dem Philhellenen‹, wie Pindar ihn nennt, begannen lebhaftere Beziehungen Makedoniens zum Griechentum. Schon dessen Vater hatte dem aus Athen geflüchteten Hippias, Peisistratos' Sohn, Zuflucht und Besitz in seinem Lande angeboten. Alexandros selbst, der dem Heere der Perser nach Hellas folgen mußte, tat was er konnte – man erinnere sich der Schlacht bei Platää – den Hellenen hilfreich zu sein; ihm wurde auf Grund seiner nachgewiesenen Abstammung von den Temeniden von Argos die Zulassung zu den olympischen Wettkämpfen gewährt, die Anerkennung, daß er Hellene sei.

»Wie er, so waren seine nächsten Nachfolger, mit mehr oder minder Geschick und Kraft darauf gewandt, ihr Land in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Verkehr, dem politischen Leben und der Bildung des Griechentums zu bringen. Die Nähe der reichen und handelskundigen Kolonien in Chalkidike, die durch sie veranlaßten vielfältigen Berührungen mit den Hauptmächten von Hellas, die um deren Besitz kämpften und den Einfluß Makedoniens suchten oder fürchteten, die fast ununterbrochenen Kämpfe in Hellas selbst, welche manchen berühmten Namen die Heimat zu meiden und an dem reichen Hofe von Pella Ruhe und Ehre zu suchen veranlaßten, das alles begünstigte die Fortschritte Makedoniens.

Vor allen wichtig und erfolgreich war die Zeit des Königs Archelaos; während das übrige Hellas von dem peloponnesischen Kriege verwirrt und zerrissen wurde, schritt unter seiner umsichtigen Leitung Makedonien rasch vorwärts; er baute feste Plätze, deren bisher das Land entbehrt hatte; er legte Straßen an; er entwickelte die begonnene Ordnung des Heerwesens; ›er tat in allem‹, sagt Thukydides, ›mehr für Makedonien, als die acht Könige vor ihm‹. Er stiftete Festspiele nach Art der hellenischen, die bei Dion, unfern dem Grabe des Orpheus, dem olympischen Zeus und den Musen gefeiert wurden, gymnische und musische. Sein Hof, der Sammelplatz von Dichtern und Künstlern aller Art und der Vereinigungspunkt des makedonischen Adels, wurde das Vorbild für das Volk und dessen fortschreitende Entwicklung; Archelaos selbst galt in dem Munde der Zeitgenossen für den reichsten und glücklichsten Menschen von der Welt.

Nach ihm begann schwerer als zuvor innerer Hader, vielleicht von einer Reaktion gegen die Neuerungen der sich sammelnden Königsmacht veranlaßt oder geschürt, gerichtet zugleich gegen die neue Bildung und Sitte, für die das Königtum eingetreten war; Tendenzen, die der Lage der Sache nach in den Fürstengeschlechtern und einem Teil der Hetairen ihre Träger fanden, und von der Politik der leitenden Staaten in Hellas bestens gefördert wurden, während die Masse des Volkes, so scheint es, dabei gleichgültig blieb.

Schon gegen König Archelaos hatte sich der Lynkestier Fürst Arrhabaios in Verbindung mit dem elymiotischen Sirrhas in Waffen erhoben, vielleicht unter dem Vorwand, die Beseitigung des echten Erbfolgers zu rächen, vielleicht für Amyntas, des Arrhidaios Sohn, den nächstberechtigten aus dem königlichen Hause. Archelaos hatte den Frieden damit erkauft, daß er seine Töchter, die ältere dem Sirrhas, die jüngere dem Amyntas vermählte. Dann wurde er, wie es heißt, durch Zufall auf der Jagd getötet. Ihm folgte sein unmündiger Sohn Orestes 399 unter Vormundschaft des Aeropos; aber der Vormund ermordete ihn, wurde selbst König. Aeropos ist gewiß der Sohn jenes Arrhabaios, aus dem bakchiadischen Fürstengeschlecht der Lynkestis an der Grenze der Illyrier, mit deren Hilfe seine Vorfahren so oft gegen die Könige von Makedonien gekämpft hatten; was Aeropos, seine Söhne und Enkel in den folgenden sechzig Jahren getan, bezeichnet sie als die steten Gegner der neuen monarchischen Tendenzen des Königshauses, als Vertreter des althergebrachten loseren Zustandes. Immer neue Empörungen und Thronwechsel sind der Beweis für das Ringen des Königsgeschlechtes und der partikularistischen Richtungen.

Aeropos verstand das Königtum zu behaupten; aber als er 392 starb, bemächtigte sich Amyntas der Kleine der Gewalt, ihn ermordete Derdas 391, und des Aeropos Sohn Pausanias wurde König. Wieder diesen verdrängte jener Amyntas, des Arrhidaios Sohn (390-369); die älteste Linie des Königshauses trat mit ihm wieder in ihr Recht.

Die Jahre seiner Regierung sind voller Wirren, die das zerrüttete Makedonien zur leichten Beute jedes Überfalles zu machen schienen. Vielleicht von den Lynkestiern herbeigerufen, brachen die Illyrier verheerend in das Land, besiegten des Königs Heer, zwangen ihn selbst zur Flucht über die Grenzen. Zwei Jahre lang hatte Argaios das Königtum inne, ob aus dem Königshause, ob ein Bruder des Pausanias, ob ein Lynkestier, muß dahingestellt bleiben. Aber mit thessalischer Hilfe kam Amyntas zurück, gewann das Königtum wieder, freilich in elendem Zustande; die Städte, die Landschaften an der Küste waren in der Gewalt der Olynthier, selbst Pella schloß dem Könige die Tore. Daß er sich mit Eurydike vermählte, die beiden Fürstenhäusern, dem von Elymais und von Lynkestis, angehörte, mag geschehen sein, um endlich Versöhnung zu schaffen.

Es folgten die Wirkungen des antalkidischen Friedens, der Zug der Spartaner gegen Olynthos; Amyntas schloß sich dem Zuge an, auch Derdas, der Fürst der Elymiotis, folgte mit 400 Reitern. Aber man kam nicht so bald zum Ziel; Derdas wurde gefangen. Und nachdem endlich (380) Olynth gebrochen war, erhob sich Theben, es folgten Spartas Niederlagen bei Naxos, bei Leuktra; Olynth erneute den Chalkidischen Bund; Jason von Pherai vereinte die Macht Thessaliens, nötigte, wie Alketas von Epiros, so Amyntas III. in seinen Bund zu treten; an der Schwelle großer Erfolge wurde er ermordet (370). Der schwache Amyntas hätte sich seiner Oberhoheit nicht zu erwehren vermocht. Er starb wenig später; ihm folgte der älteste seiner drei Söhne, Alexandros II.; von seiner Mutter, der Lynkestierin, kam ihm ein rasches Verderben. Sie hatte schon lange geheime Buhlschaft mit Ptolemaios, aus unbekanntem Geschlecht, dem Mann ihrer Tochter, gehabt; sie veranlaßte ihn, während Alexandros, von den Thessaliern zu Hilfe gerufen, glücklich kämpfte, die Waffen gegen ihn zu erheben; er behauptete gegen den Heimeilenden das Feld; dann eilte Theben, sich einzumischen, es galt Makedonien zu lähmen, bevor es weitere Erfolge in Thessalien gewann; Pelopidas stiftete einen Vergleich, nach dem Alexandros dreißig Edelknaben als Geiseln stellte, Ptolemaios, so scheint es, ein Teilfürstentum mit der Stadt Aloros – nach dieser wird er genannt – erhielt. Ein Vergleich, der nur gemacht schien den König sicherer zu verderben; während eines festlichen Tanzes wurde er ermordet, und dem Mörder gab die Mutter ihre Hand und, unter dem Namen der Vormundschaft für ihre jüngeren Söhne Perdikkas und Philippos, das Königtum (368-365). Gegen ihn erhob sich, von vielen Makedonen gerufen, von der Chalkidike kommend, Pausanias und machte rasche Fortschritte; Eurydike flüchtete mit ihren beiden Kindern zum Iphikrates, der mit attischer Macht in der Nähe war; er schlug den Aufstand nieder. Aber fester stand darum Ptolemaios nicht; die Ermordung Alexanders war ein Bruch des Vertrages mit Theben; an Pelopidas, der mit einem Heere in Theben stand, wandten sich die Freunde des Ermordeten; er kam mit einem rasch geworbenen Heere; aber des Ptolemaios Gold zerrüttete es; Pelopidas begnügte sich, einen neuen Vertrag mit ihm zu schließen; als Pfand seiner Treue stellte Ptolemaios 50 Hetairen und seinen Sohn Philoxenos; vielleicht war es bei diesem Anlaß, daß auch Philippos nach Theben kam.

Aber Perdikkas III., sowie er herangewachsen war, rächte den Mord seines Bruders mit dem Morde des Usurpators. Sich dem Einfluß Thebens zu entziehen, hielt er sich zu Athen, kämpfte an Timotheos Seite mit Ruhm gegen die Olynthier. Dann aber brachen, vielleicht von den Lynkestiern aufgerufen, die Illyrier über die Grenze herein; er kämpfte anfangs glücklich gegen sie, dann in einer großen Schlacht fanden er und viertausend Mann den Tod; das Land wurde weithin von den Illyriern verwüstet, die Paionen brachen von Norden ins Land.

Unter solchen Umständen übernahm Philippos das Regiment 359, zunächst für des Perdikkas unmündigen Sohn Amyntas. Er war schon – wohl seit des Ptolemaios Ende – im Lande; nach einem Vergleich, zu dem Platon dem Perdikkas geraten haben soll, war ihm ein Teilfürstentum zugewiesen worden; die Truppen, die er dort hielt, gaben ihm einen ersten Anhalt. Die Gefahren waren furchtbar; die Illyrier, die Paionen standen im Lande, es kamen die älteren Prätendenten Argaios, Pausanias von Athen, von dem Thrakerkönig unterstützt; drei Bastardsöhne seines Vaters forderten das Königtum. Von dem breiteren Willen des Landes unterstützt, überstand Philipp die erste Not; mit Vorsicht, Gewandtheit, Entschlossenheit, rettete er das Reich vor den Illyriern, Thrakern, Paionen, das Königtum vor den Prätendenten, das königliche Haus vor neuen Intrigen und Verwirrungen. Und als die Athener, die die Torheit gehabt hatten, der gemeinsamen Sache wider ihn für seine Anerkennung ihres Anspruchs auf Amphipolis den Rücken zu kehren, über seine Erfolge in Sorge gerieten und mit den Fürsten von Illyrien, Thrakien, Painonien ein Schutz- und Trutzbündnis schlossen, damit Barbareneinbrüche von drei Seiten zugleich die Macht Makedoniens brächen, ehe sie völlig gesammelt wurde und erstarkte, da war Philipp – schon hatte er Amphipolis genommen und die Bürgerschaft gewonnen – rasch an den Grenzen, und die Barbaren, die noch lange nicht zum Werk fertig waren, mußten eilen, sich zu unterwerfen.

Um 356 waren die Grenzen gegen die Barbaren bis auf weiteres gesichert. In kurzem schwanden die Parteien am Hofe; von der Partei der Lynkestier war Ptolemaios und Eurydike tot; einer von den Söhnen des Aeropos, Alexandros, wurde später durch Vermählung mit des treuen Antipatros' Tochter, die beiden anderen Heromenes und Arrhabaios durch andere Gnaden gewonnen, Arrhabaios Söhne Neoptolemos und Amyntas am Hofe erzogen. Die beiden Prätendenten Argaios und Pausanias verschwinden in der geschichtlichen Überlieferung. Den rechtmäßigen Thronerben endlich, des Perdikkas Sohn Amyntas, in dessen Namen Philipp im Anfange die Regierung geführt hatte, knüpfte er, als er erwachsen war, durch die Vermählung mit seiner Tochter Kynane an sein Interesse.

So war Makedonien in der Hand eines Fürsten, der mit Planmäßigkeit und Gewandtheit die Kräfte seines Reiches zu entwickeln, zu benutzen und bis zu dem Grade zu erhöhen verstand, daß sie dem großen Gedanken, an der Spitze des Griechentums gegen die Persermacht in die Schranken zu treten, schließlich gewachsen waren. In den geschichtlichen Überlieferungen, wie sie uns vorliegen, sind über die staunenswürdigen Erfolge des Königs die Machtelemente, durch welche sie errungen wurden, vergessen; und während sie die Hand, die einen Staat Griechenlands nach dem andern zu sich herüberzog, in jedem einzelnen ihrer schlauen Griffe beobachten, lassen sie uns über den Körper, dem diese Hand angehört und dem sie ihre Kraft und Sicherheit dankt, fast völlig im Dunkeln; das verführerische Gold, das sie dieselbe Hand zeigen und zur rechten Zeit spenden lassen, erscheint fast als das einzige oder doch wesentliche Mittel, mit dem Philipp gewirkt.

Faßt man das innere Leben seines Staates näher ins Auge, so treten deutlich zwei Momente hervor, die, schon früher angeregt, aber durch Philipp erst zu ihrer ganzen Bedeutung entwickelt, die Basis seiner Macht wurden.

»Mein Vater«, sagt Alexander bei Arrian zu den unzufriedenen Makedonen, in Opis 324, »übernahm euch, als er König wurde, umherziehend, mittellos, die meisten in Felle gekleidet, auf den Bergen Schafe weidend und elend genug zu deren Schutz gegen die Illyrier, Thraker und Triballer kämpfend; er hat euch die Chlamys der Soldaten gegeben, euch in die Ebene hinabgeführt, euch gelehrt den benachbarten Barbaren im Kampf gewachsen zu sein.« Gewiß war früher schon, wenn es Krieg gab, jeder wehrhafte Mann ausgezogen, um nach Beendigung des Krieges wieder zu seinem Pflug oder zu seiner Herde zurückzukehren. Die Gefahren, unter denen Philipp die Regierung übernahm, die Kämpfe, mit denen er namentlich in den ersten Jahren seiner Regierung sein von allen Seiten bedrohtes Land zu schützen hatte, gaben Veranlassung, das, was schon König Archelaos begonnen, vielleicht die dann folgenden inneren Wirren wieder zerrüttet hatten, wieder aufzunehmen und weiter zu entwickeln. Auf Grund seiner Kriegspflicht schuf er ein Nationalheer, das, fort und fort gesteigert, schließlich wohl vierzigtausend Mann zählte.

Er verstand nicht bloß, es zu formieren, sondern ihm Zucht und militärische Tüchtigkeit zu geben. Es wird berichtet, daß er den unnützigen Troß, die Bagagewagen des Fußvolkes abschaffte, den Reitern nur je einen Pferdeknecht gestattete, daß er oft, auch in der Sommerhitze, marschieren, oft Märsche von sechs bis sieben Meilen, mit vollem Gepäck und Proviant für mehrere Tage, machen ließ. So strenge war die Zucht des Heeres, daß in dem Kriege von 338 zwei hohe Offiziere, die sich eine Lautenschlägerin mit ins Lager gebracht hatten, kassiert wurden. Mit dem Dienst selbst entwickelte sich die feste Ordnung von Befehlenden und Gehorchenden und eine Stufenfolge des Ranges, in der nur Verdienst und anerkannte Tüchtigkeit steigen ließ.

Die Erfolge dieser Militärverfassung zeigten sich bald. Sie bewirkte, daß sich die verschiedenen Landschaften des Reiches als ein Ganzes, die Makedonen ein Volk fühlen lernten; sie machten es möglich, daß die neugewonnenen Gebiete mit dem alten Makedonien zusammenwuchsen. Vor allem, sie gab in dieser Einheit und in dem militärischen Typus, der fortan vorherrschend wurde, dem makedonischen Volk das Selbstgefühl kriegerischer Tüchtigkeit und die ethische Kraft fester Ordnung und Unterordnung, deren Spitze der König selbst war. Und wieder ihm bot für seine Zwecke das Bauernvolk seines Landes ein fügsames und derbes Material, der Adel der Hetairen die Elemente zu einem Offizierstande voll Ehrgefühl und Wetteifer sich auszuzeichnen. Ein Heer dieser Art mußte den Söldnerhaufen oder gar dem herkömmlichen Bürgeraufgebot der hellenischen Staaten, ein Volkstum von dieser Derbheit und Frische dem überbildeten in Demokratie und städtischem Leben überreizten oder abgestumpften Griechentum überlegen sein. Die Gunst des Schicksals hatte diesem makedonischen Lande die alte Kraft und Art erhalten, bis es demselben zuteil wurde, sie in großen Aufgaben zu bewähren; sie hatte hier in dem Kampf des Königtums mit dem Adel nicht, wie in Hellas Jahrhunderte früher, dem trotzigen Herrenstande, sondern dem Königtum den Sieg gegeben. Und dies Königtum eines freien und kräftigen Bauernvolkes, diese militärische Monarchie gab jetzt dem Volk die Form, die Kraft und Richtung, welche auch die Demokratien in Hellas wohl als wesentlich erkannt, aber festzuhalten und zu dauernden Organisationen zu entwickeln nicht vermocht hatten.

Dagegen mußte die Bildung, das eigenste Ergebnis des hellenischen Lebens, ganz und völlig dem makedonischen Volksleben gegeben, so das schon von früheren Fürsten Begonnene fortgesetzt werden. Das Vorbild des Königs und seines Hofes war hier von der größten Wichtigkeit, und der Adel des Landes trat bald in die ebenso natürliche wie wirksame Stellung, den gebildeten Teil der Nation auszumachen; ein Unterschied, der sich in solcher Art in keinem der griechischen Hauptstaaten zu entwickeln vermocht hatte, indem die Spartaner alle roh und den Heloten und Perioiken ihres Landes gegenüber nur Herren waren, die freien Athener aber sich wenigstens selbst ohne Ausnahme für höchst gebildet hielten, während anderen Ortes freilich mit der Demokratie der Herrenstand aufgehört hatte, aber um mit dem Unterschiede von reich und arm das Niveau des geistigen Lebens desto sicherer sinken zu machen.

Philipp hatte in den Tagen des Epaminondas in Theben gelebt; ein Schüler des Piaton, Euphraios von Oreos, hatte früh auf sein Schicksal Einfluß gehabt; ihn selbst nennt Isokrates einen Freund der Literatur und der Bildung; daß er Aristoteles zum Lehrer seines Sohnes berief, bezeugt es. Er sorgte, so scheint es, durch Einrichtung von Lehrvorträgen aller Art, die zunächst für die Edelknaben in seiner Umgebung bestimmt waren, für die Bildung des jungen Adels, den er so viel als möglich an den Hof zu ziehen, an seine Person zu fesseln und für den unmittelbaren Dienst des Königtums vorzuüben suchte. Als Edelknaben und bei reiferer Jugend in den Scharen der Hetairen als Leibwächter (Somatophylakes) des Königs, als Kommandierende bei den verschiedenen Abteilungen des Heeres, in Gesandtschaften an hellenische Staaten, wie sie so häufig vorkamen, hatte der Adel Gelegenheit genug sich auszuzeichnen oder den Lohn für geleistete Dienste zu empfangen; überall aber bedurfte er jener Bildung und attischen Sitte, wie sie der König wünschte und selbst besaß. Sein eifrigster Gegner mußte gestehen, daß Athen kaum einen an feiner Geselligkeit ihm Ähnlichen aufzuweisen habe; und wenn es an seinem Hofe für gewöhnlich nach der derben makedonischen Art mit Gelagen und Lärm und Trunkenheit herging, ›kentaurenhaft, laistrygonenhaft‹, wie Theopomp es mit Verachtung schildert, so waren die Hoffeste, der Empfang fremder Gesandtschaften, die Feier der großen Spiele desto glänzender nach hellenischer Art und Geschmack, alles prächtig und großartig, nichts kleinlich und karg. Die Domänen des Königshauses, die Grundsteuern des Landes, die Zölle der Häfen, die Bergwerke am Pangaion, die jährlich an tausend Talent Ertrag gaben, vor allem die Ordnung und Wirtschaftlichkeit der Verwaltung, die Philippos durchgeführt, machten sein Königtum so überlegen, wie es in der hellenischen Welt nur einmal vorgekommen war, in der perikleischen Zeit Athens.

Selbst attischen Gesandten konnte der Hof von Pella mit seiner Opulenz, seinem militärischen Glanz, dem Adel, der dort versammelt war, wohl imponieren. Mehrere dieser edlen Geschlechter, wie schon bemerkt, waren fürstlichen Ursprungs; so das Bakchiadengeschlecht von Lynkestis; so das Geschlecht des Polysperchon, fürstlich im typhäischen Lande; so das des Orontes, dem die Landschaft Orestis gehört zu haben scheint; des Orontes älterer Sohn Perdikkas erhielt die Führung der Phalanx von Orestis, derselben, wie es scheint, welche demnächst, als er selbst Hipparch wurde, an seinen Bruder Alketas überging. Das bedeutendste unter diesen fürstlichen Geschlechtern, eine Seitenlinie des Königshauses, war das von Elymiotis, entstammt von dem oben erwähnten Fürsten Derdas aus der Zeit des peloponnesischen Krieges; um das Jahr 380 hatte ein zweiter Derdas den Besitz des Landes und war damals, mit Amyntas von Makedonien und den Spartanern verbündet, gegen Olynth gezogen; später, um 350, wird er als von den Olynthiern gefangen erwähnt. Wenn Philippos dessen Schwester Phila zur Gemahlin genommen hat, so wird er damit ihn fester an sich zu ketten oder ein Zerwürfnis auszugleichen bezweckt haben. Des Derdas Brüder Machatas und Harpalos werden in des Königs Umgebung erwähnt. Aber es blieb zwischen Philipp und dieser Familie stete Spannung, die nicht immer geschickt genug verhehlt und von dem Könige vielleicht absichtlich erhalten wurde, um durch zweifelhafte Gunst sie etwas fern und in Besorgnis zu halten. Kaum konnte Machatas in einer Rechtssache, in welcher der König zu Gericht saß, einen gerechten Spruch erlangen, und Philipp unterließ nicht, eine Unrechtlichkeit, die ein Verwandter des Hauses sich hatte zu Schulden kommen lassen, zur öffentlichen Kränkung der Familie zu benutzen; die Bitten, die des Machatas Bruder Harpalos für ihn einlegte, wurden nicht ohne Schärfe zurückgewiesen.

Von den zahlreichen edlen Geschlechtern, die an dem Hofe von Pella versammelt waren, verdienen zwei wegen ihrer besonderen Wichtigkeit Erwähnung, das des Jollas und des Philotas. Philotas Sohn war jener treue und besonnene Feldherr Parmenion, dem Philipp wiederholentlich die Führung der wichtigsten Expeditionen anvertraute; ihm dankte er den Sieg über die Dardaner 356, durch ihn ließ er 343 Euböa besetzen; Parmenions Brüder Asandros und Agathon, noch mehr seine Söhne Philotas, Nikanor und Hektor nahmen später bedeutenden Anteil an dem Ruhme des Vaters; seine Töchter verbanden sich mit den vornehmsten Söhnen des Landes: die eine mit Koinos, dem Phalangenführer, die andere mit Attalos, dem Oheim einer späteren Gemahlin des Königs. In nicht minder einflußreicher und ehrenvoller Stellung war des Jollas Sohn Antipatros oder, wie ihn die Makedonen nannten, Antipas; das bezeichnet des Königs Wort: ›ich habe ruhig geschlafen, denn Antipas wachte‹; seine erprobte Treue und die nüchterne Klarheit, mit der er militärische wie politische Verhältnisse auffaßte, machten ihn für das hohe Amt eines Reichsverwesers, das er bald genug einnehmen sollte, vollkommen geeignet; die Vermählung mit seiner Tochter schien das sicherste Mittel, die hohe Familie der Lynkestier zu gewinnen; seine Söhne Kassandros, Archias und Jollas erhielten später Bedeutung.

So der Hof, so die Nation, wie sie durch Philipp gestaltet waren; man darf hinzufügen, daß das monarchische Element in dem makedonischen Staatsleben ebenso durch die geschichtliche Stellung dieses Staates, wie durch die Persönlichkeit Philipps ein entschiedenes Übergewicht erhalten mußte. Erst in dem Ganzen dieses Zusammenhanges ist des Königs Charakter und Handlungsweise begreiflich. In dem Mittelpunkte von Widersprüchen und Gegensätzen der eigentümlichsten Art, Grieche im Verhältnis zu seinem Volke, Makedone für die Griechen, war er jenen um die hellenische List und Hinterlist, diesen um die makedonische Derbheit und Tatkraft voraus, beiden überlegen an scharfer Fassung seiner Ziele, an folgerichtiger Durchführung seiner Entwürfe, an Verschwiegenheit und Raschheit in der Ausführung. Er verstand seinen Gegnern stets ein Rätsel zu sein, ihnen immer anders, an anderer Stelle, in anderer Richtung zu erscheinen, als sie erwarteten. Von Natur zu Wollust und Genuß geneigt, war er in seinen Neigungen ebenso rücksichtslos wie unbeständig; oft schien er von seinen Leidenschaften völlig beherrscht zu werden und war doch in jedem gegebenen Fall ihrer völlig Herr, so nüchtern und kalt, wie es seine Zwecke forderten; und man kann zweifeln, ob in seinen Tugenden oder in seinen Fehlern mehr sein eigenstes Wesen hervortrat. In ihm stellt sich die Bildung seines Zeitalters, ihre Glätte, Klugheit, Frivolität, ihre Verbindung von großen Gedanken und raffinierter Geschmeidigkeit wie in einem Bilde dar.

Das entschiedene Gegenteil von ihm war seine Gemahlin Olympias, die Tochter des Epirotenkönigs Neoptolemos, aus dem Geschlechte Achills; Philipp hatte sie in seinen jungen Jahren bei der Mysterienfeier auf Samothrake kennengelernt und sich mit Einwilligung ihres Vormundes und Oheims Arybbas mit ihr vermählt. Schön, verschlossen, voll tiefer Gluten, war sie dem geheimnisvollen Dienste des Orpheus und Bacchos, den dunklen Zauberkünsten der thrakischen Weiber eifrigst ergeben; in den nächtlichen Orgien, so wird berichtet, sah man sie vor allen in wilder Begeisterung, den Thyrsos und die Schlange schwingend, durch die Berge stürmen; ihre Träume wiederholten die phantastischen Bilder, deren ihr Gemüt voll war; sie träumte in der Nacht vor der Hochzeit, es umtose sie ein mächtiges Gewitter, und der Blitz fahre flammend in ihren Schoß, daraus dann ein wildes Feuer hervorbreche und in weit und weiter zehrenden Flammen verschwinde.

Wenn die Überlieferung sagt, daß außer vielen anderen Zeichen in der Nacht, da Alexander geboren wurde, der Artemistempel zu Ephesos, mit seinem Megabyzos an der Spitze seiner Verschnittenen und Hierodulen den Hellenen ein echt morgenländisches Heiligtum, niedergebrannt sei, daß ferner der König Philipp die Nachricht von der Geburt des Sohnes zu gleicher Zeit mit drei Siegesbotschaften erhielt, so spricht sie sagenhaft den Sinn des reichsten Heldenlebens und den großen Gedanken eines Zusammenhanges aus, wie ihn die Forschung nachzuweisen sich oft umsonst bemüht und öfter überhoben hat.

Von König Philipp sprechend, sagt Theopompos: ›nie hat, alles in allem gerechnet, Europa einen solchen Mann getragen, wie den Sohn des Amyntas‹. Aber das Werk, in dem er das Ziel seines Lebens sah, zu vollbringen, fehlte ihm, dem rechnenden, nüchternen, mit unverdrossener Arbeit sich mühenden, ein letztes Etwas, das auf seinem Wege nicht lag. Er mag jenen Gedanken als Mittel ergriffen haben, die Griechenwelt zu einigen, den Blick seiner Makedonen hoch und höher zu heben; es war der Gedanke, den die Bildung, die Geschichte des Griechentums ihm gab; die Notwendigkeit der Verhältnisse, an denen er so lange, so schwer zu ringen hatte, trieb ihn zu diesem Gedanken, nicht die Notwendigkeit und die unwiderstehliche Macht dieses Gedankens zu dessen Ausführung; man möchte zweifeln, ob er an ihn glaubte, wenn man ihn in immer neuen Vorbereitungen zögern und zur Seite lenken sieht; gewiß waren diese erforderlich; aber den Ossa auf den Pelion türmend, erreicht man den Olymp der Götter doch nicht. Wohl sah er jenseits des Meeres das Land der Siege und der Zukunft Makedoniens; dann aber trübte sich sein Blick, und seine Pläne umwölkten sich mit den unbestimmten Gestaltungen seiner Wünsche. Dasselbe Verlangen nach dem großen Werke teilte von ihm sich seinen Umgebungen, dem Adel, dem gesamten Volke mit, es wurde der stets durchklingende Grundton des makedonischen Lebens, das lockende Geheimnis der Zukunft: man kämpfte gegen die Thraker und siegte über die Griechen; aber der Orient war das Ziel, für das man kämpfte und siegte.

Unter solchen Umgebungen verlebte Alexander seine Kinderjahre, und früh genug mögen die Sagen vom Morgenlande, vom stillen Goldstrom und dem Sonnenquell, dem goldnen Weinstock mit smaragdenen Trauben, und der Nysawiese des Dionysos des Knaben Seele beschäftigt haben; dann wuchs er heran und hörte von den Siegen bei Marathon und Salamis, und von den heiligen Tempeln und Gräbern, die der Perserkönig mit seinen Sklavenheeren zerstört und geschändet habe, und wie damals auch sein Ahnherr, der erste Alexandros, den Persern Erde und Wasser habe darbringen, ihnen Heeresfolge gegen die Hellenen leisten müssen, wie nun Makedonien nach Asien ziehen und die Ahnen rächen werde. Als einst Gesandte aus der persischen Königsburg nach Pella kamen, fragte er sie sorgsam nach den Heeren und Völkern des Reichs, nach Gesetz und Brauch, nach Verfassung und Leben der Völker; die Perser erstaunten über den Knaben.

Von nicht minderer Wichtigkeit war, daß Aristoteles, der größte Denker des Altertums, des Heranwachsenden Lehrer wurde. Philipp soll bei der Geburt seines Sohnes ihn darum ersucht, er soll ihm geschrieben haben: ›nicht daß er geboren ist, sondern daß er in deinen Tagen geboren ist, macht mich froh; von dir erzogen und gebildet, wird er unserer würdig und der Bestimmung, die einst sein Erbe ist, gewachsen sein‹. Der die Welt in Gedanken erobert hat, erzog den, der sie mit dem Schwerte erobern sollte; ihm gebührt der Ruhm, dem leidenschaftlichen Knaben die Weihe und Größe der Gedanken, den Gedanken der Größe gegeben zu haben, der ihn den Genuß verachten und die Wollust fliehen lehrte, der seine Leidenschaft adelte und seiner Kraft Maß und Tiefe gab. Alexander bewahrte für seinen Lehrer allezeit die innigste Verehrung: seinem Vater danke er nur sein Leben, seinem Lehrer, daß er würdig lebe.

Unter solchen Einflüssen bildete sich sein Genius und sein Charakter; voll Tatenlust und Ruhmbegier trauerte er wohl um die Siege seines Vaters, die ihm nichts mehr zu tun übrig lassen würden. Sein Vorbild war Achilles, aus dessen Geschlecht er sich gern entstammt zu sein rühmte, und dem er durch Ruhm und Leid ähnlich werden sollte. Wie jener seinen Patroklus, so liebte er den Freund seiner Jugend, Hephaistion; und wenn er seinen großen Ahnherrn glücklich pries, daß Homer der Nachwelt das Gedächtnis seiner Taten überliefert habe, so ist die Heldensage der morgen- und abendländischen Völker nicht müde geworden, den Namen Alexanders mit allem Wunderglanz menschlicher und übermenschlicher Größe zu schmücken. Er liebte mehr seine Mutter, als seinen Vater; von jener hatte er den Enthusiasmus und die tiefe Innigkeit des Empfindens, die ihn in der Reihe der Helden alter und neuer Zeit unterscheidet. Dem entsprach sein Äußeres: sein scharfer Gang, sein funkelnder Blick, das zurückfliegende Haar, die Gewalt seiner Stimme bekundete den Helden; wenn er ruhte, bezauberte die Milde seiner Miene, das sanfte Rot, das auf seiner Wange spielte, sein feuchtaufblickendes Auge, das ein wenig zur Linken geneigte Haupt. In ritterlichen Übungen war er vor allen ausgezeichnet; schon als Knabe bändigte er das wilde thessalische Roß Bukephalos, an welches sich kein anderer wagen wollte, und das ihm späterhin in allen seinen Kriegen als Schlachtroß diente. Die erste Waffenprobe legte er unter seines Vaters Regierung ab; er bezwang, da Philipp Byzanz belagerte, die Maider, und gründete dort eine Stadt mit seinem Namen; noch höheren Ruhm gewann er in der Schlacht von Chaironeia, die durch seine persönliche Tapferkeit gewonnen wurde. Im Jahre darauf schlug er den illyrischen Fürsten Pleurias in einer sehr hartnäckigen Schlacht. Der Vater sah, so scheint es, neidlos in dem Sohn den einstigen Vollbringer seiner Pläne; er wird nach so vielen Erschütterungen, die die Sukzession des Königshauses über das Land gebracht, über die Zukunft desselben beruhigt gewesen sein, wenn ihm zur Seite der Nachfolger stand, der den höchsten Aufgaben des Königtums gewachsen schien, dem, so soll sein Ausspruch gewesen sein, ›Makedonien zu klein sein werde‹, der ›nicht, wie er selbst, vieles, was nicht mehr zu ändern, zu bereuen haben werde‹.

Dann begannen Irrungen zwischen Vater und Sohn; Alexander sah seine Mutter von Philipp vernachlässigt, thessalische Tänzerinnen und griechische Buhlerinnen ihr vorgezogen; dann gar wählte sich der König eine zweite Gemahlin aus den edlen Töchtern des Landes, des Attalos Nichte Kleopatra. Das Beilager, so ist die Erzählung, wurde nach makedonischer Sitte glänzend und lärmend gefeiert; man trank und lachte; schon waren alle vom Wein erhitzt; da rief Attalos, der jungen Königin Oheim: »bittet die Götter, ihr Makedonen, daß sie unserer Königin Schoß segnen und dem Lande einen rechtmäßigen Thronerben schenken mögen!« Alexander war zugegen; im heftigsten Zorn schrie er ihm zu: »gelte ich dir als ein Bastard, Lästerer?« und schleuderte den Becher gegen ihn. Der König sprang wütend auf, riß das Schwert von der Seite, stürzte auf den Sohn zu, ihn zu durchbohren; der Wein, die Wut, die Wunde von Chaironeia machten seinen Schritt unsicher; er taumelte, fiel zu Boden. Die Freunde eilten Alexander aus dem Saale zu entfernen; »seht, Freunde«, sagte er beim Hinausgehen, »mein Vater will von Europa nach Asien gehen, und kann nicht den Weg von Tisch zu Tisch vollenden«. Er verließ mit der Mutter Makedonien; sie ging nach ihrer Heimat Epiros, er weiter zu den Illyriern.

Nicht lange darnach kam Demaratos, der korinthische Gastfreund, nach Pella; nach dem Gruße fragte der König, wie es unter den Hellenen aussähe, und ob sie Frieden und Eintracht hielten? Mit edler Freimütigkeit antwortete der Gastfreund: »o König, schön fragst du nach Fried' und Eintracht im hellenischen Lande, und hast dein eigen Haus mit Unfrieden und Haß erfüllt und, die dir die Nächsten und Liebsten sein sollten, von dir entfremdet!« Der König schwieg; er wußte, wie Alexander geliebt wurde, was er galt und war; er fürchtete den Hellenen Anlaß zu bösem Leumund und vielleicht zu böseren Plänen zu geben. Demaratos selbst mußte das Geschäft des Vermittlers übernehmen; bald waren Vater und Sohn versöhnt, Alexander kehrte zurück.

Aber Olympias vergaß nicht, daß sie mißehrt und verstoßen war; sie blieb in Epiros; sie drang in ihren Bruder, die Waffen gegen Philipp zu erheben, sich der Abhängigkeit von ihm frei zu machen. Sie wird auch wohl ihren Sohn zu warnen und aufzureizen nicht unterlassen haben. Anlaß zu Mißtrauen fand sich genug; Attalos und dessen Freunde standen überall voran. Als gar den Gesandten des karischen Dynasten Pixodaros, die um ein Bündnis mit Philipp warben und Verschwägerung beider Häuser vorschlugen, für des Dynasten Tochter Arrhidaios zum Gemahl angeboten wurde, des Königs Sohn von der Thessalerin, da meinte Alexander nicht anders, als daß sein Recht auf die Nachfolge in Gefahr sei. Seine Freunde stimmten bei; sie rieten, mit Entschlossenheit und höchster Eile den Plänen des Vaters entgegenzuarbeiten. Ein Vertrauter, der Schauspieler Thessalos, wurde zum karischen Dynasten gesandt: er möge doch seine Tochter nicht dem blödsinnigen Bastard preisgeben; Alexander, des Königs rechtmäßiger Sohn und einstiger Thronerbe, sei bereit, eines so mächtigen Fürsten Eidam zu werden. Philipp erfuhr die Sache und zürnte auf das heftigste; in Gegenwart des jungen Philotas, eines der Freunde Alexanders, warf er ihm die Unwürdigkeit seines Mißtrauens und seiner Heimlichkeiten vor; er sei seiner hohen Geburt, seines Glückes, seines Berufes nicht wert, wenn er sich nicht schäme, eines Karers Tochter, des Barbarenkönigs Sklavin, heimzuführen. Die Freunde Alexanders, die ihn beraten, Harpalos, Nearchos, Ptolemaios des Lagos Sohn, die Brüder Erigyios und Laomedon, wurden vom Hofe und aus dem Lande verwiesen, Thessalos Auslieferung in Korinth gefordert.

So kam das Jahr 336. Die Rüstungen zum Perserkriege wurden mit der größten Lebhaftigkeit betrieben, die Kontingente der Bundesstaaten aufgerufen, nach Asien eine bedeutende Heeresmacht unter Parmenion und Attalos vorausgesendet, die Plätze jenseits des Hellesponts zu besetzen und die hellenischen Städte zu befreien, dem großen Bundesheere den Weg zu öffnen. Seltsam genug, daß der König so seine Macht zersplitterte, doppelt seltsam, daß er einen Teil derselben, der nicht auf alle Fälle stark genug war, daran gab, ehe er der politischen Verhältnisse daheim völlig sicher war. Ihm entgingen die Bewegungen in Epiros nicht; sie schienen einen Krieg in Aussicht zu stellen, der nicht bloß den Perserzug noch mehr zu verzögern drohte, sondern, wenn er glücklich beendet wurde, keinen bedeutenden Gewinn gebracht, im entgegengesetzten Falle das mühsame Werk, das der König in zwanzigjähriger Arbeit vollendet hatte, mit einem Schlage zerstört haben würde. Der Krieg mußte vermieden, der Molosser durfte nicht in so unzuverlässiger Stellung zu Makedonien gelassen werden; er wurde durch einen Antrag gewonnen, der ihn zugleich ehrte und seine Macht sicherte. Philipp verlobte ihm seine und Olympias Tochter Kleopatra; noch im Herbst desselben Jahres sollte das Beilager gehalten werden, welches der König zugleich als das Fest der Vereinigung aller Hellenen und als die gemeinsame Weihe für den Perserkrieg mit der höchsten Pracht zu feiern beschloß; hatte doch auf seine Frage, ob er den Perserkönig besiegen werde, der delphische Gott ihm geantwortet: »Siehe, der Stier ist gekränzt; nun endet's; bereit ist der Opfrer.«

Unter den jungen Edelleuten des Hofes war Pausanias, ausgezeichnet durch seine Schönheit und in des Königs hoher Gunst. Bei einem Gelage hatte er schwere Beschimpfung von Attalos erlitten, dann sich, auf das höchste entrüstet, an den König gewandt, der, was Attalos getan wohl tadelte, aber sich begnügte, den Beleidigten mit Geschenken zu begütigen, ihn in die Reihe der Leibwächter aufzunehmen. Darauf vermählte sich Philipp mit Attalos Nichte, Attalos mit Parmenions Tochter; Pausanias sah keine Hoffnung sich zu rächen; desto tiefer nagte der Gram und das Verlangen nach Rache und der Haß gegen den, der ihn um sie betrogen. In seinem Hasse war er nicht allein; die lynkestischen Brüder hatten nicht vergessen, was ihr Vater, was ihr Bruder gewesen war; sie knüpften geheime Verbindung mit dem Perserkönige an; sie waren um desto gefährlicher, je weniger sie es schienen. Im stillen fanden sich mehr und mehr Unzufriedene zusammen; Hermokrates der Sophist schürte die Glut mit der argen Kunst seiner Rede, er gewann Pausanias Vertrauen. »Wie erlangt man den höchsten Ruhm?« fragte der Jüngling. »Ermorde den, der das Höchste vollbracht hat«, war des Sophisten Antwort.

Es kam der Herbst, mit ihm die Hochzeitsfeier; in Aigai, der alten Residenz und, seit Pella blühte, noch der Könige Begräbnisort, sollte das Beilager gehalten werden; von allen Seiten strömten Gäste herbei, in festlichem Pomp kamen die Theoren aus Griechenland, viele mit goldenen Kränzen für Philipp, die Fürsten der Agrianer, Paionen, Odryser, die Großen des Reiches, der ritterliche Adel des Landes, unzähliges Volk. In lautem Jubel, unter Begrüßungen und Ehrenverleihungen, unter Festzügen und Gelagen vergeht der erste Tag; Herolde laden zum nächsten Morgen in das Theater. Ehe noch der Morgen graut, drängt sich schon die Menge durch die Straßen zum Theater in buntem Gewühl; von seinen Edelknaben und Leibwächtern umgeben, naht endlich der König im festlichen Schmuck; er sendet die Begleitung vorauf in das Theater, er meint ihrer inmitten der frohen Menge nicht zu bedürfen. Da stürzt Pausanias auf ihn zu, durchstößt seine Brust, und während der König niedersinkt, eilt er zu den Pferden, die ihm am Tore bereit stehen; flüchtend strauchelt er, fällt nieder; Peridikkas, Leonnatos, andere von den Leibwächtern des Königs erreichen ihn, durchbohren ihn.

In wilder Verwirrung löst sich die Versammlung; alles ist in Bestürzung, in Gärung. Wem soll das Reich gehören, wer es retten? Alexander ist der Erstgeborene des Königs; aber man fürchtet den wilden Haß seiner Mutter, die dem Könige zu gefallen, mancher verachtet und mißehrt hat. Schon ist sie in Aigai, die Totenfeier ihres Gemahls zu halten; sie scheint das Furchtbare geahnt, vorausgewußt zu haben; den Mord des Königs nennt man ihr Werk, sie habe dem Mörder die Pferde bereitgehalten. Auch Alexander habe um den Mord gewußt, ein Zeichen mehr, daß er nicht Philipps Sohn, sondern unter schwarzen Zauberkünsten empfangen und geboren sei; daher des Königs Abscheu gegen ihn und seine wilde Mutter, daher die zweite Ehe mit Kleopatra. Dem Knaben, den sie eben geboren, gebühre das Reich; und habe nicht Attalos, ihr Oheim, des Königs Vertrauen gehabt? Der sei würdig, die Regentschaft zu übernehmen. Andere meinen, das nächste Recht an das Reich habe Amyntas, Perdikkas Sohn, der als Kind die Zügel des vielbedrohten Reiches an Philipp habe überlassen müssen; nur Philipps Trefflichkeit könne seine Usurpation entschuldigen; nach unverjährbarem Recht müsse Amyntas jetzt die Herrschaft erhalten, deren er sich in langer Entsagung würdig gemacht habe. Dagegen behaupten die Lynkestier und ihr Anhang, wenn ältere Ansprüche gegen Philipps Leibeserben geltend gemacht würden, so habe vor Perdikkas und Philipps Vater ihr Vater und ihr Bruder das Reich besessen, dessen sie nicht länger durch Usurpatoren beraubt bleiben dürften; überdies seien Alexander und Amyntas fast noch Knaben, dieser von Kindheit an der Kraft und Hoffnung zu herrschen entwöhnt, Alexander unter dem Einfluß seiner rachedürstenden Mutter, durch Übermut, verkehrte Bildung im Geschmack des Tages, Verachtung der alten guten Sitte den Freiheiten des Landes gefährlicher, als selbst sein Vater Philipp; sie dagegen seien Freunde des Landes und aus jenem Geschlecht, das zu aller Zeit die alte Sitte aufrecht zu erhalten gestrebt habe; ergraut unter den Makedonen, mit den Wünschen des Volkes vertraut, dem großen Könige in Susa befreundet, könnten sie allein das Land vor dessen Zorne schützen, wenn er Genugtuung für den tollkühn begonnenen Krieg Philipps zu fordern komme; zum Glücke sei das Land durch die Hand ihres Freundes früh genug von einem Könige befreit, der das Recht, der des Volkes Wohl, der Schwüre und Tugend für nichts geachtet habe.

So die Parteien; aber das Volk haßte die Königsmörder und fürchtete den Krieg nicht; es vergaß Kleopatras Sohn, da der Vertreter seiner Partei fern war; es kannte den Sohn des Perdikkas nicht, dessen Tatlosigkeit Beweis genug für seine Unfähigkeit schien. Auf Alexanders Seite war alles Recht und die Teilnahme, welche unverdiente Kränkungen erwecken, außerdem der Ruhm der Kriege gegen die Maider, die Illyrier, des Sieges von Chaironeia, der schönere Ruhm der Bildung, Leutseligkeit und Hochherzigkeit; selbst den Geschäften des Reiches hatte er schon mit Glück vorgestanden; er besaß das Vertrauen und die Liebe des Volkes; namentlich des Heeres war er sicher. Der Lynkestier Alexandros erkannte, daß für ihn keine Hoffnung blieb; er eilte zu Olympias Sohn, er war der erste, der ihn als König der Makedonen begrüßte.

Alexanders Anfang war ›nicht die einfache Übernahme eines zweifellosen Erbes‹; er, der Zwanzigjährige, sollte zeigen, ob er König zu sein Beruf und Kraft habe. Er ergriff die Zügel der Herrschaft mit sicherer Hand, und die Verwirrung ordnete sich schnell und ruhig. Er berief nach makedonischer Sitte das Heer, die Huldigung desselben zu empfangen: nur der Name des Königs sei ein anderer, die Macht Makedoniens, die Ordnung der Dinge, die Hoffnung auf Eroberung dieselbe. Er ließ die alte Dienstpflicht; er erließ denen, die dienten, alle anderen Dienste und Lasten. Häufige Übungen und Märsche, die er anordnete, stellten den militärischen Geist bei den Truppen, den die jüngsten Vorgänge gelockert haben mochten, wieder her und machten sie seiner Hand sicher.

Der Königsmord forderte die strengste Strafe; sie war zugleich das sicherste Mittel das neue Regiment zu befestigen. Es kam an den Tag, daß die lynkestischen Brüder vom Perserkönige, der den Krieg mit Philipp fürchtete, bestochen waren, und in der Hoffnung, durch persische Hilfe das Reich an sich zu reißen, eine Verschwörung gestiftet hatten, für deren geheime Pläne Pausanias nur das blinde Werkzeug gewesen war; die Mitverschworenen wurden in den Tagen der Leichenfeier hingerichtet, unter ihnen die Lynkestier Arrhabaios und Heromenes; ihr Bruder Alexandros wurde begnadigt, weil er sich unterworfen hatte; des Arrhabaios Sohn Neoptolemos flüchtete zu den Persern.


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