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Delhi und Agra

Die Städte Delhi und Agra bilden den Mittelpunkt einer glanzvollen geschichtlichen Vergangenheit Indiens. Ihre Reste finden wir in den zahlreichen älteren und neueren Bauwerken, die im Geiste des Islam im Verlaufe von etwa sieben bis acht Jahrhunderten im nördlichen Indien geschaffen wurden. Von den hervorragendsten Kulturmerkmalen dieser Zeit hat Delhi und Agra eine große Zahl aufzuweisen. Beide Städte waren die Residenzen der alten Kaiser von Delhi und der nachfolgenden Mogul-Dynasten. Sie waren in der Blütezeit des islamitischen Mittelalters das Herz Indiens, dessen mächtig pulsierender Schlag in den entlegensten Gebieten des großen Reiches zu spüren war. Doch der Einfluß des Islam blieb auf das nördliche und zentrale Indien beschränkt, und hauptsächlich die nordwestlichen Einbruchsgebiete, der Punjab, Radjputana und die nordwestlichen Provinzen blieben bis zum heutigen Tag die Heimat der Anhänger Mohammeds. Eigentümlicherweise findet man auch in den entgegengesetzten östlichen Gebieten, besonders in Bengalen, eine relativ große Zahl Mohammedaner, die wahrscheinlich in ältester Zeit, der Stromebene des Ganges folgend, schon im frühen Mittelalter dorthin vorgedrungen waren.

Doch nirgends ist das Wesen des Islam, seine Macht und der Einfluß seiner geistigen Strömungen deutlicher zu erkennen als in diesen beiden alten Herrschersitzen, deren Denkmäler das Kostbarste und Bedeutendste sind, was islamitische Kunst in Indien aufzuweisen hat. Hier haben geistvolle Herrscher mit dem Aufwand märchenhafter Mittel Kunstwerke und Schätze geschaffen, die in der Geschichte des Sarazenentums einzigartig dastehen. Um das Jahr 1000 schon wurden im alten Delhi, von dem wir heute nur hoch eine Stadt der Ruinen finden, die Grundsteine zu dieser, stets im Wachsen begriffenen, hohen Kultur geschaffen. Mit rücksichtsloser Kraft hat der Geist Mohammeds den Widerstand des Hinduismus gebrochen, und die hohe Zahl der zum Islam bekehrten Hindus (80 000 000) zeigt uns, mit welcher Macht die vom Westen hereinbrechenden Horden der Moslems die Lehre ihres Glaubens verbreitet haben.

Delhis erster mohammedanischer Kaiser war Kutub-ud-din. Er war es, der dem späteren großen Kaiserreich Indien den fruchtbaren Boden schuf. Unter der vom Glaubenseifer entfachten Despotie seiner Herrschaft hat sich das Reich des Propheten in Indien in immer größerem Umfange entfaltet. In den hervorragenden Kunstwerken des alten und neuen Delhi sehen wir deutlich die Entwicklungsgeschichte der mohammedanischen Kultur in Indien. Wir finden dort die großartigen Bauwerke aus den frühesten Epochen bis zur höchsten Blüte und zum allmählichen und endgültigen Niedergang des glanzvollen Mogulreiches. Die ursprünglich schwerfällige und zu massigen Formen neigende Bauart ist, wie wir an den späteren Ausdrucksformen des Mittelalters erkennen können, verfeinert worden, was wohl auf den Einfluß hinduistischen Geistes zurückzuführen sein dürfte.

Doch im alten Delhi, das weit draußen vor den Toren der heutigen Stadt liegt, ist von einer Kultivierung des vom Westen herübergebrachten Stiles noch wenig zu merken. Die inmitten einer von der Sonne verbrannten Stein- und Trümmerwüste gelegenen Ruinen der Paläste, Moscheen, Grabdenkmäler und ganzen Städteanlagen atmen noch den Geist der alten, wilden Chasnaviden-Dynastien. Zwischen den Ruinen der Zerstörung erheben sich mächtige Kuppeln, die auf schweren quadratischen Unterbauten und Sockeln aus widerstandsfähigem Granit und Sandstein ruhen. Es sind große Mausoleen und Denkmäler, die über den Gebeinen von Dynasten oder zum Andenken von Großen und Heiligen des Reiches errichtet wurden. Ihre massigen Formen haben der Wut feindlicher Vernichtung und den zersetzenden Einflüssen der Zeit Widerstand geleistet, denn sie sind größtenteils noch in ihrer ursprünglichen Form erhalten, ohne irgendwelche nennenswerten Spuren der Zerstörung zu zeigen. In der Mitte des Trümmerfeldes liegt auf erhöhter Basis der mit Steinfliesen bedeckte Hof eines ruinenhaften Tempels, die Kutub-Moschee, die das Zentrum des alten Delhi bildete. Sie ist von einer kolonnadenartigen mit reich profilierten, hinduistisch anmutenden Säulen geschmückten Mauer umgeben. Ringsumher ragen diese monumentalen Bauwerke der Moscheen und Paläste empor, während die übrigen Reste der alten Stadt unter einem Wirrwarr von Steinen und Schutt begraben sind. Alles gleicht jetzt einer trostlos dürren Einöde, in der die spärliche, braungebrannte Vegetation zwischen einem hoffnungslosen Staub- und Steinmeer ihr kümmerliches Dasein lebt.

Von überwältigendem Reiz ist die Einsamkeit dieser verblichenen Stadt während der Zeit des Sonnenunterganges. Gigantische, purpurne Schatten schleichen dann über dieses von der rötlichen Glut der Sonne überflutete Trümmerfeld, und jene formlosen Felsen und monströsen Bruchstücke werden zu phantastischen Gebilden belebt. Aus dem Stein- und Ruinenfeld erhebt sich, wie ein immerwährendes unzerstörbares Wahrzeichen einer glanzvollen Vergangenheit, der Kutub Minar, der zum Andenken des ersten Kaisers von Delhi, Kutub, erbaute Siegesturm, der wie das gewaltige Minarett einer riesenhaften Moschee den alten, zerfallenen Kutub-Tempel überragt. Der 68 m hohe, von fünf ornamentierten Etagen und reicher vertikaler Profilierung geschmückte, säulenartige Bau ist zweifellos das Bedeutendste, was die alte islamitische Baukunst Indiens hervorgebracht hat. Ein harmonisches Farbenspiel, das durch die verschiedenen Gesteinsarten hervorgebracht wird, gibt der regelmäßigen Struktur der graziös aufstrebenden Säule den eigenartigen Reiz malerisch komponierter Architektur. Sechs horizontale Ringe, die wie ein schmiegsames Band über den Wulst- und Eckenprofilen liegen, tragen die reliefhaften Schriftzeichen des Korans. Von den Balkonen klang einst die monotone Stimme des Muezzin, die den Gläubigen des Propheten die Stunde des Gebetes und des Gottesdienstes anzeigte. Im Geiste erwachen in mir alle die bedeutsamen Bilder dieser Vergangenheit, von deren Größe uns heute nur noch die Ruinen dieser Stadt erzählen.

In Neu-Delhi haben die Nachfolger dieser Geschlechter eine ganz andere Welt geschaffen. Doch auch aus ihr sind manche dieser großen Formen der alten islamitischen Periode wieder zu erkennen. Wir können dieses vor allem in den monumentalen Formen des alten Forts, einem aus rotem Sandstein erbauten Festungsmauergürtel, erkennen, dessen kolossale Ausmaße der Gesteinsmassen den Eindruck der unbesiegbaren Wucht hervorrufen. In Wirklichkeit hat man diese Bastionen zu uneinnehmbaren Bollwerken einer gewaltigen politischen und religiösen Macht geschaffen. Zudem hat man in ihrem Innern die Schätze des Glaubens und weltlichen Lebens gegen die feindlichen Horden wohl bewahrt und geborgen. Drohend überragen diese, von tiefen Bewässerungsgräben umgürteten Wälle die heutige Stadt, deren lautes Getriebe wie ein brandendes Meer um diese Mauern braust. Ich durchschreite eines der gewaltigen Tore, die wie ein Tunnel unter den Wällen der Festung hindurchführen, und trete plötzlich diesen veredelten Formen der alten sarazenischen Baukunst gegenüber, deren prunkhafte Herrlichkeit meine ganze Bewunderung erweckt. Innerhalb dieser befestigten Mauern beginnt nun jener Zeitabschnitt, den man in der Geschichte des Islams in Indien als das Reich der Moguln bezeichnet.

Diese geschichtlich und kulturell so bedeutsame Epoche, in welche der Beginn der Blütezeit des mohammedanischen Indiens fällt, nimmt ihren Anfang um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts unter dem Sultan Babur, dem die Gründung des Mogulreiches zugesprochen wird. Es ist eine lange Kette der Macht- und Prachtentfaltung, eine Zeit großer historischer Ereignisse, die in der gesamten geschichtlichen Entwicklung Indiens hervorragend ist. Inzwischen ist jedoch der Geist des Hinduismus auf diese Kulturperiode des Islam nicht ohne Einwirkung geblieben. Reichtum, Macht und geistige Größe haben sich in den Ideen dieser Dynasten zu glanzvollen Leistungen, ganz besonders auf dem Gebiete der Künste, entfaltet. Mit Hilfe der Kraft und der zu höchstem genialen Können entwickelten Begabung des Volkes sind Werke von erstaunlicher Größe und Erhabenheit geschaffen worden. Die märchenhaften Schöpfungen dieser glänzenden Epoche sehen wir in den Bauwerken, die wohlbewahrt in den beiden Festungsgürteln Delhis und Agras geborgen liegen, vor uns.

In Delhi ist es vor allem der große Palast, ein marmornes Wunderwerk von unerhörtem Prunk, welches uns in den Geist dieser Zeit versetzt. Über einem Wald von inkrustierten Marmorsäulen wölben sich goldornamentierte und mit Edelsteinen übersäte Decken, welche die mit filigranhaft-feinen Ziselierungen und Durchbrechungen geschmückten Wände der großen Halle und Säle überspannen. Sämtliche Räume liegen zu ebener Erde und sind ringsumher von grünen Gärten und blühenden Hainen umgeben. Breite Marmorstufen führen zu der Audienz- und Thronhalle. Sie ist mit feingliedrigen, stilisierten Ornamentierungen aus Achaten und anderen leuchtenden Halbedelsteinen bedeckt. An der rückwärtigen Längswand erblickt man im Halbdunkel ein leuchtendes und überaus kostbares Kleinod. Es ist der breite, kanzelartige Kaiserthron, der auf breitem Marmorsockel ruht, und dessen Rücklehne das schimmernde Edelsteinmosaik eines Pfauenbildes darstellt. An Stelle der Fensteröffnungen und auch in den Wänden, welche die Räume voneinander trennen, hat man mit symbolischen Ornamenten geschmückte, durchbrochene Gitter aus durchsichtig dünnen Marmorscheiben eingesetzt. Allein diese Arbeiten sind Wunderwerke feinsinnigster Kunst und meisterhaft handwerkerlichen Könnens. Auch die Gemächer der Frauen, die Zenanas und die Bäder, haben diese köstlichen Gitterwerke aufzuweisen. Und trotz der Fülle und des Reichtums an linearem Zierat liegt über diesen Räumen die klassische Ruhe, von welcher der Geist jener Zeit getragen war.

In einzelnen Räumen und auch an der Fassade des Palastes ist man damit beschäftigt, manche dem Zerfall nahe Details im Sinne der vorhandenen Vorbilder zu ergänzen und zu ersetzen. Eine besondere Kommission der englischen Regierung befaßt sich mit den Renovierungen dieser alten Bauwerke Indiens, um sie den nachfolgenden Generationen erhalten zu können. Doch auch vieles von den Kostbarkeiten, die enorme Werte darstellen, ist zerstört und entwendet, so daß manches, was man dem Schein nach für echt und antik hält, nur noch eine wertlose Nachbildung unserer an Nachahmungen so leistungsfähigen Zeit ist. Auch draußen in der Stadt Delhi, inmitten des bunten Bevölkerungsgetriebes, finden wir die Bauwerke, die aus dem späteren Zeitalter der Moguln stammen. Ganz in der Nähe des Forts steigt man die majestätisch hingelagerten Freitreppen zur Jumna-Musjid, der größten und schönsten aller Moscheen Indiens, empor. Es ist ein von drei riesigen Kuppeln gekrönter Bau, dessen eindrucksvolle Innenfassade durch den weiten Hof der Beter eine wirksame Steigerung ihrer überwältigenden Monumentalität erfährt. An den vier Ecken der arkadenartigen Umfassungsmauer, die den Tempel umschließt, erheben sich schlanke Minaretts, von deren Balkonen der Muezzin die Stunde des Gebets verkündet.

In der Moschee befinden sich einige mit großer Inbrunst verehrte Reliquien, die von Heiligen stammen und deren ehrwürdigste und wertvollste, ein Barthaar des Propheten, sichtbar in einem Glasschrein aufbewahrt wird. Muselmännische Beter füllen während des Freitagsgottesdienstes und an den Feiertagen die unter den mächtigen Kuppeln liegenden Hallen und den gewaltigen Hof der Moschee, und es ist ein eindrucksvolles Schauspiel, die Gebetsübungen von der Höhe des Minaretts aus zu beobachten. In langen Reihen haben sich die Gläubigen eng nebeneinander auf die Knie niedergelassen. Wie ein wogendes Meer wallen die in bunte Gewänder und Turbane gehüllten Gläubigen auf die Stimme des Iman auf und nieder, mit der Stirne nach Mekka gewendet oder den geheiligten Fußboden der Moschee berührend. Ein eigenartiges Bild, dessen stiller packender Rhythmus und Feierlichkeit von unvergeßlichem Eindruck auf den Beschauer ist. Auch der Blick aus der Vogelschau, den ich von den hohen Türmchen aus über die Stadt genieße, ist von einem überwältigenden Gefühl begleitet. Tief unter mir, bis weit hinaus an das Ende des Blickfeldes, zieht sich dieses Meer von flachbedachten Häusern, die wie weiße Spielzeuge dort unten in der blendenden Sonne liegen.

Vibrierendes Leben, dessen Echo in einer ewig schwingenden Tonskala heraufschallt, bewegt sich hastig zwischen den engen, wirr durcheinandergleitenden Häuserreihen und Straßen, die teilweise unter den dichten, grünen Baumreihen versteckt liegen. Eine Stadt mit ausgesprochenem orientalischen Gepräge, doch weniger an Indien, als vielmehr an das westliche Asien erinnernd. Auch ihre hellhäutigen Bewohner mit dem scharfgeprägten Ausdruck hohen Intellekts auf den bärtigen Gesichtern, die stattlichen Gestalten, deren Größe durch den hohen Turban ins Groteske und Riesenhafte gesteigert ist, zeigen, daß der Boden dieser Stadt nicht ihre Urheimat ist. In den Eingeborenenvierteln Delhis ist der Typus des Mohammedaners mit den weiten, faltigen Pluderhosen, dem losen Kaftan oder der bunten, kurzen Weste, dem großen Turban, Fes oder goldgesticktem Käppi, vorherrschend. Doch alle Rassen Asiens wimmeln auch hier, wie in einem Völkerbabel, durcheinander, und das Kunterbunt der Menschen ist ebenso international wie in allen übrigen Großstädten des östlichen Orients.

Delhi ist eine Stadt mit erstaunlichem Fremdenverkehr. Hierauf hat sich der mit angeboren geschäftlicher und händlerischer Begabung behaftete Mohammedaner eingestellt. Überall sieht man ihn schachern und feilschen, und stets hat er im Nu die wechselvollen Bedürfnisse seiner Mitmenschen und die Konjunktur des Fremdenmarktes erfaßt. In dem Herz seines Reiches herrscht nur er, während der Hindu dort eine mehr untergeordnete Rolle spielt und so aus dem wirtschaftlichen Leben ausgeschaltet wird. Man erhält diesen Eindruck der wirtschaftlichen und geistigen Vorherrschaft des Mohammedaners besonders im öffentlichen Leben der Stadt, beim Besuch der Märkte und der Basare, welche die Eingeborenenstadt ausfüllen. Hier ruht der ganze Handel und Wandel, Wohlstand und Reichtum in den Händen der Moslems. Farbenfroh und kontrastreich ist das Leben zwischen den engen, hohen Häuserreihen, durch die sich ein buntes Menschengewimmel schiebt. Für Fremde gibt es dort seltsame und berückende Dinge, und ein großer Teil rühriger Leute in Delhi lebt ausschließlich von dem Aderlaß der Leichtgläubigen, die zu der historischsten aller Städte Indiens pilgern. Außer den Erscheinungen der modernen Großstadt, die den gesellschaftlichen Bedürfnissen eines gewissen unterhaltungslüsternen fremden Publikums zu erwachsen scheinen, den geheimnisvollen Harems, Zenanas, türkischen Bädern und den tanzenden Tempelbajaderen bietet die Stadt alles, was man eigentlich im Falle eines fortschrittlichen, zeitgemäßen Geistes in ihren Mauern sucht und wohlweislich vermutet. Denn der ungläubige Fremde aus dem Westen ist gläubig wie kein anderer, und Allah hilft stets und besonders, wenn er in Zweifelsfällen als Kronzeuge herabbeschworen wird.

Im Chandi-Chowk, dem Viertel der Kuriositätenhändler, wo uns die gleißende Pracht Alt- und Neuindiens entgegenstrahlt, öffnet sich das Herz, die Augen und die meist wohlgefüllte Börse des Fremden. Dort werden Miniaturen Baburs, Akbars und Jajehans in allen Größen und Maßstäben für hundert – achtzig – fünfzig – zwanzig – ja zuletzt sogar noch für fünf Rupien dem Begeisterten zu Füßen gelegt. Münzen, Schmuckstücke und alte Waffen, die – bei dem Barte des Propheten – aus den ältesten Funden Indiens stammen und die Lenden der grimmigen Chasnavidenhäuptlinge des elften Jahrhunderts gegürtet haben, sinken, wenn man Miene macht, das Interesse an ihrem Erwerb zu verlieren, auf ein Viertel – ein Achtel – ja ein Zwanzigstel des ursprünglichen Angebots. Bei Allah – »echte« Edelsteine aus dem Schoße der indischen Erde, Textilien und Teppiche aus Kurdistan, Bochara und Afghanistan bilden in der unerschöpflichen Sammlung der Chandi-Chowks die Augenweide für die Welt des Westens. Doch dieses will nicht besagen, daß man es in Delhi ganz und gar auf die harmlose Unwissenheit der Fremden abgesehen hat, denn wer offene Augen und ein tieferes Verständnis für das Wesen dieser Dinge hat, findet auch bei den Howkern Delhis vieles, das den Sinn und das Herz des Menschen erfreuen kann.

Etwa einhundertzwanzig Kilometer südlich von der heutigen Stadt erhebt sich dessen historisches Gegenstück, die Stadt Agra, Kaiser Akbars Reich, dessen wunderbar erhaltene Überreste aus der Zeit der Moguln diejenigen Delhis noch um einiges übertreffen. Agras Gründung durch den Mogulkaiser Akbar fällt in das Jahr 1566. Die Stadt, die einen ähnlichen Charakter wie Delhi trägt, liegt an dem Flusse Jumna, dessen Spiegelbild die schimmernde Pracht seiner marmornen Bildwerke in zitternden Umrissen wiedergibt. An einem glühenden Sommertage erreiche ich Agra. In blaßblauer Transparenz steigt die Monotonie des tropischen Himmels über die Flußebene empor. Träge schleicht der zum Rinnsal gewordene Strom in der Sohle seines Bettes dahin, und seine vertrockneten Ufer tragen noch die letzten Spuren reißender Wasserfülle. Riesige Schilfmassen, angeschwemmte Schlammbänke und faulende Baumstämme, die der weit über seine Ufer getretene Strom mitgeführt, liegen drüben in der toten Ebene, um die der Fluß einen weiten Bogen zieht. Ja, sogar vor der Ehrwürdigkeit des erhabenen Tadsch ließ sich die elementare Gewalt des Wassers nicht schrecken, denn hart an seinen marmornen Sockeln schäumte damals die gelbe, wogende Flut, wie ich an den Schlammspuren der dunklen Grundmauer erkennen kann. Und heute schmachtet hier alles wieder in Dürre und Trockenheit, in Durst und Hunger. Die Vegetation liegt in den letzten Zügen, denn sie ist von der Glut der Sonne verzehrt, abgemagert und zu haltloser Schwäche erstorben. Nur drüben in dem feenhaften Garten, der wie das hingelagerte, leuchtende Spiegelbild einer märchenhaft-architektonischen Fassade anmutet, schimmert das dunkle, schwermütige Grün dieses herrlichen Parkes, der das »schönste Bauwerk der Erde«, den Tadsch-Mahal, das Grabmal einer indischen Kaiserin, wie ein Juwel umfaßt.

siehe Bildunterschrift

Der Tadsch-Mahal in Agra

siehe Bildunterschrift

Feiertagsgottesdienst in der großen Moschee von Delhi

Der Tadsch gilt als das Wunder aller islamitischen Baukunst in Indien. Wie ein traumhafter Zauber steigen seine lichten Umrisse aus der Melancholie des dunkeln Zypressenhaines, der wie ein dunkler Teppich vor der eindrucksvollen Fassade des Tadsch liegt. Jah-Jehan, einer dieser Sultane, dessen Ahnen das Reich des Propheten nach Indien trugen, ist der geistige Schöpfer dieses makellosen, herrlichen Denkmals, dessen Andenken seiner Gemahlin, der schönen geistreichen Mumtaz-i-Mahal, gewidmet ist. Der aus reinstem weißen Jeypurmarmor errichtete Bau entstand im Jahre 1632 nach den Plänen eines französischen Baumeisters, der sein von dem Geiste der Renaissance getragenes künstlerisches Können mit dem Wesen sarazenischer Formen und Stilempfindung seines indischen Mäzen vereinigt hatte.

Unter der Wölbung der mächtigen Kuppel, die gleich einer mattweißen Schaumblase über dem dämmerigen Raume schwebt, breitet sich vor meinen Augen eine wundersame Welt der Kostbarkeiten aus. Licht, fast durchsichtig, scheinen diese von reliefartigen, pflanzlichen Ornamenten geschmückten weißen Wände des Marmors. Wertvolle Edelsteininkrustierungen erfüllen die Fliesen des Kuppelbaues. Nirgends sehen wir die Patina des Alters. Alles ist unter dem Schutze dieses riesenhaften Marmorhimmels in reinster, elfenbeinerner Blässe und unveränderter Form geblieben. Die Sarkophage, das Heiligtum des Tadsch, sind von einem unendlich reichen Marmorgitterwerk umgeben, dessen gespinsthaft zartes Gewebe von unerreichter Schönheit ist. Ein herrliches Kabinettstück hervorragendster Bildhauerkunst, das in seiner vollendeten Feinheit nirgends in Indien ein auch nur annähernd ähnliches Gegenstück besitzt. An den Eckpilastern, welche das feine Netzwerk stützen, hat man ein Rankenwerk von Edelsteinen in den Marmor eingelassen, und schon allein die kostbare Materie dieses Schmuckes stellt das Vermögen eines Volkes dar. Eigenartiger Dämmerschein erhöht die feierliche stimmungsvolle Ruhe, die unter dem Gewölbe herrscht. Hundertfach bricht sich die spärliche Quelle des Tageslichtes, das zwischen den durchbrochenen Marmorfenstern hereinflimmert, an dem blütenweißen Gewände des Innenraumes. Andächtige Moslems kommen und beten lautlos am Grabe des verblichenen Herrscherpaares, deren Persönlichkeit den Nimbus der Heiligkeit trägt. Soweit sie Schuhe tragen, haben sie diese draußen am Aufgang zum Grabmal gelassen. Täglich ist der Tadsch ein Sammelpunkt großer Scharen frommer muselmännischer Pilger. Auch Hindus und Andersgläubige wallfahren zu ihm und stehen in stiller Ergriffenheit vor diesem herrlichen Wunderwerk klassischer Kunst des indischen Mittelalters.

Von geradezu überwältigendem Eindruck ist der Anblick dieses schimmernden Bauwerkes, das von den Reizen einer von hohem Stilempfinden angelegten Parklandschaft umgeben ist. Ein langes, von bunten Sandsteinintarsien umsäumtes Wasserbassin teilt den dunklen von hohen Mauern umfaßten Garten in zwei Hälften. In seinem Spiegel schimmert das Bild des Mausoleums in leuchtenden Farben. Auf niedrigem Marmorsockel erhebt sich der Bau wie eine traumhafte Erscheinung. Seine weißen Kuppeln, Zinnen und schlanken Minaretts steigen wie phantomhaft zarte Gebilde in das ätherische Blau des Himmels empor. Die durch eine blendende Sonne hervorgerufenen Schatten scheinen sich auf dem lichten Gestein in einen Hauch aufzulösen, ja selbst in den Nischen der von leichten Spitzbogen überwölbten Balkone und unter dem großen Gewölbe, das den Eingang zum Grabe überdacht, sind die Schlagschatten in ein flimmerndes Dämmerlicht verwandelt. Von einem der turmhohen Minaretts, die sich wie stumme Wächter am Ende der Plattform erheben, genieße ich den Blick hinüber auf die mächtige, von plastischen Marmorfriesen umgürtete Kuppel. Kleine, durchbrochene Altane vermitteln in wunderbarer Weise den jähen Aufstieg dieser transparent erscheinenden Bekrönung, die wie ein steingewordenes Wunderwerk aus dem flachen Dachgeschoß emporsteigt. Tief unter mir im Spiegel des träge dahinfließenden Jumna löst sich dasselbe schimmernde Bild märchenhafter Pracht aus der geheimnisvollen Dunkelheit der Wasseroberfläche. Träge Krokodile und große Schildkröten sonnen sich auf den Sandbänken, die aus dem Flusse herausragen. Auf dem anderen Ufer blicke ich in dieses dürre, graugelbe Land, welches das lichte Wunder des Tadsch wie ein drohendes Gespenst belagert. Drüben in der Ebene bei Sikandra schimmern die stolzen Bauwerke aus der Zeit der Moguldynastien. Das Mausoleum von Kaiser Akbar, des Gründers von Agra, das bedeutendste Bauwerk seiner Zeit, und eine große Anzahl anderer Grabstätten, in denen die Gebeine von Heiligen und großen Männern jener Zeit ruhen, bedecken die einsame Gräberstadt jenseits des Flusses.

Das alte Fort Agras gleicht in seiner Bauart den beherrschenden Formen der Delhifestung. Fast unerschöpflich ist die Reihe dieser prachtvollen Bauwerke, der Paläste, Moscheen und Grabmäler, welche, ähnlich wie in Delhi, von gewaltigen Festungsmauern eingeschlossen werden. Wie ein Triumph der Schönheit ragen dort die graziösen Türmchen und Zinnen der marmornen Bauwerke über den gigantischen Sandsteinmauern der Festung empor. Auch Agra besitzt eine Jumna-Musjid, seine große Moschee. Sie ist in ihren Ausmaßen weit geringer, doch architektonisch immerhin reizvoller als das schwere und wuchtige Bauwerk Delhis. Agra und die alte Residenz Kaiser Akbars, Fatehpur-Sikri, hat noch unzählige solche Merkmale aus der Blütezeit dieser Moguldynastien. In ihrer wohlerhaltenen Pracht zeigen sie uns den Sinn einer hohen geistigen Kultur, mit welcher diese Geschlechter in dem Zeitraum eines halben Jahrtausends den Boden Indiens befruchtet und sich in diesen herrlichen Hinterlassenschaften Denkmäler der Unsterblichkeit errichtet haben.


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