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Das Haus der Rast in der indischen Tiefebene

Auf meiner Reise in den südlichen Tiefebenen weile ich eine Reihe von Tagen an einem der bedeutungsvollsten Orte religiösen Kults in Indien. Es ist die Zeit der pomphaften Tempelfeste, die sich jährlich mit einem großen Aufwand an Pracht und Reichtum in den Tempeln und Straßen der Stadt abspielen. Weit draußen vor der geräuschvollen Stadt, in der schon seit Tagen die Massen von religiöser Begeisterung erfaßter Volkshaufen hin- und herfluten, befindet sich das Haus der Rast. Unscheinbar, in öder Verlassenheit liegt es hinter einem Meer von schlanken Kokospalmen, die wie ein hoher Wall den Ort der Tempel umschließen. Es ist, als ob hinter dieser lebendigen Mauer der Palmen das Leben der Stadt in den Abgrund versunken wäre. Denn kein Laut dringt in die Einsamkeit zu mir herüber, und in träumerischer Ruhe liegt das kleine Haus im Schatten junger Mangobäume, deren Zweige unter der Last der birnenähnlichen Früchte fast niederbrechen. Wuchernde Schlinggewächse, die sich wie die Leiber von Schlangen an den Stämmen emporwinden, bilden einen tunnelartigen Laubgang, der von der roten, staubigen Straße zum Häuschen hinüberführt. Es ist das typische Bungalow Indiens, dessen Wohnlichkeit von großen behaglichen Reizen ist. Einstöckig, mit weitvorspringendem, schattenspendendem Dach, das eine geräumige Veranda überdeckt. Im Innern die schlichten, weißgetünchten Räume, in deren Dämmerlicht sich bei geschlossenen Jalousien eine wohltuende Kühle verbreitet. Alles in reinlicher Pflege und Sauberkeit. Tische, Stühle und Bettgestelle sind aus Holz und von bescheidener Einfachheit. Dieses Haus der Rast ist ein größeres Bungalow, welches fünf Räume und eine Küche enthält. Höhere englische Regierungsbeamte steigen auf ihren Dienstreisen öfter hier ab. Schon deswegen gibt sich der Pächter Mühe, das Haus in gutem Zustand zu halten. Hinter dem Hause, durch einen niedrigen überdachten Gang verbunden, liegt die Küche, Stallung und Dienerwohnung. Ein besonderer Raum dient für die Unterkunft des Pächters und seiner Familie.

Wider Erwarten treffe ich keine Gäste im Bungalow. Einsam liegt es, inmitten eines Wirrsals von duftenden Sträuchern und schattigen Laubkronen, abseits von der Straße, zwischen Beeten grelleuchtender Blumen und blühendem Rankenwerk versteckt. Kaum berühren die Strahlen der Sonne das schwere Ziegeldach und den Vorplatz des Häuschens, denn alles liegt unter dem Schatten dichten Laubes, dessen dämmriges Grün in zarten Reflexen auf den Wänden des Hauses spielt. Tag und Nächte sind in diesem stillen Haus von friedvoller Ruhe. Selten dringt Lärm von der Straße oder der nahen Stadt herüber. Von besonderem Reize sind die Dämmerstunden und hellen Nächte, die langsam aus dem tiefen Blau des abendlichen Himmels heruntersinken und die Natur mit dem Wunder eines magischen Lichts erfüllen. Während noch am Abend aus rötlicher Erde das Flimmern der Sonnenwärme aufsteigt, senkt sich der frische Hauch der Nacht durch das Dach der Blätter, und langsam flutet die Kühle durch die Türen und Fenster des Hauses. Dieses leise Hinübergleiten des blendenden Tageslichtes in die wohltuende, dämmernde Stille des Abends ist die erhabenste Stunde des Tages. Leise beginnt das webende Leben der Nacht. Dort drüben, unter den dichten Kronen des Palmenmeeres, setzt ein zartes Fächeln ein, das dem Flirren des Windes in den Gipfeln der Palmen gleicht. Zuerst ist es ein leise schwingendes Tönen, dann steigert es sich zu einem leidenschaftlichen Rhythmus, der wie der zitternde Chor von Harfen die Stille des Himmelsgewölbes erfüllt. Bald liegt das Singen dieser nächtlichen Insektenheere über dem dichten Laub des Gartens, bald raunt es in unendlicher Ferne der Ebenen, als ob die nächtlich unsichtbaren Geister unruhevoll auf- und niederschwebten. Draußen auf der von dem grünlichen Dämmerlicht erfüllten Veranda, wo ich in stiller Beschaulichkeit diesem nächtlichen Treiben lausche, schwärmen auch schon die unruhevollen Heere der Moskitos. Es sind die einzigen nächtlichen Plagegeister in dieser friedlichen Einsamkeit.

Langsam öffnen sich in der Kühle des Abends die Blütenkelche dem herniedersteigenden Tau, und ein sinnbetäubender, süßlicher Duft schwebt über dem warmen Erdboden des Gartens. Unter dichten Blumenbeeten huschen die Schatten kleiner Moschusratten, die in dem dunkeln Versteck der Blumen und Sträucher ein munteres Spiel miteinander treiben. Doch auch der Tod wohnt zwischen dem flimmernden Leben der Nacht, und manche Gefahren lauern draußen unter dem dichten Gestrüpp und dem niedrigen zerfallenen Mauerwerk des Gartens. Leise gleiten dort die Schatten der Kobra, die während des Tages in den dunklen Verstecken des Gemäuers verborgen liegt. Züngelnd erhebt sich das geblähte Haupt mit den stechenden, schwarzen Augen über der warmen, lebenspendenden Erde, und das schrille Schrecken der Tiere, die unter dem Gestrüpp verborgen sind, zeigt mir, daß die nächtlich schleichende Schlange im Garten ihre Opfer fordert. Auch in der grünlich dämmerhaften Luft beginnt sich das Leben der Nacht zu regen. Große Scharen fliegender Hunde von ungewöhnlicher Größe steigen drüben aus den Palmenwäldern auf. Fledermäuse schwirren, wie spukhafte Kobolde, unter den dichten Kronen der Mangos und dem Dache der Veranda, und ich spüre das leise Fächeln ihrer Flughäute und höre das Piepen, das aus ihrem ewig hungrigen Munde dringt. Hoch oben im Mangobaum lassen sie sich geräuschlos nieder, und leise schmatzen die kleinen, gefräßigen Schnauzen, die sich an den Früchten des Baumes gütlich tun. Manchmal fallen die Früchte klatschend zur Erde nieder, und rasch huschen die behenden Moschusratten herbei, um diese Leckerbissen in die Dunkelheit des Gebüsches zu schleppen.

Selbst im Hause der Rast beginnt ein geheimnisvolles Leben. Unter dem Gebälk des Daches zirpen Heimchen ein nächtlich monotones Lied. Riesige Nachtfalter, deren große Schatten gespenstisch an dem hellen Gemäuer des Hauses gaukeln, werden von dem Schein der flackernden Kerze angelockt. Sie kommen zu Dutzenden aus der Finsternis herein und lassen sich vertrauensselig im Hause nieder. An den weißgetünchten Wänden und an der Decke watscheln die kleinen possierlichen Geckos, um die schwirrenden Mücken und Falter zu erhaschen, die in eintönigem Rhythmus dort auf- und niedersteigen. Die kleinen, winzigen Eidechschen mit den eigenartig dicken Köpfen sind harmlose Freunde des Menschen, mit dem sie in großer Vertrautheit unter einem Dache wohnen, um dort die blutgierigen, lebenden Fieberherde der Moskitoschwärme in großen Mengen unschädlich zu machen. Mit sicherem Instinkt liegen sie lauernd auf dem Wechsel der Mücken, um dort plötzlich mit dem Pfeil ihres elastischen, klebrigen Züngleins nach ihrer Beute zu schießen.

Immer stärker duften die Blumen und Blüten des Gartens in der zunehmenden Kühle der Nacht. Eine erfrischende Brise, die durch die geöffneten Jalousien dringt, bewegt leise wallend den grauen Schleier, der mich vor der Blutgier der Mücken schützt. Aus der Ferne tönt jetzt das eintönige Zirpen der Zikaden in den Bäumen des Palmenwaldes, und bald versinke ich unter diesen narkotisierenden Geräuschen der Nacht in einen tiefen Schlaf, aus dem mich erst am frühen Morgen das im Osten heraufsteigende rote Glühen der Sonne weckt. Ein taufrischer, neuer Tag liegt über dem Blätterdach des Gartens, in dem das nächtliche Leben längst verstummt ist. Auch drüben in dem Dickicht der Palmenwipfel ist der eintönige Chor der Insekten durch das helle Zwitschern der erwachenden Vogelwelt abgelöst worden. Leise fächeln die Kronen des Palmenwaldes in der kühlen Morgenluft, während sich die feuchten Dünste der Nacht in zarten Schleiern langsam über dem Erdboden verflüchten. Es sind die letzten Spuren des nächtlich erquickenden Zaubers. Leuchtend beginnt die Sonne des jungen Tages den glühenden Lauf, und alles Leben beginnt unter ihren Strahlen zu ermatten, bis wieder die Nacht mit ihrem magischen Schimmer aus der Bläue des Himmels herniedersteigt und das Leben in der Natur zu neuem, geheimnisvollem Treiben erweckt.


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