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In der nordwestlichen Ecke des Staates Hyderabad, nahe an der Grenze des von öden, verbrannten Steinwüsten erfüllten Dekhanhochlandes, liegen die wunderbaren Tempelhöhlen von Ellora. Diese hervorragenden Bauwerke, welche drei verschiedenen Perioden entstammen, bilden zweifellos das Großartigste, was buddhistische und brahmanistische Geschlechter früherer Jahrhunderte an plastischen Bildwerken aus der Masse des gewachsenen Steins geformt haben. Schon in einem vorhergehenden Abschnitt meiner Schilderungen habe ich die im Süden Indiens gelegenen Höhlentempel der Sieben Pagoden beschrieben. Es sind ebenfalls Schöpfungen dieses Zeitalters, vielleicht derselben Künstlergeschlechter, welche die Verherrlichung ihrer Götter in diesen vollendeten Aushöhlungen des Gesteins zum höchsten Ausdruck ihres religiösen Empfindens gebracht haben.
Sämtliche Höhlentempel in Indien, die von Mamallapuram im Süden, die Elefantahöhle bei Bombay, die Höhlen von Ellora, Adjanta und Karla weisen ähnliche Merkmale in Darstellungen, Stil- und Formgestaltung auf, so daß sich ihr Ursprung wohl in demselben Zeitabschnitt vereinigt haben wird. Als die Zeit ihrer Entstehung nimmt man für die buddhistische Periode das dritte bis fünfte Jahrhundert, für die hinduistische das sechste bis zehnte Jahrhundert an. Ein besonderer Zug jener Zeit scheint es gewesen zu sein, die Orte der Götterverehrung in den gewachsenen Stein zu graben und die Altäre und Tempel tief unter die Erde zu versenken. Der Ursprung dieser negativen Formgestaltung liegt in der älteren, aufblühenden Kultur und Kunst der Buddhisten, welche als erste dem Fels die Stätten ihres religiösen Kultes einverleibten. So finden wir, wie in Ceylon, auch in Indien wieder jene befruchtenden Einflüsse buddhistischen Geistes auf die spätere brahmanistische Kultur, deren Denkmäler wir in den ähnlich anklingenden Formen neben den Schöpfungen ihrer von dem Kulte Shivas verdrängten Vorgänger in den Höhlentempeln Indiens beobachten können.
Ellora hegt abseits von der großen Eisenbahnlinie, die von Bombay nach Jubalpore führt. Man bringt einige Opfer, wenn man unter der furchtbaren Sonne des indischen Sommers zu diesen Wundern von Stein pilgert. Mit der Tonka, dem unverwüstlichen Gefährt von landesüblicher Art, fahre ich durch die öde, von einem graugelben Felsenmeer erfüllte Landschaft. Die Glut der Sonne flackert wie flüssige Lohe über dem steinigen Boden, und mit ihren sengenden Strahlen hat sie das letzte Grün, das spärlich aus dem Staube und den Gesteinsspalten wächst, zu einem dürren, leblosen Gestrüpp verwandelt. So weit das Auge reicht erblickt man nichts als wie ein endloses Meer einer von Staub und Stein bedeckten Wüste, in der gewaltige erratische Felsblöcke wie Inseln emporragen. Der Weg zu dem Dak-Bungalow erscheint mir endlos. Ein brennender Schmerz in meinen Schläfen wird durch das blendende Licht der Sonne und das ewige Rütteln der über Stock und Stein ratternden Kalesche zu scheinbarem Fieber gesteigert. Es ist am frühen Nachmittag. Die Sonne brennt unerbittlich, und die Hitze des Tages ist in dieser Felsenlandschaft zu zehnfacher Glut gesteigert. Kaum daß mir das schlotternde Dach des Wagens einen wirksamen Schutz vor diesem peinigenden Himmelslicht gibt.
Noch habe ich zwei Stunden auf dem martervollen Weg dieser fluchbeladenen Einöde zurückzulegen. Unterwegs begegnen uns Wanderer, Pilger und Heilige, lebendige Leichname mit Bettelschalen in den Händen. Ihr abgemagertes, skeletthaftes Aussehen verkörpert den leibhaftigen Hunger und die unfruchtbare Dürre dieses von den Qualen der Trockenheit heimgesuchten Landes. Sie kommen von den Höhlen, wo sie ihre Götter gesucht und ihnen geopfert haben, und kein Weg ist den Entsagungsvollen zu weit, keine Sonnenglut zu heiß, die ihnen das Bedürfnis ihrer dürstenden Seele nicht stillen könnte. Endlich hält der Wagen mit der klapprigen, erschöpften Rosinante vor dem Hause der Rast. Zwei Franzosen sind bereits dort abgestiegen, mit denen ich das dürftige Quartier brüderlich teile. Nachdem ich einige Stunden unter dem kühlen Dache des Bungalows geruht habe, gehe ich hinüber zu den unterirdischen Höhlen. Die Sonne steht schon tief, und die hohen Felsenblöcke und umhergestreuten Trümmer werfen lange blaue Schatten auf die in den rötlichen Schein des sinkenden Lichts getauchte Erde. Plötzlich befinde ich mich vor dieser unter die Erde versenkten Tempelstadt. Es ist ein fast unübersehbarer klaffender Erdspalt, der sich in seiner hauptsächlichsten Richtung von Norden nach Süden erstreckt.
Als ob eine fremde Welt von herrlichen Kostbarkeiten dort hinabgesunken wäre, sehe ich auf der Basis der Schlucht die Überreste großartiger Bauwerke, Tempel, Schreine, Figuren von Tieren und Göttern, die von einer eindrucksvollen Ruhe beseelt sind. Schon liegen Schatten des Abends über dem Abgrund der Schlucht, als ich in ihre gähnende Tiefe hinabsteige. Hier haben altindische Geschlechter der von hohem Geist und Glauben beseelten Völker eine übermenschlich große Leistung vollbracht. Der Anblick dieser steinernen Wunder ist von überwältigender Kraft. In jahrhundertelangem Bemühen haben unzählige von Menschen den Fels und die Erde ausgehöhlt und einen großen Teil des tief in ihrem Schoße ruhenden Gesteins freigelegt. Gewaltige Felsenmassen, welche auf diese Weise gewonnen wurden, sind von den Baumeistern und Bildhauern zu hervorragend schönen, architektonischen Schmuckstücken verwandelt worden. Dieses Bauen und Erschaffen entstand nicht durch das Aufeinanderschichten und Übereinanderordnen von Gesteinsformen, wie wir es bei den übrigen Tempelbauten der späteren hinduistischen und buddhistischen Perioden finden. Es war vielmehr ein Abtragen, ein negatives Bauen, das aus der bereits vorhandenen Materie der erdgewachsenen Felsen die massive Gestalt einer zusammenhängenden oder isolierten architektonischen Form, eines Gebäudes, einer Figur oder einer altarähnlichen Fassade schuf. Jene großen, genialen Baumeister waren zugleich auch Bildhauer, die das tote Wesen des Steins durch den geschickt geführten Meißel belebten und eindrucksvolle Gestalt aus leblos starrer Form bildeten.
Von hohem künstlerischen und wissenschaftlichen Interesse sind bei den Höhlen von Ellora die ineinander klingenden Formen zweier Stilepochen. Nämlich die des Buddhismus und des Brahmanismus. Beide sind sich im Sinne ihrer Ausdrucksformen ähnlich, obwohl sich die geistigen Richtungen dieser Welten stark voneinander trennen. Unverkennbar mächtig war jedoch dieser Einfluß buddhistischen Geistes und seiner Gestaltungsweise auf die nachfolgenden Geschlechter brahmanistischen Despotentums. Wir sehen dies auch besonders an den alten buddhistischen Kultstätten Ceylons, wo die Formenwelt der drawidischen Eroberer und Zerstörer ihre Inspiration von dem Wesen buddhistischer Kultur empfangen hat. Beide Äußerungen tragen jedoch die in den Seelen dieser Völker so sehr verschiedenen Merkmale ihres geistigen Lebens, die selbst dem aufmerksamen Laien in die Augen fallen werden. Hier diese in die Lehre Buddhas verkörperte Ruhe und das durchgeistigte Wesen einer hohen Empfindsamkeit. Dort das wirre, von wilder Phantasie und übersinnlichem Denken durchsetzte Innenleben der brahmanistischen Gefühlswelt, die unter den Einflüssen der buddhistischen Vergangenheit: dem Ausdruck ihres wahren Gesichts manche fremden Züge verleiht.
In den Höhlen von Ellora sehen wir eine der bedeutendsten, geschichtlichen und kulturellen Entwicklungsphasen des alten Indiens vor uns. Für den Künstler und Wissenschaftler sind diese Stätten, in denen wir die Denkmäler verschiedener Glaubensrichtung noch in bester Konservierung vor uns sehen, Fundgruben, die einen köstlichen Schatz des wertvollsten kunst- und kulturgeschichtlichen Materials bergen. Außer den Bauwerken der fortgeschrittenen buddhistischen Kunst und Formenwelt finden wir hier die ersten Anfänge brahmanistischer Kultur und jene der verwandten jainistischen Geschlechter in engem Nebeneinander, ohne daß die wesentliche Harmonie des Gesamtbildes dadurch beeinträchtigt ist. Auf der Basis, ungefähr in der Mitte der Schlucht, erhebt sich das hervorragende Prunkstück des Kalaisatempels, der wohl das bedeutungsvollste Bauwerk der Höhle ist. Er stellt das Sinnbild des Himalajaberges Kalaisa dar, welcher nach der Sage der Wohnsitz des Gottes Shiva gewesen sein soll. Der überaus kunstvolle, mit reichem, figürlichem und ornamentalem Schmuck versehene zweistöckige Bau ist aus dem erdgewachsenen Fels gehauen und bedeutet ein Wunderwerk hinduistischer Bildhauerkunst. In der Nähe erhebt sich eine mit vollendeter Profilierung und reichen Skulpturen geschmückte Säule, die von allen übrigen Bauwerken losgelöst, einem turmartigen Altar gleicht.
Die Felswände, die wie senkrechte Mauern die Höhle umschließen, sind mit endlosen Friesen reliefhafter Darstellungen aus dem Götterleben bedeckt. Kaum findet das Auge in diesem Reichtum von Linien und Formen einen Stützpunkt, denn wohin man blickt, sind Bilder und plastische Werke von vollendeter Schönheit über- und nebeneinandergereiht. Ganze Völker und ihre Generationen müssen an der Entstehung dieser fabelhaften Kunstwerke beteiligt gewesen sein, und es ist ein Rätsel, wie man wohl in jener Zeit die technischen Schwierigkeiten, die sich bei der Bearbeitung und Aushöhlung dieser harten Gesteinsmassen ergeben haben, bemeistert hat. Tief unter der Erde sind Höhlen und Galerien eingegraben, zu deren Ausmeißelung man Jahrhunderte gebraucht haben mag. Wie war es jenem rastlos arbeitenden Geist und den nimmermüden Händen dieser von hohem Glauben erfüllten Menschen nur möglich, diese ungeheuren Felsen zu lockern, sie zu durchbrechen und fortzubewegen? Zweifellos sind hier Tausende von Menschenhänden am Werk gewesen, um diese gigantischen Leistungen des Auf- und Abbauens im Innern des harten Gesteins zu vollbringen. Im Geiste sehe ich die Entstehung dieser Höhlenheiligtümer, in der sich die religiöse Inbrunst ganzer Völkerstämme verkörpert, vor mir. Einflußvolle, von dem Geiste ihrer Religion bewegte Könige und Priester wußten die Kraft des gesamten Volkes in den Dienst ihres von hohen Gedanken und Zielen getragenen Strebens zu stellen. Und alles, was man schuf, war von der Idee der Religion und des Glaubens erfüllt. Wie wäre es auch anders möglich gewesen, diese ungeheuren, aus der Seele des Volkes geborenen Leistungen von fast übermenschlicher Kraft und höchster künstlerischer Eingebung zu erschaffen!
Oft spüren wir aus manchen diesen Motiven die Eigenart der erfinderischen und technischen Individualität, welche diesen Künstlern und Baumeistern zu eigen war, heraus, denn die Darstellungen und die technisch-geniale Form des Aufbaus sind oft in sich sehr verschieden und prägen den Sinn und Geist ihres Schöpfers deutlich aus. Ganze Felsplatten und große senkrechte Gesteinstafeln sind in figurenhafte Reliefs verwandelt. Sie ähneln denen, die ich in den südlichen Höhlentempeln von Mamallapuram gesehen habe. Ja es scheint mir sogar, als ob sie unter dem Meißel derselben Künstler entstanden sind, denn auch die Profile, Gesimse und Fratzen, diese karyatidenähnlichen Tierfiguren, welche Löwen und Elefanten darstellen, tragen verwandte Züge mit denen in den anderen Höhlen Adjantas, Elefantas und Mamallapurams.
Doch nicht allein die Kunst des Brahmanentums und der jainistischen Periode ist es, die uns hier mit allen ihren eigenartigen Schönheiten fesselt. Denn auch der Geist Buddhas hat in Ellora Werke geschaffen, die von vollendeter Größe sind. In den senkrecht aufsteigenden Wänden der Schlucht befinden sich etagenweise übereinander die tiefen Kammern dieser zellenähnlichen Klosterwohnungen der buddhistischen Mönchorden und die mit zahlreichen Buddhastatuen geschmückten Hallen, in denen die Gottesdienste und Versammlungen der Mönche und Gläubigen stattgefunden haben.
Geheimnisvolle Feierlichkeit liegt in den von kühler Luft durchwehten Gewölben, welche die unterirdische, zauberhafte Welt dieser Gottheiten umschließen. Auch die jainistischen Heiligtümer, welche sich durch einen ganz besonderen, an die brahmanistische Art anklingenden Formenreichtum auszeichnen, enthalten Werke, welche sich dieser Kunst Buddhas und Brahmas würdig zur Seite stellen können.
Wer die wundersame Welt der Ellorahöhlen eingehend studieren will, kann Tage und Wochen an dieser Stätte verweilen. Noch oft stieg ich aus der öden Steinwüste, welche sich rings um die Höhlen erstreckt, hinunter in die Schlucht, um diese aus dem Schoße einer glorreichen Zeit Indiens geborenen Werke zu bewundern und den tiefen Sinn ihres an bildhaften Darstellungen so reichen Wesens verstehen zu lernen.