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Wir liegen vor Aden. Flimmernde Glut lastet auf dem roten Felsenrücken, der drüben über dem Wasser wehrhaft nach Osten blickt. Seit Stunden liegt das Schiff im offenen Wasser vor Anker, und voll Ungeduld wartet man auf die Abfahrt aus diesem Höllenkessel, dessen glühender Hauch wie eine rote Lohe über der dunsthaften, leblosen Einöde der Felsenküste flackert. In erdrückender Schwere liegt die bleierne Atmosphäre über dem tiefblauen, durchsichtigen Wasserspiegel. Unter der glasigen Oberfläche, im Schatten der steilen Schiffswand, sieht man den rötlichen Fels des Meeresbodens hervorschimmern, und es ist, als ob das in die Tiefe versunkene Land in der Glut der tropischen Sonne leuchtet. Auf dem Verdeck des Schiffes scheint alles Leben erstorben zu sein. Kein Mensch kümmert sich um die Schar der exotischen Händler, die in kleinen Nußschalen den schwarzen riesenhaften Körper des Schiffes wie die Bienen umschwärmen und buntes malerisches Allerlei anbieten. Es sind stämmige Berber mit tiefbraunem, nacktem Körper und merkwürdig rostbraunem Kraushaar, das von den Strahlen der Sonnenglut gebleicht zu sein scheint. Sie zeigen fremdartige, reizvolle Dinge, die in leuchtenden Farben zu uns heraufschimmern und die Neugierde und Kauflust wecken. In anderen, größeren Booten befinden sich malerisch gekleidete Söhne der arabischen Wüste, Fellachen mit bunten, lang herabfallenden Kopftüchern. Seit der Ankunft des Schiffes sind sie damit beschäftigt, mit Geduld und Beharrlichkeit die bestechenden Kuriositäten ihrer Heimat anzupreisen. Doch fast niemand ist da, der an diesen Dingen Interesse hätte.
Regungslos liegt die drückende Atmosphäre über den schlaffen Sonnensegeln, die auf der Fahrt sonst lustig über unseren Köpfen flattern. Endlich war die für Aden bestimmte Ladung gelöscht, und zum letztenmal saust der Hebekran über die Bordwand hinab zu den tief unter uns liegenden Leichtern. Langsam hebt sich der Anker, gelbe Schlammwolken unter der klaren, blauen Wasserfläche emporwirbelnd, und leise mit fast unmerklicher Bewegung gleitet das Schiff aus den Untiefen hinaus in die breite blaue Straße von Bab el Mandeb. Die flimmernden Umrisse der in atmosphärischem Dunste liegenden Küstenriffe sind nur noch schwache bläuliche Nebelstreifen und werden bald ganz verschwunden sein. Vor uns liegt nun der weite uferlose Weg einiger tausend Seemeilen, die wir mit dem eintönigen Rhythmus gleichmäßiger Schraubenbewegungen durchmessen werden. Abfahrtszeit und Ankunft sind, wie auf den festen Wegen der Eisenbahn, mit Genauigkeit festgelegt, und wenn der Kurs des Schiffes keiner besonderen Schwierigkeit begegnet, sind wir am neunten Tage vormittags 7 Uhr 30 im Hafen von Colombo.
Im Osten senkt sich die Reinheit eines tiefblauen, durchsichtig scheinenden Horizontes in unendlicher Weite über das Indische Meer, das von einer Fülle weißen, blendenden Sonnenlichtes überwölbt ist. Die Unbegrenztheit der leuchtenden Atmosphäre über leise sich kräuselnden Schaumkämmen wirkt wie eine Erlösung, und das schimmernde Meer gleicht einer kühlenden Oase, nach der sich unsere ganze Erwartung drängt. Langsam beleben sich auch schon die verödeten Verdecks, und alles kommt nach dem Vordersteven, um dort die erfrischende Brise zu genießen. In der hochaufschäumenden Bugwelle entwickelt sich wieder dieses lustige Spiel der Delphine, die uns schon seit vielen Tagen in den südlichen Gewässern begleiten und unsere Freunde geworden sind. In graziösen Sprüngen schießen ihre feisten, glänzenden Körper, welche der Form einer Spindel ähneln, in hohem Bogen aus dem Schaum des Schmeißwassers, und oft sehen wir eine große Herde, die dicht unter der Oberfläche des Wassers schwimmt, um plötzlich aus der weißen Welle des Bugs aufzutauchen. Anfänglich glaubten wir, daß es immer dieselben Scharen sind, die uns begleiten. Doch es gibt in diesen tropischen Meeren eine große Zahl dieser lustigen Trabanten, welche die Schiffe um ihrer spielerischen Eigenschaften willen eine Weile verfolgen, um dann wieder in die Tiefe des Ozeans zurückzukehren. Nun befinden wir uns in voller Fahrt, und eine leise Nordwestbrise hat den letzten Rest der über dem Verdeck lagernden dumpfen Schwüle verzehrt. Unter dem Heck des Schiffes zieht wirbelnd eine breite Straße hinaus, die sich hinter uns in eine endlose Perspektive verliert.
Ein Gefühl der Wehmut beschleicht uns, wenn wir dort jene Spur gen Westen verfolgen, denn dort liegt die Heimat, die wir vor wenigen Tagen erst verlassen haben und von der uns der Weg nun immer weiter und weiter entfernt. Unter uns an der Reling stehen chinesische Heizer mit entblößtem Oberkörper und blicken sehnsüchtig hinüber nach dem Osten. Sie steigen auf senkrechten Eisenleitern aus der Hölle des Kesselraumes empor, um ihren ermatteten Körper in der kühlenden Brise zu baden. In kurzen Zeitabständen versehen sie mit unendlicher Geduld und zäher Ausdauer den schweren Dienst in den Kesselräumen, wo die von großen Ventilatoren gekühlte Luft feuriger Lohe gleicht. Durch schmale Gitterroste, die wie ein Gerippe den Bauch des Schiffes ausfüllen, sehen wir tief unten die in fortwährender Bewegung befindlichen Gestalten halbnackter Männer, die von der roten Glut der geöffneten Kessel malerisch beleuchtet sind. In diesen Tagen brütender Hitze, die das Leben an Bord zu einer Qual macht, sehnt man sich mit kindlicher Ungeduld nach einem kühlenden Witterungsumschlag. Wohl ist die Zeit des Nordwest-Monsuns, der an der arabischen Küste seinen Ursprung hat; doch der Himmel strahlt in ewiger Bläue und Wolkenlosigkeit, während der Ozean in träger Ruhe in der Monotonie der Raumlosigkeit versinkt. Ein zweiter und dritter Tag bringt keine wesentliche Veränderung dieser Einförmigkeit, die uns wie ein brütendes Gespenst begleitet. Die tiefblaue See, die, von einer unbarmherzigen Sonne beschienen, wie ein blendender Spiegel leuchtet, ist von einer unheimlich-durchsichtigen Glätte überzogen. Aus ihrer Oberfläche steigen hastig große Scharen fliegender Fische, die vor ihren Feinden aus der Tiefe zu flüchten scheinen. Mit ihren Flügelflossen legen sie weite Strecken in der Luft zurück, um bald wieder hilflos unter der Oberfläche des Meeres zu versinken. Immer häufiger werden diese Schwärme, die rings um uns her die leblose Oberfläche des Ozeans bevölkern. Man sagt, ihr zahlreiches Erscheinen bedeute einen Wechsel der Witterung – Regen und Sturm. In manchen Kreisen der Passagiere wird diese Prophezeiung mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Doch wir sind stets skeptisch über diese Nachrichten, denn Tag und Nacht verlaufen in derselben einsamen Ruhe, und die Luft steht immer noch mit lastender Unbeweglichkeit über der Ödheit des Meeres.
Manchmal belebt sich der Horizont. Es werden Schiffe sichtbar, die unseren Kurs kreuzen, um vom fernen Osten nach der Heimat zurückzukehren. In der Frühe des vierten Tages begegnen wir einem englischen Kriegsgeschwader, dessen Rauchwolken wir am Horizont lange sichten, ehe man noch die Körper der niedrigen Schiffe sehen konnte. Bei solchen Begegnungen begreifen wir erst die räumlichen Entfernungen dieser unermeßlichen Wasserfläche, die sich zwischen den Horizonten erstreckt. Die Nächte in diesen Breitegraden sind von einer durchsichtigen Klarheit. Eine Fülle bläulichen Dämmerlichtes liegt auf der dunklen Oberfläche des Ozeans, während das Firmament unter der glitzernden Helligkeit des Sternenmeeres flimmert. Am Nachmittag des fünften Tages verändert sich die transparente Klarheit des Zenits, und zarte Wölkchen, deren Umrisse sich nur schwach von dem Himmel abheben, steigen im Nordwesten herauf. Das Feuer der Sonne ist jetzt in Weißglut verwandelt. Unter der drückenden Schwüle des Tages steigen wieder jene flatternden Fischherden aus der Tiefe des Wassers empor. Bald sehen wir kleine und große Scharen in blitzschnellem Flug ganz in der Nähe des Schiffes aufsteigen, so daß wir oft glauben, sie würden an der hohen Wand des Schiffskörpers zerschellen. Weit draußen im Ozean gleichen sie oft niedrig fliegenden Vogelscharen, die fast ebenso schnell, wie sie auftauchen, wieder unter dem blauen Wasserspiegel verschwunden sind. Auch diese lustigen Schweinsfische mit den spitzen, schnabelartigen Köpfen und den prallen, glänzenden Leibern begleiten uns schon wieder seit dem frühen Morgen. In den vergangenen Nächten sahen wir auch das geheimnisvolle Leuchten des Meeres, jenes prickelnde, phosphoreszierende Licht, das wie ein zauberhafter Spuk über die Unendlichkeit des dunklen Meeres wogt und in dem Gemüte des Seemanns den kindlichen Aberglauben an die übernatürlichen Kräfte der Natur erweckt. Aber nun scheint auch endgültig das Wetter in ein anderes Stadium treten zu wollen. Allmählich haben sich die sanften Wölkchen, die uns langsam entgegengezogen sind, in graue schwere Massen verwandelt, die den Himmel über uns bedecken und das intensive Blau des Ozeans in ein unheimliches Dunkel verfärbt haben. Von der Sonne, die schon weit im Westen steht, sehen wir nichts mehr als einen matten Schein, der durch die Gewebe dieses immer dichter werdenden Wolkengewölbes leuchtet. Drohende Dämmerung liegt schwer wie ein Alp auf der Einsamkeit des Wassers. Noch ehe sich der dämmerhafte Schleier des Abends in eine undurchdringliche Finsternis verwandelt hat, spüren wir die ersten Windstöße, die an den Sonnensegeln des Vorderstevens zerren. Das träge Barometer ist aus seinem Schlaf erwacht. Die Nadel zeigt auf Sturm und Regen, und nun ist kein Zweifel mehr, daß wir mitten in den Monsun hineinsteuern. Langsam beginnt der schwere Körper des Schiffes in seiner Längsachse zu rollen, und gegen die Bugwand klatschen die weißen, hohen Schaumkämme des Ozeans. Aus der erdrückenden Atmosphäre des Tages sind wir in die schauernde Kühle einer undurchdringlichen Finsternis hineingefahren. Leise regt sich in uns die Sehnsucht nach jenen dämmerigen, sternenklaren Nächten des tropischen Sommers, denen wir nun auf unserer Fahrt durch Sturm und feuchten Nebel wohl nie mehr begegnen werden. Mitten in der Nacht weckt uns plötzlich das monströse Rauschen eines Gewitterregens, der das Schiff mit seinen brausenden Fluten überschüttet. Die Luken und Bullaugen, durch die der Körper des Schiffes in den feuchtheißen Nächten der Tropen atmet, sind hermetisch verschlossen. Unter Deck herrscht eine Treibhausluft, und wir sehnen uns nach der erfrischenden Klarheit des frühen Morgens.
Doch eine große Enttäuschung zerstört unsere Illusionen, denn der neue Tag ist mit einer düsteren, nebelhaften Dämmerung heraufgestiegen, und die Windstärke, die inzwischen erheblich zugenommen hat, macht den Aufenthalt an Deck unmöglich. Die Szene in der Natur ist ungleich verändert, und kaum erkennen wir diesen sanften, blauen Ozean der vergangenen Tage wieder. Unter den schweren Nebeln, die unbeweglich auf der Oberfläche des Wassers liegen, schäumt ein aufgeregtes Meer, dessen weiße Wellenkämme in ewigem Rhythmus vom Nordwesten heranbrausen. Vom Himmel und der Sonne ist nichts mehr zu sehen. Alles versinkt in der Eintönigkeit eines grauen, feuchtwarmen Nebelmeeres. Eine gedrückte Stimmung beherrscht die Gemüter, und man sieht viele blasse und leidende Gesichter von Seekranken, die aus der dumpfen Luft der Kajüte zu den windgeschützten Stellen des Verdecks heraufkommen. Die letzten Tage unserer Fahrt bringen keine Veränderungen im Wetter, doch der Gedanke, daß wir bald in den schützenden Hafen von Colombo einlaufen werden, erfüllt uns mit zuversichtlicher Hoffnung. Der neunte und letzte Tag unserer Fahrt grüßt uns mit einer feierlichen Helligkeit des Himmelslichtes. Wir sind in der Nähe der ceylonesischen Küste, die wir im Osten wie einen schmalen, blaßblauen Nebelstreifen auftauchen sehen. Rasch beleben sich die Verdecks. Mit den Gläsern sucht man die Geheimnisse dieses sagenhaften Strandes zu entdecken. Fast scheint es, als ob die Sonne sich zur Feier dieses Ereignisses wieder zeigen wolle, denn der Osten enthüllt uns eine Fülle matten, blendenden Lichtes, und die Nebel sind in die Unendlichkeit des Zenits hinaufgestiegen. Von drüben leuchtet uns das zitternde Weiß der Brandung entgegen, und langsam löst sich das matte Grün des Palmenstrandes von der grauweißen Färbung des Himmels. Die ersten Boten des nahen Landes, die Möwen, kommen uns jetzt entgegengezogen. Mit majestätischem Flügelschlag umkreisen sie krächzend die hohen Masten des fremden Ankömmlings, um bald wieder in niedrigem Flug über den kurzen Wogenkämmen des Wassers der Küste entgegenzusegeln.
Singalesische Fischerboote mit eigenartig graziösen Auslegern schaukeln im hellen Lichte des Frühmorgens auf dem bewegten Wasser der Bucht. Manche treiben mit geblähten Segeln auf uns zu, und wir sehen, wie ihre nackten braunen Insassen die Netze auswerfen und einholen. Die Boote sind von primitiver Beschaffenheit und bestehen aus rohbehauenen Baumstämmen, die wie Treibholz auf den Wellen schaukeln. Endlich sehen wir die langen, schmalen Wälle des Hafens, an denen sich die brandende See in hohen weißen Schaumtürmen bricht. Hinter einem Meer von Masten und rauchenden Schiffsschloten liegt in nebelhaften Umrissen die Stadt, deren Boden wir in kurzer Zeit betreten werden. Der Lotse kommt an Bord und übernimmt die Führung des Schiffes, das mit halber Kraft langsam durch die Einfahrt in die Enge des Hafens zieht. In dem blaugrauen Dunst tropischer Schwüle liegt Colombo, umgeben von grünen Palmenhainen, die, soweit das Auge folgen kann, die herrliche Küste dieser Insel säumen. Nun beginnt sich an Bord ein lebhaftes Treiben zu regen. Man öffnet die Laderäume, durch die wir tief in den Bauch des Schiffes hinabsehen können. Die Krane und Ankerspille werden unter Dampf gesetzt. Ein wirres Leben entsteht unter den Passagieren, die nun in großer Menge die einst so verödeten Decks bevölkern. Hotelagenten, eingeborene Händler und Geldwechsler, Reiseemissäre und Schiffsagenten sind an Bord gekommen, noch ehe der Dampfer in Ruhe liegt. Langsam gleitet das Schiff zwischen einem Heere von kleinen und winzigen Booten hinein in den Wald der Masten, welche die bunten Wimpel und Flaggen aller Länder und Staaten tragen. Der Anker fällt, und nach neuntägiger Arbeit rastet das nimmermüde Getriebe der Schiffsmaschine, deren eintöniger Takt uns auf der Fahrt durch die weiten Meere begleitet hat.