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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

»Und Ihr wundert Euch nicht über diese Kunde, Varden?« sprach Herr Haredale. »Nun, Ihr und sie, ihr Beide seyd stets die besten Freunde gewesen, und wenn Jemand sie versteht, so muß es bei Euch der Fall seyn.«

»Ich bitte um Entschuldigung,« versetzte der Schlosser; »aber ich sagte nicht, daß ich sie verstünde, da es eine Anmaßung wäre, etwas Solches, was immer einem Weibe gegenüber, behaupten zu wollen. So etwas geht nicht so leicht. Keinesfalls kömmt mir übrigens die Sache so unerwartet, als Ihr wohl geglaubt haben mögt.«

»Darf ich wohl fragen, warum nicht, mein guter Freund?«

»Ich habe etwas gesehen, Sir,« entgegnete der Schlosser mit augenscheinlichem Widerstreben, »ich habe etwas bei ihr gesehen, was mich mit Unruhe und Mißtrauen erfüllte. Sie hat sich auf schlimme Bekanntschaften eingelassen – wie, oder wann, weiß ich nicht; so viel aber ist gewiß, daß sie ihr Haus zu einer Zufluchtsstätte für einen Kerl hergegeben hat, der mindestens ein Räuber und Gurgelabschneider ist. So, Sir, jetzt ist's heraus.«

»Varden!«

»Ich habe es mit eigenen Augen angesehen, und möchte um ihretwillen gern eines derselben hergeben, wenn ich mir damit die Wonne erkaufen könnte, ihnen mißtrauen zu dürfen. Ich habe das Geheimniß bis jetzt bewahrt, und ich weiß, daß bei Euch auch kein weiterer Gebrauch davon gemacht wird; aber ich sage Euch, daß ich letzthin nach Einbruch der Nacht in der Flur ihres Hauses mit diesen meinen eigenen Augen und in hellem Wachen den Strauchdieb sah, der Herrn Edward Chester beraubte und verwundete – denselben, der in jener Nacht auch mich bedrohte.«

»Und Ihr versuchtet nicht, ihn festzuhalten?« entgegnete Herr Haredale rasch.

»Sir,« erwiederte der Schlosser, »sie selbst verhinderte mich daran – hielt mich mit aller Kraft zurück und hängte sich an mich, bis er geborgen war.«

Und nachdem er sich so weit ausgelassen hatte, berichtete er umständlich Alles, was in jener Nacht vorgefallen war.

Dieses Zwiegespräch wurde in flüsterndem Tone auf des Schlossers kleiner Wohnstube gehalten, wohin der ehrliche Gabriel seinen Gast nach dessen Ankunft geführt hatte. Herr Haredale war gekommen, um den Schlosser zu bitten, ihn zu der Wittwe zu begleiten, damit auch er seinen Einfluß geltend mache, um sie zu bereden; und dieser Umstand hatte das genannte Gespräch veranlaßt.

»Ich habe gegen keinen Menschen etwas davon verlauten lassen,« fuhr Gabriel fort, »da es ihr nichts nützen und vielleicht sehr schaden konnte. Offen gestanden, ich dachte und hoffte immer, sie würde zu mir kommen, gegen mich davon anfangen und mir die Sache auseinandersetzen; aber obgleich ich mich ihr etlichemal absichtlich in den Weg stellte, berührte sie doch den Gegenstand nie – als allenfalls durch einen Blick. Und in der That,« fügte der gutmüthige Schlosser bei, »es lag viel in diesem Blick, mehr, als sich durch einen ganzen Schwall von Worten hätte ausdrücken lassen. Unter Anderem sagte er mir so flehentlich ›frage mich über nichts,‹ daß ich mich gar nichts zu fragen getraute. Ich weiß, Ihr werdet mich für einen alten Narren halten, Sir. Nun, wenn's Euch Erleichterung verschafft, so thut es immerhin.«

»Eure Mittheilung beunruhigt mich ungemein,« sagte Herr Haredale nach einer Pause. »Und was haltet Ihr eigentlich von dem Ganzen?«

Der Schlosser schüttelte den Kopf und schaute bedenklich durch das Fenster nach dem entschwindenden Tageslicht.

»Sie kann sich doch nicht wieder verheirathet haben?« fuhr Herr Haredale fort.

»Ohne unser Vorwissen sicherlich nicht!«

»Sie hat vielleicht uns nichts mitgetheilt, weil sie fürchtete, es könnte zu Einwendungen oder einer Entfremdung führen. Angenommen, sie hätte sich in ein unvorsichtiges Ehebündniß eingelassen – es ist nicht unmöglich, denn sie hat viele Jahre ein einsames und einförmiges Daseyn geführt – und der Mann sich nachher als einen Schurken ausgewiesen: sie mußte da wohl Sorge tragen, ihn zu schirmen, wenn sie auch vor seinen Verbrechen zurückbebte. Es könnte wohl der Fall seyn und reimte sich recht gut mit ihrem ganzen gestrigen Benehmen und ihren Reden zusammen; wenigstens würde mir Alles daraus erklärlich. Glaubt Ihr, Barnaby sey in die Verhältnisse eingeweiht?«

»Das läßt sich unmöglich sagen,« versetzte der Schlosser mit abermaligem Kopfschütteln; »und eben so unmöglich wäre es, ihn darüber auszuholen. Wenn Eure Annahme wirklich Grund hätte, so müßte ich für den jungen Menschen zittern – er ist ganz darnach, sich zu bösen Zwecken gebrauchen zu lassen.«

»Es ist doch nicht wohl möglich, Varden,« sagte Herr Haredale noch leiser als vorher,« daß wir von diesem Weibe von Anfang an verblendet und getäuscht wurden? Es ist nicht wohl denkbar, daß diese Verbindung schon zu Lebzeiten ihres Gatten stattfand und Anlaß gab zu seinem und meines Bruders –«

»Guter Gott, Sir,« rief Gabriel, ihn unterbrechend; »gebt doch ja keinen Augenblick solchen finstern Gedanken Raum. Wo war vor fünfundzwanzig Jahren ein Mädchen, wie sie? Ein heiteres, schönes, lachendes, helläugiges Jüngferchen! Bedenkt doch, was sie damals war, Sir. Selbst jetzt noch möchte mir das Herz springen, obgleich ich ein alter Mann bin, dessen Tochter schon eine Frau seyn könnte, wenn ich an die Vergangenheit und an die Gegenwart denke. Wir Alle verändern uns, aber das ist Folge der Zeit. Die Zeit thut ihr Geschäft ehrlich, doch ich kümmere mich den Henker um sie, Sir. Geht nur gut mit ihr um, und sie ist so übel nicht – ja, sie verschmäht es sogar, einen in Nachtheil zu bringen. Doch Sorgen und Leiden (denn diese sind es, die die arme Frau so verändert haben) sind wahre Teufel, Sir – geheime, schleichende und unterminirende Teufel, welche die schönsten Blumen Edens niedertreten und in einem Monat mehr Verwüstung anrichten, als die Zeit in einem Jahre. Vergegenwärtigt Euch nur für eine Minute, was Marie war, ehe diese Unholden auf ihr schönes Herz und ihr frisches Gesicht einstürmten – laßt ihr diese Gerechtigkeit widerfahren – und sagt, ob solches auch nur möglich ist?«

»Ihr seyd ein guter Mensch, Varden,« sagte Herr Haredale, »und habt da ganz Recht. Die ganze Geschichte hat so lange in meiner Seele gebrütet, daß jeder Hauch von Verdacht mich wieder darauf zurückführt, Ihr habt da ganz Recht.«

»Nicht gerade deßhalb,« entgegnete der Schlosser mit leuchtenden Augen und kräftiger, ehrlicher Stimme; »nicht gerade deßhalb, weil ich vor Rudge um sie freite und zurückgewiesen wurde, sage ich, daß sie zu gut für ihn war. Sie wäre deßgleichen auch für mich zu gut gewesen. Aber sie war sicherlich auch zu gut für ihn; er war nicht frei und offen genug für sie. Ich will das Andenken des armen Burschen mit keinem Vorwurfe belasten, sondern Euch nur zu Gemüthe führen, was sie wirklich war. Was mich anbelangt, so soll ihr altes Bild nicht aus meiner Seele weichen; und wenn ich daran denke und in's Auge fasse, was sie so verändert hat, so muß ich fortfahren, ihr als Freund zur Seite zu stehen. Vielleicht gelingt's mir, ihr den Frieden zurückzubringen. Und hole mich Dieser und Jener, Sir,« rief Gabriel, »– entschuldigt, wenn ich fluche – ich könnte nicht anders gegen sie seyn, wenn sie in zwölf Monaten fünfzig Straßenräuber geheirathet hätte; und würde noch obendrein bis zum jüngsten Tage steif und fest behaupten, ich handle dabei ganz nach der protestantischen Hausandacht, was mir auch Martha dagegen sagen möchte.«

Wenn das finstere kleine Stübchen mit einem dichten Rauch erfüllt gewesen und dieser mit einemmale entwichen wäre, um alles licht und strahlend zu machen, so hätte der Eindruck nicht erfreulicher seyn können, als die Heiterkeit, die nach diesem Ausbruche plötzlich aus dem Antlitze des redlichen Schlossers leuchtete. Herr Haredale erwiederte dessen Worte mit einem fast eben so runden und vollen »Wohlgesprochen!« und bat ihn, ohne weiteren Verzug mitzukommen. Der Schlosser willfahrte mit Freuden, und Beide stiegen in eine Miethkutsche, die an der Thüre wartete, um auf der Stelle abzufahren.

Sie stiegen an der Straßenecke aus, entließen daselbst ihr Fuhrwerk und gingen zu Fuß nach dem Hause der Wittwe. Ihr erstes Pochen an die Thüre blieb unerwiedert; ein zweites hatte den gleichen Erfolg, und erst als sie zum drittenmale und zwar weit nachdrücklicher klopften, öffnete sich sachte das Schiebfenster der Wohnstube, aus welchem eine musikalische Stimme hervortönte.

»Haredale, mein theurer Freund, ich bin ungemein erfreut. Euch zu sehen. Um wie viel hat sich Euer Aeußeres seit unserer letzten Zusammenkunft verbessert! Ihr habt nie so gut ausgesehen. Wie geht es Euch?«

Herr Haredale wandte sein Auge nach dem Fenster, obgleich dieß nicht nöthig gewesen wäre, um den Sprecher zu erkennen, und gewahrte daselbst Herrn Chester, der ihm mit der Hand zuwinkte und ihn mit freundlichem Lächeln willkommen hieß.

»Die Thüre wird sogleich geöffnet werden,« sagte er. »Es ist Niemand da, um solche Verrichtungen zu vollziehen, als eine sehr verwitterte Frauensperson. Ihr werdet wohl mit ihrer Gebrechlichkeit Nachsicht haben? Stünde sie auf einer höheren Stufe der Gesellschaft, so würde sie die Gicht haben. Da sie jedoch blos eine Holz- und Wasserträgerin ist, so hat sie das Rheuma. Ich versichere Euch, mein theurer Haredale, das sind ganz natürliche Rangunterschiede.«

Herr Haredale, dessen Antlitz sich verfinsterte und mißtrauisch wurde, sobald er diese Stimme hörte, antwortete nur mit einem steifen Kopfnicken und wandte dem Sprecher den Rücken zu.

»Noch nicht offen?« sagte Herr Chester. »Ich will nicht hoffen, daß die alte Creatur unterwegs mit ihrem Fuße in irgend einem unglücklichen Spinnengewebe stecken blieb. Nun, da ist sie endlich; ich bitte, kommt herein!«

Herr Haredale trat mit dem Schlosser ein. Er wandte sich mit erstauntem Blicke an die alte Frau, welche die Thüre geöffnet hatte, und fragte nach Frau Rudge – und nach Barnaby. Sie wären Beide fort, entgegnete die Alte mit einem Kopfschütteln; aber im Zimmer sey ein Herr, der vielleicht mehr darüber sagen könne. Weiter wisse sie nicht.

»Ich bitte, Sir,« begann Herr Haredale, indem er sich an diesen neuen Insassen wandte, »wo ist die Person, die ich zu besuchen komme?«

»Mein theurer Freund,« entgegnete dieser, »ich habe nicht die mindeste Idee davon.«

»Eure Scherze sind sehr unzeitig,« erwiederte der Andere mit verhaltener Stimme, »und haben ihren Gegenstand übel gewählt. Behaltet sie auf für Eure Freunde und verschwendet sie nicht an mich. Ich mache keinen Anspruch an eine solche Auszeichnung und besitze Selbstverleugnung genug, darauf zu verzichten.«

»Mein theurer, guter Sir,« sagte Herr Chester. »Ihr habt Euch in Hitze gelaufen. Bitte, nehmt Platz. Unser Freund ist –«

»Nur ein einfacher, ehrlicher Mann,« entgegnete Herr Haredale, »und Eurer Beachtung durchaus unwerth.«

»Gabriel Varden, Sir,« platzte der Schlosser plump dazwischen.

»Ein würdiger, englischer Freisasse,« sagte Herr Chester. »Ein höchst würdiger Freisasse, von dem ich meinen Sohn Ned – den lieben Jungen – häufig habe sprechen hören und den ich selbst oft zu sehen wünschte. Varden, mein lieber Freund, es freut mich, Euch kennen zu lernen. Ihr wundert Euch, mich hier zu sehen,« fügte er langsam gegen Herrn Haredale gewendet fort: »Ich kann mir wohl denken, daß Ihr Euch wundert.«

Herr Haredale sah nach ihm hin – freilich weder zärtlich noch bewundernd – lächelte und schwieg.

»Das Geheimniß wird sich in einem Augenblick aufklären,« sprach Herr Chester; »in einem Augenblick. Wollt Ihr nicht mit mir ein wenig auf die Seite treten? Ihr erinnert Euch doch Eures Vertrags hinsichtlich meines Ned und Eurer Nichte, Haredale? auch fällt Euch vielleicht bei, wer Alles auf der Liste der Helfershelfer in ihrer unschuldigen Intrigue stand? Nun, Ihr müßt Euch entsinnen, daß diese zwei Leute darunter waren? Nun, mein theurer Freund, Ihr müßt Euch und mir Glück wünschen. Ich habe sie abgekauft.«

»Was hättet Ihr gethan?« versetzte Herr Haredale.

»Sie abgekauft,« entgegnete sein lächelnder Freund. »Ich habe es nothwendig gefunden, einige entschiedene Schritte zu thun, um das Verhältniß zwischen diesem Jungen und dem Mädchen zur Lösung zu bringen, und machte den Anfang damit, daß ich diese zwei Agenten entfernte. Ihr seyd überrascht? Wer könnte auch dem Einfluß von ein Bischen Geld widerstehen? Sie brauchten es, und so habe ich sie abgekauft. Wir haben nichts mehr von ihnen zu befürchten. Sie sind fort.«

»Fort!« wiederholte Herr Haredale, »wohin?«

»Mein theurer Freund – und Ihr müßt mir erlauben, Euch abermals zu sagen, daß Ihr nie so jung ausgesehen habt, nie so gar jugendlich, wie diesen Abend – Gott weiß, wohin. Ich glaube, Columbus selbst würde sie nicht zu entdecken vermögen. Unter uns, sie haben ihre geheimen Gründe dafür, aber über diesen Punkt habe ich mich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Ich weiß, sie hatte für heute Abend eine Zusammenkunft mit Euch verabredet; doch sie fand es unbequem und konnte nicht warten. Hier ist der Hausschlüssel. Ich fürchte. Ihr werdet ihn ungebührlich groß finden; aber da das Haus Euch gehört, so bin ich überzeugt, Haredale, daß es Eure Gutmüthigkeit nicht allzu genau nehmen wird.«



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