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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Die Dämmerung war schon seit einigen Stunden der Nacht gewichen, und es war hoher Mittag in jenen Stadttheilen, in welchen sich »die Welt« zu wohnen herabgelassen hatte – denn die Welt war schon damals, wie heutzutage, auf einen sehr beschränkten Raum angewiesen und daher bald untergebracht – als Herr Chester in seinem Ankleidezimmer auf einem Sopha lag und sich mit einem Buche unterhielt. Er kleidete, wie es schien, sich sehr gemächlich an, hatte ungefähr die Hälfte seines Geschäftes vollbracht und machte eben eine lange Ruhepause. Da seine Beine bereits nach der prunkvollsten Mode des Tages herausstaffirt waren, so blieb ihm nur noch der obere Theil seiner Toilette zu vollenden. Der Rock hing, wie eine verfeinerte Vogelscheuche, ausgespannt auf seinem besonderen Ständer, die Weste lag in ihrem vortheilhaften Lichte vor ihm ausgebreitet, die unterschiedlichen weiteren Anzugsartikel waren in der lockendsten Ordnung arrangirt; und noch immer streckte er sich auf dem Sopha, die Beine, gegen den Boden niederbaumelnd und in sein Buch sich vertiefend, wie wenn er nichts weiteres mehr beabsichtige, als in sein Bett zu gehen.

»Auf Ehre,« sagte er endlich, indem er mit der Miene eines Mannes, der reiflich über das Gelesene nachdenkt, die Augen nach der Decke aufschlug. »auf Ehre, der meisterhafteste Styl, die sublimsten Gedanken, der schönste Codex der Moral und die gentlemänischsten Gesinnungen des ganzen Alls! Ah, Ned, Ned! wenn du nur deinen Geist nach solchen Vorschriften modeln wolltest – wir hätten dann nur ein gemeinsames Gefühl über Alles, was möglicherweise zwischen uns vorfallen könnte!«

Diese Anrede war, wie der übrige Theil seiner Bemerkung, an die leere Luft gerichtet, denn Edward war nicht zugegen und der Vater ganz allein.

»Ach, Lord Chesterfield,« fuhr er fort, indem er das Buch, welches er jetzt niederlegte, zärtlich mit der Hand drückte, »wenn ich von deinem Genius in Zeiten genug hätte profitiren können, um meinen Sohn nach dem Modell zu bilden, das du allen weisen Männern hinterlassen hast, so würden wir Beide, er und ich, jetzt reiche Leute seyn. Shakespeare war ohne Zweifel sehr schön in seiner Zeit; Milton gut, obgleich langweilig; Lord Bacon tief und ein entschiedener Gelehrter; aber der Schriftsteller, den man den Stolz seines Landes nennen sollte, ist Lord Chesterfield.«

Er wurde wieder nachdenksam und nahm zu dem Zahnstocher seine Zuflucht.

»Ich glaubte, ein leidlich vollkommener Weltmann zu seyn,« fuhr er fort, »ich schmeichelte mir, alle die kleinen Künste und die graziösen Manieren ziemlich genau zu kennen, welche den Mann von Welt von dem rohen Bauern und dem Kerl, der sein Brod im Schweiße seines Angesichts verdient, unterscheiden und seinen Charakter über die unendlich gemeinen Gesinnungen erheben, die man mit dem Titel Nationalcharakter bezeichnet. Ich meinte es zu seyn, ohne gerade von Natur aus eine besondere Vorliebe für mich selbst zu besitzen, aber auf jeder Seite dieses erleuchteten Autors finde ich irgend eine gewinnende Heuchelei, die mir nie vorher zu Sinnen kam, oder irgend ein Ausbundstückchen von Selbstsucht, das mir wildfremd war. Ich sollte, diesem erstaunlichen Wesen gegenüber, vor mir selbst erröthen, wenn man, seiner Lehren eingedenk, überhaupt noch über etwas erröthen könnte. Ein bewunderungswürdiger Mann! In der That ein Edelmann! Ein König oder eine Königin mögen allenfalls einen Lord machen, aber nur der Teufel selbst – und die Grazien – sind im Stande, einen Chesterfield zu schaffen.«

Durchaus falsche und hohlherzige Menschen geben sich selten Mühe, diese Gebrechen vor sich selbst zu verbergen, und doch thun sie sich in demselben Augenblicke auf die Tugenden, welche sie am meisten zu verachten vorgeben, etwas zu gute – »denn« sagen sie, »das ist Ehrlichkeit, ist Wahrheit. Alle Menschen sind wie wir, aber nur nicht so aufrichtig, es zuzugestehen.« Je mehr sie das Vorhandensein jeder Ehrlichkeit in der Welt in Abrede zu ziehen affektiren, desto mehr möchten sie darum angesehen werden, daß sie diese Eigenschaften in ihrer kühnsten Gestalt besitzen; und dieß ist von Seite dieser Philosophen eine unwillkürliche Kniebeugung vor der Wahrheit, welche bis zum Tage des Gerichtes das Gelächter gegen sie kehren wird.

Nachdem Herr Chester seinen Lieblingsschriftsteller in der genannten Weise gepriesen hatte, nahm er in dem Uebermaße seiner Bewunderung das Buch wieder auf und war eben im Begriffe, die hohe Moral desselben weiter zu studiren, als er durch einen Lärm an der äußern Thüre gestört wurde, der, wie es schien, seinen Ursprung daraus nahm, daß sein Diener den Eintritt irgend eines unwillkommenen Gastes zu verhindern suchte.

»Eine späte Stunde für einen zudringlichen Gläubiger,« sagte er, die Augenbrauen mit einem so indolenten Ausdrucke der Verwunderung in die Höhe ziehend, als ob der Lärm auf der Straße vor sich ginge und durchaus nicht die mindeste Beziehung zu ihm selbst hätte. »Viel zu lang nach ihrer gewohnten Zeit. Vermuthlich der alte, abgedroschene Vorwand. Ohne Zweifel morgen eine große Zahlung zu machen. Der arme Kerl – er verliert seine Zeit, und Zeit ist Geld, wie das Sprichwort sagt, obgleich es an mir nie wahr werden wollte. Nun? Was gibt's? Du weißt, daß ich nicht zu Hause bin.«

»Ein Mann, Sir,« entgegnete der Diener, der in seiner Art eben so kalt und gleichgültig, wie sein Gebieter war, »hat die Reitpeitsche gebracht, die Ihr kürzlich verloren habt. Ich sagte ihm, Ihr wäret nicht zu Hause; aber er erklärte, er wolle warten, bis ich sie hereingebracht habe, und werde nicht eher gehen, bis dieß geschehen sey.«

»Er hat ganz recht,« erwiederte sein Herr, »und du bist ein Strohkopf ohne Verstand und Beurtheilungsgabe. Laß ihn hereinkommen – sieh' aber zu, daß er zuvor genau fünf Minuten lang seine Schuhe abreibt.«

Der Bediente legte die Peitsche auf einen Stuhl und entfernte sich. Der Herr, der blos seinen Fußtritt gehört und sich nicht die Mühe genommen hatte, den Kopf umzuwenden und ihn anzusehen, schloß sein Buch und verfolgte den Gedankengang weiter, in dem er durch den Eintretenden gestört worden war.

»Wenn Zeit Geld wäre,« sagte er, mit seiner Schnupftabaksdose spielend, »so wollte ich wohl mit meinen Gläubigern ein's werden und ihnen geben – laßt einmal sehen – wie viel täglich? Da ist mein Schläfchen nach dem Mittagessen – eine Stunde, die sollte ihnen gegönnt seyn; sie könnten damit anfangen, was sie wollten. Morgens zwischen dem Frühstück und dem Zeitungslesen könnte ich wieder eine Stunde für sie ersparen; Nachmittags vor dem Essen – meinetwegen noch eine. Drei Stunden des Tags. Sie könnten sich in zwölf Monaten mit Interessen bezahlt machen. Ich denke, ich will ihnen einmal den Vorschlag machen. Ah, mein Centaur, bist du da?«

»Ja, hier bin ich,« versetzte Hugh, der mit einem Hund, so rauh und mürrisch als er selbst, hereintrat; »aber es hat mich auch Mühe genug gekostet. Warum verlangt Ihr von mir, daß ich kommen soll, wenn Ihr mich doch nicht einlassen wollt?«

»Mein guter Bursche,« entgegnete der Andere, seinen Kopf ein wenig von dem Polster erhebend und ihn nachlässig vom Kopfe bis zur Zeche musternd, »ich freue mich ungemein, dich zu sehen, und finde den besten Beweis, daß man dich eingelassen hat, in deinem Hierseyn. Wie geht es dir?«

»Oh, gut genug,« antwortete Hugh ungeduldig.

»Du siehst wie ein wahres Wunder von Gesundheit aus. Nimm Platz.«

»Ich kann eben so gut stehen,« sagte Hugh.

»Ganz nach deinem Belieben, mein guter Bursche,« versetzte Herr Chester aufstehend, indem er langsam seinen weiten Schlafrock ablegte und sich vor den Ankleidespiegel setzte. »Du kannst's jedenfalls ganz nach deiner Bequemlichkeit halten.«

Nachdem er dieß in dem möglichst höflichen und freundlichen Tone gesprochen hatte, fuhr er fort, sich anzukleiden, ohne weitere Notiz von seinem Gast zu nehmen, der, ohne zu wissen, was er zunächst thun sollte, auf derselben Stelle stehen blieb und Herrn Chester nur hin und wieder einen verdrießlichen Blick zuwarf.

»Wollt Ihr mit mir sprechen, Herr?« fragte er nach einer langen Pause.

»Mein würdiger Patron,« versetzte Herr Chester,« du bist ein wenig verstimmt und nicht des besten Humors, weßhalb ich warten will, bis du wieder ganz du selbst bist. Ich habe keine Eile.«

Dieses Benehmen übte seine beabsichtigte Wirkung. Es demüthigte und beschämte den Menschen und machte ihn noch unschlüssiger und ungewisser. Harte Worte hätte er erwiedern, Heftigkeit mit Interessen zurückbezahlen können; aber diese kalte, geschmeidige, verächtliche und durchdachte Aufnahme ließ ihn seine untergeordnete Stellung weit vollständiger fühlen, als wenn man sie ihm durch die gründlichste Argumentation dargethan hätte. Dabei stand Alles im Einklange, um den Nachdruck zu verstärken. Seine eigene rauhe Sprache im Gegensatz mit dem weichen, ansprechenden Accente des Andern; sein rohes Benehmen und Herrn Chester's abgeschliffenes Wesen; die Unordnung und Nachlässigkeit in seinem zerlumpten Anzuge und die elegante Kleidung, die er vor sich sah, dazu noch der ungewohnte Luxus und die Gemächlichkeit des Zimmers, wie auch das Schweigen, das ihm Muße gab, all' dieß zu beobachten und sich unwohl dabei zu fühlen; alle diese Einflüsse, welche nur zu oft ihres Eindrucks auf unmündige Gemüther nicht verfehlen und eine fast unwiderstehliche Macht üben, wenn man sie einem Charakter, wie dem unseres Centauren gegenüber, geltend macht, überwältigten Hugh ganz und gar. Er trat näher und näher an Herrn Chester's Stuhl heran, blickte über dessen Schulter, als suche er in dem Ausdrucke seines Gesichts, das der Spiegel zurückstrahlte, eine Ermuthigung, und begann endlich mit einem rohen Versuche zur Versöhnung:

»Wollt Ihr mit mir sprechen, Herr, oder soll ich wieder gehen?«

»Sprich,« sagte Herr Chester, »sprich immerhin, mein guter Bursche. Ich habe bereits den Anfang gemacht – oder nicht? Ich warte auf dich.«

»Je nun, seht, Sir,« entgegnete Hugh mit sich steigernder Verlegenheit. »bin ich nicht der Mann, dem Ihr, ehe Ihr von dem Maibaum fortrittet, im geheim Eure Peitsche zurückließt, und dem Ihr sagtet, er solle sie Euch zurückbringen, wenn er über einen gewissen Gegenstand mit Euch zu reden habe?«

»Ohne Zweifel derselbe, wenn du nicht etwa einen Zwillingsbruder hast,« erwiederte Herr Chester, indem er den Reflex von dem ängstlichen Gesichte des Andern im Spiegel betrachtete; »aber dieß ist wohl nicht wahrscheinlich, möcht' ich behaupten.«

»Ich bin daher gekommen, Sir,« sagte Hugh, »und habe sie zurückgebracht, aber auch noch etwas anderes mit – einen Brief, Sir, den ich der Person abnahm, welche ihn besorgen sollte.«

Mit diesen Worten legte er Dolly's letzten Brief auf den Ankleidetisch – denselben, der ihr so vielen Kummer verursacht hatte.

»Ist er durch Gewalt in deine Hände gekommen, mein guter Bursche?« fragte Herr Chester, indem er nach dem Briefe hinsah, ohne jedoch die mindeste Ueberraschung oder Freude kund zu geben.

»Nicht ganz,« antwortete Hugh. »aber doch theilweise.«

»Wer war der Bote, dem du ihn abnahmst?«

»Eine Weibsperson. Die Tochter eines gewissen Varden.«

»Ah, wirklich?« versetzte Herr Chester heiter. »Und was nahmst du ihr sonst noch ab?«

»Was sonst noch?«

»Ja,« erwiederte der Andere gedehnt, denn er heftete eben ein Schönpflästerchen auf eine sehr kleine Finne in der Nähe seines Mundwinkels. »Was sonst noch?«

»Je nun – einen Kuß,« antwortete Hugh nach einigem Zögern.

»Und außerdem?«

»Nichts.«

»Ich denke,« sagte Herr Chester in demselben leichten Tone und einigemale lächelnd, um zu sehen, ob das Pflästerchen klebe, »ich denke, es handelte sich von etwas Weiterem. Es ist von einem Schmuck gesprochen worden – einer bloßen Kleinigkeit – einer Sache von so wenig Werth, daß du wohl darauf vergessen haben magst. Erinnerst du dich nicht auf etwas der Art – auf eine Armspange zum Beispiel?«

Hugh brummte einen Fluch vor sich hin, steckte die Hand in seine Brusttasche, zog das in einen Heubüschel gewickelte Armband heraus und war eben im Begriffe, es gleichfalls auf den Tisch zu legen, als sein Gönner ihm abwehrte und ihn aufforderte, es wieder einzustecken.

»Du hast dieß für dich selbst genommen, mein vortrefflicher Freund,« sagte er, »und magst es daher behalten. Ich bin weder ein Dieb noch ein Hehler. Zeige es mir nicht. Du thust gut, es ohne Zeitverlust wieder zu verbergen. Laß mich nicht einmal sehen, wo du es hinsteckst,« fügte er bei, indem er seinen Kopf abwandte.

»Ihr wäret kein Hehler?« polierte Hugh heraus, ungeachtet der sich steigernden Ehrfurcht, in welcher ihn der Andere erhielt. »Wie nennt Ihr Dieß, Herr?« Er schlug dabei mit schwerer Faust auf den Brief.

»Ich nenne das anders,« versetzte Herr Chester kaltblütig; »und du sollst sehen, daß ich dir augenblicklich den Beweis liefern werde. Du hast vermuthlich Durst?«

Hugh fuhr mit seinem Aermel über die Lippen und antwortete mit einem mürrischen »Ja.«

»So geh, an jenen Wandschrank und bringe mir eine von den Flaschen, die du darin sehen wirst, nebst einem Glase.«

Hugh gehorchte. Sein Gönner folgte ihm mit den Augen, und sobald ihm der Kerl den Rücken bot, lächelte er, wie er noch nie gethan hatte, seit er vor dem Spiegel stand. Sobald Hugh zurückkehrte, füllte er ihm das Glas und forderte ihn zum Trinken auf. Dieß geschah, worauf ein zweites und ein drittes eingeschenkt wurde.

»Wie viel kannst du führen?« fragte Herr Chester, indem er das Glas abermals füllte.

»So viel als Euch beliebt, mir zu geben. Nur eingeschenkt – bis an den Rand. Ein Glas, daß es recht hübsch perlt in der Mitte! Gebt mir genug von diesem,« fügte er bei, indem er wieder eines in seine haarige Kehle hinuntergoß, »und ich begehe Mord und Todtschlag, wenn Ihr mich's heißt.«

»Da ich dieß nicht von dir zu verlangen gedenke, und du es möglicherweise thun könntest, ohne dazu eingeladen zu werden, wenn du noch weiter fortmachst,« entgegnete Herr Chester mit großer Ruhe, »so wollen wir, wenn's gefällig ist, mein guter Freund, bei dem nächsten Glase Halt machen. – Du hast schon getrunken, ehe du herkamst.«

»Ich greife immer zu, wo was zu kriegen ist,« rief Hugh lärmend, indem er das leere Glas über seinem Kopfe schwang und sich in eine rohe Tanzattitüde warf. »Ich bin immer dabei. Warum nicht? Ha, ha, ha! Was könnte mir besser bekommen, als dieß? Was ist mir je besser bekommen? Womit sonst hätte ich den Frost abhalten können in bitterkalten Nächten und den Hunger in Zeiten, wo es auf's Verschmachten hinauslief? Was hätte mir sonst die Kraft und den Muth eines Mannes gegeben, da die Menschen mich schon als ein kleines Kind hätten hinsterben lassen? Ohne dieses wäre mir nie das Herz eines Mannes geworden, sondern ich hätte umkommen müssen in dem nächsten besten Graben. Wer hat je, als ich schwach und krank war, mit zitternden Beinen und erblindenden Augen, mich aufgeheitert, wenn es nicht dieses war? Jemand anders hat's nie gethan – nein. Das Trinken soll leben, Herr. Ha, ha, ha!«

»Du bist ein ungemein aufgeregter junger Mann,« sagte Herr Chester, indem er mit großer Bedächtigkeit seine Halsbinde umlegte und den Kopf leicht von einer Seite zur andern bewegte, um das Kinn in eine passende Lage zu bringen. »Ein wahrhaft lustiger Kumpan.«

»Seht Ihr diese Hand. Herr, und diesen Arm?« fuhr Hugh fort, indem er dieses sehnige Glied bis an den Ellbogen entblößte. »Sie waren einmal nur Haut und Knochen und würden längst in einem Armenkirchhof in Staub zerfallen seyn, wenn das Trinken nicht gewesen wäre.«

»Du magst dich wieder bedecken,« sagte Herr Chester. »Der Arm sieht auch noch durch den Aermel reell genug aus.«

»Ich würde mich auch nie so weit ermuthigt haben, der stolzen kleinen Schönheit einen Kuß abzujagen, Herr, wenn ich nicht zuvor getrunken hätte,« rief Hugh. »Ha, ha, ha! Er schmeckte herrlich – so süß wie Honig, kann ich Euch sagen. Und das verdanke ich einzig dem Trinken, Noch einmal, das Trinken soll leben, Herr. Schenkt mir wieder ein. Kommt – noch eines!«

»Du bist ein so hoffnungsvoller Bursche,« entgegnete sein Gönner, der mit großer Pünktlichkeit seine Weste anlegte, ohne auf dieses Gesuch Rücksicht zu nehmen, »daß ich dir Vorsicht empfehlen muß, denn wenn du deinem Hang zum Trunke allzusehr nachgibst, so könntest du vor der Zeit gehangen werden. Wie alt bist du?«

»Ich weiß es nicht.«

»Jedenfalls bist du jung genug,« fuhr Herr Chester fort, »um für die nächsten Jahre nicht dem ausgesetzt zu seyn, was ich einen natürlichen Tod nennen möchte. Doch, wie kannst du dich nach einer so kurzen Bekanntschaft mir so ganz und gar in die Hände geben – recht eigentlich mit einem Strick um deinen Hals? Gewiß, du bist ein sehr vertrauensvoller Kerl!«

Hugh fuhr ein paar Schritte zurück und betrachtete Herrn Chester mit einem Blicke, in dem sich Schrecken, Unwillen und Ueberraschung mischten. Dieser betrachtete sich mit derselben Selbstgefälligkeit wie früher in dem Spiegel und fuhr so glatt und gleichgültig, als handle sich's nur um ein lustiges Stadtgespräch, fort:

»Raub auf des Königs Landstraße, mein junger Freund, ist ein sehr gefährliches und kitzliches Unterfangen – zwar ohne Zweifel belustigend, so lange es währt, aber wie so manche andere Vergnügungen in dieser vergänglichen Welt, ist es selten von langer Dauer. Und in der That, wenn du in der Zutraulichkeit der Jugend dein Herz so leicht öffnest, so muß ich fürchten, daß deine Laufbahn außerordentlich kurz seyn wird.«

»Was soll das?« sagte Hugh. »Wie mögt Ihr so schwatzen, Herr? Wer hat mich denn dazu verleitet?«

»Wer?« entgegnete Chester, indem er sich rasch umwandte und seinem Gaste zum erstenmal voll in's Gesicht sah. »Ich habe dich nicht recht verstanden. Wer war es?«

Hugh stotterte und murmelte etwas Unvernehmliches vor sich hin.

»Wer war es? Ich möchte das doch wissen,« sagte Herr Chester mit ausnehmender Freundlichkeit. »Irgend eine ländliche Schönheit vielleicht? Aber sey vorsichtig, mein guter Freund, man darf ihnen nicht immer trauen. Laß dir jetzt rathen und sieh dich in Zukunft vor.«

Mit diesen Worten wandte er sich wieder gegen den Spiegel und machte in seiner Toilette weiter. Hugh hätte antworten mögen, daß er, der Frager selbst, der Anstifter gewesen sey; aber die Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Die vollendete Gewandtheit, womit sein Gönner ihn so weit gebracht und die ganze Unterhaltung geleitet hatte, verblüffte ihn ganz und gar. Er zweifelte nicht, Herr Chester hätte ihn auf die Antwort, die ihm auf den Lippen schwebte, als sich derselbe umwandte und ihn so scharf fragte, schnurstracks verhaften und mit dem gestohlenen Gut in der Tasche vor einen Friedensrichter schleppen lassen, in welchem Falle er des Todes am Galgen eben so sicher war, als des Umstandes, daß er überhaupt geboren wurde. Die Ueberlegenheit, welche sich der Weltmann über dieses wilde Werkzeug verschaffen wollte, erlitt von Stunde an keine Beanstandung mehr. Hugh's Unterwerfung war unbedingt. Er fürchtete sich vor Herrn Chester über die Maßen und fühlte, daß Zufall und Arglist ein Gewebe um ihn gesponnen hatten, das sich durch die leichteste Berührung einer solchen Meisterhand zu einem Strick zusammendrehte, welcher ihn an den Galgen knüpfte.

Mit solchen Gedanken in seinem Schädel und doch zu gleicher Zeit verwundert, wie er, der in stolzer Zuversicht auf das vermeintliche Vertrauen dieses Mannes hergekommen war, so bald und völlig unterjocht werden konnte, stand Hugh gebeugt vor seinem Beherrscher und warf ihm von Zeit zu Zeit unruhige Blicke zu, während derselbe seinen Anzug vollendete. Sobald dieß geschehen war, nahm Herr Chester den Brief auf, erbrach das Siegel, warf sich in seinen Stuhl und las ihn mit Muße durch.

»Bei meinem Leben, ein recht hübsches Concept! Ein ächter Frauenzimmerbrief, voll von dem, was die Leute Zärtlichkeit, Uneigennützigkeit, Herz und dergleichen nennen!« Während dieser Worte drehte er das Schreiben zusammen, wandte sich träge nach Hugh um, als wollte er sagen: »Siehst du dieß?« und hielt es an das Licht. Als es hellauf brannte, warf er es auf den Kaminrost, wo es in Asche zerfiel.

»Es war an meinen Sohn gerichtet,« sagte er, sich an Hugh wendend, »und du thatest ganz recht, es mir zu bringen. Ich öffnete es auf meine eigene Verantwortlichkeit, und du siehst, was ich damit angefangen habe. Nimm dieß für deine Mühe.«

Hugh trat heran, um das hingebotene Geldstück in Empfang zu nehmen. Während er ihm dasselbe in die Hand drückte, fügte er bei:

»Wenn du zufällig sonst etwas der Art finden oder etwas erfahren solltest, wovon du glaubst, daß es für mich Interesse haben könnte, so kömmst du wieder her, mein guter Bursche.«

Er sprach dieß mit einem Lächeln, welches so viel sagen wollte – wenigstens kam es Hugh so vor – als: »wenn du es unterlässest, so geschieht es auf deine Gefahr!« Er drückte daher seine Bereitwilligkeit aus.

»Auch brauchst du,« fuhr Herr Chester mit der wohlwollendsten Gönnermiene fort, »auch brauchst du nicht im Geringsten niedergeschlagen oder unruhig wegen der kleinen Voreiligkeit zu seyn, von der wir gesprochen haben. Ich versichere dich, mein guter Bursche, dein Hals ist in meinen Händen so sicher, als ob ihn die Finger eines Säuglings umfaßten. – Nimm noch ein Glas. Du bist jetzt ruhiger.«

Hugh ließ sich dieß gefallen und trank den Inhalt des angebotenen Glases schweigend und mit einem verstohlenen Blicke nach dem lächelnden Gesichte seines Patrons aus.

»Du trinkst – ha, ha! – du trinkst nicht mehr auf das Wohl des Trinkens?« sagte Herr Chester in seiner gewinnendsten Weise.

»Auf das Eurige, Sir,« lautete die verdrießliche Antwort, die von einer Art Bückling begleitet war. »Ich trinke auf Eure Gesundheit.«

»Ich danke. Gott sey mit dir. Nebenbei, wie heißt du, meine gute Seele? Man nennt dich Hugh – das weiß ich freilich – aber dein anderer Name?«

»Ich habe keinen andern.«

»Ein höchst sonderbarer Bursche! Soll das so viel heißen, als du habest nie einen andern gehabt, oder daß du nicht Lust hast, ihn zu nennen – wie?«

»Ich würde ihn sagen, wenn ich könnte,« entgegnete Hugh rasch; »aber ich kann nicht. Man hat mir nie anders als Hugh gerufen. Von einem Vater habe ich nie etwas gewußt, ihn nicht gesehen oder auch nur an ihn gedacht; und ich war ein sechsjähriger Knabe – das ist nicht sehr alt – als sie meine Mutter zu Burnout hängten vor ein paar tausend gaffenden Menschen. Man hätte sie können leben lassen. Sie war arm genug.«

»Wie gar traurig!« rief sein Gönner mit einem herablassenden Lächeln. »Ich zweifle nicht, daß sie ein ungemein schönes Weib war.«

»Seht Ihr meinen Hund da?« fragte Hugh abgebrochen.

»Vermuthlich ein treues Thier?« entgegnete Herr Chester, durch sein Augenglas darnach hinsehend, »und außerordentlich gescheidt? Tugendhafte und begabte Geschöpfe, mögen es nun Menschen oder Thiere seyn, sind immer so häßlich.«

»Ein Hund, wie dieser und von derselben Zucht, war das einzige lebende Wesen, das an jenem Tage mit mir heulte,« sagte Hugh. »Aus den zweitausend und etlichen – der Haufe war größer, weil es einem Weibe galt – hatte nur der Hund und ich Mitleid. Wär' er ein Mensch gewesen, so würde er sich gefreut haben, ihrer los zu seyn, denn sie mußte ihn spärlich halten und halb verhungern lassen; so aber war's ein Hund, der keinen Menschenverstand hatte, und er trauerte.«

»Das war gewiß sehr einfältig von dem Thiere,« erwiederte Chester, »und sieht ganz einem Thiere gleich.«

Hugh antwortete nichts, sondern pfiff seinem Hunde, der sogleich aufsprang und an ihm hinaufhüpfte; dann bot er seinem theilnehmenden Freunde gute Nacht.

»Gute Nacht,« entgegnete Herr Chester. »Merke dir's, du bist ganz sicher in meinen Händen – ganz sicher. So lange du es verdienst, mein guter Bursche – und ich hoffe, daß dieß immer der Fall seyn wird – sollst du immer einen Freund an mir haben, auf dessen Verschwiegenheit du bauen kannst. Aber ich bitte dich, sieh dich vor und vergiß nicht, in welche Gefahr du hättest kommen können. Gute Nacht. Gott sey mit dir.«

Hugh beugte sich unter den geheimen Sinn dieser Worte so tief, als ein solcher Mensch es vermochte, und schlich demüthig und unterwürfig, kurz, mit einer Miene zur Thüre hinaus, die so ganz verschieden von derjenigen war, mit welcher er eingetreten, daß sein Gönner, als er sich allein sah, mehr als je lächelte.

»Und doch,« sagte er, indem er eine Prise nahm, »will's mir nicht gefallen, daß man seine Mutter gehängt hat. Der Bursche hat ein schönes Auge, und sie muß wohl hübsch gewesen seyn. Vielleicht war sie auch roh, rothnasig und hatte plumpe Füße. Ja. Es war im Grunde doch am besten, daß es so ging.«

Mit dieser tröstlichen Betrachtung zog er seinen Rock an, warf zum Abschiede noch einen Blick nach dem Spiegel und rief seinem Bedienten, der augenblicklich mit einer Sänfte und ein paar Trägern erschien.

»Pfui!« sagte Herr Chester. »Selbst die Atmosphäre, die dieser Centaur geathmet hat, scheint von Mistkarren- und Leiternduft verunreinigt zu seyn. Da, Peak, bring etwas Wohlriechendes und besprenge den Boden damit; und nimm den Stuhl weg, auf dem er gesessen, und lüfte ihn; und spritze ein Bischen von diesem Arom auf mich. Ich ersticke!«

Der Diener that, wie ihm geheißen wurde; und nachdem das Zimmer und dessen Besitzer purifizirt waren, blieb Herrn Chester nichts mehr übrig, als seinen Hut zu verlangen, ihn zierlich unter den Arm zu klappen, in der Sänfte Platz zu nehmen und sich forttragen zu lassen, wobei er eine fashionable Arie vor sich hinsummte.



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