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Dolly Vardens hübsches Köpfchen war noch ganz verwirrt von den mancherlei Erinnerungen an die Abendgesellschaft, und vor ihren glänzenden Augen tanzten und funkelten noch immer, wie Sonnenstäubchen, eine Menge von Bildern, worunter namentlich das eines Theilhabers an jener Gesellschaft eine bedeutende Rolle spielte; es handelte sich nämlich dabei um einen jungen Kutschenmacher, der sich bereits das Meisterrecht erworben und, als er ihr in die Sänfte half, den Wink hatte fallen lassen, er sey von Stund an fest entschlossen, sein Geschäft hintenanzusetzen und aus eitel Liebe zu ihr langsam dahin zu sterben. – Dolly's Köpfchen, Augen und Gedanken, kurz alle sieben Sinne waren sammt und sonders in einem Zustande von Aufregung und Verwirrung, den einzig jene Abendgesellschaft zu verantworten hatte, obgleich diese schon drei Tage vorüber war, als sie, eben gleichgültig bei ihrem Frühstück sitzend, und alle Arten von Glück – das heißt, von Verheirathung und blühendem Wohlstande – auf dem Grunde ihrer Theetasse lesend, einen Tritt in der Werkstatt hörte und durch die Glasthüre Herrn Edward Chester erkannte, der unter den rostigen Schlössern und Schlüsseln wie ein Liebesgott unter den Rosen stand – eine Vergleichung, auf die sich jedoch der Geschichtschreiber nichts zu gute thun darf, da sie eigentlich von der keuschen und bescheidenen Miggs herstammt, welche sich in einer ähnlichen Weise über den jungen Mann aussprach, als sie von der Thürtreppe aus, welche sie eben in sentimentaler Stimmung und jungfräulicher Bescheidenheit fegte, seiner ansichtig wurde.
Der Schlosser, welcher gerade seine Augen aufwärts geschlagen und den Kopf zurückgeworfen hatte, weil er in emsiger Unterhaltung mit seinem Toby begriffen war, bemerkte seinen Gast nicht, bis Frau Varden, aufmerksamer als die übrigen, Sim Tappertit aufforderte, die Glasthüre zu öffnen und ihn einzulassen – aus welchem widrigen Umstand die gute Dame sogleich folgerte (denn sie wußte aus dem unbedeutendsten eine köstliche Lehre abzuleiten), daß ein Trunk Dünnbiers am Morgen genommen, eine schädliche, irreligiöse und heidnische Gewohnheit sey, die man den Schweinen, dem Satan, oder allermindestens den Katholiken überlassen sollte, während ein rechtgläubiger Protestant sie als eine Anstiftung des Bösen und als sündiges Werk meiden müsse. Ohne Zweifel hätte sie ihre Ermahnung noch weiter fortgeführt und eine lange Reihe von köstlichen Sittensprüchen von unschätzbarem Werthe daran geheftet, wenn nicht der junge Herr, der etwas verblüfft und verlegen daneben stand, während sie ihrem Gatten diese Vorlesung hielt, einen schnelleren Schluß herbeigeführt haben würde.
»Ihr werdet mich wohl entschuldigen, Sir,« sagte Frau Varden aufstehend und knixend; »aber Varden ist so gar gedankenlos, und muß so viel erinnert werden – Sim, bring' Er einen Stuhl herbei.«
Herr Tappertit gehorchte, aber mit einer Schwenkung, welche sagen sollte, er thue es zwar, aber unter Protest.
»Du kannst jetzt gehen, Sim,« sagte der Schlosser.
Herr Tappertit gehorchte abermals, noch immer protestirend, und begab sich nach der Werkstatt, unterwegs ernstliche Besorgnisse hegend, er dürfte sich genöthigt sehen, seinen Meister zu vergiften, noch ehe seine Lehrzeit aus wäre.
Inzwischen erwiederte Edward Frau Vardens Höflichkeit auf eine passende Weise, worüber sich diese Dame in so hohem Grade aufheiterte, daß sie eigentlich angenehm wurde, als er aus Dolly's schönen Händen eine Tasse Thee annahm.
»Verlaßt Euch darauf, Sir, wenn Euch Varden oder ich, oder Dolly, zu irgend einer Zeit mit etwas dienen kann, so soll es geschehen, sobald Ihr es nur ausgesprochen habt,« sagte Frau Varden.
»Sehr verbunden für diese Güte,« versetzte Edward, »Ihr ermuthigt mich dadurch zu dem Geständniß, daß ich gerade heute gekommen bin, um von Eurem Anerbieten Gebrauch zu machen.«
Frau Varden war über alle Maßen entzückt.
»Es ist mir eingefallen, daß vielleicht Eure schöne Tochter heute oder morgen nach dem Kaninchenhag geht,« sagte Edward mit einem Blick auf Dolly, »und falls ich mich hierin nicht täusche, so werdet Ihr mich mehr, als ich auszudrücken vermag, verbinden, wenn Ihr erlauben wollt, daß ich sie mit diesem Briefe belästige. Die Wahrheit zu sagen, es ist mir sehr viel daran gelegen, daß er an den Ort seiner Bestimmung gelangt, habe aber besondere Gründe, ihn Niemand anderem anzuvertrauen, weßhalb ich ohne Eure Beihülfe in der peinlichsten Verlegenheit bin.«
»Sie geht zwar weder heute, noch morgen, oder überhaupt in der ganzen nächsten Woche dahin. Sir,« entgegnete die Dame sehr huldvoll, »aber es soll uns freuen, um Euretwillen diesen Umweg zu machen. Ist es daher Euer Wunsch, so dürft Ihr Euch darauf verlassen, daß er heute noch abgeliefert wird. Vielleicht glaubt Ihr,« fügte Frau Varden mit einem Stirnrunzeln gegen ihren Gatten bei, »mein Mann habe etwas dagegen einzuwenden, weil er so stumm und steif dasitzt; aber daran braucht Ihr Euch nicht zu kehren, Sir. Er, macht's immer so zu Hause. Freilich, draußen kann er lustig und gesprächig genug seyn.«
Nun hatte aber der unglückliche Schlosser gerade seine Sterne gesegnet, daß sein Ehegemahl so gut gelaunt war, und mit eigentlich leuchtendem Gesicht dagesessen, um mit unaussprechlicher Freude dem Gespräche zuzuhören, weßhalb ihn dieser plötzliche Angriff nicht wenig überraschte.
»Meine liebe Martha« – sagte er.
»O ja, das gestehe ich,« unterbrach ihn Frau Varden mit einem Lächeln, in welchem sich Hohn und Scherz mischte. »Sehr lieb! wir wissen das alle.«
»Nein, aber meine gute Seele,« entgegnete Gabriel,« du irrst dich gewaltig – in der That, ganz gewaltig. Ich war ganz entzückt, dich so freundlich und bereitwillig zu sehen. Ich versichere dich, meine Liebe, ich wartete eigentlich mit Bangen darauf, was du sagen würdest.«
»Du wartetest mit Bangen?« wiederholte Frau Varden. »Ja, ich danke dir, Varden. Du wartetest, wie du immer thust, damit die Schande auf mich fiele, wenn welche dabei herauskäme. Doch ich bin daran gewöhnt,« fügte die Dame mit einer Art von feierlichem Kichern bei, »und das tröstet mich.«
»Ich gebe dir mein Wort, Martha –«
»Laß dir mein Wort darauf geben, mein Lieber,« unterbrach ihn seine Gattin mit einem christlichen Lächeln,« daß es besser ist, wenn solche Streitigkeiten zwischen verheiratheten Leuten unterbleiben. Wenn es dir daher beliebt, Varden, so wollen wir den Gegenstand fallen lassen. Ich wünschte nicht,« darin fortzufahren, so viel Grund auch vorhanden wäre. Ich könnte noch viel sagen – aber ich schweige lieber. Sey darum so gut, es auch zu thun.«
»Ich verlange nicht, weiter zu sagen,« entgegnete der Schlosser gereizt.
»Wohlan denn, so unterlaß es,« erwiederte Frau Varden.
»Nur das noch, daß ich nicht angefangen habe, Martha,« fügte der Schlosser gutmüthig bei.
» Du hast nicht angefangen, Varden,« rief seine Frau, die Augen weit öffnend und die Anwesenden überschauend, als wollte sie sagen: ›da höre man diesen Mann!‹ » Du nicht angefangen? Doch, du sollst nicht sagen können, daß ich in Hitze gerathen bin. Nein, du hast nicht angefangen; o du mein Himmel, nein, du nicht, mein Lieber!«
»Nun, nun,« versetzte der Schlosser. »lassen wir's gut seyn.«
»O ja,« entgegnete sein Weib; »vollkommen einverstanden. Wenn es dir zu sagen beliebt, Dolly habe angefangen, so will ich dir auch nicht widersprechen. Ich kenne meine Pflicht. Wie sollte ich sie nicht kennen? Wird sie mir nicht oft genug in's Gedächtniß zurückgerufen, wenn ich vielleicht Lust hätte, sie für einen Augenblick zu vergessen? Das danke ich dir, Varden.«
Und so faltete sie, mit einer gewaltigen Zurschaustellung von Demuth und Versöhnlichkeit, die Hände und blickte abermals mit einem Lächeln umher, welches deutlich sagte: »Wenn ihr die erste und gedrückteste aller Märtyrerinnen sehen wollt – hier ist sie, betrachtet sie.«
In ein so helles Licht dieser Vorfall auch Frau Varden's außerordentliche Sanftmuth und Liebenswürdigkeit stellen mochte, so trug es doch wesentlich dazu bei, die Unterhaltung zu hemmen und alle Anwesenden, die vortreffliche Dame ausgenommen, so zu verstimmen, daß in Edward's Anwesenheit nur noch wenige Worte gewechselt wurden. Dieser brach jedoch bald auf, dankte der Hausfrau zu wiederholtenmalen für ihre Herablassung und flüsterte Dolly in's Ohr, daß er morgen wieder kommen wolle, um nachzusehen, ob sie eine Antwort auf das Billet erhalten habe – was sie in der That wußte, ohne daß es ihr gesagt wurde, da Barnaby und sein Freund Greif des Abends zuvor dagewesen waren, um sie auf den dermaligen Besuch vorzubereiten.
Gabriel gab Edward das Geleite bis an die Hausthüre und kehrte dann, die Hände in den Taschen, wieder zurück. Nachdem er eine Weile sehr unruhig im Zimmer umhergestört und viele Seitenblicke auf Frau Varden geworfen hatte, die mit dem ruhigsten Gesichte von der Welt ihre fünf Faden tief in der protestantischen Hausandacht stack, fragte er Dolly, wie sie den Weg zu machen gedenke. Dolly meinte, es ginge am besten mit dem Postwagen, und schaute nach ihrer Frau Mutter hin, welche sich bei dieser stummen Berufung wenigstens um ein weiteres Klafter in ihre Andacht vertiefte und für alle Erdendinge abgestorben zu seyn schien.
»Martha –« sagte der Schlosser.
»Ich höre dich, Varden,« sagte seine Frau, ohne an die Oberfläche aufzutauchen.
»Es thut mir leid, meine Liebe, daß du einen solchen Groll auf den Maibaum und den alten John geworfen hast, denn 's ist ein sehr schöner Morgen, und da an Sonntagen bei uns ohnehin nicht gearbeitet wird, so hätten wir drei wohl mit einander in unserer Chaise nach Chigwell fahren und uns einen frohen Tag machen können.«
Frau Varden machte sogleich ihr Gebetbuch zu, brach in Thränen aus und wollte nach ihrem Zimmer hinaufgeführt werden.
»Was gibt's denn jetzt wieder?« fragte der Schlosser.
»O! sprich nicht mit mir,« erwiederte Martha, und betheuerte in ihren Seelennöthen, wenn's ihr Jemand gesagt hätte, so würde sie es nicht geglaubt haben.
»Aber Martha,« entgegnete Gabriel, indem er ihr in den Weg trat, als sie, unter Beihülfe von Dolly's Schulter, sich entfernen wollte, »was würdest du nicht geglaubt haben? So sprich, was habe ich nicht recht gemacht. Sage mir's. Bei meiner Seele, ich weiß es nicht. Weißt du es, mein Kind? Zum Henker!« rief der Schlosser, in halber Verzweiflung an seiner Perücke zupfend, »ich glaube in der That, Niemand weiß es, als Miggs!«
»Miggs,« sagte Frau Varden mit matter Stimme, und alle Merkmale deuteten auf eine heranziehende Geistesabwesenheit hin, »ist mir treu, und das reicht zu, um sie zum Stichblatt des Hasses für das ganze Haus zu machen. Aber sie ist mein Trost, was sie auch für Andere seyn mag.«
»Mir ist sie kein Trost,« rief Gabriel, den die Verzweiflung kühn machte. »Sie ist das Elend meines Lebens und vereint in ihrer einzigen Person alle Plagen Aegyptens.«
»Ich zweifle nicht, daß man sie so betrachtet,« sagte Frau Varden. »Natürlich konnte ich darauf vorbereitet seyn, denn es gehört nur zum Uebrigen. Wenn du mich in's Angesicht verunglimpfst, wie kann ich mich wundern, wenn du's ihr hinter ihrem Rücken nicht besser machst.«
Und nun kam die Geistesabwesenheit in starkem Zuge; denn Frau Varden weinte und lachte, schluchzte und schauderte, gächzte und würgte; dann sagte sie, sie wisse wohl, daß es sehr thöricht sey, aber sie könne nicht helfen, und wenn sie einmal todt und gestorben sey, so würde man vielleicht erst bereuen – was freilich, den Umständen nach, nicht so ganz wahrscheinlich seyn mochte, als sie zu glauben schien – nebst noch vielem Anderen dergleichen. Mit einem Worte, sie führte mit großem Anstand alle Ceremonien durch, die bei solchen Gelegenheiten unerläßlich sind, ließ sich die Treppe hinaufführen und wurde in einem höchst bedenklichen Krampfanfalle auf ihr Bett gelegt, wo alsbald Miß Miggs sich ganz trostlos über sie herwarf.
Der eigentliche Zweck von alle dem war, daß Frau Varden nach Chigwell wollte, daß sie aber nicht geneigt war, Zugeständnisse zu machen oder Erklärungen abzugeben, daß man sie durch Bitten und Flehen dazu bewegen sollte, und daß sie unter keiner andern Bedingung einzuwilligen gedachte. Demgemäß gab es viel Geschluchze und Thränen oben, viele nasse Umschläge um den Kopf, viel Essig- und Hirschhorngeist-Applikation an Schläfen und Nase u. s. w.; dann folgten die pathetischsten Beschwörungen von Seite der Jungfer Miggs, unterstützt durch nicht allzu schwache Mischungen von warmem Branntwein und Wasser, nebst unterschiedlichen anderen Herzstärkungen, gleichfalls aus dem Bereiche der Stimulantien, die anfangs theelöffelvollweise und später in gesteigerten Dosen angewendet, aber auch von Miß Miggs fleißig als Präservative gebraucht wurden, da Ohnmachten ansteckend sind. Nach all diesen Heilmitteln und noch vielen anderen, die man wohl einnehmen, aber nicht aufzählen kann, wobei man es denn auch nicht an moralischen, religiösen und andern Tröstungen fehlen ließ, kroch der Schlosser zum Kreuz, und das Spiel gewann eine günstigere Wendung.
»Es ist nur um des Friedens willen, Vater,« sagte Dolly, indem sie ihn die Treppe hinauf drängte.
»Ah, Doll, Doll,« seufzte der gutmüthige Vater. »Wenn du je selbst einmal einen Mann hast –«
Dolly blickte nach dem Spiegel.
»Nun, wenn du einmal einen hast,« fuhr der Schlosser fort, »so falle ja nie in Ohnmacht, meine Liebe. Das leichte Ohnmächtigwerden schafft mehr häusliches Unglück, als alle größeren Leidenschaften zusammengenommen. Vergiß das nicht, meine Liebe, wenn dir's um dein wahres Glück zu thun ist, und eines solchen kannst du dich nur erfreuen, wenn auch dein Gatte glücklich ist. Und noch ein Wort dir in's Ohr. Laß nie eine Miggs neben dir aufkommen!«
Nach diesem Rathe küßte er seine blühende Tochter auf die Wange und schlich nach Frau Varden's Zimmer, wo diese Dame leichenblaß und erschöpft auf ihrem Lager war und sich an dem Anblicke ihres neuesten Hutes labte, welchen Miggs als ein Mittel, die verirrten Lebensgeister zu sammeln, auf die vortheilhafteste Weise neben dem Bette zur Schau aufgestellt hatte.
»Da ist der Meister, Ma'am,« sagte Miggs. »O, welch ein Glück ist es, wenn Mann und Frau wieder einig werden! Ah, barmherziger Gott, schon der Gedanke, daß sie nur ein schlimmes Wort mit einander wechseln sollten!«
In dem Feuer dieser Gefühle, die Miß Miggs in der Form einer Anrufung an alle Himmel insgesammt aussprach, pflanzte sie den Hut auf ihren eigenen Kopf, schlug ihre Hände zusammen und fing auf's Neue zu weinen an.
»Ich kann die Zähren nicht zurückhalten,« rief Miggs, »und wenn ich darin ertrinken müßte. Sie hat ein so gar versöhnliches Gemüth! Sie will Alles vergessen, was vorgefallen ist, und mit Euch gehen. Sir – o, und wenn es an der Welt Ende wäre, sie ginge mit Euch.«
Frau Varden ertheilte mit einem matten Lächeln ihrer Dienerin einen sanften Verweis für diesen Enthusiasmus, sie zu gleicher Zeit erinnernd, daß sie ja viel zu unwohl sey, um sich heute hinauswagen zu können.
»O nein, Ihr seyd's nicht, Ma'am, gewiß nicht,« sagte Miggs. »Ich berufe mich auf den Meister, der Meister weiß, Ihr seyd's nicht, Ma'am. Die frische Luft und die Bewegung der Schäs wird Euch gut thun, Ma'am; Ihr müßt nur nicht nachgeben – nein, Ihr müßt nicht. Sollte sie sich nicht aufheitern, Sir – sollte sie's nicht, um unser Aller willen? Ich habe ihr's eben erst gesagt. Sie muß auch an uns denken, wenn sie je auf sich selbst keine Rücksicht nehmen will. Ich weiß, der Meister wird auch zureden, Ma'am. Miß Dolly geht ja mit, und der Meister, und Ihr, und dann ist alles so glücklich und vergnügt. O!« rief Miggs, indem sie abermals in Thränen ausbrach, ehe sie in ihrer großen Aufregung das Zimmer verließ, »ich sehe nie wieder eine solche Gesegnete, wie sie ist, um der Versöhnlichkeit ihres Gemüthes willen – habe nie, nie, nie eine solche gesehen. Und auch der Meister nicht – nein, nicht eine einzige – nie!«
Noch etwa fünf Minuten widerstrebte Frau Varden sanft allen Bitten ihres Gatten, daß sie ihm die Freude machen möchte, an dem Vergnügen des Tages Theil zu nehmen; aber endlich ließ sie sich erweichen. Sie gewann es über sich, ihm aus freien Stücken zu verzeihen – ein Verdienst, das, wie sie bescheiden bemerkte, der protestantischen Hausandacht und nicht ihr beizumessen war – und verlangte, daß Miggs kommen solle, um ihr bei ihrem Anzug zu helfen. Die Zofe war auch sogleich zur Hand, und wir lassen ihren vereinten Bemühungen nur Gerechtigkeit widerfahren, wenn wir bemerken, daß die gute Dame, als sie im Verlaufe der Zeit vollkommen reisefertig die Treppe herunterkam, ganz so aussah, als ob gar nichts vorgefallen wäre, denn von ihrem Unwohlsein war auch nicht eine Spur zurückgeblieben.
Und was Dolly betrifft, da war sie wieder – recht eigentlich die Blume und das Musterbild guten Aussehens – in einer hübschen kirschrothen Mantille, deren Kapuze über ihren Kopf gezogen war, und über dieser Kapuze saß ein kleiner, mit kirschfarbigen Bändern ausstaffirter Strohhut, der ein klein wenig auf die Seite gedrückt war – gerade hinreichend, um ihn zu dem gottlosesten und neckischsten Kopfputz zu machen, der je aus den Händen einer boshaften Putzmacherin gekommen war. Und gar nicht davon zu reden, wie diese kirschrothen Verzierungen gegen ihre Augen abstachen, oder mit ihren Lippen wetteiferten, oder eine neue Blüthenfarbe über ihr Antlitz verbreiteten – trug sie auch noch einen so grausamen, kleinen Muff, ein so herzzerreißendes Paar Schuhe, und war so umgeben und eingeengt von Ungeheuerlichkeiten aller Art, daß Herr Tappertit, als er des Pferdes Zügel hielt und sie aus dem Hause herauskommen sah, einen gewaltigen Drang verspürte, sie in die Chaise zu locken und wie toll davon zu fahren, was er auch ohne Frage gethan haben würde, wenn ihm nicht gewisse unruhige Zweifel aufgestoßen wären über den kürzesten Weg nach Gretna Green: ob er nämlich die Straße auf- oder abwärts, ob rechts oder links fahren müsse, und ob, im Falle auch alle Schlagbäume durch den Sturm zerstört worden wären, zu guter Letzt der Schmid sie auf Borg trauen würde, was, um seines geistlichen Amtes willen, sogar unseres Tappertit's aufgeregter Einbildungskraft so unwahrscheinlich vorkam, daß er zauderte, und während er zaudernd dastand und aus seinen Augen sechsspännige Postchaisen auf Dolly schießen ließ, kam sein Meister und seine Meisterin und die standhafte Miggs heraus, und die Gelegenheit war für immer entschwunden. Denn die Chaise knarrte jetzt in ihren Federn und Frau Varden war darin, und jetzt knarrte sie wieder, stärker als zuvor, und der Schlosser war darin, und jetzt hüpfte sie einmal auf, als ob ihr das Herz leichter schlüge, und Dolly war darin; und jetzt war sie fort und der Platz, wo sie gestanden, leer, und Sim und jene traurige Miggs standen mit einander allein auf der Straße.
Der wackere Schlosser war in so guter Laune, als ob ihm in den letzten zwölf Monaten nichts über den Weg gekommen wäre, Dolly lauter Lächeln und Anmuth, und Frau Varden angenehmer als je. Während sie durch die Straßen holperten und von Allerlei sprachen – wen anders sahen sie da auf dem Pflaster, als gerade jenen Kutschenmacher, welcher so gentil aussah, daß Niemand geglaubt haben würde, er habe je anders mit Kutschen zu thun gehabt, als um darin zu fahren, und sich wie ein Lord verbeugte. Dolly war ganz verwirrt, als sie sein Compliment erwiderte, und die kirschrothen Bänder zitterten ein wenig, als sie ihm in das schwermüthige Auge sah, welches zu sagen schien: ›ich habe mein Wort gehalten und angefangen; das Geschäft geht zum Teufel, und du bist die Ursache davon.‹ Da stand er, wie in den Boden gewurzelt; ›wie eine Statue,‹ sagte Dolly, und ›wie ein Bumpbrunnen,‹ sagte Frau Varden – bis sie um die Ecke bogen. Und als der Vater dachte, es wäre doch eine Unverschämtheit, und die Mutter sich wunderte, was er damit gemeint haben könne, wurde Dolly wieder so roth, daß ihre Kapuze eigentlich blaß dagegen aussah.
Demungeachtet ging's aber lustig weiter. Der Schlosser hielt in der unvorsichtigen Fülle seines Herzens an allen möglichen Orten an, und zeigte eine höchst vertraute Bekanntschaft mit allen Wirthshäusern am Wege, wie auch mit allen Wirthen und Wirthinnen, mit denen in der That auch das kleine Pferd auf gleich freundlichem Fuße stand, denn es machte stets aus eigenem Antrieb Halt. Nie waren Leute so erfreut, andere Leute zu sehen, als diese Wirthe und Wirthinnen bei Herr Varden's und Frau Varden's und Miß Varden's Anblick; und ob sie nicht aussteigen wollten, sagte der eine; und sie müßten in der That in's Haus hinauf, sagte ein anderer; und sie würde es übel nehmen, und ganz gewiß, sie sey stolz darauf, wenn man einen kleinen Imbiß bei ihr nehmen wolle, sagte eine dritte; und dergleichen, so daß es eigentlich eher ein Triumphzug, als eine Fahrt war – eine fortgesetzte Gastlichkeits-Zurschaustellung vom Anfang bis zum Ende. Es war angenehm genug, in so hoher Achtung zu stehen, der Erfrischungen gar nicht zu erwähnen; und so sagte Frau Varden zur Zeit nichts und war ganz Leutseligkeit und Entzücken – aber eine solche Masse von Beweisen, als sie an diesem Tage gegen den unglücklichen Schlosser sammelte, um sie bei erforderlichen Anlässen zu benützen, war noch nie zu ähnlichen Zwecken zusammengebracht worden.
Im Laufe der Zeit – und zwar einer ziemlich langen Zeit, denn diese angenehmen Unterbrechungen hatten keinen kleinen Verzug zur Folge – gelangten sie an den Saum des Waldes, und vergnüglich unter den Bäumen hinfahrend, kamen sie endlich vor den Maibaum, wo des Schlossers lustiges »Halloh!« alsbald den alten John und nach ihm den jungen Joe an's Portal brachte; und beide waren von dem Anblick dieser Damen so bezaubert, daß sie für einen Augenblick völlig außer Stand waren, die Gäste willkommen zu heißen, und nur die Augen aufzusperren vermochten.
Es dauerte jedoch nur einen Augenblick, daß Joe sich vergaß, denn, schnell wieder zu sich kommend, schob er seinen schläfrigen Vater bei Seite – zu Herrn Willet's mächtiger und unaussprechlicher Entrüstung – eilte herzu und schickte sich an, der Gesellschaft aus dem Wagen zu helfen. Dolly mußte zuerst aussteigen. Joe hatte sie in seinen Armen, obgleich nicht länger, als um Eins zählen zu können. Wenigstens ein Funken von Seligkeit!
Es wäre schwer zu beschreiben, was es für ein flaches Alltagsgeschäft war, nachher Frau Varden herauszuhelfen; aber Joe that es, und that es noch auf die anmuthigste Weise von der Welt. Der alte John, der eine dunkle und unbestimmte Idee unterhielt, daß Frau Varden nicht gut auf ihn zu sprechen sey, und einigermaßen im Zweifel stand, ob sie nicht etwa herausgekommen sey, um ihm in die Haare zu fahren, nahm endlich seinen Muth zusammen, hoffte, daß sie sich wohl befinde, und bot ihr sein Geleite in das Haus an, Diese Höflichkeit wurde freundlich aufgenommen, und so spazierten sie mit einander hinein; Joe folgte, Arm in Arm mit Dolly (abermals Seligkeit!), und Varden bildete die Nachhut.
Der alte John that es durchaus nicht anders, als daß sie im Schenkstübchen sitzen mußten, und da Niemand etwas einzuwenden hatte, so geschah es auch. Alle Schenkstübchen sind behagliche Plätze, aber das im Maibaum war das behaglichste, traulichste und vollkommenste Schenkstübchen, das nur je menschlicher Verstand geschaffen hatte. So erstaunliche Flaschen auf den alten eichenen Taubengesimsen, so blanke Kannen, die von den Netzen in einer Neigung herunterhingen, wie wenn sie durstige Leute an den Lippen hielten; so stämmige kleine Holländerfäßchen, der Reihe nach aufgestellt; so viele Citronen, die in gesonderten Netzen hingen, und den in dieser Geschichte bereits erwähnten duftenden Hain bildeten und mit den schneeweißen Zuckerhüten daneben das alle menschlichen Begriffe übersteigende Ideal eines Punsches vergegenwärtigten; solche Schränke, solche Kommoden, solche Schubladen voll Tabackspfeifen, solche Plätze, um Dinge in die Nischensitze der Fenster zu stellen; Alles vollgepfropft mit Eß- und Trinksachen oder würzigen Speisezuthaten; und endlich die Krone von Allem – der schönste Beleg für die unerschöpflichen Hülfsquellen des Wirthshauses und eine wahre Herausforderung für alle Gäste, anzuschneiden und wiederzukommen – so ungeheure Käseleibe!
Wohl ist es ein armes Herz, dem nie eine Freude blüht, aber es hätte das ärmste, schwächste und wässerigste Herz seyn müssen, das je geschlagen hat, wenn es nicht in dem Schenkstübchen des Maibaums warm geworden wäre. Frau Varden's Herz fühlte alsbald diesen Einfluß. Unter solchen Laren, den Tönnchen und Flaschen, den Citronen, den Pfeifen und dem Käse hätte sie John Willet ebensowenig einen Vorwurf machen können, als sie im Stande gewesen wäre, ihn mit seinem eigenen blanken Vorlegemesser zu erstechen. Und dann die Anordnung der Mittagstafel – sie hätte einen Wilden zahm machen können.
»Ein Stückchen Fisch,« sagte John zu der Köchin, »und einige geröstete Lammsrippchen mit gehörig Brühe, und einen guten Salat, und ein geröstetes Hühnchen, mit einer Platte voll Würsten und zerdrückten Kartoffeln oder etwas der Art.«
Etwas der Art! Welche Vorräthe in diesen Wirthshäusern! So leichthin von Gerichten zu sprechen, die an sich schon ein Feiertagsessen ersten Rangs gewesen wären und einer Hochzeitstafel Ehre gemacht haben würden – etwas der Art; gerade so viel, als wollte er sagen, wenn du nicht gerade ein Hühnchen kriegen kannst, so thut's eine andere Kleinigkeit aus dem Geflügelhofe – ein Pfauhahn vielleicht! Dann auch die Küche mit den großen weiten Höhlen in dem Kamin – eine Küche, wo nichts, was die Kochkunst ersonnen, auszuführen unmöglich erschien; wo man an Alles glauben konnte, was man einem als Speise versprach. Frau Varden kehrte nach Betrachtung dieser Wunder wieder nach dem Schenkstübchen zurück – recht eigentlich schwindelig und verwirrt über das Gesehene; ihr Wirthschaftstalent war nicht umfassend genug, um alles dieß zu begreifen. Sie mußte ein Schläfchen machen. Inmitten des Ungeheuern zu machen, wäre zu peinlich gewesen.
Inzwischen ging Dolly, deren frohes Herzchen und Köpfchen mit andern Dingen beschäftigt waren, zur Gartenthüre hinaus, hin und wieder einen Blick zurückwerfend (natürlich aber nicht aus Neugierde, ob Joe sie sehe) und trippelte auf dem wohlbekannten Feldwege weiter, um ihren Auftrag im Kaninchenhag auszurichten: und dem Erzähler dieser Geschichte wurde mitgetheilt, und er glaubt es wahrhaftig, daß man nicht leicht etwas Lieblicheres sehen konnte, als die kirschrothe Mantille und die kirschrothen Bänder, wie sie im schönen Lichte des Tages schwindelnd und flüchtig auf dem Grün der Wiesen dahinflatterten.