Paula Dehmel
Das liebe Nest
Paula Dehmel

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Der erste Mai

                  Nein, Kinder, immer kann man nicht dichten,
immer weiß man nicht neue Geschichten;
oft sind die Märchengeister stumm,
als wären sie wer weiß wie dumm,
und alle Wände grinsen mich an,
als hätt ich ihnen was angetan.
So war's auch neulich. Bei mir zu Haus
sah alles öde und langweilig aus,
da bin ich in den Abend geschlendert;
der Himmel hing rosenrot umbändert,
die Wolken türmten sich wie ein Tor,
plötzlich stand ich grade davor
und sah hinein in das Himmelsschloß.
»Na, Petrus, was ist denn hier oben los?«
fragt ich; »hier sieht's ja munter aus.«
Da schmunzelt der alte Wächter vom Haus
und sagt mir – aber ihr dürft nicht lachen –:
Im Himmel wäre groß Reinemachen,
die Jungfrau Maria tät revidieren
und die himmlischen Scharen zum Scheuerfest führen.
Die kleinsten Englein müßten ran,
kriegten große Schürzen an,
dürfte keins spielen und müßig bleiben,
müßten fegen und wischen, seifen und reiben.
Da würden die Sterne blitzblank geputzt,
den kleinen Kometen die Schwänzchen gestutzt,
der Himmel mit Wunderblau lackiert,
der Regenbogen neu ausstaffiert;
dem Vollmond würde, wie er sich auch steift,
mal gründlich wieder die Glatze geseift,
und damit am klaren Firmament
die liebe Sonne schön leuchten könnt,
würden die Wolken fest ausgedrückt
und hinter den Horizont geschickt.
Wenn alles fertig, wüschen sich
die Englein die Flügel säuberlich –
denn morgen sei ja der erste Mai – –
Ich fragte, was an dem Tage sei,
da blitzte mich Petrus an und sprach:
»Na, weißt du, das ist doch wirklich 'ne Schmach;
da sieht man wieder, wie wenig ihr wißt,
nicht mal, wann Gottes Geburtstag ist.«
Na, Kinder, ich machte ein dummes Gesicht;
das wußt ich bei aller Gelehrsamkeit nicht.
Doch nun wurde mir auf einmal klar:
Darum putzt sich die Erde Jahr für Jahr
mit Blumen und Kräutern im bunten Gemisch,
darum grünen die Hecken, die Bäume so frisch,
darum üben die Vögel die Festmelodie,
und Bienen und Grillen begleiten sie,
darum wird dem Menschen die Freude so groß,
als säß er dem lieben Gott im Schoß,
wenn der Maiwind kommt über Berg und Tal –
nun begriff ich den Frühling mit einem Mal.
Und ich fragte Petrus aus froher Seele:
Erlaubst du, daß ich das weiter erzähle?
»Immerzu,« sagte der und strich sich den Magen;
»kannst den neugierigen Leuten gleich noch sagen,
daß an Gottes Geburtstag, dem ersten Mai,
auch der Tanztag für Teufel und Hexen sei.
Sonst dürfen sie, zu Aller Segen,
sich keinen Schritt ohne Leine bewegen;
doch an dem Tage sind sie frei,
– da macht die Bande genug Geschrei,«
entfuhr es brummend dem alten Knaben –
»doch Gott ist der Herr und will es so haben.
Er sieht in hoher heiliger Ruh
dem tollen Blocksbergvergnügen zu;
und treibt es einer zu arg von der Sippe,
kommt er sofort wieder an die Strippe.
Nun aber leb wohl, ich wünsch gute Nacht,
um neun wird der Himmel zugemacht.«
Langsam schloß sich das Wolkentor;
ich ging, ein Liedchen klang mir im Ohr.
Zu Haus in heimlicher Abendruh
nickt ich den Sternen fröhlich zu
und betete: Ich bin nur ein Zwerg,
und die herrliche Welt, sie ist dein Werk,
o Gott; du hast alles, nichts kann man dir schenken,
nur deiner in Freude und Demut gedenken.
So nimm dieses Liedchen, ich hab es erdacht
in dieser Frühlings-Geburtstagsnacht.

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