Felix Dahn
Chlodovech
Felix Dahn

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XLVII.

Chlodovech hatte den Worten der beiden Frauen mit starkem Unbehagen zugehört: solche Dinge, solche Empfindungen waren ihm unverständlich, zuwider. Wiederholt hatte er mit seinem »Was denn? Ist ja dumm!« dazwischen fahren wollen: aber eine ihm selbst unerklärliche Scheu vor dem Edeln, Reinen, Hohen in diesen Seelen, hatten ihm den Mund verschlossen. Jetzt mit der Mutter allein zu bleiben, war ihm mehr als unbehaglich, war ihm unheimlich. Er fürchtete die stumme Drohung in diesen starr auf ihn gerichteten Augen. Er wollte hinter Genoveva hinausschlüpfen; aber Basina vertrat ihm den Weg. »Wir haben im Leben nur noch Ein Geschäft miteinander,« sprach sie eisig. Es durchrieselte ihn der Ton, in dem sie das sagte. »Geschäft? Ich habe gar keine Zeit. Die Feinde, die Goten drohn!« – »Ebendeshalb. – Du klagtest, dir fehle Gold, Unsieg verfolge dich. Wohlan, so nimm deines Vaters Schätze und sein Siegesschwert.« »Höhne nicht!« knirschte er. – »Ich höhne nicht. Die einzigen Augen, die zugesehen, als beide geborgen wurden, waren meine Augen.« »Mutter!« rief Chlodovech, außer sich vor freudigem Schreck. »Du? Du kennst den Ort? Und warum hast du mir solang' geschwiegen?« – »Dein Vater befahl's. Hast du vergessen? ›Nur in schwerer Not und Bedrängnis.‹ Die, scheint es, sind nun gekommen. Nicht?« – »Was denn? Ich sollte meinen! Und du – du wolltest – jetzt – mir helfen?« – »Ich will. – Unter Einer Bedingung.«

»Sprich! Jede!« – »Wir wollen ein Urteil unsrer Götter – du des deinen, ich Wodans – entscheiden lassen über unsern Glaubensstreit.« »Gern!« rief Chlodovech. »Hei, ich hab's erlebt dort an der Lauter: Herr Christus hilft, ruft man ihn gläubig an.« – »Gut. Und hier gilt's um seine ganze Herrschaft. Unsere Götter sollen an uns ihre Macht erwahren. Wir – du und ich – wir trinken jeder die Hälfte von diesem Trank.« Sie holte aus dem Gürtel ein kleines, wohlverschlossenes Fläschchen aus Achat hervor. »Trank? Was denn? Was ist in dem Ding da?« fragte er stutzig. – »Gift. Tollkirschensaft.« – »Was denn? Was denn? Ist ja dumm. Ich danke! Habe nicht Zeit, zu sterben.« – »Du wirst nicht sterben, ist dein Christus ein Gott.« – »Gewiß ist er das. Aber . . .« – »Kein aber. Wir trinken beide die Hälfte: du rufst den Gekreuzigten an, dich, ich Wodan, mich zu retten.« – »He? Ei . . . ei. Ich mag doch nicht.« – »Dann bleiben Schwert und Schätze mein Geheimnis.« Unentschlossen ging er auf und nieder. »Warum gerade diese Probe? Wähl' doch eine andere.« – »Diese oder keine. Ich will dir zeigen, daß es nichts ist mit dem Christengott.« – »Ich . . . ich . . . wage nicht . . .« – »Siehst du dein Mißtrauen? Und doch hast du Wodan verlassen? Wohlan, schau her. Hier, in diesem Karneolfläschchen, ist ein unfehlbar Gegengift – du weißt, ich verstehe mich genau auf solche Tränke. Versagt dein Gebet, – spürst du das Gift wirken, – so trink' dies Gegengift: du bleibst am Leben und Schwert und Schätze sind dein, obwohl dein Gott erlag.« – »Und du, Mutter, was thust du.« – »Ich nehme kein Gegengift: denn ich vertraue meinem Gott.« Ein teuflischer Gedanke zuckte durch des Sohnes Hirn. »Dann ist sie verloren! Und ich bin die unerträgliche Anklägerin los! Nur müßt' sie sogleich, sowie sie getrunken, den Ort angeben. Thu' ich's nicht, verschweigt sie Schwert und Schatz. Ich kann die Greisin doch nicht foltern lassen. Aber freilich . . . es ist waglich.« – »Entschließe dich, bevor ich dies Gemach verlasse.« – »Ei, ei, das braucht doch Besinnen.«

Da eilte Ansovald herein mit bestürzten Mienen. »Eile, Herr König! Hilf! Schaffe Geld, Waffen, Krieger! Die Goten und Burgunden haben nicht nur die Loire, haben den Loir bei Châteaudun und die Eure bei Chartres überschritten: deine beiden schwachen Haufen, die sie dort abwehren wollten, hat Graf Vitigis geschlagen, jene Städte sind gefallen, die Goten ziehen auf Paris. Unsieg verfolgt dich fort und fort.« »Das Schwert! Das Siegesschwert!« stöhnte Chlodovech. »Geh!« »Hier ein Brief des Bischofs Theoplastus; es sei die Antwort auf deine und Frau Hrothehildens letzte Frage.« Er gab das Schreiben und ging. Chlodovech aber riß es erfreut auf. »Erwünscht! Im rechten Augenblick. Vernimm,« rief er der Mutter zu, »schon früher einmal forschte ich bei Remigius: – du kennst den Namen.« – »Ich kenne ihn, er hat dich getauft.« – »Wie das denn sei mit dem Gott-Versuchen. Einmal ist das verboten: dann heißt es wieder: wer in vollem Vertrauen zu Gott betet, kann sicher sein, daß er ihn auch aus höchster Gefahr errettet. Nun hatte ich darüber Streit mit meiner frommen Königin: – sie konnte mir den Widerspruch nicht lösen: freilich sie, – wie deine neue Schwester Genoveva! – eifert stark gegen solches Versuchen. Aber was wissen schließlich die Weiber! An Remigius, der schwer krank liegt, konnten wir uns nicht wenden. So fragten wir denn Theoplastus, den neuen Bischof von Cambrai, und dies ist nun sein Bescheid. ›Großer Herr König und fromme . . .‹ und so weiter! Folgen andere Redensarten . . . aha, jetzt kommt's: . . . ›und ist also der Meinung des Herrn Königs durchaus beizupflichten (wußte schon, daß der meistens mir Recht giebt, deshalb hab' ich ihn vorgeschlagen!), daß es nicht sträflich ist, nicht Gott versuchen heißt, begiebt man sich in Gefahr im vollen Vertrauen auf Gott und seine Wunderkraft, die man in gläubigem Gebet anruft: insbesondere dann‹ – nun bin ich gespannt! – ›ist Gottes Wunderhilfe unzweifelhaft sicher, sucht man diese Gefahr zum Heile der Kirche und im Dienst des Herrn!‹

Was denn! Was denn! Das ist ja herrlich! Ist ja gerade, wie wenn es ihm der heilige Geist für meinen Fall eingegeben hätte. Ich brauche Schwert und Schatz, diese gottverhaßten Ketzer abzuwehren: zum Heile der Kirche also und im Dienst des Herrn trink' ich das Gift. Her damit. Hier, hier sind zwei Becher, gleich groß« – er holte sie von dem Schenktisch, – »fülle sie gleich. Aber nicht etwa mir mehr! Und für alle Fälle – man kann doch nie recht wissen! – halte das Gegengift für mich bereit – wo ist es?« – »Hier halt' ich's in meiner Hand.« – »Nun gut. Erst aber muß ich beten: ich muß es den Heiligen da oben, gründlich, deutlich sagen, um was es sich diesmal handelt.« Er kniete nieder und sprach, zum Fenster hinausblickend, zum Himmel: »Also höre mich, Herr Christus, der du wesenseins! (O hör' es wohl!) mit Gott dem Vater! und ihr Heiligen alle: zumal du, Sankt Martinus von Tours und du, o Hilarius von Poitiers: – reiche Gaben hab' ich euch dargebracht, denkt jetzt daran! Seht: ich trinke jetzt das Gift der übeln Kirsche im vollen Vertrauen auf euch (Mutter, ist auch des Gegengifts genug? Ja?), daß ihr mich durch eure Wunderkraft erretten werdet. Denn hört: – wenn ihr's vielleicht vorhin nicht ganz begriffen habt! – ich trinke es nur euch zu liebe – Gold und . . . noch andres (das Wodansschwert könnte ihnen mißfallen, weißt du, Mutter) zu gewinnen, damit eure bittersten Feinde und Verächter abzuwehren, diese schnöden Ketzer. Nun habt ihr's gehört. Nun helft! Gieb, Mutter, rasch.«

»Erst höre mein Gebet! Waltender Wodan! Du weißt, welch wildes Weh mein armes Mutterherz zerfleischt. Mein eigner Sohn ward dein grimmigster Feind. Das kann ich nicht ertragen. Gieb mir, sobald ich das Gift getrunken, den Tod.« »Wie? Was denn? Was denn? – – Aber mir kann's recht sein,« dachte er hinzu. – »Nun komm, nun trinken wir beide.« – »Den Ort, nenne den Ort.« – »Erst trink'! Dann spreche ich weiter.«

Wild erregt riß er den Becher von dem Tisch und stürzte das Naß auf Einen Zug hinunter. Langsam, jeden Tropfen ausschlürfend, trank Basina. »Jedoch,« sprach sie dann, »o Wodan, auch meinen Sohn, den Neiding, den eidbrüchigen Schurken, tilge aus dem Leben.« »Was!« schrie Chlodovech und sprang entsetzt auf.

»Auf daß er nicht mehr deine Weihtümer schänden kann. Zeige, daß du mächtiger bist als die Heiligen, die er anrief.« – »Mutter, du willst meinen Tod? Nun aber geschwind: – Du stirbst am Ende wirklich –: Den Ort, den Hort, das Schwert!« »Den Ort, den Hort, das Schwert,« wiederholte die Frau bedächtig, jedes Wort wägend, »den Ort, den Hort, das Schwert?« Sie fuhr heftig zusammen, zuckend mit der Hand nach dem Herzen – »die wußte nur ich. Ich sterbe. Die Toten schweigen.« Sie taumelte.

»Um Gott! Bei Wodan, beim lodernden . . .« schrie er gellend auf. »Welcher Schmerz! Feuer hab' ich im Herzen! Feuer im Hirn! Helft doch, Herr Christus, Martine! Wodan, hilf du! Ich will dich wieder . . . – rasch, Mutter, das Gegengift. Rasch!«

Da schleuderte sie mit letzter Kraft das Karneolfläschchen auf den Marmorestrich, daß es klirrend zersprang: der rettende Saft spritzte in Tropfen umher. Nun stürzte die hohe Gestalt rückwärts zusammen: »Mein Childirich! Ich hielt den Schwur. Er ward ein Neiding: er stirbt durch meine Hand.« Sie verstummte: das Bewußtsein schwand.

Gellend, schrill, fürchterlich schrie er auf: »Hilfe! Hilfe! Was denn? Was . . . ist ja . . .! Fluch über die Heiligen! Fluch über die ganze Welt!«

Mit einem hohen Satz sprang er an den Ausgang: da brach er bewußtlos zusammen.

Lange, lange lagen die beiden so, Mutter und Sohn, ohne Bewußtsein. Niemand hatte den Schrei gehört.

Als nach mehreren Stunden Genoveva, die sich von der Kapelle hinweg zur Pflege an das Bett der Königin begeben hatte, in das Gemach trat, um sich zu verabschieden, und den Vorhang auseinanderschlug, erschrak sie gewaltig: Beide lagen, wie sie gefallen waren, tot.

Sie vermochte nicht, Hilfe zu holen, um Hilfe zu rufen. Sie sank auf die Kniee, faltete die Hände und betete, betete für die Mutter und den Sohn.

 


 


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