Felix Dahn
Chlodovech
Felix Dahn

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XLIV.

Wenige Wochen darauf wandelten in dem Wodanswald in Toxandria unter den uralten Eschen Basina, Guntbert und Bertrada in langem, tiefernstem Gespräch.

Es war düster in dem dicht bestandnen Hain, in dem niemals Menschenhand einen der dem Gotte geweihten Baumriesen fällen durfte: morsch geworden fielen sie von selbst dem Atem ihres Gottes, der im Sturmwind wider sie fuhr; und ihr vom Winde vertragener Same hatte seit unvordenklicher Vorzeit ohne Nachpflanzung durch Menschenhand für reich ausgiebigen Nachwuchs gesorgt. Ungefähr in der Mitte des weiten Waldes ragte der mächtigste dieser starken Stämme: schon Julian und Merovech-Serapio hatten diese Wipfel rauschen hören. Am Fuße des Stammes war aus rohen Felsstücken der schlichte Altar aufgeschichtet, der ein paar eherne Opferkrüge trug: stets erneute Kranzgewinde schmückten sie, so lang das Jahr frisches Grün gewährte. Wagerecht ragte aus dem dichten Geäst des mittleren Stammes, im Frieden hier verwahrt, die Fahne des toxandrischen Gaues, dunkelgrün, mit einem eingewirkten, braunflügeligen Adler, Wodans heiligem Vogel: stolz spreitete er die Schwingen. Bis über Manneshöhe war der Stamm rings umkleidet mit ehernen Schilden, die mit dem Feldzeichen zugleich abgeholt wurden, ging es in Krieg. Mancher Ast des heiligen Baumes war umschlungen von goldenen, silbernen, ehernen Reifen: – Gaben des Dankes. Gelübdespenden für erfüllte Wünsche, für erhörte Gebete. Zwei zahme Wölfe kauerten an den aus der Erde ragenden Wurzeln: so oft die Priesterin im Wandeln vorüber kam, sprangen sie auf und begrüßten sie eifrig. Feierliche Schauer höchsten Ernstes webten durch den schweigenden Wald, in dem um diese Stunde – Sonnenuntergang – auch alle Tierstimmen verstummt waren. Nur zwei Raben kreisten, heiser krächzend, wie Unheil kündend, um den hohen Wipfel.

Und das Düstere der Stimmung in dem ungeheuren, nie von manneshohem Unterholz und Gesträuch gelichteten Urwald ward nicht gemildert, eher unheimlich gesteigert durch das einzige Licht, das diese Wirrnis von dichtgedrängten Stämmen, von dunkelblättrigem Gebüsch durchdrang: es war ein blutrot Licht, das Licht der Herbstsonne, die in dem Strom im Westen erlosch, wie mit Scheiterhaufenflammen, und fast wagerecht ihre Strahlen bis in die Mitte des Haines leuchten ließ: die blanken Schilde des Stammes warfen wie Spiegel so grell das Licht zurück. Bertrada erschrak, als sie an dem Wodansbaume vorüberschritt: »Der Stamm blutet: – schaut hin! – es ist die ganze Rinde wie von Blut überströmt.« »Nein, es ist Frau Sunnas schlimmster Scheidegruß,« sprach die Priesterin. »Es ist nicht Blut: aber es verkündet Blut.« »Noch mehr Blut also!« sprach Guntbert finster. Aller Sonnenschein war von dem sonst so frohen, offnen Antlitz gewichen. »Schon vieles ist geflossen.«

»Fahre fort,« sprach Basina, in deren von jeher strenge Züge die letzten Zeiten noch tiefere Furchen gegraben hatten: unheimlich leuchteten die grauen Augen, wann sie die langen, meist gesenkten Wimpern hob. »Du hast mir nur von dem Anfang der Ausführung jenes schrecklichen Auftrags berichtet. Gingen die Frevel gegen Götter und Menschen noch weiter?«

»Viel weiter, so hat Guntbert mir erzählt,« antwortete Bertrada, erschauernd. »Ja, ja,« bestätigte er; »anfangs hatte ich nur dunkles Gerede vernommen von unsern Nachbarn, den Fischern, die ihren Fang zu dem großen Fest der lieben Frau Berchta hatten bringen wollen, das zur Zeit der beginnenden Ernte seit grauer Vorzeit gefeiert wird am Mallus unserer Hundertschaft. Bestürzt, ohne fassen und begreifen zu können, kehrten sie mit gefüllten Lägern zurück: das Fest sei verboten, habe der Centenar traurig verkündet, bei Todesstrafe. Ein Missus aus Paris hab' es verkündet. Ich ward nicht klug aus den verwirrten Leuten. Aber gestern kam ein Kaufmann, ein Jude aus Paris, Simon, ein kluger und gerechter Mann, der viele Jahre schon bei unsrer Furt den Fluß überschreitet und mit ein paar Knechten seine Handelswaren auf dem alten Rücken hinüber trägt zu den Batavern und Hatuariern und dabei stets in unsrer Halle gastet und rastet. Der erzählte uns alles genau: – der ist ein andrer Zeuge als unsre guten Lachsfischer!« – »Was bezeugt er gegen – gegen den Sohn Childirichs?«

»Ein Priester und Berater des Königs – den Namen wußt' er nicht – ein schwarzer, hagrer . . .« »Es ist Cautinus,« sprach Bertrada, leise bebend. »Durchzieht mit einer gewaffneten Schar die Gaue, prüft, ob Verehrer der alten Götter zahlreich sind, vernimmt sie, ob sie opfern, ob sie die alten Feste feiern, ergreift die Priester, auch wohl Frauen und Kinder eifriger Opferer und läßt sie in die nächsten Klöster bringen, sie dort zum wahren Glauben zu erziehen.« »O Childirich,« stöhnte Basina, die Augen zum Himmel erhebend. »Aber es wird noch ärger getrieben. Reichen Leuten nehmen sie Gold und Silber. Simon bangt schwer um die Solidi, die er versteckt in seinen Schuhen trägt! – Auch das Land der Heiden verzeichnen sie für den König zur Einziehung und . . . das Schlimmste . . .« – »Nun? Ich kann bald alles hören.«

»Manchenorts haben sie Hand an die Weihtümer gelegt – »Und mein Sohn – der Herr König – weiß das?« – »Er hat's befohlen! – So haben sie den Donartempel in dem Westra-Gau verbrannt, die Priester, die ihn schützen wollten, erschlagen.« – »Hör's, Childirich!« seufzte Basina.

»An dem Quellfest der Walküre Gertrud, dort auf dem schönen Wiesenanger zu Nivelle, führten die bekränzten Jungfrauen ihren Reihen . . .« »O das ist lieblich!« rief Frau Bertrada. »Gern gedenk' ich's, wie ich selber dort, den Kranz der blauen Glockenblumen in dem Haar, Blüten in den silberklaren Quell warf, der sie – mit meinen Wünschen – weiter trug. Die jüngste schöpft dann mit geweihter Schale den heiligen Ursprink, wo er aus dem moosigen Felsstein quillt und sprengt dreimal das klare Naß über die Häupter der sie im Kreis Umschwebenden hin. Der Reinheit Sinnbild ist der klare Brunnen.«

»Besudelt haben ihn, ekelhaft besudelt,« rief Guntbert, »die Mönche, die sich der gewaffneten Schar angeschlossen, die vor wenigen Tagen die Opfernden überfielen; ein Priester ward erschlagen, die Jungfrauen wurden von den Kriegern fortgeschleppt, um – nach mancher Mißhandlung! – in die Klöster verteilt zu werden: dort sollen sie so lange festgehalten und unterwiesen werden, bis sie den Göttern abschwören und die Taufe nehmen.« »Hörst du's, Childirich?« wiederholte Basina und hob die Rechte gen Himmel. »Gedulde dich nur noch kurz. Ich komme!« – »Und darum, Frau Königin, mahn' ich heute dringender als je: geh' mit uns! – Nach drei Nächten brechen wir auf: schon hab' ich von einem Gesippen in unsrem Thüringland an der raschen Unstrut Land genug erworben, uns alle reich zu nähren: – verlaß mit uns dies Reich, wo solche Greuel gegen die Götter geschehen.«

Sie schüttelte das silberweiße Haupt. »Nein. Mein Sohn . . .« »O verlaß auch ihn,« drängte Bertrada. »Du hast ihn längst verloren. Wüßtest du, was Guntbert mit Schaudern mir von ihm erzählt! – Aber nie, nie sollst du's erfahren. Denk', er sei tot.« Da richtete sich die Gewaltige hoch empor. »O läge er tot! Er lebt aber. Das eben ist's. Er lebt und – frevelt gegen Götter und Menschen. Und ich – ich bin Childirichs Weib. Allzulang hab' ich gezögert. – Höre, Guntbert, Vielgetreuer. Oft und oft hab' ich dein Erbieten abgewiesen, mir mit Gewalt den Ausgang aus diesem Hain, – dem weiten Kerker, darein mein Sohn mich gebannt, – zu bahnen: ich durfte dich nicht den Bann des Rachsüchtigen brechen lassen. Jetzt aber, da du alsbald vor seinem Zorn gesichert bist, jetzt, da heilige Pflicht, Wort und Schwur mich zwingen, jetzt bitt' ich dich, bevor ihr von dannen zieht, hilf mir mit List oder Gewalt entkommen: ich brauche nur ein rasches Roß. Willst du mir helfen? Es gilt einen Eid!« – »Gewiß, Frau Königin. Aber du bist erschüttert, erschöpft von diesen Schreckenskunden: komm in das Frauenhaus neben dem Weihtum – setze dich, lege dich! du wankst! – dort wollen wir den Plan der Flucht bereden.«

 


 


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