Felix Dahn
Chlodovech
Felix Dahn

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XLVI.

Sehr übel gelaunt ging oder lief vielmehr mit kleinen hastenden Schritten der König in seinem Speisegemach im Palatium zu Paris umher: die fromme Jungfrau Genoveva, die ihn beschwichtigen wollte, hatte schweren Stand.

»Was denn? Was denn?« fuhr er sie an. »Alle Leute, die ich brauche, werden krank und legen sich zu Bett, statt mir zu helfen. Frau Hrothehild hätte auch zu andrer Zeit dies – ganz unnütze! – Mädel kriegen können. Und Remigius zu Reims immer noch krank! Und von Cautinus keine Nachricht! Und die Bischöfe, meine ehrwürdigen, aber geizigen Väter, spenden lange nicht genug Geld. Jetzt gerade bedarf ich der Männer und Frauen, die mir die Heiligen oder die Bischöfe – es ist fast dasselbe! – gewinnen. Und jetzt versagen sie!« »O, Sohn Childirichs,« sprach Genoveva, »ich habe, da ich deine Bedrängnis von deiner Gemahlin erfuhr, wochenlang gefastet und gebetet, auf daß mir die Heiligen den Ort im Traume zeigen möchten, an dem die Schätze deines hohen Vaters vergraben sind . . .« »Von dem Wodansschwert weiß sie nichts,« lachte er für sich, »sonst würde sie weder Magen noch Lippen mit Fasten und Beten bemüht haben.« – »Umsonst, kein Traumgesicht, wie doch sonst so oft, will sich mir zeigen.« – »Mir scheint, die im Himmel hören manchmal nicht gut: zumal, wenn man ihnen nichts schenkt.« – »Lästre nicht!« – »Horch, rasche Schritte auf dem Gang. Wer kommt . . . unangemeldet?« Er schlug den Vorhang auseinander – und fuhr erschrocken zurück. »Mutter! Du? Du hier? Und wie du aussiehst! Der Mantel zerrissen, über und über mit Straßenschmutz bedeckt – und so bleich! Bist du krank?«

Auch Genoveva erschrak über den Anblick der gewaltigen Frau, wie diese, hochaufgerichtet, regungslos, einer Statue gleich, in der Mitte der Thüre stand, von dem langen, schneeweißen Haar die Schultern überflutet, einen furchtbaren Blick auf den Sohn richtend.

»Wo . . . wo kommst du her?« »Aus dem verbrannten Wodanshain;« damit trat sie in das Gemach. »Wer . . .? Wer hat das gethan?« – »Du! – Lüge nicht! Du: – durch deinen Kanzler.« »Was denn?« meinte der König verlegen, die Stirne furchend. »Wo ist er?« – »In Hel. Bei den Mördern. Unter Schlangen und Schwertern in eisigem Strom.« – »Tot! Cautinus. Was denn? Ich brauche ihn.« – »Guntberts Knabe erlegte das Scheusal. Ermordet liegt Guntbert: sein Weib sprang, der Schande zu entgehen, mit beiden Kindern in den Strom. Verbrannt – wie Wodans Hain – liegt sein Gehöft.« – »Und du – was . . .?« – »Ich ritt Tag und Nacht und Nacht und Tag zu Childirichs Sohne ihn zu fragen . . . Nein, bleib nur, du fromme Christin, bleib. Er ist ja deines Glaubens: so höre mich und antworte du für ihn. Er hat dem sterbenden Vater, – gedenkst du noch jenes Totenlagers, Genoveva? – geschworen, den alten Göttern treu zu bleiben: – hier steht er: – ein Christ.« Ohne Besinnen sprach die Jungfrau: »Der Eid war Sünde. Der Herr hat ihn erleuchtet: dein Sohn mußte Gottes Rufe folgen, seine Seele retten.«

»Was denn, Mutter, was denn? Was soll dies Verhör?« Ohne auf ihn zu achten, fuhr die Mutter fort: »Er hat ferner geschworen, die Weihtümer der Götter und ihre Verehrer zu schützen: – er verbrennt die Haine, er ermordet die Priesterinnen und die an die Götter glauben. Muß er auch das, seine Seele zu retten?« – »Nein, es ist schweres Unrecht! Ich warnte, ich wie Bischof Remigius und viele fromme Priester.«

»Was denn? Weibergeschwätz!« fuhr Chlodovech los. »Hätten mir die frommen Priester so viel Geld gegeben, wie schöne Worte, hätte ich Cautinus nicht gebraucht. Hm, Guntbert! Schade drum! Aber nein! Geschah ihm recht. Er wollte mich ja verlassen. Sein Arm hätte doch nicht mehr für mich gekämpft. So hab' ich nichts verloren.« »Chlodovech,« sprach die Königin, mit Anstrengung die Empörung niederkämpfend – »du siehst: diese Christin, die ihr wie eine Heilige verehrt: – selbst sie verwirft deine grauenvolle Verfolgung unseres Glaubens. Nimm jenes Gebot zurück: ich bitte dich.« »Was denn! Nein!« rief er, ungeduldig mit dem Fuß aufstampfend, »kann nicht. Muß Geld haben. Muß die Habe der Ketzer und Heiden einziehen. Die Goten! Die Goten! Täglich gewinnen sie Land.« Eine lange Weile schwieg nun Basina. »Du brauchst also Schätze? Gold?« fragte sie dann langsam, mit seltsam prüfendem Blick. »Ob ich's brauche! So notwendig wie der Fisch das Wasser. Ich bin verarmt. Und das Glück des Sieges ist von mir gewichen.« »So?« fragte die Mutter nachdrücklich. »O, um des Vaters Siegesschwert und seine Schätze! Mutter, Mutter, hast du denn gar keine Ahnung, wer es sein mag, der darum weiß? Der kann am Ende längst gestorben sein!« Ohne auf die Frage zu antworten, wiederholte sie: »Nimm jenes Gebot der Verfolgung zurück. Halte deinen Eid.« – »Nein doch. Ich hab's gesagt.« – »Noch einmal mahne ich, bitte ich – hörst du? ich bitte: – bedenke deine Antwort jetzt! – mehr als du ahnst hängt davon ab. Nimm zurück. Halte deinen Eid.« – »Nein, dreimal nein –« Da trat die hehre Gestalt dicht an ihn heran: sie bohrte einen Blick tödlichen Hasses in seine Augen, daß er sich entsetzt abwandte und, beide Hände hoch gen Himmel reckend, sprach sie langsam, jedes Wort wägend: »So sei verflucht vom Scheitel bis zur Sohle.« »Mutter!« schrie Chlodovech, von Grauen geschüttelt. »O Königin!« seufzte Genoveva. Aber jene fuhr fort. »Weh über diesen Schos, der dich geboren. Hör's, mein Childirich, hoch in Walhall: Ich – ich halte meinen Schwur. Dein Sohn Chlodovech hier – hör's – er ist ein Schurke geworden.« »Ha, zu viel!« brach Chlodovech los, faßte ihren gen Himmel erhobenen Arm und riß ihn unsanft herab. »Und wer – und was bist du, Tugendpredigerin, daß du so schelten darfst? Eine Ehebrecherin bist du, ein ihrem Gatten entlaufenes Weib.«

»Herr König!« mahnte Genoveva. »Schweige du davon! Jeder andre Mund: – aber nicht der deine.« Die Mutter sah ihn an, – schweigend – starr.

Er aber, ihre Augen meidend, fuhr fort, hastig im Gemach umherrennend. »Nein, ich will reden. Sie soll's einmal hören. Schon seit Jahren drängt mich's bei ihren unaufhörlichen Scheltreden. Wer war des Thüringkönigs Basinus rechtmäßig Eheweib? Du! Wer nahm den schönen Frankenkönig gastlich – nur gar zu warm! – in der Halle auf? Du! Wer entlief, nachdem Herr Childirich nach Tournay zurückgekehrt war, seinem Eheherrn? Du! Wer floh durch Eis und Schnee und Urwaldschrecken, von allen verlassen, bis auf ein Paar, nach Tournay und ward hier, noch des Basinus pflichtgebunden Gemahl, das Weib Childirichs? Wer? Du! Und du willst Tugend lehren?«

»O Gott im Himmel,« stöhnte Genoveva, die Hände ringend und in flutende Thränen ausbrechend. »O Gott! Verzeih dem Toten diese Sünde! Wie unsäglich hab' ich unter seiner Schuld gelitten! Vergieb ihm, Gott, um Christi, um meiner Gebete willen.« Sie warf sich auf die Kniee und hob die gefalteten Hände empor. »Vergieb auch ihr, seiner Verführerin.«

»Schweig, du Thörin!« herrschte Basina ihr zu, die unter den Vorwürfen ihres Sohnes, ohne mit der Wimper zu zucken, ihm nur überall hin gefolgt war mit den unerbittlichen Augen. »Was weißt du von unserer Liebe! Weil du, ein liebekrankes Jungferlein, den Herrlichen in deiner schmachtenden Seele trugst, so daß du, als er mich zum Weibe nahm, vor lauter Schmerz der Welt entsagtest und eine Heilige wurdest . . .«

Genoveva war in die bleichen Wangen heißes Erröten bis in die Stirne geschossen: sie schüttelte das Haupt: »Keine Heilige. Nur eine Büßerin für seine Schuld. Ich betete fortab jede Stunde bis heute für seine Seele – ich fastete – ich geißelte mich jede Nacht – für seine Seele!« – »Deshalb glaubst du, wahnsinnige Schwärmerin, du darfst unsere Liebe, unsere Ehe richten? – Du aber, schamlosester aller Söhne, du vernimm: ja, alles was du sagtest, ist wahr.« – »Also!« – »Aber noch andres ist wahr. Mit fünfzehn Jahren zwang mich König Basinus, mein Oheim und mein Muntwalt, der Siebzigjährige, zur Ehe. Von der ersten Stunde an verfolgte er mich unschuldig Kind mit wahnsinniger Eifersucht. Nach Jahren kam der junge Frankenkönig. Ja, wir liebten uns. Aber – bei Friggs Ring und Gürtel beschwöre ich's! – nicht ein Wort, nicht ein Händedruck hat es verraten. Jedoch der finstere Greis hatte Verdacht geschöpft und als er bald nach Childirichs Scheiden schwer erkrankte, da befahl er, – er wollte, daß ich auch nach seinem Tode nicht dem Franken angehöre! – auf demselben Scheiterhaufen, der seine Leiche verzehren würde, auch mich – lebendig! – zu verbrennen. Solchem Schicksal wollt' ich entrinnen: – ich entfloh, – wer will mich darum schelten? – nur von jenem treuen Paar begleitet: – und wohin, zu wem sonst sollte ich fliehen, als zu dem, um deswillen ich sterben sollte, flüchten mußte? Sprich – nicht du, Unwürdiger – aber du, Genoveva, kannst du mich verdammen?« – »Nicht die Flucht, Frau Königin: – aber die Vermählung. Noch viele Jahre lebte König Basinus und einstweilen warst du . . . .« – »Das Weib dessen, den du, Heilige, liebtest. Ich war Basinus vermählt und liebte Childirich: und Childirich war mein Gemahl und du hast ihn geliebt – ja, du liebst ihn heute noch. Ist das weniger Sünde?«

Da schlug Genoveva laut aufschluchzend beide Hände vor die Augen. Dann warf sie sich auf die Knie und seufzte. »Ich büße diese süße Sünde all' diese Jahre lang! Vergieb mir!« Basina beugte die hohe Gestalt zu der Flehenden hinab und hob sie auf. »Ich habe dir nichts zu vergeben. Ich gönnte dir im Leben gern, sich an seiner Herrlichkeit zu freuen, in seinem Glanz zu sonnen. Und ich ließ dich allein mit dem Toten. Nicht verfeinden, – verschwistern soll uns die Liebe zu ihm.« »Ich danke dir,« sprach Genoveva. »Laß mich nun scheiden. Mein Herz ist leichter als es jemals war. Ich gehe.« – »Wohin?« – »In die Kapelle: zu beten für uns alle vier.«

 


 


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