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Auf dem Wall des zweiten Lagers trat den Verfolgern, nachdem die Weichenden glücklich durch die rettenden Thore gelangt waren, eine dritte frische Legion – es war die X. – entgegen. In dichten Massen schlugen die schweren balkengleichen Pila der Legionäre von oben auf die Köpfe der Angreifer: diese erlitten starke Verluste, die Wälle erwiesen sich unerkletterbar, Sturmleitern waren nicht zur Hand: der Angriff stockte.
Civilis traf jetzt in der vordersten Reihe ein, er übersah die Lage: »Nicht über den Wall! Durch das Thor,« rief er. »Die Beile voran!« Er selbst ergriff die Streitaxt eines gefallenen Batavers und spaltete einen Eichenbalken des Thores. Dutzende um ihn her folgten seinem Beispiel: Bald stürzte der eine Flügel krachend nach innen.
Aber sofort trat eine Reihe römischer Hastati mit gefällten Speeren in die Lücke, in der Mitte der tapfere Legionslegat selbst in reichem Waffenschmuck: eine zweite Reihe Römer schleuderte die Wurfspeere, eine dritte – balearische Schleuderer – entsendete einen Hagel von Bleigeschossen.
Civilis befahl nun den Seinen, den »Eberrüssel« zu bilden, das heißt im Dreieck sich aufzustellen: er trat, das lange Hiebschwert hebend, ganz an die vordere Spitze des Keils. Da erkannte ihn der Legionär, der dicht hinter dem Legaten stand: »Zielt auf den Führer mit dem Adlerhelm,« rief er, »das ist Civilis selbst.« – »Wer?« fragte der Legat und erblaßte. »Claudius Civilis!« antwortete der Soldat und wollte werfen: aber er konnte nicht, vor Staunen: denn der Legat, dessen viel erprobter Mut allen bekannt war, wankte, die Knie versagten ihm: – er drohte zu sinken: – starr blickte er gerade vor sich hin wie auf sein Verhängnis. »Lupercus! Mummius Lupercus!« schrie Civilis, ihn erkennend, und sprang auf ihn los.
Aber der Legat – floh.
Bleiches Entsetzen hatte ihn ergriffen: er drehte sich auf der Ferse und drängte mit beiden Händen die hinter ihm stehenden Legionäre auseinander. Schon war er in der dritten Reihe, der der Schleuderer.
»Der Legat flieht! Der Legat flieht! Flieht! Rettet euch!« scholl es nun indem ersten, zweiten, dritten Glied.
Die Leute, von ihrem Führer verlassen, glaubten alles verloren: sie folgten seinem Beispiel, wandten dem Feind den Rücken und flohen in das Lager zurück: siegjauchzend stürmten die Germanen nach.
Lupercus hatte weiten Vorsprung: – aber Civilis verlor ihn nicht aus dem Auge. Schon hatte er den dritten Römer niedergeschlagen und so das dritte Glied der Fliehenden, der Balearier, durchbrochen: da suchte der Legat nach rechts in eine dunkle enge Zeltgasse zu entkommen. Jedoch der Verfolger bemerkte es scharf: nun war er in drei Sprüngen heran. »Steh, Bube, wende und wehre dich!« schrie er ihm zu.
Und der tapfere Heerführer, der gar oft dem Tode getrotzt, wollte stehen, wollte um sein Leben kämpfen: – aber er konnte nicht! Es gellte ihm ins Ohr der Todesschrei des schönen Knaben, wie der tief unten auf dem Boden aufschlug: – er sah den furchtbaren Blick des Vaters, wie er seinen Namen gerufen – und der Wille versagte ihm: er konnte nicht in dieses Antlitz schauen. Er machte, weiter fliehend, noch einen Sprung, – den letzten.
Civilis, nun dicht hinter ihm, schlug ihm mit einem furchtbaren Hieb dicht unter dem Helmsturz den Kopf glatt vom Rumpf, daß Helm und Haupt, durch das geschuppte Sturmband unter dem Kinn zusammengehalten, miteinander zur Erde rollten.
Civilis bückte sich, packte mit der Linken den Helm am hohen Kamm und sah dem verhaßten Feind in die brechenden Augen. Einmal atmete der Sieger nun aus tiefer Brust: dann wandte er sich, sein blutiges Beutestück hoch emporhaltend, auf die Hauptstraße des Lagers zurück, wo ein paar Centurionen wieder ein Häuflein zum Stehen gebracht hatten.
Hier war der Kampfplatz hell beleuchtet durch gar manches Zelt, in das die Eindringenden die Fackel geworfen: so erkannten denn die frisch gescharten Römer deutlich, was ihnen Civilis mit der Linken hoch entgegenhielt wie ein Gorgonenhaupt: »Seht hier, euern Feldherrn!« schrie er. »Ich sandte ihn zum Hades, – euch voraus!«
Und er schleuderte das blutende Haupt vor ihre Füße. Entsetzt, schreiend, stoben sie auseinander.
Jede Verteidigung auch des zweiten Lagers hörte auf: entschart strömte die Besatzung aus dessen östlichen Thoren zurück auf die Stadt zu. In brausendem Siegesjubel ergossen sich nun Germanen und Gallier durch alle Gassen der Zelte. Sie zeigten Lust, hier zu verweilen.
Auch Brinno machte Halt einen Augenblick, »sich zu verschnaufen,« wie er sagte. Er lehnte auf seinem hohen Schild von Büffelleder. Einer der Seinen hatte ihm aus dem nahen Marketenderzelt einen großen Becher Weines gebracht.
Civilis sprang hinzu, riß ihm das Gefäß aus der Hand und schleuderte es in das nächste brennende Zelt. »Bei Wodan,« rief er, »jetzt ist nicht Zeit, zu rasten und zu zechen. Nach! Sofort den Fliehenden nach! Mit ihnen zugleich müssen wir in die Thore der Stadt dringen. Oder sie hält uns lang, sehr lang auf. Halber Sieg ist kein Sieg. Du folgst mir sofort mit all' den Deinen, desgleichen du, Ulemer, mit den Friesen. Die Gallier sind schon jenseit des Lagers. Sollen sie uns zuvorkommen? Du, Sido, hälst die andern hier im Lager geschlossen beisammen – als Rückhalt! Wir brauchen ihn vielleicht. Denn noch hab' ich von Cerialis nichts gesehn und nichts von des Feindes Reiterei. Stehen unsere tubantischen Reiter rechts vom Lager, wohin ich sie befahl, Sido?«
»Jawohl, alle vierthalbtausend! Ich sah sie den Fluß durchschwimmen, eilte hin und stellte sie selbst auf, wo du gebotst.«
»Katwald, dort irrt ein reiterloses Pferd. Bring' es mir! Rasch! So! Nun folgt mir!«
Und nun führte Civilis hoch zu Roß die Seinen, die Fliehenden verfolgend, aus dem Lager gegen die Westseite der Stadt. Hier, auf der Ebene vor dem Wall war es ziemlich dunkel: der Ostwind trieb die Flammen des brennenden Lagers gegen den Fluß hin und auf den Wällen der Stadt brannten nur wenige Pechkessel.