Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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XV.

Des Civilis Haus, mit der Stirnseite an einem Arm des Rheins gelegen, unterschied sich erheblich von Brinnos eichengefügtem Gehöft.

Es war ein Steinbau, nach römischem Vorbild von römischen Sklaven ausgeführt, und zeigte nur in wenigen Stücken Erinnerungen an das altgermanische Haus: so in dem Pfahlzaun, der »Hofwere«, die auch hier das Anwesen umhegte und – an Stelle des römischen Atriums – in der »Halle«, dem wichtigsten Teil der Wohnräume.

Auch stand diese Siedelung nicht, wie der Einödhof des Brinno, allein: ringsum erhoben sich geringere Gebäude, an welchen die römischen Zuthaten weniger hervortraten: die Hütten der Unfreien, Freigelassenen und freien Grundholden, die auf des reichen Edelings verliehenen Vorwerken und Neurodungen saßen; zumal den Strom entlang drängten sich diese niedrigen Häuslein mit ihren Schilf- und Moosdächern dorfartig zusammen.

Vor der Hofwehre nach dem Ufer hin erstreckte sich eine Wiese, der für dieses Jahr brach liegende Teil der Hufe. Wohlgepflegte Rinder von der glänzend rotbraunen Farbe edlen römischen Zuchtschlages, weideten hier in Menge: zum Teil lagerten sie in dem hohen Grase, zur Ruhe niedergestreckt und behaglich wiederkäuend.

Im wolkenfreien Westen sank die Sonne leuchtend nieder, den breiten Wasserspiegel des königlichen, hier fast schon einer Meeresbucht vergleichbaren Stromes prächtig vergoldend. Es war ganz windstill: das hohe, so leicht schwankende Schilf am Ufersaum stand ohne Regung: geräuschlos zog das tiefe Wasser hin. Nur ein Fisch sprang zuweilen aus der glatten Fläche, nach den Mücken schnappend, die in dichten Haufen über den Fluten tanzten.

Auf einem schmalen Kanal, den die wasservertrauten Anwohner aus diesem Rheinarm – der Waal – nach der Yssel hin mit sehr geringem Gefäll quer durch das ganz ebene Wies- und Sumpfland gegraben hatten, ward ein schmaler Flußkahn, hoch mit Frühheu beladen, zu Berg gezogen: gar rasch ging die schwere Last vorwärts: vier starke Knechte, breite Lederriemen über die Brust gespannt, schleppten sie, auf dem Leinpfad stapfend, nach: sie begleiteten ihre gleichmäßigen Schritte mit eintönigem, aber wohlklingendem Taktruf: an der schlanken Maststange – einer jungen Tanne, der man den obersten Wipfel ihrer Nadeln gelassen hatte, – aufgespannt leuchtete das viereckige, dunkelgelbe, fast braune Segel von den Sonnenstrahlen wagrecht getroffen, in warmem Glanz.

Von einer kleinen grünen Aue im Fluß, nahe dem Ufer, klang das melodische Lied des Schilfrohrsängers herüber: die Landschaft ruhte in goldnem Abendfrieden: es war ein lieblich Bild.

Vor dem Hofzaun auf der Wiese saß auf einer aus weißrindigen Birkenästen zusammengenagelten Bank Civilis im Hauswams, ohne Mantel, ohne Waffen. Vor ihm stand ein schöner schlanker Knabe von etwa zwölf Jahren, dem das dunkelblonde Gelock von dem unbedeckten Haupt in langen Wogen bis auf die Schultern wallte: die muskelkräftigen Arme waren nackt, ebenso vom Knie abwärts die straffen Beine; der lichtblaue Linnenkittel ließ auch den Hals und den obern Teil der Brust offen: allein obwohl stets der Sonne ausgesetzt, war die Haut des Knaben blendend weiß. Er legte nun den Bogen von Eibenholz und ein paar armslange Pfeile, beschwingt mit den Federn des grauen Reihers, aus der Hand auf die Bank und strich das dichte Haargewog aus den erhitzten Schläfen.

»Macht dir das Langhaar heiß, Merowech?« fragte der Vater, zärtlich mit leiser Hand über das blonde Haupt hinstreichend.

»Ein wenig,« erwiderte der Knabe, »Aber das thut nichts. Ich trag' es gern. Es freut mich, daß ich's tragen darf.« – »Weshalb?« – »Ei, Katwald sagte: – ich habe Katwald gern, Vater! – das lang auf den Nacken rollende Haar sei das stolze Abzeichen, – das Vorrecht! – der Männer aus unserm alten Königsgeschlecht. Denn unsre Ahnen – wohl wußte ich das von . . . nun aus anderem Munde! – trugen den Königsstab in diesem Gaue der Bataver seit grauester Vorzeit, – seit zuerst unser Volk hier eingezogen von Aufgang her – bis . . . bis wie lange doch, Vater?«

»Bis die Römer ins Land kamen.«

»All' die Jahre her hast du mir das Haar verschoren, ganz kurz, wie es die Römerknaben tragen. Es war mir nun wieder stark gewachsen: als ich dich aber – mehrere Wochen sind es nun! – bei der beginnenden Sommerhitze der Schere gemahnte, da sprachst du, mir die Locken streichend, ernst: »Gewöhn' dich dran! Noch länger sollst du's künftig tragen.« Aber auch du, Vater, hast, meine ich, das Haar und selbst den Bart schon gar lang nicht mehr gekürzt!«

»Ein Gelübde, mein Kind!« sprach er kurz.

»Katwald aber raunte . . .« er stockte.

»Nun, was meinte der Getreue?«

»Du wollest das an mir nun so nicht nur den Ahnen zum Gedächtnis, nein, für die Zukunft ein Zeichen, den Römern ein Trutz und . . .«

»Du liebst sie nicht, die Römer?«

»Nein, wahrlich nicht! Ich hasse sie schon lange, bevor sie mir Bruder und Oheim gemordet.«

»Das ist das Ärgste nicht, was sie gethan!«

»Ich weiß, ich weiß! Katwald hat mir's gesagt, weshalb du – wir alle, die Römer hassen müssen: weil sie unsrem Volke Treue und Vertrag gebrochen haben. Ich hasse sie, seit . . .«

»Nun, seit wie lang, du Kind von wenigen Wintern?«

»Seit sie, seit Weleda mein pflegte an der kranken Mutter Statt. Sie sang mich in den Schlummer mit alten Weisen und viele, viele Abende erzählte sie mir in meinem Schlafkämmerlein, während du vorn in der Halle mit dem Legaten und seinen Tribunen tafeltest, von den Kämpfen der Germanen überm Rhein mit den Legionen, vom großen Ohm Arminius – den ich vor den Römern nicht nennen durfte! – und von des Varus Untergang. Und fragte ich, weshalb du, Vater, nicht auch gegen die Übermütigen kämpftest, dann legte sie den Finger auf den Mund und sprach: »Geduld! Die Götter senden einst auch diesen Tag.« – O Vater, weshalb ist sie nicht mehr bei uns?«

»Sie ist gegangen – nach deiner armen Mutter Tod – wohin sie gehört: zu ihren Gesippen.«

»O wie konnte sie erzählen! Nicht nur von Kampf und Krieg, auch von unsern Göttern. Und von den lichten Göttinnen – so schön! Ich sah sie vor mir bei ihren leisen Worten, die hehre Frick, die holde Freia: sie trugen selber Weledas Gestalt. Kann sie nicht wieder einmal zu uns kommen?«

»Sie hat jetzt keine Pflicht bei uns mehr zu erfüllen. Und sie liebt es, einsam auf der Waltenden Verkündungen zu lauschen. Ich danke ihr aber, daß sie in diesen Jahren, da ich noch blind . . . ! Nun weiß ich doch, woher dir der Trotz kam, in dem du meinen römischen Gästen schmolltest oder entliefest. Weleda also!« –

»Ja. Und Katwald half treulich mit. Sieh nur her, Vater, – du zürnst jetzt nicht mehr darüber, bisher hab' ich's vor dir versteckt, – was er mir geschnitzt und angemalt hat mit Mennig und Ocker, mit Waid und Kohlenruß.« Er sprang zu einem hohen Haufen von allerlei Holz, der neben dem Hause aufgeschichtet lag, zog daraus behutsam eine flache runde Platte hervor und brachte sie dem Vater.

»Schau! Einen Kopf – ich hab' ihn Vocula genannt! – unter einem stolz geschweiften Römerhelm. Katwald gab mir dies und sprach: »du triffst das Eichhorn im Sprung, den Specht im Flug, den fließenden Lachs im Fluß: – laß sie springen, fliegen und fließen: – auf diese Scheibe ziele du fortan, Merowech.« Und nun schau, wie oft ich schon getroffen – auf hundert Schritt!«

»Mein Sohn,« sprach Civilis und sah ihm scharf prüfend ins freudige blaue Auge, »noch haben wir die Wahl. Entscheide! Verbrenne diese Scheibe, die allzuviel verrät, schere wieder dein Haar und lebe hier friedlich fort, wie bisher im behaglichen, wohlbestellten, reichen Hof, im Überfluß von allem, was dein junges Herz begehrt: noch ist es Zeit! Noch können wir Frieden halten mit den Römern: – du weißt, sie sind sehr stark: sie beherrschen die Welt.«

»Oder?« drängte ungeduldig der Knabe.

»Oder laß dein Haar wachsen, Königsenkel, vielleicht künftig selbst ein König deines Volks, verlasse mit mir dies schöne, reichgeschmückte Haus und die breiten Kornäcker und all' unsre Habe, um sie nie mehr oder als Brandschutt wiederzusehen: denn die Legionen dringen leicht bis hierher.«

Da umwölkte sich des Kindes offenes Antlitz: »Alles? – Alles nicht mehr wiedersehen? Auch Weißfuß nicht, mein kleines Roß, und Greif, meinen lieben Falken?«

»Auch Roß und Falk' vielleicht siehst du nie mehr. Du folgst mir aber mit allen Männern unseres Gaues in den Wald, auf den Strom, ins freie Meer hinaus zum Kampfe, zum unablässigen Kampfe mit den Römern, bis sie das Land geräumt oder bis der letzte von uns erschlagen liegt auf seinem Schild. Und bedenk' es wohl: »der Sieg ist ungewiß euch Batavern,« kündete Weleda selbst, »gewiß euch nur der Ruhm des Heldentums.« Sprich, Merowech, mein Knabe, – wähle!«

Da warf sich der ungestüm an seine Brust und rief! »Komm, Vater! Gleich! Komm in den Wald! Und in den Kampf!«

Und er schloß den Sohn an das Herz und sprach: »Dank, ihr Götter, für dieses Kind. Mich mögt ihr strafen mit Unsieg für die Schuld der langen Verblendung: aber hier dies junge Haupt – schaut herab, ihr Himmlischen! – es ist ohne Schuld: ich weih's unsrem Volk. Schützt Merowech und in ihm unsres Volkes Zukunft.«

 


 


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