Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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V.

Geraume Zeit darauf saß Civilis – lange hatte seine Betäubung gewährt – in der Halle neben dem Schilflager des Wunden. Brinno hatte den Pfeil mit kundiger Hand herausgeschnitten, Brinnobrand den Erschöpften mit Wein und Speise gelabt, die andern Gäste standen in düstrem Schweigen umher.

Da hob Civilis an: seine Stimme war, wie der Ausdruck seiner Züge, stark verändert – er schien plötzlich um Jahre gealtert: ganz langsam sprach er, jedes Wort erwägend. »Katwald, vielgetreuer! Du sollst nicht reden. Nein! Schone dich! Nur mit dem Kopfe nicken! Ich will selbst – all' das Unglaubliche, was du vorher – vom Schmerz gequält, – aus den zusammengebissenen Zähnen hervorgestoßen hast – ich will es selbst – kurz – wiederholen; du nicke nur: »ja« oder schüttle, wenn ich falsch verstanden, den Kopf. Aber, o Katwald – ich beschwöre dich! – gieb genau acht! bejahe nichts, was nicht unzweifelhaft geschehen ist! Denn – beim Schwert Armins! – an deinem Kopfnicken hängt das Geschick eines Volkes – mehr als Eines Volkes! Ströme von Blut entfesselt ein Wort von dir oder hemmt sie. Du verstehst?«

»Ich verstehe,« stöhnte schmerzlich der Wunde.

»Auch ihr andern – hört auf jedes meiner Worte und achtet auf sein Ja oder Nein. – Also! – Ihr alle – mein Bruder, – mein Sohn, – die drei andern Edelinge – und das Gefolge, ihr gelangtet glücklich nach Rom. Ja? Ihr mußtet lange warten bis ihr einen Freigelassenen, – Nein? – Einen Sklaven also! – des Imperators Vitellius zu sprechen bekamt. Und ihr hattet doch gemeldet, Gesandte der Bataver seid ihr? Ja? Also das wußte man? Habt ihr auch den Imperator gemahnt, wer ihm die letzte, die blutige Mordschlacht – dort zu Bedriacum bei Cremona – wider jenen Otho gewonnen hat?

Endlich erhieltet ihr Gehör, aber nicht bei Vitellius selbst, bei seinem Bruder und dem Präfectus Prätorio. – Doch erst, nachdem ihr bei dem Gastfreund meines Bruders viele tausend Sesterzen aufgenommen, um die Thürhüter des Präfectus, ja um diesen selbst zu bestechen? Bei dieser Unterredung war auch noch zugegen ein Legat: – wie hieß er? O bitte. Mann, stirb nicht, ehe du mir diesen Namen noch einmal genannt!«

»Mummius Lupercus!« sprach der Wunde laut.

»Mummius Lupercus!« wiederholte Civilis grimmig, aber ganz leise. »Ich kenn' ihn.«

»Aus dem britannischen Feldzug,« rief Brinno. »Erinnerst du dich, Chlogio? Ein Lüstling, aber ein tapfrer Mann.«

Civilis nickte schweigend und fuhr fort: »Der Legat fand sofort Gefallen an meinem schönen Knaben. Er lobte dessen weiße Haut, dessen weiche Wangen. Er versprach Verwendung für unsere Sache bei dem Imperator. Er lud Childerich ein – ihn allein – zu gleichalterigen Gespielen – in seine Villa bei Tibur. Mein Sohn aber faßte Widerwillen gegen den Menschen. Er schlug es aus. Ihr wurdet entlassen. Wieder hattet ihr lange zu harren auf Bescheid. Endlich wurdet ihr alle in das Palatium abgeholt von einem Tribun mit gewaffnetem Ehrengeleit. Im Vorhof wurden die Gefolgen aufgehalten. Mein Bruder, mein Sohn, die drei andern Edelinge wurden vor den Imperator – vor den Imperator selbst! – geführt. Da waren der Legat und der Präfectus Prätorio. Und Vitellius der Imperator – nun gieb acht, Katwald! denn nicht meines Bruders, meines Knaben Blut – dieses ist das Ärgste! – Der Imperator selbst erklärte mit eignem Mund: alle Verträge mit uns hebe er auf. Barbaren seien wir, besiegte, also rechtlose Barbaren und hätten hinzunehmen, was immer Rom uns auferlege. Nicht?

Mich aber, den Verfasser jener frechen Schrift, die auf unser Recht poche – er zerriß sie dabei, nicht wahr? – mich hättet ihr in Ketten auszuliefern: mein Haupt müsse fallen: die Majestät des Imperiums habe ich beleidigt. Und als mein Bruder und die Edelinge zorngemut erklärten, jedes Wort in dieser Schrift sei auch ihr Wort, da befahl der Imperator – er selbst! – sie in Fesseln zu schlagen, in den Kerker zu werfen und auf den Tod anzuklagen vor dem Senat. Und so geschah's. Und sie sahen euch nur noch einmal wieder, als sie über den Hof geführt wurden – in Ketten. Mein Knabe aber ward als Geisel Mummius Lupercus – zur Bewachung! – übergeben. Er nahm ihn – von vielen Kriegern umschart, – mit in sein Stadthaus. Du jedoch, treuer Katwald, folgtest, von weitem dich nachschleichend, durch den Säulengang. Und bald darauf hörtest du sein Hilfegeschrei und – oh, oh« –

»Halt ein, Mann,« rief Brinno, »das kann kein Vater sprechen. – Und plötzlich ward in einem hohen turmgleichen Eckbau von innen ein Laden aufgerissen und herab stürzte sich auf das Pflaster des Marmorhofs der Knabe und zerschmetterte sich das schöne Haupt und sagte dir sterbend, das Scheusal habe ihm die Freiheit versprochen und goldene Schätze, wolle er teilen des Römers schändliche Laster und Childerich habe ihm in das Antlitz geschlagen: da habe der Wütende sich auf ihn gestürzt, er aber habe den Tod gewählt.«

»Mein Sohn, mein lieber Sohn!« stöhnte Civilis noch einmal. Dann richtete er sich rasch auf und fuhr fort: »Und von seiner Leiche hinweg bist du geflohen, deine Genossen wieder aufzusuchen und mit ihnen in die Heimat zu eilen. Da hast du schon meines Bruders und der drei andern Gesandten Häupter aufgepflanzt gesehen auf den Eisenzacken des tarpejanischen Kerkers. Und hast gesehen, wie die Henker die kopflosen Rümpfe an langen Haken in den Tiber schleiften und wie die römischen Dirnen ihren Scherz trieben mit den nackten Leichen und sie schamlos verstümmelten. Das alles hast du gesehen, scharf gesehen, Katwald? Schwör's bei den Göttern!«

»Ich schwör' es bei Wodan!« wiederholte der Wunde und hob matt die Schwurhand.

»Nun, Freund«, rief Brinno, losbrechend und den in dumpfen Schmerz Versinkenden an der Schulter rüttelnd, »um Blutrache wider Rom schreien zu dir Bruder und Sohn! Rufe die Bataver zum Kampf! Ist's noch nicht genug?«

»Nein,« erwiderte Civilis, sich langsam aufrichtend, »dafür ist es nicht genug. Das traf nur mich, mein Haus, verübt von einem Frevler und einem – vielleicht – wahnwitzigen Mann im Purpur des Imperators. Ich werde ihn suchen, diesen Lupercus. Ich werde in Rom Senat und Volk befragen, ob« –

»O teurer Herr,« unterbrach Katwald, »sie haben schon geantwortet. Ich habe ja noch nicht alles berichten können.«

»Was? . . . Was noch weiter?«

»Als wir, in römische Mäntel gehüllt – der Gastfreund gab sie uns, auf daß wir leichter entkamen, – uns noch einmal auf den Platz vor den Kerker schlichen, die Häupter unserer Herrn zum letztenmal zu sehen, da drängte dort alles Volk durcheinander, erwartungsvoll. Und plötzlich schmetterte die Tuba und aus den Thüren des Palastes neben dem Kerker trat auf die oberste Stufe der breiten Marmortreppe ein Aufzug in Gold und Waffen gleißender Männer und ein Herold – oder so was dergleichen – verlas aus einer Rolle laut vor allem Volk: »der Senat von Rom hat beschlossen und der Imperator hat bestätigt, was hier – angesichts jener blutigen Häupter – verkündet wird dem Volk von Rom: null und nichtig sind die Verträge mit den Völkerschaften der Bataver und Kannenefaten, der Friesen, Sugámbern und Gugérnen. Durch kecke Auflehnung wider das Reich der Römer haben diese Barbaren jedes Recht verwirkt, nur durch unbedingte Unterwerfung unter die Gnade Roms können sie noch das Schicksal von ihrer aller Häuptern wenden, das diese vier getroffen, die, unter dem Anschein einer Gesandtschaft, die Empörung ihrer Völker zu vertreten gewagt. Sprich, Volk von Rom, bist du einverstanden mit Imperator und Senat?«

Da schrie alles Volk vom Knaben bis zum Greis: »So sei's! so sei's! Heil dem Imperator! Heil dem Senat! Wehe den Barbaren!«

Und wieder schmetterte die Tuba, der glänzende Aufzug verschwand, die Tausende aber um uns her sprangen und schrien und schlugen in die Hände. Hätten uns die Rasenden erkannt, – nicht lebend wären wir entronnen. Wir flohen glücklich aus der Stadt und gelangten unversehrt in die Heimat. Aber es scheint, ein Befehl, uns aufzufangen, war uns vorausgeeilt: vor wenigen Stunden hielt uns an der Brücke über die Nabália ein Geschwader numidischer Reiter an und der Führer fragte uns aus, woher und wohin? Nach unsern ersten Antworten winkte er den Seinen, uns zu greifen: wir stoben auseinander. Was aus meinen Gefährten ward, – ich weiß es nicht. Mir setzten zwei der Reiter nach bis – bis hierher.«

Erschöpft verstummte der Mann und sank zurück auf das Lager.

»Er mag von Glück sagen,« flüsterte Brinno, »sie waren vom zweiten Geschwader, mit den roten Helmbüschen.« – »Was meinst du?« fragte Sido – »Die vom ersten – mit den schwarzen Roßschweifen – führen Pfeile, die unfehlbar töten, ob auch langsam, sobald sie nur die Haut geritzt.«

Civilis aber sprang nun auf: düstere Glut barg sein Auge. Er streifte vom Finger einen goldenen Ring, – nur widerstrebend wich dieser von der altgewohnten Stätte – legte ihn auf den Herdstein, nahm Brinnos Hammer, den der an den Pfeiler gehängt, herab und schmetterte mit Einem Streich den Ring in viele Stücklein.

»Was that er? Was bedeutet . . . ?« fragte der Suebe. – »Es war der Ring der römischen Ritter,« erwiderte Ulemer, »der Imperator Claudius hat ihm denselben angesteckt.« – »Ja, nach unserm Sieg über die Siluren,« ergänzte Katwald, sich auf den Ellbogen stützend. – »Heil uns,« jubelte Brinno, »Nun ist er endlich unser. Jetzt, Gott Donar, reiß' ihn vorwärts.«

»Noch nicht Donar,« sprach Civilis heiser, tonlos, verhalten. »Erst beim Losbruch. Jetzt – noch lange! – leite mich ein anderer. Jahre-, jahrzehntelange Verblendung, – ich mache sie gut. Ich schwör' es! Ich lasse wachsen Bart und Haar, bis – bis ich ein stummes Gelübde erfüllt. Du aber, Gott der gerechtesten, weil der widervergeltenden Arglist, durchhauche mich mit einem Atem deines Geistes, du – Wodan von Walhall!«

 


 


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