Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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X.

Am Abend desselben Tages ließ sich eine Sklavin bei dem Feldherrn melden.

»Ist sie jung? Ja? Weiber haben immer Zutritt,« lachte er, den Becher dunkeln Weines niedersetzend. »Herein mit ihr und heraus mit euch, ihr Hunde von Sklaven.«

Ein zierliches gallisches Mädchen stand vor ihm.

»Von Lucretias Schwester,« sprach sie und überreichte ihm ein verschnürtes Wachstäfelchen; er schnitt die Fäden mit dem Dolch auf, las, staunte und als er aufsah, die hübsche Botin zu befragen, war diese verschwunden.


Kurz vor Mitternacht war's. Die Ampel von irisirendem dickem Glase warf, von der Marmordecke herabhängend, dämmerndes Licht auf das weiche Pfühl in Claudias Schlafgemach. Auf dem Pfühl saßen das schöne Weib und Cerialis; dieser, ohne Helm und Panzer, hatte das Schwert abgegürtet und mit dem braunen Kriegsmantel auf den hoch mit Teppichen bedeckten Estrich geworfen.

Claudia war wie verwandelt.

Jene gleichgültige Trägheit war von ihr gewichen: sie war ganz Feuer, Leben, Bewegung: ihre großen Augen sprühten wunderbaren Glanz: nie war sie so schön gewesen.

Sie streichelte mit Behagen des Römers starken Arm und sprach mit einem Wohllaut der Stimme, den weder Gutruat noch Sabinus je vernommen: »Und weißt du, Unwiderstehlicher, um was ich dich am glühendsten liebe? Nicht einmal um jene Kraft, die mich zu erdrücken droht in deinen Armen: – nein, um jene Kühnheit, jenen todverachtenden Wagemut des Verlangens, der dich allein in dieser Stunde hierher führen konnte. Hab' Dank für dieses Wagen. Heiß will ich dir lohnen.« Und sie warf sich stürmisch an seine breite Brust.

»Hei ja,« lachte er, den Duft ihres ungesalbten Haares einschlürfend, »ist es toll von mir! Es ist Wahnsinn! Aber nur der Kühnste gewinnt das Süßeste. Wenn Vespasian es ahnte! Als ich dein Brieflein gelesen, sagte ich mir: »ist es eine Falle? Nein! Die Göttliche hat deinen heißen Blick erwidert und nur sie ja hörte das Wort von Lucretias Gruß. Hat dieses Geschöpf – Heras Gestalt mit Aphroditens Lustreiz! – dich ihrem aufgeblähten Mann, diesem feisten Gockelkapaun, verraten? Nein! Auch sie verlangt nach Glück: ihr lechzend Auge bezeugte das.« Ich ging also – allein – zu der in dem Briefe bezeichneten Marmorplatte neben dem Altar der Eppona vor dem Südthor: wirklich! sobald ich sie hob, bemerkte ich die ersten Stufen eines Erdganges. Ich zögerte einen Augenblick: dann schloß ich die Augen, rief mir dein Bild vor die Sinne und – sprang hinab, den Stein hinter mir nachziehend. Noch einmal, wie er dumpf in sein Gefüge fiel, durchzuckte mich's: ›das war wie das Zuschlagen einer Falle. Aber nun bin ich darin – nun vorwärts!‹ Bald hatte ich die angegebene Eisenthür ertastet, der kleine Schlüssel paßte: – er öffnete. Nun begrüßte mich das matte Licht eines Mauerlämpchens: ich eilte die aufsteigenden Steintreppen hinauf, das nackte Schwert in der Faust: ich pochte leise, wie angewiesen, dreimal an einer zweiten Thür – bereit, den ersten Feind zu durchbohren: im Herzen aber glaubte ich nicht an Verrat und Gefahr: dich suchte ich, dich fand ich und nie genossene Wonne, du berauschend Weib.« Und er umschlang sie mit den nervigen Armen, daß ihr der Atem stockte.

»Laß ab, du Wilder, du wirst mich töten.« – »Gäb' es schöneren Tod?« – »Nein! Aber noch nicht! Vorher noch viele, viele Stunden wie diese. Du wirst, du mußt mich befreien aus dieser Öde, aus dieser Ehe, aus . . . !« – »Gewiß! Morgen, bevor die Sonne im Mittag steht, bist du – auch vor aller Welt – mein! Meine Gefangene scheinbar, meine Göttin in Wahrheit!« – »Morgen schon? Aber euer beschlossener Vertrag – die Bedenkfrist . . .« –

Cerialis lachte. »Das laß du meine Sorge sein. Als ich den Vertrag schloß, da kannte ich noch nicht . . . Aber horch!« Er sprang auf. »Was war das? Es pocht von unten an der Thüre: – dreimal! – wie ich gepocht! Dennoch Verrat? Weib, dann . . . !«

Er haschte Mantel und Schwert vom Boden auf: aber ein Blick auf ihr Antlitz – alle Farbe war daraus gewichen – belehrte ihn, daß sie nicht minder als er selbst von Entsetzen ergriffen war; sie fand vor Schrecken kein Wort.

»Der Ehemann?« fragte er. »Nein! Der kommt nicht auf künstlichem Schleichweg. Also ein Nebenbuhler? Nun du freu dich!« Er riß das Schwert aus der Scheide und hob es drohend.

»Bei allen Göttern!« flehte jetzt das Weib in höchster Angst. »Willst du dich und mich verderben? Still! Dort hinein! Hinter jenen Vorhang. Rühre dich nicht! Laß mich gewähren. Dann wend' ich alle Gefahr von uns.« – »Von ihm vielleicht? Nein! – Er soll nicht leben! Ich will . . .« Sie drängte ihn, halb mit Gewalt, hinter den Vorhang und eilte, die Fallthür zu heben, die auf dem Vorplatz die Mündung des Kellerganges schloß.

Gleich darauf erschien sie wieder in dem Schlafgemach, gefolgt von einem mit Staub und Straßenschmutz bedeckten Mann; der goldgestickte Mantel hing ihm in Fetzen um die Schultern, der reiche Harnisch war zerschlagen, die aufgeschnürten goldenen und silbernen Schmuckscheiben hingen, halb zerschmettert, an den Riemen herab, die dunkeln Haare waren über der Stirn von getrocknetem Blut zusammengeklebt; mühsam, wankend hielt er sich aufrecht an einem kurzen Wurfspeer.

»Ums Himmelswillen,« flüsterte Claudia so leise, daß er darüber staunte, »wie bist du zugerichtet? Wo kommst du her?« – »Von Besançon! Besiegt! Geschlagen! Furchtbar geschlagen! Römische Kohorten – die zweite Legion! – frisch eingetroffen vom Rhone her hatten die Sequaner verstärkt. Alles ist verloren! Der Widerstand gegen diese Römer ist unmöglich. Schwer verwundet, durch den Helm – in den Kopf ein Hieb! – rettete ich mich durch schnellste Flucht. Ich ritt zwei Pferde tot.« – Sie warf die Lippe auf: »Vor lauter Furcht!« sprach sie verächtlich.

Er hatte es nicht verstanden. »Glücklich in der Finsternis durch die Reihen der Belagerer und durch den Erdgang in die Stadt gelangt, eile ich zuerst zu dir . . .« – »Du willst dich wohl hinter meinen Kleidern verstecken?« – Er starrte sie an: »Nein! Fliehen sollst du mit mir. In die Verborgenheit, wo uns niemand kennt!«

»Fliehen? Fällt mir gar nicht ein!« sprach sie nun plötzlich sehr laut. – »Bedenke! In wenigen Tagen können die Feinde in der Stadt sein.« – »Wahrscheinlich.« – »Und du willst nicht mit mir fliehen?«

»Nein.« – »So liebst du mich nicht mehr? Ja, bin ich denn nicht mehr, der ich war?« rief er in lautem Schmerz, »nicht Julius Sabinus?«

»Der bist du?« schrie es da aus dem Nebengemach. »Warte, Kaiser Galliens!«

Und aus dem Vorhang sprang Cerialis, den Mantel zur Abwehr um den linken Arm geschwungen, das breite Schwert zum Stoße zückend.

»Ein Mann! Ein Römer bei dir! Verräterin!« rief der Überraschte. »Nieder mit ihm!« Und er warf sich Cerialis entgegen.

Aber ein Streich des Römerschwertes schlug ihm den Speer aus der Hand, ein Stoß durchbohrte seinen rechten Arm: aufschreiend wandte er sich und floh.

Cerialis folgte ihm. Durch die Fallthür, die jener hinter sich zugeworfen hatte, ward er eine Weile aufgehalten. Als er die Stufen hinab in den halbdunkeln Gang gelangte, war der Flüchtling nicht mehr vor ihm zu sehen.

»Unbegreiflich! Er kann noch die Eisenthüre nicht erreicht haben. Wo steckst du, Herr Kaiser? In einem Mauseloch?«

Er spähte ringsum in dem schmalen Gang: – da bemerkte er eine schmale Holzpforte, die an der linken Seite offenbar in einen Ausgang führte.

Er riß daran: – aber sie war von außen verschlossen. »Dahinaus ist er entwischt, in die Stadt hinein. Nun Geduld! Sie wird dich nicht lange schützen!«

 


 


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