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Neunzehnter Tag.

Warum ich die Lehniner Mönche für humorlos halte und ihr Kloster entrüstet verließ. Der gotisch-biedermeiersche Renaissance-Tierpark. Potsdam und seine Wunder: Vor allem die geniale Erfindung des Grußapparats und die dekorierten Droschkengäule. Warum die Berliner früher Heringe gewesen sind. Meine Verhaftung im Freibad und der feierliche Einzug in Berlin.

 

Nie in meinem Leben hätte ich geglaubt, daß die Mönche im Kloster Lehnin so wenig Sinn für Humor besäßen. Wenn ich solch ein Klausner wäre, und es käme ein Graf von der Krötenburg auf Besuch, ich würde dem Manne für den unterhaltsamen Abend meine dauernde Dankbarkeit bewahren, selbst wenn sich herausstellte, daß es mit den Millionen, die er mir versprochen, leider nichts auf sich hätte. Aber die Art und Weise, wie der Abt am nächsten Morgen wütend wie ein Hamster und rot wie ein Igel in meine Fürstenzelle eindrang und mich mit beleidigenden Worten weckte, war nicht die eines gebildeten Mannes, der den Humor des Lebens begreift.

»Gauner, Lump, Spitzbube, Hochstapler!« Das waren so seine Ausdrücke, und er sagte, er wolle mich der Polizei übergeben. Es war zu lächerlich, und diese ganze Heftigkeit rührte nur daher, weil in aller Herrgottsfrühe in einem Wagen der richtige Graf angekommen war. So geht es einem immer. Konnte dieser richtige Graf nicht wenigstens noch einen halben Tag mit seiner Ankunft warten? Ich hätte einen ungetrübten Eindruck davongetragen und für mein ferneres Leben immer wieder für das stille Klosterleben geschwärmt. Aber so – jetzt konnten mir die Leute überhaupt gestohlen werden, und das jüdische Kloster auf dem Kurfürstendamm wollte ich erst recht nicht besuchen.

Ich zog mich also ruhig und etwas entrüstet an, während der Abt noch immer im Zimmer herumtobte. Als ich mich gewaschen und frisiert hatte – auf die Anlegung meiner wohlerworbenen Mönchstracht verzichtete ich, trotzdem sie mir abends vorher feierlich überreicht worden war – da hielt ich es doch für nötig, diesen Abt etwas zu beruhigen.

»Junger Mann,« sagte ich, indem ich ihm freundlich auf die Schulter klopfte. »Rücken Sie sich erst mal Ihren schönen Vollbart zurecht, er ist ja ganz auf die linke Backe gerutscht. Und dann will ich Ihnen das eine sagen: ich freue mich stets, wenn der andere in Wut gerät, dann brauche ich es nicht zu tun. Und zweitens werde ich ihn dann mit guter Art los. Was meinen Sie, was mir das für Umstände gekostet hätte, heute morgen in Frieden aus diesen traulichen Klosterräumen herauszukommen, Sie hingen ja alle so freundschaftlich an mir. Aber nun ist die Sache höchst einfach. Wie ich sehe, legen Sie auf mich als Klosternovizen keinen besonderen Wert mehr. Schade, ich wäre hier vielleicht Kellermeister, und wenn einer von uns beiden gestorben, Abt geworden. Aber es hat nicht sollen sein. Also leben Sie wohl, verehrter Teekessel, schlafen Sie rund, damit Sie nicht eckig werden, und grüßen Sie Ihren Briefkasten.«

Damit verließ ich die Zelle und schloß sie von außen ab, denn ich hatte dem Abt alles gesagt, was zu sagen war, und hielt eine weitere Auseinandersetzung für völlig überflüssig. Stolz spazierte ich über die Hängebrücke, indem ich auf das Frühstück, von dem gestern abend der Abt geschwärmt hatte, großmütig verzichtete. Die Mönche sahen mir staunend nach, und kein einziger wagte es, mir etwas zu sagen.

So verließ ich das altersgraue, sagenumsponnene Lehnin, diese Perle der Mark, und bald nahm mich wieder der grüne Eichenwald in seine heiligen Schatten auf, und ich dachte auch nicht mit einem Gedanken mehr an diese humorlosen Mönche. Mochten sie sehen, wie sie mit dem neuen Grafen fertig wurden, ich bezweifelte, ob er so gemütlich und vor allem so nobel im Schenken war wie ich.

In Baumgartenbrück frühstückte ich sehr gründlich, aber ich hielt mich sonst nicht lange damit auf, den berühmten Schwielowsee zu bewundern, Wasser ist Wasser, und ich wollte noch in den Mittagsstunden in Potsdam eintreffen. Potsdam ist übrigens der dritte Ort, den mein Führer als die Perle der Mark bezeichnet, jedenfalls ist der Verfasser früher Juwelenhändler gewesen.

Ich kam zuerst durch den alten, herrlichen Waldpark, einen von Friedrich Wilhelm IV. kunstvoll angelegten und mit Ungetieren aller Art besiedelten Jagdgrund. Ganze Rudel wilder Schweine brechen hier aus dem Renaissancedickicht und erschrecken den Wanderer. Hirsche mit Biedermaiergeweihen springen über gotisch gehaltene Abgründe. Löwengruppen sitzen in malerischer Beschaulichkeit auf steilen Rokokofelsen und hüten sich herunterzufallen, denn das ist ihnen streng verboten. Dressierte Nachtigallen und andere Singvögel schmettern gemeinsam den Armeemarsch Numero Siebzehn in die poetische Waldeinsamkeit, und in der Ferne hört man die fünfstimmige Hupe eines kaiserlichen Automobils. Überhaupt ist die ganze wilde Tiergeschichte für den Zuschauer durchaus ungefährlich, denn überall stehen die von Professoren der Berliner Kunstakademie stilgerecht angelegten Jägerhäuschen und die Förster liegen im Fenster und beobachten alles. Auch unter den waidmännisch ausgeschmückten Jagdtoren, die hier und da zum allgemeinen Vergnügen den Weg überspannen, haben sich Beamte aufgepflanzt und sorgen dafür, daß kein Tier seinen vorgeschriebenen Baum, Felsen oder Wiesenfleck verläßt. Nur einmal wollte eine heißhungrige Hyäne nach mir schnappen, weil ich ihr auf die Nase gespuckt hatte, aber ein einziger Blick des Forstbeamten genügte, und mit eingekniffenem Schwanz und beschämtem Gesicht schlich sie sich hinter ihren Brombeerstrauch.

Ja, ich merkte deutlich, daß ich mich einer Gegend näherte, wo die gütige und weise Obrigkeit in ganz besonderem Maße für ihre Untertanen sorgt. Mag auch sonst im deutschen Vaterlande manches im Argen liegen, mögen in einzelnen Landesteilen, besonders in Süddeutschland direkt wilde Zustände herrschen, sodaß dort die wichtigsten Ereignisse im Leben eines Untertanen vor sich gehen, ohne daß die Polizei jedesmal die Sache untersucht und ihre besondere Erlaubnis gibt, so ist das in Großberlin und hoffentlich bald auch in ganz Preußen einfach eine Unmöglichkeit.

Schon bei meinem Eintritt in Potsdam merkte ich, daß dort nicht mehr der gewöhnliche Zivilist, sondern nur noch der Mann in Uniform herrscht. Vor dem ersten Hause stand ein Schutzmann, der mich einem eingehenden Verhör unterwarf, und zwei städtische Zollbeamten, die sich durch gründliches Befühlen meines Körpers überzeugten, daß ich nicht etwa Fleisch- oder Wurstwaren einschmuggeln wollte. Aber ich bestand beide Examina glänzend, denn ich schwindelte das Blaue vom Himmel herunter, und das dumme Gesicht, das ich machte, stand wieder einmal auf der Höhe. Der Schutzmann empfand sogar eine entschiedene Sympathie für mich und sagte, solche Leute wie ich könnte der Staat gebrauchen, und es stände besser um das preußische Vaterland, wenn alle Leute ein so vorschriftsmäßiges Gesicht machten.

Dann hing er mir den elektrischen Grüßapparat um, eine geniale Erfindung, die jeder Zivilist in Potsdam tragen muß, und die einem beim Wegreisen wieder abgenommen wird. Man zahlt beim Anlegen des Apparats fünfzig Pfennige Leih- und Abnutzungsgebühr und kann dann frei in der Stadt umhergehen. Sobald man sich aber irgend einer Uniform nähert, einem Soldaten, Beamten, Polizisten, bekommt man durch den Grußapparat einen elektrischen Stoß im rechten Arm. Der Arm fliegt mit einem energischen, fast hörbaren Ruck in die Höhe, und der vorschriftsmäßige Gruß ist fertig.

Man kann sich gar nicht vorstellen, wie ideal die Zustände in Potsdam seit der Einführung dieses Grußapparates geworden sind. Früher liefen die Besucher dieser schönen Residenzstadt in Rudeln umher, blieben staunend vor den Kasernen und andern wichtigen Gebäuden stehn und machten der vorgesetzten Polizei die größte Arbeit. Jetzt ist das anders, und man geht wohl nicht fehl, wenn man die Einführung dieses Apparats auch für andere große Städte und für das ganze deutsche Vaterland erwartet. Ob es dann wohl noch unzufriedene Menschen bei uns geben wird?

Ein Freund von mir, ein Engländer, sagte mir einmal, die deutschen seien Uniformfetischisten. Er erzählte mir, wie er einen Berliner im Grunewald tieftraurig und ratlos vor einem Wege getroffen habe. »Es ist keine polizeiliche Warnungstafel da,« sagte der Berliner, »und da weiß ich nicht, ob der Weg verboten oder erlaubt ist.« Andere Menschen, meinte der Engländer, hätten einen Schutzengel, aber für Deutschland brauche der Liebegott so etwas nicht anzuschaffen, die Deutschen hätten den uniformierten Schutzmann, der ihnen von der Wiege bis zur Bahre genau den vorgeschriebenen Weg wiese und sie vor aller Sünde und jeder Übertretung bewahrte.

Ich wollte, mein Freund hätte recht, und wir wären in Deutschland schon so weit, daß für jeden Bürger bei seiner Geburt ein besonderer Schutzmann bestellt würde, der auf ihn aufpaßte. Dann würden wir uns sogar mit Stolz Uniformfetischisten nennen. Aber einstweilen haben wir solche oder ähnliche Einrichtungen erst in wenigen, bevorzugten Städten, zu denen allerdings Potsdam gehört.

Wenn sonst irgendwo ein Junge zur Welt kommt, dann trinkt der Vater vor Freude einen Schnaps, klettert aufs Dach oder übt sich im Radschlagen. Der Potsdamer Vater hat dazu gar keine Zeit. Er muß dreizehn Formulare mit Vordruck ausfüllen – die Zahl ist vorgeschrieben – mit detaillierten Angaben, wie er heißt, wie seine Frau heißt, wie der Junge heißt, warum es ein Junge ist, wie die Großeltern heißen, wie der Arzt, die Hebamme und die sonstigen geschäftlich interessierten Personen heißen, wann alle geboren sind und wo, ob sie geimpft, getauft oder verheiratet sind, welche Orden und Zuchthausstrafen sie haben, und andere noch viel gefährlichere Fragen. Dazu müssen sämtliche diesbezügliche Papiere mitgebracht werden, die zusammen sicher einen Zentner wiegen.

Potsdam ist nicht groß, aber es hat eine Unmenge von Behörden, die alle miteinander auf raffinierte Weise verwandt oder verschwägert sind. Jeder Zettel muß natürlich bei einer andern Behörde abgegeben werden, was nicht so ganz einfach ist, da es bei der Kompliziertheit der Verhältnisse Büros gibt, die jahrelang gänzlich verloren gehen, bis sie durch Zufall in einer versteckten Ecke wieder aufgefunden werden. Aber der glückliche Vater muß jede Behörde finden, das Standesamt, das Militärbureau, die Krankenkasse, die Feuerwehr, das Patentamt, die Heilsarmee und so weiter. Auf der Polizei erscheint er klugerweise zuletzt, denn hier wird er ja doch auf jeden Fall wegen irgend eines Formfehlers verhaftet.

Handelt es sich nur um eine Kleinigkeit, sagen wir um einen fehlenden Ubogen, dann braucht er höchstens acht Tage zu sitzen. (Lebenslänglich oder Köpfen wird jetzt nur noch selten für solche Vergehen verordnet!) Der Potsdamer sitzt eine solche Strafe mit frohem Gemüt ab, denn er weiß, daß die gütige Obrigkeit inzwischen für ihn und für sein Haus sorgt.

Sie tut das sogar sehr gründlich. Zuerst schickt sie eine starke Abteilung ab, besetzt das Haus, in dem der Junge geboren ist, und verhaftet sämtliche Bewohner. Nachdem alle zwangsweise rasiert und gebadet sind, werden sie einem großen Verhör unterworfen, und es ist dabei geradezu wunderbar, wie schnell der Gerichtsschreiber einen Möbelwagen voll Akten fertiggeschrieben hat. So braucht sich der verhaftete glückliche Vater um seine Familie weiter keine Sorgen zu machen, denn er weiß, daß sämtliche Mitglieder der Fürsorgeerziehung überwiesen werden, einem Institut, das sich in ganz Deutschland wegen seiner segensreichen Resultate allgemeiner Beliebtheit erfreut.

Man sieht, welch eine ideale Ordnung in Potsdam herrscht, und man kann sich denken, wie glücklich die Bewohner sein müssen, da sie ja dieser obrigkeitliche Schutz durch das ganze Leben geleitet. Kein Potsdamer geht durch eine Straße ohne sich von Zeit zu Zeit umzusehen, ob auch ein Schutzmann in der Nähe ist. Wenn plötzlich durch ein Wunder die Beamten aus der Stadt verschwänden, die Bürger würden sich in ihren Häusern verrammeln. Selbst der mutigste wagte sich keinen Schritt auf die Straße.

Ich muß hier noch einen Zug beifügen, den ich in Potsdam beobachtete, denn er scheint mir charakteristisch zu sein für die tiefe Verehrung, die dort das Volk allem Obrigkeitlichen entgegenbringt. Auf der Säbelstraße wurde ein Haus niedergerissen an dem ein altes, verwittertes Papierplakat klebte: »Dieser Briefkasten ist frisch gestrichen. Die Postbehörde.« Der Briefkasten befand sich schon seit Jahrzehnten nicht mehr an dieser Stelle, aber das Plakat wurde sorgsam behütet. Der Hausbesitzer war sogar ordentlich stolz darauf. Und als es sich jetzt beim Hausabbruch absolut nicht von der Mauer löste, wurde das Stück Wand, auf dem es klebte, sorgsam herausgesägt und sollte nachher in den Neubau, vielleicht mit einer Glasplatte überdeckt, wieder eingesetzt werden. Ja, eine solche Pietät gegen die Behörden würde natürlich meinem Freund, dem Engländer, unverständlich sein.

Auch die Tiere haben es in Potsdam besser als anderswo. So tragen viele Droschkengäule Schießschnüre für Leistungen in der Schnelligkeit und Orden für sonstiges Wohlverhalten. Ein Gaul ohne jede Dekoration ist tief verachtet. Er wagt kaum die Augen aufzuschlagen, wenn er durch die Straßen trottet. Früher gab es in Potsdam sogar einen Schimmel mit dem eisernen Kreuz. Er hatte 1870 einen französischen General totgebissen. Einen großen Hund sah ich, der die Schutzmannsuniform trug. Sie war ihm verliehen worden, weil er einen alten Wachtmeister vor dem Tode des Ertrinkens gerettet hatte.

Natürlich gibt es außer Beamten und Soldaten auch sonst noch sehenswerte Dinge in Potsdam, aber das kann mir niemand übelnehmen, daß ich mich dafür nicht interessierte. Ich hatte genug zu tun, überall herumzulaufen, um als freier Preuße den elektrischen Grußapparat spielen zu lassen, und wenn ich jemals unglücklich gewesen bin, dann war es, als ich ihn beim Verlassen der Residenzstadt wieder abgeben mußte.

Aber es gibt kein dauerhaftes Glück. Ich mußte Potsdam verlassen, und nachdem ich zu Mittag gegessen (auf die Speisekarte war die polizeiliche Erlaubnis aufgestempelt) und meinen Grußapparat abgegeben hatte, bestieg ich traurigen Herzens den Dampfer, der mich nach Wannsee fahren sollte. Irgend ein Ochse hatte mir nämlich eingeredet, ich müßte unbedingt das Freibad in Wannsee ansehen, und ich Kamel fiel natürlich darauf herein.

Langsam segelte so unser Dampfer an der schönen Stadt Potsdam vorbei, die sich vom Wasser aus ganz architektonisch ausnahm, und als wir durch die Glienicker Brücke fuhren, auf der noch einmal ein vorgeschobener Schutzmann wie ein letzter Sonnenstrahl grüßte, da wußte ich wieder mal, daß ich ein Stück meiner Seele dort gelassen hatte.

Der Berliner ist in früheren Zeiten, als die Seelenwanderung noch Mode war, sicherlich einmal Hering gewesen, nicht nur wegen seiner Magerkeit, sondern vor allem, weil er sich nur wohl fühlt, wenn er wie in einer Tonne mit seinesgleichen zusammengepfercht ist. Das merkte ich schon auf dem Dampfer, der aussah wie ein niedergeflogener, ungeheurer Bienenschwarm, und das merkte ich noch mehr, als wir jetzt wirklich an dem Freibad Wannsee vorbeifuhren.

Niemals hätte ich es für möglich gehalten, auf einen einzigen Fleck eine so ungeheure Menschenmenge zusammenzubringen, und ich bekam einen ordentlichen Respekt vor der Größe Berlins, dessen halbe Bewohnerschaft hier in einem mehr oder minder ausgezogenen Zustande herumlief. Übrigens sah die Sache riesig ulkig aus, und ich konnte es nicht begreifen, wie erwachsene Reichshauptstädtler, angesehene Leute mit Muskelschwund und solche mit gehörigen Fettbäuchen, die sich in Kleidern ja ganz nett und würdig machten, wie die so töricht sein konnten, hier zum Gespött aller Welt im nackten Zustand herumzulaufen. Denn darüber sind wir uns doch wohl alle einig, daß wir Menschen im Hemde nur noch halb so schön sind, und ganz ausgezogen sogar bedenklich an äußerem Ansehen verlieren. Das unterscheidet uns ja auch von den unvernünftigen Tieren.

Übrigens stellen Sie sich nur einmal vor, wenn die neue Mode der Luftbäder allgemeinen Eingang fände, was das für merkwürdige Szenen gäbe! Zum Beispiel, nehmen Sie den deutschen Reichstag, also gewissermaßen die Elite der deutschen Nation. Wenn diese ehrwürdigen Bonzen sich in Schwimmhosen versammelten, ich will ja nicht ausfallend gegen sie sein, aber viel ulkiger sähe schließlich ein Oberlehrerkongreß in Badekostüm auch nicht aus. Von Denkmälern, Frauenrechtlerinnen, lyrischen Dichtern, Leutnants und so weiter will ich gar nicht reden, denn diese Leute würden sich schon von selbst dagegen wehren, im Trikot wie gerupfte Sperlinge herumzulaufen.

Aber schön war es nachher im Freibad Wannsee doch. Ich erstand mir für zehn Pfennige die vorgeschriebene patriotische schwarzweißrote Badehose, gab meine Sachen zur Aufbewahrung ab, und quetschte mich stolz, wenn auch mit Schwierigkeiten in das Menschengewimmel hinein. Ja, so opfert man sich für die Wissenschaft. Ich ging also eine Weile umher, benahm mich wie ein eingeborener Berliner und sagte hier und da zu einem hübschen Mädchen: »Na, kleener Badeengel, ooch mal wieder hier?« Bis ich die Sache satt bekam und mir meine Kleider wiederholen wollte.

»Wo haben Sie denn Ihre Marke?« fragte mich der Mann an der Garderobe.

»Marke?« entgegnete ich ganz erstaunt. »Ja, das wußte ich nicht, daß man die haben muß. Die wird wohl hier liegen geblieben sein.«

Der Kerl lachte. »Denn warten Sie man, bis sich hier alles verlaufen hat. Vielleicht bleiben Ihre Sachen zurück.« Er machte ein höhnisches Gesicht, und die Umstehenden wieherten förmlich.

»Ja, ich kann mir doch meine Sachen selbst heraussuchen?« sagte ich und wollte über die Barriere klettern. »Übrigens da hängen sie ja schon!«

»Nee, Mann Jottes, so wat können Sie hier nich machen! Hier wird sowieso schon genug geklaut. Da könnte ein jeder kommen.«

Ich war entrüstet und wollte mich an den Gendarmen wenden, den ich den Augenblick vorher gesehen hatte, aber der kam schon von selbst heran. Ich versuchte ihm die Geschichte zu erklären, aber er warf mir nur einen einzigen, vernichtenden Blick zu.

»Kennen wir!« sagte er. »Aber dieses Mal sollen Sie uns nicht anführen. Zeigen Sie mal Ihre Legitimation!«

»Wie soll ich denn meine Legitimation zeigen, wenn ich sie in meiner Rocktasche habe.«

»So!« sagte der Gendarm fast jovial, und ich fühlte, daß ich verloren war. »Legitimation haben Sie also auch nicht? Ich will doch gleichmal in meinem Steckbriefverzeichnis nachsehen.«

Nun paßt leider mein Gesicht so ziemlich auf jeden Steckbrief, und das Resultat kann man sich denken. Mit Blitzesschnelle verbreitete sich die Nachricht, daß man endlich den gefährlichen Verbrecher, der schon seit Wochen im Freibad sein Unwesen trieb, verhaftet habe, und das beleidigte Rechtsgefühl des Publikums machte sich in einer für mich sehr unangenehmen Weise bemerkbar, so daß man mich nur in einem sehr defekten Zustande auf den telephonisch herbeigerufenen Leiterwagen binden konnte.

Im übrigen waren die sechs oder acht Gendarmen, die sich meinetwegen versammelt hatten, nachher sehr liebenswürdig gegen mich, denn sie hatten nach genauerer Durchsicht der Steckbriefverzeichnisse allein an ausgesetzten Belohnungen für meinen Fang dreizehntausendfünfhundert Mark herausgerechnet. An der Grenze von Berlin wartete ein Automobil auf mich. Einige Zeitungsreporter zahlten riesige Trinkgelder, nur damit sie mich während der Fahrt interviewen konnte, und ich erzählte ihnen Räubergeschichten, daß eisgrauen Kriminalbeamten, die zuhörten, die Haare zu Berge standen.

So hielt ich in Schwimmhose und übergehängtem Mantel meinen Einzug in Berlin, und auf dem Alexanderplatz im Polizeipräsidium bestand ich ein Verhör, nach dessen Schluß mir der Untersuchungsrichter fast mitleidig den Rat gab: »Machen Sie Ihre Rechnung mit dem Himmel ab!« Worauf man mir eine gehörige Henkersmahlzeit mit Portwein und Zigarren bewilligte. Sie hat mir großartig geschmeckt.

*

Hiermit endet mein Reisetagebuch. Was weiter geschah, auf welche Weise sich am nächsten Tage meine Unschuld herausstellte, wie ich sogar zwei Wochen lang für eine ausländische Fürstlichkeit gehalten wurde, das werde ich vielleicht ein andermal erzählen. Für heute habe ich absolut keine Lust dazu, und wenn der verehrte Leser und die bildschöne Leserin sich bei der Geschichte gelangweilt haben – ich kann nur das eine sagen, mir hängt sie schon lange zum Halse heraus.

*


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