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Achtzehnter Tag.

Ein vernünftiger Stiefeltausch und ein bekehrter Hausknecht. Die Granitburg aus Pappe, nebst einem Vorschlag zu einer vollständigen Umwälzung der modernen Bautechnik. Mein Empfang als Graf von der Krötenburg, mein Eintritt ins Kloster und die Mode der falschen Bärte.

 

Morgens nach sechs – ich hatte mich ganz gemütlich angezogen – ertönte unten im Flur ein Klingeln, das den Hausknecht in beschleunigten Tempo auf mein Zimmer herauftrieb.

»Lieber Mann,« sagte ich mit väterlich besorgtem Kopfschütteln. »Was machen Sie denn heute für Geschichten? Seit wann bin ich denn ein Baby?«

Er sah mich einen Moment ratlos an, bis sein Blick auf zwei blankgewichste Miniaturschuhe fiel. »Herrgott!« rief und kratzte sich den Kopf. »Da hab ich ja wieder gestern im Tran die ganzen Stiefel durcheinander gebracht. Die kleinen Dinger gehören gewiß zur Familie Müller. Bitte, sagen Sie doch um Gottes willen nichts dem Wirt.«

Der Mann tat mir leid, obgleich ich den übertriebenen Alkoholgenuß aus ethischen Gründen durchaus verdamme.

»Ich nehme Rücksicht darauf, daß Sie wahrscheinlich Familienvater sind!« sagte ich mit jener moralischen Würde, die mir besonders gut steht. »Aber nun geben Sie auch von heute ab dieses schändliche Schnapstrinken auf. Alkohol ist aller Laster Anfang.«

Er schwur mir mit Tränen in den Augen, nie mehr zu trinken, und brachte mir darauf ein ganzes Dutzend Herrenstiefel, damit ich meine richtigen aussuchen konnte.

»Halt!« sagte ich, denn das Aussuchen war nicht so einfach. »Bringen Sie mir mal eine Karaffe Kognak, mir ist so merkwürdig im Magen. Und zwei Gläschen, denn Sie sollen auch mittrinken. Gegen Menschen, die ihr Laster einsehen, bin ich gar nicht so.«

Als er wiederkam, hatte ich schon ein paar schöne, hellbraune Stiefel angezogen. Sie saßen mir wie angegossen, und der Hausknecht sagte, ja, das wären meine Stiefel, jetzt fiele ihm auch ein, daß sie gestern vor meiner Türe gestanden hätten. Wir tranken darauf jeder zwei Kognaks, und er schwur mir, von jetzt ab wirklich jeden Tropfen Alkohol zu meiden und nur noch Kognak zu trinken.

Nach einem reichlichen Frühstück verließ ich das gastliche Genthin, und wenn mir jemals das Marschieren Freude gemacht hat, dann war es an diesem Morgen. Solche tadellose Schuhe hatte ich überhaupt noch nie gehabt, und ich nahm mir vor, auch in Zukunft mit gleicher Sorgfalt auf die Erwerbung einer eleganten Fußbekleidung bedacht zu sein.

In Plaue kehrte ich in Voigts Blumengarten ein und hörte mit Vergnügen von dem Wirt, daß ich mich auf dem historischen Boden der Mark Brandenburg befände. Ich persönlich bin leider kein Preuße, sondern gottseidank ein Rheinländer, und so konnte ich an diesem Boden vorläufig noch nichts besonderes entdecken. Doch mußte ich immerhin den Plauer See bewundern, der von den alten Markgrafen sehr geschickt angelegt ist.

Um zwei Uhr langte ich in Brandenburg an, das früher Brennabor hieß nach einer alten wendischen Fahrradfabrik. Die Stadt hat besonders dicke Türme, Tore und Kirchen und soll deshalb kunstgeschichtlich und auch sonst entomologisch sehr interessant sein. Solche Dinge sehe ich mir aber prinzipiell nur an, wenn ein besonderer Ulk damit verknüpft ist. Und ich hatte auch ganz Recht, daß ich zunächst einmal in einer hübschen Gartenwirtschaft in gediegener Weise zu Mittag aß, denn ich entdeckte hier hinter dem Garten eine wirkliche Sehenswürdigkeit, die dazu nicht einmal im Bädeker stand.

Nämlich eine alte Burgruine, die kunstvoll und romantisch nicht etwa aus Stein, sondern aus Pappe hergestellt war. Unten stand ein Schild: »Das Besteigen ist wegen der damit verbundenen Lebensgefahr polizeilich verboten!« und der Wirt sagte, bis jetzt habe noch kein Mensch gemerkt, daß die Ruine von Pappe sei.

»Es sind schon ganze Kommissionen von Historikern und Kunstgelehrten hier gewesen, aber vor dem Schild mit dem polizeilichen Verbot weicht jeder respektvoll zehn Schritte zurück, das steckt uns Märkern nun einmal so im Blut. Aus der Entfernung aber haben sie den Turm ganz genau studiert und für ein vorsündflutliches Wendenschloß erklärt. Darum heißt jetzt auch meine Wirtschaft zum Wendenschloß. Nur über das Material zanken sich die Gelehrten noch, die einen halten es für Granit, die andern für syenitischen Nagelfluh. Aber um Gottes willen erzählen Sie niemand, daß diese uralten Granitmauern von Pappe sind, sonst ist mein Geschäft ruiniert.«

»Wie sind Sie denn eigentlich auf die feine Idee gekommen?« fragte ich voller Bewunderung, denn es imponiert mir immer, wenn jemand Professoren und ähnliche Bonzen zum Narren hält.

»Idee? Ich habe gar keine Idee gehabt. Eine Schauspielertruppe wollte hier Theater spielen. Aber sie hatten nicht einmal so viel Geld, um überhaupt anzufangen, und schließlich brannten sie mit der Zeche durch. Nur die Burg hinterließen sie, und ich habe Dank dem Schild mit dem polizeilichen Verbot keine Entdeckung zu fürchten.«

Als ich Brandenburg verließ und weiterwanderte, dachte ich noch lange an diese einfache, schöne und billige Bauart und bedauerte, daß man nicht schon längst im deutschen Vaterlande allgemein diesen großartigen Stil durchgeführt hat. Denn was hindert uns, überhaupt alle Häuser aus Pappe zu bauen? Was wir brauchen, sind Häuser, die schnell wieder niedergerissen werden können. Eine Villa kann noch so modern eingerichtet sein, in spätestens einem Jahr ist sie vollständig veraltet und natürlich unvermietbar. Jeden Tag kommt ja eine neue Erfindung auf, und wenn man die nicht in seiner Wohnung hat, ist man unglücklich, krank und überhaupt kein moderner Mensch mehr.

Aber wenn wir erst einmal aus Pappe bauen, dann wird das alles anders. In vierundzwanzig Stunden sind die schönsten Häuser fertig, und der Anstreicher pinselt Steinquadern, Dachziegel, Reliefbilder darauf, wie man sie haben will. Inwendig gibt es die allerneuesten Einrichtungen: Eiswasserleitung, elektrische Heizung und einen Lift für Dienstboten – natürlich alles von Pappe. Auch die Vorgärten mit Bäumen werden aus demselben Material hergestellt, und der Kunstfreund genießt mit Entzücken das malerische Straßenbild.

Schade, wirklich schade, daß man nicht schon früher daran gedacht hat. Wenn man bedenkt, welch ein schweres Geld der Kölner Dom, das Reichstagsgebäude und das Kaiserfriedrichmuseum gekostet haben, dafür hätte man ein Armeekorps ausgerüstet, und in Pappe nehmen sich doch alle diese Kunstbauwerke viel modellierter aus.

Ich kann nicht alle Gebiete berühren, aber da sind zum Beispiel die Theaterneubauten. Jeder Bierabzieher oder Oberlehrer verlangt heute Stileinheit. Und wie die herauskommen soll, wenn in demselben Raum, in dem sich früher der Philister Ibsen breit gemacht hat, heute eine stimmungsschwere Blaubarttragödie aufgeführt wird, das weiß ich wirklich nicht. Nein, worauf wir bestehen müssen, das ist für jede Premiere einen Neubau, natürlich einen stilvollen aus Pappe, der sich auch den feinsten Nuancen der Dichtung anpaßt.

Ja, wir gehen einer ganz neuen Zeit entgegen, unsere Zukunft ist von Pappe. Selbst in dem Artikel Denkmäler wird es dann zu einer ungeheuren Produktionssteigerung kommen, und der alte Kurfürst schön aus Papier gepreßt und in natürlichen Farben angemalt, das sieht ganz anders aus als solch ein kalter marmorner oder bronzener Eiszapfen. Und ich nahm mir vor, nach meiner Ankunft in Berlin sofort eine Aktiengesellschaft für Pappebauten zu gründen, wobei ja für mich als ersten Direktor ein enormes Gehalt herauskommen mußte.

Der nächste Weg nach Berlin wäre über Werder gewesen, aber ich machte einen Abstecher nach Südosten, um dem berühmten Zisterzienserkloster Lehnin meinen Besuch abzustatten. Der Wirt zum Wendenschloß hatte mir ja gar manches von diesen seltsamen Mönchen erzählt, die heute freilich längst schon protestantisch geworden sind, aber sonst noch ganz in der alten Väterweise hinter ihren romantischen Mauern hausen. Ich wollte es zuerst gar nicht glauben, daß es jetzt auch schon evangelische Mönche gäbe, bis mir der Wirt versicherte, das sei noch gar nichts, in Berlin auf dem Kurfürstendamm habe man jetzt sogar ein sehr strenges jüdisches Kloster gegründet, in dem nur ehemalige Bankiers und Börsianer aufgenommen würden. Die jüdischen Mönche trügen weiße Talare und beobachteten ein unbedingtes Schweigen, nur mit den Händen dürften sie sich Zeichen geben, und sie hätten es darin zu einiger Fertigkeit gebracht.

Ich nahm mir vor, wenn es eben ging, in dem hoffentlich recht gastfreien Lehniner Kloster zu logieren, schon um die Hotelkosten zu sparen. Irgend einen Schwindel, auf den die weltfremden Mönche hereinfielen, würde ich mir schon austifteln; denn auf diesem Gebiete fehlt es mir niemals an glücklichen Einfällen. Aber ich brauchte mich geistig gar nicht anzustrengen, ich hatte Glück und die Sache machte sich ganz von selbst.

Den Frühling im Herzen und fidel wie ein junger Witwer wanderte ich durch den uralten Eichenforst, in dem Lehnin so malerisch versteckt liegt, bis ich dann endlich in einer Lichtung die Zinnen und Türme des alten Klosters erblickte. Und schon trat ein Mönch an mich heran, der offenbar an dieser Stelle auf mich gewartet hatte, eine große, stattliche Erscheinung mit einem Vollbart, der fast bis zur Erde reichte.

»Herr Graf!« grüßte er mich. »Ich habe doch die Ehre, Herrn Grafen –?«

Das weitere verstand ich nicht, der Mann sprach etwas unklar, wohl weil er so lange Jahre in dieser weltvergessenen Einsamkeit gehaust hatte. Aber es war mir auch im Augenblick egal, um welchen Grafen es sich handelte. In solchen Fällen pflege ich mich niemals ablehnend zu verhalten, und wenn der gute Mönch mich einfach mit Herr Baron angeredet hätte, mein Kopfnicken wäre genau so würdevoll ausgefallen.

»Es ist doch wunderbar,« fuhr der Alte fort, »daß Sie, der letzte Sproß eines so edlen Geschlechts Ihrem Gelübde gemäß zu Fuß hier nach Lehnin kommen, um bei uns als Bruder einzutreten.«

»So bin ich immer,« antwortete ich mit echt gräflichem Anstand. »Wenn schon, denn schon. Es war mir übrigens ein Festessen.«

Ich imponierte dem Mönch offenbar sehr durch meine altadelige Sprache, das merkte man an der ehrfürchtigen Haltung, mit der er an meiner linken Seite ging. Ich selbst fühle mich wie immer sehr pomadig, und hätte nur zu gerne erfahren, was für ein Graf ich denn nun eigentlich war. Denn es bleibt doch immer unangenehm, wenn man seinen eigenen Namen nicht weiß.

Vor dem Kloster hatte man die gewaltige Zugbrücke heruntergelassen, und der Abt stand im Kreise seiner Mönche unter dem echt gotischen Biedermeierportal, um mich zu begrüßen. Es war ein feierlicher Moment, und der Abt hielt mir eine Willkommenrede, aus der ich zu meiner Freude entnahm, daß ich der Erbe unendlicher Reichtümer war. Nur meinen Namen bekam ich noch immer nicht heraus, und das einzige was ich in dieser Hinsicht erfuhr, war, daß die Krötenburg in Böhmen ein Stammsitz meines Geschlechts ist, und daß ich sie mit allen umliegenden Ackern und Dörfern dem Kloster geschenkt hatte. Eigentlich ärgerte ich mich ja über eine solche Verschwendung, und im übrigen nahm ich mir vor, einmal im Gothaer Adelskalender nachzusehen, ob es vielleicht Grafen von der Krötenburg gäbe. Der Name gefiel mir, und ich wollte ihn öfters führen.

Zuerst geleitete mich der Abt in eine vornehm eingerichtete Zelle, die extra für den Besuch fürstlicher Herrschaften bestimmt war. Ich wusch mich und zog dann das elegante Mönchsgewand an, das mir eben so gut stand wie der lange falsche Bart, den ich umlegen mußte. Denn die Mönche in Lehnin tragen alle falsche Bärte, das ist bei ihnen Vorschrift, und der Bart des Alten, der mich im Walde begrüßt hatte, war natürlich ebenfalls falsch. Ich muß gestehen, ich finde diese Mode sehr nett und möchte nur, sie käme allgemein auch in weiteren Kreisen auf. Was würden wir Deutschen für eine stolze Nation sein, wenn wir alle in langen, wallenden Bärten herumliefen. Wir wären ja das erste Volk der Welt. Und die Kosten für den falschen Bart, den sich jeder anschaffen müßte, könnten doch wirklich nicht so groß sein, besonders wenn man bedenkt, was man unter dem Schutze des alles bedeckenden Vollbartes an reiner Leibwäsche sparen würde. Kragen und Krawatte wären überhaupt überflüssig. Also hoffen wir, lieber Leser, daß die Mode bald in höheren Kreisen einen Protektor findet.

Wir gingen nun in das Refektorium, einen großen Saal mit vier Wänden, in dem ein feierliches Mahl abgehalten wurde. Urgermanische Sitte herrschte hier noch. Selbstgeschossene Auerochsen kamen auf den Tisch, das heißt Stücke davon, und der Wein, den wir aus Methörnern tranken, hatte seine tausend Jahre im kühlen Klosterkeller gelagert. Die alten Mönche tauten natürlich bald auf. Sie schüttelten ihre gewaltigen Bärte und erzählten von der Zeit, da sie sich noch im Getümmel der Welt herumtrieben. Aber wie staunten sie, als ich erst die Abenteuer meines gräflichen Lebens auspackte. Alles, was ich sagte, hatte den Stempel der Echtheit an sich, und ich warf mit Burgen, Rittergütern und Millionen nur so herum.

Leider muß ich gestehen, daß die Geister des Weins einen zu großen Einfluß auf mich ausübten. Ich wurde direkt leichtsinnig und vermachte an diesem Abend fast mein ganzes gräfliches Vermögen an die Klostergemeinde. Nur drei lumpige Millionen behielt ich zurück, um damit ein paar arme Verwandte zu unterstützen, was auch der Abt für nicht mehr als recht und billig erklärte.

Spät in der Nacht geleitete man mich in meine Zelle, und ich war nur auf zweierlei gespannt: erstens, ob ich wohl jemals meinen gräflichen Namen erfahren, und zweitens auf welchem Wege ich morgen aus diesem Kloster herauskommen würde. Aber ich machte mir deswegen keine großen Sorgen und schlief bald ein.


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