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Lieber Georg Hermann!
Sie kennen doch gewiß die uralte Geschichte von dem stotternden Zigarrenhändler, der allen Leuten, die auch an diesem Übel litten, seine Waren zu besonders billigen Preisen abließ. Ein Schauspieler nützte das lange Zeit in schmählicher Weise aus, indem er jedesmal, wenn er sich Zigarren kaufte, wie ein Igel stotterte, bis natürlich eines Tages die Wahrheit herauskam, und der entrüstete Händler ihn wegen Betrugs verklagte. Aber der Schauspieler blieb vor Gericht bei seiner Rolle. »I-i-ich st-st-tottere wirklich!« sagte er, und als man ihm vorhielt, daß er doch jeden Abend auf der Bühne ein so flüssiges Deutsch spräche, da meinte er ruhig. »I-i-ich st-st-tottere wirklich. A-a-auf der Bühne verst-st-tell ich mich nur.«
Sehen Sie, verehrter Freund, mir geht es genau so. Sie werden natürlich beim Lesen des Vergnügten Idiots ganz erstaunt fragen, wieso grade ich dazu komme, ein so feines und in jeder Zeile von tiefer Weisheit und vornehmer Gesinnung triefendes Buch zu schreiben. Aber beruhigen Sie sich, in diesem Buche verstelle ich mich nur. Im Leben, davon können Sie überzeugt sein, halte ich mir nach wie vor jede sogenannte vornehme Gesinnung mit Erfolg zehn Schritt vom Leibe, und die tiefe Weisheit kann mir vollends gestohlen werden, im Gegenteil, ich proklamiere für alle Menschen ein angeborenes und unveräußerliches Recht auf Dummheit. Übrigens müssen Sie gar nicht glauben, daß nun die Sache bei den sonstigen Dichtern und Bücherfabrikanten irgendwie anders ist. Die Kerle heucheln eher noch schlimmer. Wer zum Beispiel Ihr Jettchen Gebert liest, der denkt natürlich wunders, was Sie für ein netter, liebenswürdiger und edler Mensch sind, und dabei muß man Sie nur einmal kennen lernen!
Überhaupt besteht ja das Wesen jeder echten Kunst darin, daß wir uns auf der Bühne und in Büchern in so geschickter Weise verstellen. Natürlich ist das kein großes Kunststück, in einer Dichtung jung und reich und heldenhaft zu sein, alle diese Eigenschaften sind ja in unbegrenztem Maße gratis zu haben. Darum entführen wir in den Büchern, die wir schreiben, Prinzessinnen, ermorden Tyrannen, verschenken Millionen; im Leben aber leiden wir an der Gicht und haben eine Frau mit vier Kindern, die nach Brot schreien; wir zucken vor dem Portier zusammen, gegen dessen Grobheit wir nicht gewappnet sind, wir schimpfen über jeden, der sich untersteht, bessere Verse zu machen als wir selber.
Also, lieber Georg Hermann, beherzigen Sie die Moral von der Geschichte, und machen Sie es so wie ich. Ich werde nämlich demnächst einen Roman dichten, in dem lauter Tenorsänger, Millionärstöchter, Leutnants und Friseure vorkommen, mit einem Wort, in dem es nur Heldengestalten, edle Charaktere und ideale Jungfrauen gibt. Das wird mir leicht werden, da ich ja die entsprechenden entgegengesetzten Eigenschaften in reichem Maße besitze, und ich bin sicher, daß ich auf diese Weise in Goldschnitt und auf den Weihnachtstisch des deutschen Hauses komme. Dann sollen Sie noch einmal sagen, ich habe keinen vornehmen Charakter!