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Ein Interview am frühen Morgen mit anschließender Flucht der drei Journalisten und einer stürmischen Huldigung des Publikums. Eine Schweizerlandschaft auf der Straße, verbrannte Schuhe, der Hoflieferant des Erzbischofs von Magdeburg. Die großstädtische Straßenbuddelei in ihren Beziehungen zur modernen Kultur.
Schon der alte Philander von Sittewald pflegte mit Recht zu sagen:
Wer reisen will,
der schweig fein still,
geh steten Schritt,
nehm nicht viel mit,
tret an am frühen Morgen
und lasse heim die Sorgen.
Aber ich habe an diesem Morgen nicht still geschwiegen, im Gegenteil. Ich lag noch im Bett, da brachte man mir schon die Morgenblätter mit der fettgedruckten Neuigkeit, daß der berühmte Scharfrichter Krauts in Magdeburg angekommen und im kalten Frosch abgestiegen sei. Und dann wurde die Türe aufgerissen und drei Jünglinge gleichzeitig stürmten herein. Sie stolperten natürlich einer über den andern und mit Mühe und Not bekam ich heraus, daß sie Reporter der drei größten Zeitungen Magdeburgs waren und mich interviewen wollten.
Na, ich gehöre ja nicht zu den Leuten, die an übertriebener Zurückhaltung leiden, ich wußte auch, was ich meiner Stellung schuldig war. Ich warf mich daher gewaltig in die Brust, während ich mich anzog – die drei reichten mir dabei ehrfurchtsvoll meine einzelnen Kleidungsstücke – und sprach über die Poesie des Scharfrichtens im allgemeinen und über meine sonstigen persönlichen Vorzüge im besondern. Ich erzählte den jungen Leuten meine Lebensgeschichte und wie ich schon als Knabe heimlich meine Schulkameraden hingerichtet hätte.
»Sehen Sie, meine Herrn, Hinrichten das ist nun einmal meine einzige Leidenschaft. Sie ersetzt mir das Rauchen und das Trinken. Wenn ich wütend oder schwermütig bin, wenn mich Sorgen plagen, wenn meine Frau mit mir gezankt hat, o dann brauche ich nur eine kleine Hinrichtung vorzunehmen, und mein Herz ist frei und leicht wie das Herz eines jungen Mädchens beim Tennisspielen. Heute zum Beispiel will es mir gar nicht passen, daß ich so gar nichts in meinen Beruf zu tun habe. Das Frühstück wird mir nicht schmecken. Aber Sie können mir einen Gefallen tun, ich sehe es Ihnen an, daß Sie alle drei wirklich gute und edle Menschen sind. Einen von Ihnen werde ich hinrichten, und ich garantiere Ihnen, es tut nicht weh, im Gegenteil, es wird für Sie ein ganz neues und eigenartiges Gefühl sein. Einen Augenblick, ich komme gleich mit's Beil.«
Ich machte einen Schritt nach der Türe des Nebenzimmers, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden war, da sie nur aus einer kunstvoll angebrachten Dekorationsportiere bestand. Aber die jungen Leute, die mich die ganze Zeit über mit Bewunderung und später mit ängstlicher Scheu angestaunt hatten, erwachten jetzt plötzlich aus ihrer bildsäulenartigen Starrheit, und die Schnelligkeit, mit der sie alle drei die Flurtüre hinausstürmten, das Gepolter und Hilfegebrüll, mit der sie die Treppe hinunterpurzelten – einer schrie sogar Mama! – alles dies gehört noch heute zu meinen amüsantesten Reiseerinnerungen.
Ich legte mich jetzt ins Fenster und blickte hinaus auf die Straße, die schwarz voller Menschen war. Denn an diesem Tage hat in Magdeburg niemand gearbeitet. Die Fabriken standen leer, die Straßenbahnen fuhren nicht, und selbst die Magistratsbeamten unterbrachen ihre Schlummerstunden im Büro, um mich zu sehen. In diese begeisterte Menschenmenge stürmten die drei fliehenden Reporter hinein und richteten wahre Verheerungen an. Schutzleute wurden umgerannt, Stadtverordnete beleidigt, Oberlehrer in die Gosse geworfen. Kurz, es dauerte keine fünf Minuten, und die schönste und fröhlichste Keilerei war im Gange, sodaß ich meine Ansicht, Magdeburg sei eine trübselige und langweilige Stadt, durchaus nicht mehr aufrecht erhalten konnte. Im Gegenteil, die Leute wurden humoristisch und warfen mit Steinen und anderen Freudensausbrüchen um sich, worauf ich mich schließlich zurückziehen mußte, da rechts und links von mir Teile von Fensterscheiben laut klirrend auf die Straße fielen.
Eine solche Popularität hatte ich mir gar nicht zugetraut, und ich wollte schon hinuntergehen, um ein paar Dankesworte an die versammelte Stadt Magdeburg zu richten. Schade, daß ich kein Richtbeil als Dekoration besaß, es hätte sich so schön gemacht, und ich wäre sicher in der Stellung photographiert worden. Aber so überlegte ich mir die Sache und beschloß, ausnahmsweise einmal von meiner Bescheidenheit Gebrauch zu machen, besonders da mich der Wirt himmelhoch anflehte, doch durch eine Hintertüre das Haus zu verlassen.
»Nie habe ich mich so geehrt gefühlt,« sagte er, »als gestern, da Sie bei mir einkehrten. Aber die Ehre wird mir zu teuer. Am ganzen Hause ist keine Fensterscheibe mehr heil, und so wie ich die Magdeburger kenne, werden sie sich jetzt vierzehn Tage lang jeden Morgen hier versammeln. Es ist ja so selten, daß hier in der Stadt etwas Aufregendes passiert.«
»Sie scheinen mir ein kleinlicher Charakter zu sein,« sagte ich zu dem Wirt. »Statt schleunigst eine Gedenktafel zu bestellen und die Fremdenbuchseite, auf der ich mich eingetragen habe, eingerahmt ins Gastzimmer zu hängen, reden Sie von eingeschlagenen Fensterscheiben. Aus Ihnen wird auch im ganzen Leben nichts werden, wenn Sie so ängstlich sind. Aber immerhin, ich scheide ohne Groll von ihnen. Schicken Sie meine Hotelrechnung an die Magdeburger Hinrichtungskommission, die bezahlt alles.«
Der Wirt verneigte sich außerordentlich tief und an der Türe versprach er mir, das mit der Gedenktafel und der eingerahmten Fremdenbuchseite doch noch zu besorgen. Ich verließ ihn denn auch ziemlich freundlich, der Mann zeigte doch wenigstens guten Willen
Mein Ausmarsch aus Magdeburg war übrigens noch mit einigen Schwierigkeiten verknüpft. Als ich auf diese Nebenstraße hinaustrat, sah ich, daß sie in eine kleine, künstliche Gebirgsgegend verwandelt war. Hohe Sandberge wölbten sich zum Himmel empor, tiefe Gräben bedrohten den ahnungslosen Wanderer. Ich sah lodernde Koksfeuer und gewaltige Kessel, aus denen ein schwerer Asphaltqualm hervorstieg. Kurz, es war romantisch genug. Ich freute mich sehr, als ich sah, daß auch in Magdeburg etwas zum Vergnügen der Touristen getan wurde, und ich benutzte schleunigst die Gelegenheit, um lautjodelnd den höchsten Sandberg hinaufzuklettern.
Aber sofort kam eine Art Aufseher wütend auf mich zu und sagte, es würde hier gebuddelt, und ich brauchte die Leute nicht zum Narren zu halten. Ja, ein Schutzmann wollte mich sogar aufschreiben.
»Was?« sagte ich. »Aufschreiben? Kennen Sie mich überhaupt? Ich bin der berühmte Scharf –«
Leider konnte ich meinen Satz nicht beendigen, denn ich war auf dem verfluchten Sand ins Rutschen gekommen und stand plötzlich in einem Holzkasten mit halbgelöschten Kalk. Ich sprang noch schneller wieder heraus, wie ich hineingesprungen war, aber meine Schuhe hatten, wie sich bald herausstellte, doch etwas abbekommen. Natürlich erwarb mir mein Malör die Sympathie aller Anwesenden, und der Schutzmann führte mich sogar in einen kleinen Kramladen, wo ich, wie er behauptete, neue Schuhe kaufen könnte.
Es war ein kleiner, länglichschmaler Raum, in dem man sich mit Mühe herumdrehen konnte. Eine Heringstonne bildete das Hauptmobiliar, und an den Wänden hingen Zwiebeln, eine Säge, Hosenträger, Mausefallen und – richtig! ein paar Stiefeln.
»Haben Sie wirklich Schuhe zu verkaufen?« fragte ich den Besitzer ungläubig.
»Was wollen Sie haben? Tanzschuhe, Lackschuhe, Holzschuhe, Reitstiefel, Sportstiefel, Boxkalf, Chevrau, Krokodilleder?«
»Halt!« sagte ich, denn der Mann hätte noch eine halbe Stunde Stiefelsorten aufgezählt. »Geben Sie mir ein paar einfache Schnürstiefel, so wie diese hier, die ich am Fuße habe!«
Der Meister, den ich nie für einen Schuster gehalten hätte – er sah aus wie eine Mischung von Maurer und Gemüsefrau – warf einen Kennerblick auf meine Füße und rief dann seinen Lehrling. »Otto, bring mal einen Stiefel, Sorte 18473. Farbe 17. Größe 43¾.«
Der Lehrling wackelte verständnisvoll mit seinen großen Ohren und holte natürlich das einzige Paar Stiefel von der Wand herunter, was da hing. Es waren natürlich ganz andere Stiefel als wie ich sie brauchte, auch schienen sie mir viel zu groß zu sein.
»Sehen Sie,« sagte der Meister in einem Tone, gegen den es keinen Widerspruch gab. »Das ist ein Stiefel, an dem Sie Ihre Freude haben werden. Von dieser Sorte habe ich seit dem 7. April 374 Stück verkauft. Der reiche Herr Meyer und der Graf Teckelnburg tragen genau denselben.«
Ich hatte den Stiefel angezogen, meine Füße verschwanden darin, wie in einem ungeheuren Loch. Ich fürchtete, sie darin überhaupt zu verlieren und wollte ihn grade um ein paar Ziegelsteine bitten, um die Zwischenräume auszumauern, aber er ließ mich nicht zu Worte kommen.
»Der Stiefel sitzt doch wie angegossen!« behauptete er wohlgefällig und der Lehrling mit den Wackelohren nickte. »Warten Sie einen Augenblick. Ich habe grade ein Paar Reitstiefel für den Herrn Erzbischof von Magdeburg in Arbeit. Sie sollen selbst entscheiden, ob sie nicht genau von derselben Qualität sind. Otto, bring sie mal her!«
Otto wackelte wieder gefährlich mit den Ohren. »Sie sind ja gestern abend schon abgeliefert worden.«
Der Meister schlug sich vor die Stirne. »Gott, was ich zerstreut bin. Aber wer kann auch die ganze Versandabteilung im Kopfe behalten. Schade, es würde Sie vielleicht interessiert haben. Ach, ja, Sie wollten ja bezahlen –« Ich hatte keine Miene gemacht, zu bezahlen. Alles was ich wünschte, war, diese Stiefel wieder los zu werden, aber der Mann ließ mich ja nicht zu Worte kommen. »Also, der Preis ist 22 Mark 74 Pfennige. Es wird Ihnen billig vorkommen für die feine Maßarbeit. Aber so bin ich, immer billig trotz der großen Unkosten hier im Geschäft. Allein für Gasbeleuchtung gebe ich im Monat 742 Mark und 13 Pfennige aus.«
Langsam zog ich mein Portemonnaie heraus, der Mann war mir über. Niemals hatte es in diesem Heringskasten Gasbeleuchtung gegeben. Sogar Petroleum war hier reine Protzerei. Alte Öllampen oder noch bester faules, phosphoreszierendes Holz schien mir hier das richtige zu sein. Der Meister konnte mir auf 25 Mark nicht herausgeben, wahrscheinlich hatte er noch nie soviel Geld beisammen gesehen, und er reklamierte den kleinen Rest als Trinkgeld für den wackelohrigen Otto.
Ich war froh, als ich glücklich draußen ankam. Wie, wenn der Mann auf die Idee gekommen wäre, mir auch die Heringstonne zu verkaufen? Und ich sah mich ängstlich um, ob er mir nicht etwa nachkäme.
Aber imponiert hat mir dieser Großkaufmann doch, und ich habe etwas von ihm gelernt. In allen Lebenslagen kommt es nämlich nur darauf an, detaillierte Zahlen und Beschreibungen zu bringen. Die Leute fallen immer darauf herein und glauben an den ärgsten Schwindel. Man wird durch solche Zahlen hypnotisiert, was man ja auch an den sogenannten exakten Wissenschaften sieht, die genau mit derselben Methode arbeiten und immer wieder Dumme finden, die an sie glauben.
Aber nun stand ich da auf der Straße in ein paar Schuhen, die vielleicht dem Erzbischof von Magdeburg, aber nicht mir paßten, und ich wollte doch heute noch einen tüchtigen Marsch machen. Aber der Schutzmann tröstete mich.
»Die Stiefel kenne ich,« sagte er. »Wenn Sie die in Wasser stecken, laufen sie so ein, daß sie Ihrer jüngsten Tochter zu eng sind. Aber lassen Sie sie nicht zu lange im Wasser, sonst gehen sie aus dem Leim.«
Ich nahm mir vor, mich in den nächsten Bach zu stellen, den ich unterwegs traf, und suchte mir einen Ausweg aus der lebensgefährlichen Buddelei dieser Straße.
Es ist merkwürdig, daß man in jeder größeren Stadt, sobald der Frühling kommt, mit dem Umgraben der Straßen beginnt. Warum man das eigentlich tut, das weiß kein Mensch. Ich habe schon einmal in diesem Buche gesagt, daß die besten Zähne diejenigen sind, um die man sich nicht kümmert, die man vor allen Dingen vor jedem zahnärztlichen Eingriff sorgsam behütet. Genau so ist es mit dem Straßenpflaster. In abgelegenen Stadtgegenden, wo keine Stadträte oder sonstige einflußreiche Leute wohnen, wo man infolgedessen keine Reparaturen daran vornimmt, bleibt es jahrzehntelang glatt und eben wie ein neuer Parkettfußboden. Die Rollfuhrwerke rasseln darüber, und die Soldaten probieren sogar ihren Parademarsch darauf, ohne daß es dem Pflaster irgendwie schadet.
Aber wehe, wenn man anfängt, daran herumzudoktern, der schönste Asphaltboden ist sofort ruiniert. Da kommt zuerst ein Kerl mit einem wichtigen Gesicht, und tut grade so, als ob er von der Sache irgend etwas verstände. Zunächst malt er mit einem Stück Kreide ein Viereck auf das Pflaster. Die Stelle, die er so angekreidet hat, unterscheidet sich zwar in nichts von ihrer Umgebung, aber das ist auch nicht nötig, und schon kommen andere Männer mit Beilen und Hacken und schlagen den Boden auf, genau nach der Vorschrift. Dann gehen sie weiter, denn der Mann mit der Kreide ist inzwischen auch nicht müßig gewesen, er hat noch weitere Vierecke gemalt, die ganze Straße voll. Sollte er einmal an eine wirklich schadhafte Stelle kommen, so vermeidet er sie sorgfältig.
Und bald riecht es weit und breit nach geschmolzenem Asphalt. Die Jungens tanzen vor Vergnügen, weil so viele Pferde stürzen, die Fuhrleute fluchen, die Schutzleute schreiben Protokolle auf, und der Führer der Elektrischen klingelt und schreit wie wahnsinnig, weil die Asphaltarbeiter offenbar alle taub sind und ruhig weiter arbeiten. Bis nach einer halben Stunde zufällig einer aufblickt und ganz erstaunt scheint, daß es überhaupt so etwas wie elektrische Bahnen auf der Welt gibt.
Aber endlich ist diese Straße fertig, ziemlich uneben freilich, sodaß die Kinder überlegen, ob sie nicht ein Berg- und Talkarussel daraus machen sollen, und fortwährend entstehen jetzt neue Löcher, aber man sieht doch die schönen, genau abgezirkelten Asphaltvierecke, und wenn kluge Fuhrleute von jetzt ab diese Straße meiden, der Oberasphaltinspektor nickt befriedigt.
Denn jetzt erst, nachdem das Pflaster wochenlang ausgebessert ist, kann mit der eigentlichen großen Buddelei begonnen werden. Natürlich sind die Kanalisationsrohre daran Schuld. Diese Ungetüme sind die Sorgenkinder unserer Stadtverwaltungen. Man mag sie noch so tief in Lehm und Dreck einpacken, im nächsten Sommer wollen sie umgelegt werden, fünf Zentimeter mehr nach links oder rechts, wie es nun grade der Tiefbauingenieur in seiner Weisheit für gut findet. Dann entstehen natürlich solche Sandberge, wie ich sie für eine hochalpine Anlage ansah, und Abgründe drohen und Kalkbassins. Dann sind die Trottoirs mit Holzbuden und Zelten bebaut, und ganze Wagenburgen geben der Straße ein fremdartiges malerisches Aussehen. Jeder Wagenverkehr wird eingestellt und die Fußgänger bilden sich zu waghalsigen Kletterkünstlern aus.
Aber das ist nun einmal die Kultur der Großstadt. Freilich, wir könnten glücklicher sein, wenn wir nicht jeden Tag in künstlich angelegte Löcher fielen und uns Hals und Beine brächen, wir brauchten weniger Staub und Teerqualm zu schlucken, wir hätten mit einem Wort saubere, glatte mit Beeten und Bäumen bepflanzten Straßen, doch ein wirklich moderner Mensch fragt nicht nach solchen kleinen Unbequemlichkeiten. Der tiefe Bildungsdrang, der uns alle erfüllt, die Kultursehnsucht unserer Zeit, sie verlangt eben diese Opfer, und um das noch einmal zu wiederholen, es geht uns damit eben wie mit unsern Zähnen – wenn es nicht zur modernen Bildung gehörte, Goldplomben im Mund zu tragen, welcher vernünftige Mensch ließe sich von einem Zahnarzt sein Gebiß verschandeln?
Also ich kam glücklich auf meinen Siebenmeilenstiefeln aus der großen Magdeburger Buddelei heraus und hörte auch von der Scharfrichterbegeisterung nichts mehr, was mir eigentlich leid tat, denn ich war sehr neugierig, ob nun wohl der richtige Scharfrichter Krauts die Kosten für die eingeworfenen Fensterscheiben bezahlen mußte. Aber viele Dinge bleiben uns im Leben ewig verborgen, und so versank auch Magdeburg für mich in das Meer der Vergessenheit, und ich hoffe die Stadt nicht mehr wieder zu sehen, ebensowenig wie die Elbe, die mir gar nicht gefiel. Denn es waren weder Rebhügel noch Ritterburgen an ihren Ufern errichtet, und wozu hat man sonst die Flüsse mit Mühe und Arbeit durch das Land gegraben?
Hinter Gerwisch stellte ich mich fünf Minuten mit den Schuhen in einen Bach, und die Sache hatte einen großartigen Erfolg. Meine Stiefel schrumpften zusammen wie Gummischweinchen, denen die Luft ausgegangen ist, und als ich nach einem tüchtigen Marsch um zwei Uhr in Burg ankam, saßen sie wie angegossen.
Ordentlich stolz auf meinen vorteilhaften Schuheinkauf setzte ich mich in Burg in dem bekannten Restaurant zum schlottrigen Gummischuh zum Essen hin, und wenn das Fleisch sehr zähe war – ich bedauerte nur, daß die Geflügelstücke nicht größer waren, man hätte sie sonst an eine Treibriemenfabrik verkaufen können – so konnte mich das nicht weiter stören, ich war glücklich. Aber schon beim Kaffee verspürte ich ein drückendes Gefühl in den unteren Extremitäten, und als ich bezahlt hatte und weiter gehen wollte, da war ich ein bedauernswerter Krüppel geworden, die Schuhe preßten mich wie Schraubstöcke und man sah ordentlich, wie sie kleiner wurden.
Der Wirt wollte mich natürlich in ein Schuhwarengeschäft schleppen, er behauptete, ich sei in Burg an der Quelle. »Nirgends kaufen Sie Schuhe so billig!« sagte er. »Sie werden es bereuen, daß Sie meinem Rat nicht gefolgt sind.«
Aber ich ließ es auf die Reue ankommen, ich bin ein entschiedener Gegner der Ansicht, man könnte irgend etwas gut oder billig an der sogenannten Quelle kaufen. Im Gegenteil, nirgendwo ist der Wein so schlecht und teuer wie in den Städten Johannisberg und Liebfrauenmilch. Nur in Berlin werden heutzutag wirklich echte und alte Perserteppiche angefertigt. Wer entdeckt den Nordpol? Leute, die nie da gewesen sind. Laufen Sie mal in Frankfurt herum, ob man da jemals etwas von Frankfurter Würstchen gehört hat. Wo spricht man das beste Englisch? Auf Berliner Tennisplätzen. Fragen Sie Mademoiselle Amelie Belmont, die berühmte Pariser Tänzerin, wo sie geboren ist? Sie spricht heute noch ein unverfälschtes Hamburger Platt. Nein, Heine hatte schon vollständig Recht mit seinem Ausspruch: Immer in die Ferne schweifen!
»Ich will Ihnen mal was sagen!« entgegnete ich dem Wirt. »Ich brauche Ihre Stiefel nicht, und wenn Sie noch so billig sind. Ich fahre jetzt mit der Bahn nach Genthin, wo ich sowieso hin wollte. Und morgen früh, dafür garantiere ich Ihnen, habe ich ein paar neue Schuhe, die mir ausgezeichnet passen und die gar nichts kosten.«
Darauf ließ ich mich in einer Droschke zum Bahnhof fahren und benutzte den nächsten Zug nach Genthin, wo es mir im Hotel mit vieler Mühe gelang die Schuhe von den Füßen zu bekommen. Ich sah ihnen noch eine Weile zu, wie sie von dem Hemmnis meiner Füße befreit sich zu zierlichen Kinderschuhen zusammenzogen, und ging dann in Pantoffeln in die Gaststube hinunter, wo ich den Abend in einem gebildeten Gespräch mit einer anregenden Gesellschaft verbrachte. Ich bestellte, daß man mich um sechs Uhr wecken sollte.