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Ich war bis u dem Blick gekommen, nahm die Zwickelbart den Faden der Erzählung wieder auf, der dem Prinzen wieder Mut und Trost gab. Er war so verliebt, daß er sich nicht mehr kannte. Was für Zufriedenheit hätte ich empfunden, wenn ich die Verunordnung seines Verstandes in ihrem ganzen Umfange hätte sehen können! Allein meine Vernunft war der seinigen nachgeeilt, und die Liebe verhinderte mich, deren Entfernung inne zu werden und deren Rückkehr zu wünschen. Der Prinz und ich waren überein gekommen, öffentlich – wie dies gewöhnlich zu geschehen pflegt – nur Freundschaft und Höflichkeit gegeneinander zu äußern, insgeheim aber uns für diesen grausamen Zwang schadlos zu halten, so wie dies noch immer zu geschehen pflegt.
Unterhalb meines Appartements befand sich ein Garten, wohin Niemand kam, als ich. Den Schlüssel dazu hatte ich dem Prinzen zugestellt. So bald mau sich zur Ruhe begeben hatte, suchte ich ihn daselbst auf. Da saßen wir denn in einem Myrthengebüsch und gaben uns die zärtlichsten Versicherungen unserer Liebe. Alle meine Nächte verstrichen auf eben diese Art; und ich würde das für niemanden getan haben, der mich weniger geliebt hätte als Scholuchern; allein ich wußte wohl, daß, wenn meine Wangen dadurch von ihrer frischen Farbe und meine Augen von ihrem Feuer verloren, er dies nicht wahrnehmen würde. Was man aber vielleicht in Betracht unserer Begierden und der bequemen Gelegenheit sie zu befriedigen nicht glauben wird: unsere wonniglichen Zusammenkünfte endigten stets so, daß der Prinz, so ungeheuerlich auch sein Ungestüm meiner Tugend zusetzte, er dennoch nie den Sieg davontrug. Bisweilen sprach er mit mir von seinen Martern und wie schwer es ihm würde, sie zu ertragen; alsdann kam ich mit irgendeiner Kleinigkeit los, womit er sich in Erwartung eines Besseren begnügen wollte. Oft brannte ich vor Verlangen, ihm mehr zuzugestehen, allein die Nacht barg meine Betroffenheit, und seine ehrerbietige Zurückhaltung rettete meine Schwäche. In gewissen Augenblicken zürnte ich ihm deshalb, aber sagte ihm davon natürlich nichts.
Öfters war er über meine an unserem Hofe so unbekannte Sittsamkeit erstaunt, und machte mir darüber Vorwürfe. Die Nachgiebigkeit, die ich das erste Mal gegen ihn äußerte, hatte ihn keinen so langen Widerstand ahnen lassen; ich war selbst darüber erstaunt; allein ich wollte, daß er mich schätzen sollte, und die Eigenliebe triumphierte in mir über die Leidenschaft. Inzwischen, wenn ich mich daran erinnere, wie schmerzhaft sind nicht jene Augenblicke! Ein liebenswürdiger, geliebter Mann, der eben so viele Begierden einflößt, als Ihr in ihm zu erwecken vermögt, ist des Nachts mit Euch allein, nimmt sich Freiheiten, die Ihr duldet und Ihr widersteht! Nicht Tugend ist es, die in dergleichen gefährlichen Lagen ein Frauenzimmer rettet; so bald sie dergleichen heimsucht, hat sie keine mehr. In solchem Fall kann die Kokette allein sich gegen die feurigen Ausbrüche eines Liebhabers retten. Ich weiß, daß Koketterie minder verdienstlich ist als Tugend, aber sie ist auch nützlicher.
Scholuchern und ich liebten uns schon seit vierzehn Tagen; ungeachtet der außerordentlichen Vorsicht, die wir nahmen, war weit niemand als der ganze Hof hinter unser Einverständnis gekommen. Inzwischen verhinderte die Ehrerbietung, die man gegen mich hegte, daß man nicht öffentlich darüber scherzte. Dem Genius allein, so viel ihm daran lag, mein Herz zu kennen, war sein Nebenbuhler verborgen. Daß er nicht geliebt wurde, wußte er, aber sei es nun Eigendünkel oder die Meinung, die er von meiner Gleichgültigkeit hegte, er glaubte nicht, daß ich für einen anderen Neigung haben könnte. Endlich aber, zu verliebt und zu eifersüchtig, um nicht hellsehend zu sein, fing er an, auf den Argwohn zu geraten, daß eine geheime Leidenschaft mein Herz anfüllen müßte, und daß die ihm den Zugang verschlösse. Er warf seine Blicke auf die Höflinge, und mitten in dieser grausamen Untersuchung blieben sie auf Scholuchern haften. Er hatte bei ihm eine Aufmerksamkeit gegen mich bemerkt, die ihm mehr aus Liebe als aus Ehrerbietung herzurühren schien. Er hatte jene Blicke zwischen uns entdeckt, worin die Liebe trotz des Zwanges, den man sich antat, zu viel Seele zu legen pflegte, als daß sie unbemerkt bleiben könnten. Die Aufmerksamkeit des Prinzen, wenn ich sprach, die schmeichelhafte Gefälligkeit, mit der ich ihn anhörte, die Lobsprüche, die ich seinem unbedeutensten Reden erteilte, tausenderlei Dinge, wobei man nicht auf sich Acht hat, und die, so geringfügig sie auch an und für sich sind, zusammengenommen von Gewicht werden, festigten seinen Verdacht und verwandelten ihn in Gewißheit.
So große Lust er auch hatte, davon mehr zu wissen, so zog er dennoch deshalb nicht die unermeßlichen Geheimnisse seiner Kunst zu Rate. Er wußte, daß er sich ihrer umsonst bedienen würde, und daß die Liebe, die immer über dieselbe erhaben ist, es verschmähen würde, seine Neugier zu befriedigen. Entschlossen, sich hierüber Licht zu verschaffen, wollte er Niemandem trauen als sich selbst; und da er urteilte, daß die Nacht die Zeit sei, die ich wählte, Scholuchern ungehindert zu sprechen, so machte er sich unsichtbar und begab sich so in meinen Garten. In eben dieser Nacht hatte ich beschlossen, mich dem Prinz Scholuchern ohne Rückhalt zu überlassen und ihm ewige Treue zuzusagen. Wir waren bereits in dem Myrthengebüsch, als der Genius in dasselbe trat. Er harrte mit Ungeduld, daß ich mein Zimmer verlassen sollte, als zu bezeichnende Seufzer aus diesem Gebüsche tönten und ihn veranlaßten, seinen Weg dahin zu nehmen. Ach! wir waren es, denen sie entfuhren! Zufrieden mit meinem Geliebten, überzeugt von seiner Treue, bestürmt von seinen Begierden noch mehr als von den meinigen, war ich auf eine Rasenbank hingesunken. Scholuchern, diesmal weniger blöde als gewöhnlich, hatte auch weniger Schonung gegen mich gehabt. Endlich kamen wir von der zärtlichsten Verirrung wieder zu uns und waren gefaßt, gar lebhaft in eine neue Verirrung zu sinken, als ein Feuerwirbel uns umgab, und, wie er sich teilte, den barbarischen Genius sehen ließ. Bei diesem Anblick blieben wir unbeweglich; wir erwarteten ihn nicht. Noch war ich in der Unordnung, worein der Prinz mich versetzt hatte, denn da er sie zu verdoppeln drohte, hatte ich nicht an Wohlanstand gedacht. Er selbst, der noch mehr außer sich war wie ich, befand sich in einem Zustand, der die Eifersucht des Genius auf die marterndsten Vorstellungen führte. Mein Rock bedeckte Scholuchern fast ganz, und je aufmerksamer ihn der Genius fand, ich weiß nicht was für Kleinigkeiten zu bewundern waren, desto weniger hielt er sich für verbunden, ihm zu verzeihen.
Grausame, willst Du meine Liebe auf die Art erwidern? rief er mit donnernder Stimme. Und Du Unglücklicher, wandte er sich an Scholuchern, hast Du auch wohl bedacht, daß Du mich beleidigst? Und glaubst Du meiner Rache entrinnen zu können? Sie ist jetzt aufs Höchste gestiegen; und da Du nicht sterben kannst, so sollen alle Augenblicke Deines Lebens durch die heftigsten Äußerungen meines Zorn bezeichnet werden. Man schaffe ihn fort, setzte er hinzu, und verwahre ihn, bis ich seine Strafe verordnet habe. Bei diesen Worten verschwand der Prinz, sehnsüchtig seine Arme gegen mich ausstreckend. Bestürzung und Schmerz hatten mich anfänglich zu Boden gedrückt, aber mein Unglück gab mir meine Kräfte wieder. Barbar! schrie ich, worüber hast Du Dich zu beklagen? Und wer hat Dir gesagt, daß Du stets Gegenliebe finden würdest, wenn Du liebtest? Was für Rechte hatte ich Dir auf mein Herz gegeben? Scholuchern, ich leugne es nicht, hat mir gefallen, und Deine leidige Gegenwart gibt mir noch lebhafter zu erkennen, wie sehr ich ihn anbete. Ich fürchte Deine Rache nicht; selbst wenn Du mich verschontest, würde ich eben so wenig die Deinige sein können. Stets mit den Leiden meines Geliebten beschäftigt, würde ich Dich nie anders als den verhaßtesten meiner Feinde betrachten können. Bestrafe mich, wenn Du willst; aber sei versichert, daß weder die Zeit noch die größten Unglücksfälle meine Liebe je zerstören werden, und daß sie so lange, als mein Abscheu gegen Dich, dauern wird.
Nun wohlan, Treulose, sagte der Genius, Dein Begehren soll befriedigt werden. Schon nahte er sich, um mich fortzuführen, als Barbacela erschien und mich seiner Wut entzog. Ich durchschwebte lange mit ihr die Lüfte, endlich ließen wir uns auf jene Aue nieder, wo Ihr, Prinz, mich fandet.
Unglückliche, sagte sie jetzt zu mir, in was für gräßliche Abgründe hat Dich die Liebe nicht gestürzt! Du verlierst den Gegenstand Deiner feurigsten Triebe auf immer, und würdest selbst verloren gewesen sein, wenn meine Macht Dich nicht dem barbarischen Schonkilje entrissen hätte. Flieh, entzieh Dich seinen Blicken, bis glücklichere Zeiten Dir verstatten, das Licht des Tages wiederzusehen. Werde Maulwurf und hüte Dich, diese Wiese zu verlassen. Ich erblicke im Dunkel der Zukunft ein günstigeres Schicksal für Dich. Es wird ein Tag kommen, wo einer meiner Günstlinge Deine Leiden enden und wo eine Prinzessin den zärtlichen Scholuchern erlösen wird. Sodann berührte sie mich mit ihrem Stäbchen, und ich wurde so ganz Maulwurf, wie Ihr mich hier seht. Bevor sie mich verließ, fragte ich sie, was der Genius mit meinem Geliebten angefangen hätte. Er muß, sagte Barbacela, in den Gärten der Schonkiljeninsel in einem fort das Rad schlagen und Purzelbäume machen. Vermutlich, unterbrach sie Tanzai, hat der Genius ihn wegen seiner Tanzlust mit dieser Strafe beehrt. Übrigens bin ich überzeugt, daß die Fee unter dem Retter, dessen sie gegen Euch gedacht, mich gemeint hat, und wir wollen es schon so zu machen wissen, daß ... Doch trocknet Eure Augen, sagte er zu Neadarne, die unmäßig weinte; Euer Mitleid geht zu weit. Die Dame hier ist Maulwurf und das ist Alles. Was Scholucherns Sprünge anlangt, so erregt dies eben keine so sehr kränkende Vorstellung.
Ach! wie wenig zärtlich seid Ihr, sagte Neadarne. Erwägt doch die Leiden zweier Liebenden, die man trennt! Und wenn der Genius sie nur bloß mit dieser Strafe belegt hätte, wäre das nicht hinlänglich, sie vor Kummer und Gram zu töten? Wer mich auf einen Tag, ja nur auf eine Stunde von Dir trennen wollte, würde der nicht meinen Tod verursachen? Aber, sagte sie zur Zwickelbart, wie lang ist es nun schon her, daß Ihr den Scholuchern verloren habt?
Zehn Jahre sind seit jenem leidigen Abenteuer verflossen, antwortete die Fee. Barbacela hat mich indeß einigemale besucht, und von ihr habe ich erfahren, daß der gegen mich noch immer entrüstete Schonkilje, nachdem er meinen Maulwurfstand vernommen und meinen Aufenthalt nicht hat entdecken können, um mich vielleicht in seine Gewalt zu bekommen, befohlen hat, niemand solle vor ihm erscheinen, ohne ihm Maulwürfe mitzubringen. Auf die Art hofft er, sollte ich endlich durch irgend Jemanden gefangen werden. Ohne Euer großmütiges Mitleid, Prinz, würde es ihm nur zu gut gelungen sein. Ich werde nicht unterlassen, Euch dafür meine Erkenntlichkeit zu bezeigen. Zwar ist meine Macht derjenigen Schonkiljens untergeordnet, dem ungeachtet aber erstreckt sie sich noch immer weit. Wir nähern uns seinen Staaten, seid nur darauf bedacht, mich sorgfältig zu verbergen.
So glaubt Ihr denn, daß Ihr Scholuchern wiedersehen werdet? fragte die Prinzessin. Alles trägt dazu bei, mir das glaublich zu machen, versetzte die Zwickelbart; Barbacela's Versprechungen, das Zusammentreffen mit Euch, das meinem Schicksale einen anderen Schwung zu geben beginnt; mehr aber noch als alles, die Ruhe, deren mein Herz jetzt genießt.
Da Ihr den Genius so gut kennt, hub Tanzai an, so sagt mir doch, glaubt Ihr, daß er mit Neadarne zum Alleräußersten schreiten wird? – Ohne mich, versetzte die Zwickelbart, läßt sich daran gar nicht zweifeln. Schonkilje ist leicht eingenommen, Neadarne ist schön, das Sonderbare ihres Abenteuers wird ihn vielleicht eben so reizen, als ihre Annehmlichkeiten. Könnte ich aber Neadarnen nicht folgen? fragte der Prinz. – Und wovor wollt Ihr sie beschützen? entgegnete die Zwickelbart. Schonkilje liebt Musik, Ihr spielt vorzüglich die Leier, wie leicht könnte er Euch nicht dazu verdammen, dem Scholuchern dreißig Jahre lang aufzuspielen. Laßt mich nur alles anordnen. Ich stehe Euch für einen Erfolg, der weit über alle Hoffnungen gehen soll.
Der Prinz, den das Bild, das er sich von Schonkilje gemacht, viel zu sehr beunruhigte, um durch die Versprechungen der Fee getröstet zu werden, seufzte und gab keine Antwort. Er war überzeugt, daß die Zwickelbart so wenig verhindern können würde, daß Neadarne Schonkilje in die Hände fiele, als sie es zu hindern vermochte hatte, daß Scholuchern springe.