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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Das man sich ja hüten muß zu überschlagen, so ermüdend es auch immer ist

Als endlich der Prinz sah, daß alle seine Versuche fruchtlos wären, verließ er mit Neadarne Scheschian. Jeder von ihnen führte in seinem Train wenigstens zwanzig Wagen mit Maulwürfen beladen mit. Keiner von Beiden war unbekümmert. Tanzai, der Neadarne anbetete, ertrug nur mit außerordentlichem Schmerz den Gedanken, sie in den Armen eines anderen zu sehen; und Neadarne, die nicht weniger lebhafte Empfindungen für den Prinzen hegte, konnte nicht begreifen, daß sie die Auflösung des Zaubers einer Tat verdanken sollte, von der ihre Liebe und ihre Delikatesse ihr ein gräßliches Bild entwarfen.

Sie hatten bereits verschiedene Tagereisen, die durch ihre Liebkosungen verkürzt worden waren, gemacht, als sie auf eine liebliche Wiese ankamen. Der bunte Blumenteppich, der über sie hingespreitet war, bewog die Prinzessin, die sich von der Reise müde fühlte, ihre Gezelte am Ufer eines Bachs aufschlagen zu lassen, der diese Gegend verschönernd, eine bezaubernde Kühle ringsum verbreitete. Das sanfte Gemurmel dieses Bachs schläferte die beiden Liebenden bald ein. Sie konnten nichts besseres tun, als schlafen. Nachdem Tanzai einige Stunden an Neadarnens Busen geruht hatte, und sie noch schlafen sah, lustwandelte er den Bach entlang, der unendliche Mäander bildete. Eben war er damit beschäftigt, Klagen über sein sonderbares Schicksal anzustellen, als ein Maulwurf, der jählings aus der Erde hervorwühlte, ihn in seinem Staunen unterbrach. In den Gedanken, worin er war: je mehr Maulwürfe er dem Genius mitbrächte, desto mehr schonungsvolle Achtsamkeit würde er gegen Neadarne haben, wandte er, wie man sich leicht vorstellen kann, alle Mühe an, dieses Tiers habhaft zu werden, das ihm der Zufall zuführte. Kaum hatte er es gefangen, so fand er es so artig, seine Haut so sanft, seine Augen so schön (eine ungemeine Seltenheit bei Maulwürfen!), daß es vielleicht in Rücksicht seiner Wohlgestalt das Einzige in der Welt war. Anfänglich wollte er ihm aus einer Regung von Mitleid die Freiheit wiedergeben; dann wollte er aus einem feinern Gefühl lieber, daß diesem Geschöpf Neadarnen das Glück zu verdanken hätte; sonach trug er ihn in's Zelt. Neadarne, die eben erwacht war, wollte den Prinzen auf der Wiese suchen, als er mit seiner Beute erschien. Sieh, Wonne meines Lebens, sagte er, das artige Tier, das ich eben gefangen habe. Es ist zuverlässig kein gemeiner Maulwurf. – Ach, wie schön er ist! rief Neadarne. Wie, den wollt Ihr dem Genius überliefern? – Sein Schicksal hängt von Euch ab, versetzte er, ich willige in alles, was Ihr gebietet. – So will ich ihn denn behalten, entgegnete Neadarne. Wie schön er ist! fuhr sie fort! als sie sah, daß er sie liebkoste, er soll bei uns bleiben. Ich selbst will für ihn sorgen. Vielleicht bin ich das einzige Frauenzimmer in der Welt, das einen so bewundernswürdigen Maulwurf hat. Er soll nie von meiner Seite kommen.

Die Frauenzimmer fassen öfters heftige Leidenschaften, ohne recht zu wissen, weshalb; je lächerlicher die Gegenstände sind, von denen sie eingenommen werden, mit desto größerer Wut heften sie sich an dieselben. So ging es Neadarne. Ihre Liebe zum Maulwurf war so lebhaft, daß sie, wenn sie dies Tier eine Viertelstunde nachher dem Prinzen hätte aufopfern sollen, vielleicht geschwankt haben würde. Man muß deshalb keine üble Meinung von der Prinzessin fassen, vielleicht ist dies nur eine verwegene Mutmaßung; vielleicht sind die scheschianischen Frauenzimmer wie alle anderen.

Die Prinzessin, die ihrem Maulwurf außerordentlich gut war, ließ ihm ein Halsband umlegen, und führte ihn, so lange sie auf der Wiese spazierte, hinter sich her, ohne daß das Tier je Lust bezeigt hätte, sich wieder in Freiheit zu setzen. Sie trug ihn sogar in ihren Palankin, wenn es nötig war in denselben zu steigen, und schmälte mit Tanzai, weil er ihn nicht genug liebkoste, daß es beinahe zu einem lebhaften Streit gekommen wäre. Nach einigen Tagereisen, die durch keinerlei Zufall unterbrochen wurden, entdeckte man einen Wald. Tanzai, der ihn für den erkannte, wo er die Fee mit dem Kessel gefunden hatte, konnte sich eines Seufzers nicht erwehren, da er an das unselige Abenteuer dachte, das auf diese Begebenheit gefolgt war. Er ließ sogleich, Saugrenutios Rate gemäß, den Weg links einschlagen. Sein Herz befand sich in jener peinlichen Beklommenheit, von der man bei einem herannahenden Unglück befallen zu werden pflegt. Er seufzte und sagte zu Neadarne: So werde ich Dich denn bald verlassen müssen. So muß ich, der ich Dich so brünstig liebe, Dich fast in die Arme eines Anderen liefern! Grausames Schicksal, das mich dazu zwingt. Ach! Der Tod würde mir minder gräßlich sein. Du wirst mich vergessen, Neadarne, wirst ein Raub der Begierden des Genius werden, der, so scheußlich er auch unstreitig ist, Dir vielleicht besser gefallen wird, als ich. Nun denn Prinz, versetzte Neadarne, so wollen wir auf der Stelle wieder umkehren. Ihr wißt, wie ungern ich gehorche. Ihr versichert mich, daß Ihr mich stets lieben werdet. Zufrieden mit diesem Versprechen, sicher, Euer Herz zu besitzen, was sollte ich zu wünschen haben? Das Glück Eures Lebens, sagtet Ihr, hinge von der Veränderung meiner Gestalt ab. Ich habe, um Euch gefällig zu sein, mich allem unterworfen, was mir dabei begegnen kann. Ich habe meinem Widerwillen und all dem, was meine Tugend und Liebe dagegen vorbringen wollten, Stillschweigen geboten. Und ach! Was liegt mir daran, so zu bleiben, wie ich bin, wenn Eure Leidenschaft für mich sich nicht mindert? Ihr wißt, wie sehr ich Euch liebe, und statt Euch auf meine Treue zu verlassen, erkühnt Ihr Euch, zu wähnen, daß mir der gefallen würde, den Ihr aufzusuchen mich nötigt. Wär er – was er nicht sein kann – wär er auch ganz Ihr selbst, würde doch mein Herz, wenn ich auch Seufzer der Lust mit ihm zugleich ausstieße, nur bloß an Euch denken. Ich weiß nicht, ob jene Freuden, die Ihr rühmt, so lebhaft sind, als Ihr sagt. Wie dem aber auch sein mag, so glaube ich, daß sie jenen Reiz, den Ihr ihnen beilegt, nur von der Liebe haben können. Ich fühle, daß Ihr Begierden in mir erzeuget, allein, Ihr nur allein bringt solche ungestümen Regungen in mir hervor. Ließe auch jener Genius, dessen Andenken Euch niederschlägt und mich quält, mich jene Wollust schmecken, wovon Ihr so oft mit mir gesprochen und die ich, wie Ihr sagt, nur unvollkommen in Euren Armen genossen habe, so würde ich dennoch mitten in einer Verwirrung, in der ich mir selbst nicht mehr angehörte, doch immer noch Euch angehören. Ach! eben das, rief Tanzai, ist jene gräßliche Philosophie, die ich befürchte! Das sind jene fürchterlichen Unterscheidungen, die der Geist macht und wovon das Herz nichts empfindet. Ebenso glücklich bei jenem Genius als bei mir, würde Euch weiter nichts fehlen, als eine Idee der Wollust, die Euch im Geist selbst erst nachher beschäftigen würde und alles, was Eure Liebe mir gewährte, wäre etwa der Gedanke: daß ich Euch vielleicht mehr Freuden verschafft haben würde. Es sei drum, erwiderte Neadarne aufgebracht; aber ich müsse auf immer meine Liebe zu Euch aufgeben, wenn ich diesen Genius besuche! Was Euch anlangt, so zerreißt ein Band, das Euch verhaßt wird; Neadarne liebt Euch genug, um selbst auf Kosten ihres Lebens in alles zu willigen, was Eure Gleichgültigkeit für sie Euch einflößen kann. Der Prinz antwortete heftig auf diesen Vorwurf und die Prinzessin ward von seiner Antwort beleidigt. Schon wollte Erbitterung unter ihnen Platz greifen, als der Maulwurf, von dem man nie vermutet hatte, daß er reden könnte, über diese lächerliche Fehde ungeduldig ward und sich nicht enthalten konnte, mit Achselzucken zu sagen: Potz Sapperment, was die Verliebten nicht für Kinder sind! – O Himmel! riefen beide. Ah! fuhr die Prinzessin fort, mein Maulwurf kann sprechen! Ich müßte mich sehr irren, sagte Tanzai, wenn das nicht die vermaledeite Kukumer ist, die mich verfolgt. Habt Ihr gehört, wie hökerinnenmäßig sie flucht? Diesmal erwürg ich sie. Es kömmt doch auf eins hinaus. – Haltet ein, großmütiger Prinz! rief der Maulwurf. Verwechselt mich nicht mit Eurer grausamsten Feindin; tötet mich nicht, Ihr möchtet meiner bedürfen. – Ruhe meines Lebens, schonet ihrer, sagte die Prinzessin. – Wie leichtgläubig! versetzte er und suchte das Tier zu ersticken. Seht Ihr denn nicht, daß das die Kukumer ist? – »Nein, das bin ich nicht. Ich bin die Fee Zwickelbart, Geschwisterkind der Barbacela und deren Freundin. Seht ja zu, was Ihr tut.« Im Grunde, versetzte der Prinz, dessen Zorn sich legte, kann sie Recht haben; allein durch was für ein Abenteuer seid Ihr Maulwurf? – Das sollt Ihr bald erfahren, erwiderte die Zwickelbart; allein habt Ihr Zeit, mich anzuhören? Ich besorge sehr, daß meine Erzählung von unerhörter tödlicher Länge sein wird. Was tut das, entgegnete der Prinz, wir haben ja nicht besseres zu tun. Nunmehr hub der Maulwurf seine Geschichte an, wie man im folgenden Kapitel finden wird.


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