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Erster Teil

Erstes Kapitel

Wer der Prinz Hiaouf-Zeles-Tanzai ist in der großen Scheschianei, einem Lande, das durch die Unwissenheit der Erdbeschreiber heutzutage nicht mehr zu finden ist, herrschte ehemals ein König, Cepha-fu-Cephaes genannt. Dieser Name bezeichnete in der Landessprache, die jetzt so unbekannt ist, als das Punische, Wohl des Volks; ein erhabener Name, der ihm entweder durch Ungefähr oder Schmeichelei zuteil geworden war. Dieser Fürst hatte zum Nachfolger in seinen mächtigen und weitverbreiteten Staaten nur einen einzigen Sohn. Die Scheschianer hegten vor diesem Prinzen ganz außerordentliche Ehrerbietung und machten sich von ihm, von seinem zartesten Alter an – ohne recht zu wissen weshalb – die goldensten Hoffnungen.

Zu der Zeit beherrschten die Feen den ganzen Erdkreis. Es mußte mit dieser Verwaltung ziemlich schlecht gehen, da diese überirdische Wesen mehr ihre Launen als ihre Vernunft zu Rate zogen. Der Fall ist selten, daß man eine grenzenlose Macht nicht mißbrauchen sollte, und wer alles tun kann, was ihm beliebt, mißt seinen Willen nicht immer nach Recht und Billigkeit ab. So gings auch den Feen. Ihrer war eine große Anzahl; sie wußten wenig von Subordination. Ihr Geschlecht, das Interesse, das sie beseelte und bisweilen unerheblich, immer aber lebhaft war, die Eifersucht wegen Oberbefehlshaberschaft, wegen Schönheit, die Begierde, von sich sprechen zu machen, und Launensucht, die Haupttriebfeder der Handlungen bei den weiblichen Gottheiten, fachten unter diesen Mächten die blutigsten Kriege an.

So wie der Sohn des Cephaes auf die Welt gekommen war, hatte ihn die große Fee Barbacela, die erklärte Beschützerin seines Hauses seit undenklichen Zeiten, auf ihre Arme genommen. Sie gab dem jungen Prinzen wegen seiner ungemeinen Schönheit den Namen Hiaouf-Zeles-Tanzai, das ist verdolmetscht: Nebenbuhler der Sonne, und rüstete ihn mit all den Vorzügen aus, die einen Sterblichen zur höchsten Vollkommenheit erheben können.

Der Prinz wußte Alles, ohne das Geringste gelernt zu haben. Bei Personen von hohem Range ist es nichts Seltenes, daß sie sich einbilden, Alles zu wissen; allein das war nicht der Fall bei Tanzai; er besaß wirklich Talente. Auf Dichtkunst, Malerei und Tonkunde verstand er sich in gleich hohem Grade. Die lyrische und epische Poesie ward ihm nicht saurer als die dramatische; scherzhafte Gedichte gelangen ihm so gut wie tändelnde. Das Madrigal, das Sinngedicht, die Elegie, die Idylle, das Hirtengedicht, und Boutsrimés gerieten ihm so gut, wie Alles übrige. Inzwischen da nie ein Universalkopf zu finden ist, so konnte er mit den Akrostichons nicht fertig werden, die damals wieder Mode wurden. Wiewohl sein entschiedenster Hang der für die Dichtkunst war, so vernachlässigte er doch nicht die übrigen Künste. Alle Gemäldeliebhaber in Scheschian hatten Malereien von seiner Hand in ihren Kabinetten, und alle Gelübdetafeln im großen Tempel waren von ihm. Es wurden oft in Scheschian Opern aufgeführt, wovon er Musik und Text gemacht hatte.

Man kann nicht in Abrede stellen, daß er den besten Geschmack von der Welt besaß. Nichts bewies dies mehr als der Vorzug, den er der Leier vor allen musikalischen Instrumenten gab. Seine Leidenschaft dafür war so lebhaft, daß Cephaes, der blindlings alle Launen und Grillen des Kronprinzen annahm, in den Türmen des scheschianischen Tempels, statt der Pauken, womit man ehemals das Volk zum Gebet zusammenzuberufen pflegte, Leiern von ungeheurer Größe hatte aufhängen lassen. Die Prinzen von Geblüt mußten diese Instrumente, wenns erforderlich war, spielen. Aus der Ursache hatte man ihnen den hohen Titel: »Oberleirer des Staats« beigelegt. Dies Amt wurde eines der größten und ansehnlichsten im Reiche und der älteste Leirer wurde Kronfeldherr. Um dieser Würde noch mehr Glanz zu geben, verehrte der König denjenigen, die damit bekleidet waren, die bärenhäutne Hose, mit Roßkastanien besetzt. Dies Ehrenzeichen mag manchem meiner Leser possierlich vorkommen; nach den Vorurteilen dieses Volkes aber war es das Merkmal der ausgezeichnetsten Achtung. Tanzai erwiderte die Gütigkeiten seines Vaters durch jene Anhänglichkeit, welche eine vortreffliche Erziehung einflößt. Geliebt vom den Volke, das er dereinst beherrschen sollte, ein Gegenstand der sorgfältigsten Aufmerksamkeit von Seiten der großen Fee Barbacela, bewundert von der ganzen Erde, schien an seiner Glückseligkeit nichts zu fehlen. Inzwischen hatte er von Mutter Natur ein zärtliches Herz empfangen, und es war ihm nicht vergönnt, zu lieben.

Wegen, ich weiß nicht, welcher Zufälle, womit dieser Prinz bedrohet war, wenn er vor Vollendung seines zwanzigsten Jahres liebte oder sich verheiratete, hatte ihm die Fee ausdrücklich beides bis zu der Zeit verboten, wo das Schicksal ihm Herr über sich selbst zu sein verstattete. Dieser Befehl war gemessen, und es war für Tanzai eben so gefährlich, dagegen zu handeln, als es ihm schwer ward, an einem Hof, wo alles Vergnügen atmete, wo die Damen ihren Reizen alles hinzufügten, was die Koketterie nur Verführerisches hat, kurz, wo es deren einziges Geschäft war, Begierden zu erwecken und zu befriedigen, als junger, liebenswürdiger und gefühlvoller Prinz lange in seiner Gleichgültigkeit zu bleiben. Es war umsonst, sich damit zu schmeicheln. Auch fühlte Tanzai, was für ein höchst gefährlicher Ort der Hof für jemand sei, dem Tugend empfohlen war, und da er allenthalben, entweder mit zärtlichen Blicken oder mit dringenden Erklärungen der Liebe überhäuft wurde, beschloß er endlich, den Hof zu verlassen und sich in einen Palast zurückzuziehen, den er am Gestade des Meeres hatte, und jedem Frauenzimmer den Eingang dazu verbieten zu lassen.

Dieser Entschluß setzte jedermann außerordentlich in Erstaunen. Man kannte die Ursache nicht, weshalb er sich aus der großen und feinen Welt verbannte. Die Damen, dadurch vor den Kopf gestoßen, verbreiteten Gerüchte, die für Tanzai sehr nachteilig waren. Der Prinz wußte sie entweder nicht, oder kümmerte sich darum nicht im geringsten. Er hatte achtzehn Jahre, als er sich in diese Einöde verschloß, und kaum war er drei Monate älter, als er dieses Aufenthalts schon überdrüssig war. Für jenes zaubervolle Geschlecht, das bereits seine ganze Seele einnahm, fand er nirgends Ersatz; die Hilfsquellen seines Geistes versiegten für ihn; je weniger er die Wonnen der Liebe kannte, je schmeichelhaftere Bilder schuf er sich davon. Jene zärtliche Vereinigung zweier Herzen, die er oft besungen hatte, jene Entzückungen, jene so lebhafte Wollust der Liebe wurden endlich das einzige Gut, dessen er genießen wollte. Da sein Überdruß täglich zunahm, ergriff er irgendeine Gelegenheit, der Fee zu sagen, daß er nach Scheschian zurückgehen und sich vermählen würde, was auch immerhin das Schicksal dazu sagen möchte. Barbacela wandte alles an, ihm dies Vorhaben auszureden; allein ungeachtet aller ihrer Vorstellungen setzte er den Tag zur Abreise fest. Die Fee, ohne ihn seinem Schicksal zu überlassen, bedauerte ihn, und beschloß, alle ihre Macht anzuwenden, um den über ihn schwebenden Unglücksfällen entweder zuvorzukommen oder sie wenigstens zu lindern. Die Leser, die geduldig genug sind, in dieser Geschichte fortzufahren, werden in der Folge sehen, wie sehr die vorsichtigen Maßregeln der Fee dem Prinzen gefrommet haben.


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