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Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Schmerzliche Pflichten

Nächst den zwei großen Verbrechen des »die Schuhe nicht Abputzens« und des »Verrückens der gesellschaftlichen Ordnung, um der großen Masse Vorschub zu leisten« – das eine war eine häusliche, das andere eine öffentliche Sünde, aber beide wurden als gleich schwer betrachtet – war Unpünktlichkeit im Erscheinen bei Tisch das abscheulichste Vergehen in den Augen von Horace und Herbert Talbert. Ohne gerade das zu sein, was man Feinschmecker nennt, wollten sie doch die Speisen gut zubereitet, im richtigen Augenblick genießen. Die Talberts gaben sich sehr viel Mühe mit ihrer Küche und erwarteten dadurch für dieselbe belohnt zu werden, daß alles, vom Salz bis zum Salmen so war, wie es sein mußte. Etwas wie eine nicht ganz gar gekochte Kartoffel war auf ihrem Tisch gänzlich unbekannt und würde jedenfalls Veranlassung zu einem gründlichen Verhör, nötigenfalls auch zu einer Untersuchung der Küchengeschirre, gegeben haben.

Es war bei ihren Gesellschaften Regel, daß man nach einer kurzen Gnadenfrist ohne den Fehlenden zu Tische ging. Es ist Verleumdung, wenn man sagt, sie machten um eines Lords willen eine Ausnahme – sie würden auf niemand unter dem Range eines Herzogs, oder mindestens eines Marquis warten.

Man kann sich demnach denken, daß es unter diesen Umständen den Brüdern sehr peinlich auffiel, daß Beatrice zehn Minuten, nachdem Whittaker den Gong, die chinesische Trommel, die zum zweiten Frühstück rief, gerührt hatte und die Suppe längst auf dem Tische stand, noch nicht erschienen war. Das Angesicht Whittakers, der infolge des langen Zusammenlebens die Verzögerung ebenso schmerzlich empfand, wie seine Herren, verriet tiefes Mitgefühl. Obgleich er eigentlich keine Veranlassung hatte, Fräulein Clauson für taub zu halten, wagte er die Vermutung auszusprechen, daß sie den Gong vielleicht nicht gehört habe.

Der schönste Charakterzug der Talberts bestand darin, daß die Höflichkeit unabänderlich über die Grundsätze siegte. Pünktlichkeit war in diesem Falle der Grundsatz; er wurde verletzt, doch mußte er sich dies eine Weile lang gefallen lassen. Horace verbot ein nochmaliges Zeichen und sie warteten tatsächlich noch weitere fünf Minuten, ehe sie Whittaker entsandten, um nach Fräulein Clauson zu fragen. Er kehrte mit der Nachricht zurück, daß Fräulein Clauson gleich nach dem Frühstück mit der Kinderfrau und dem Knaben ausgegangen und noch nicht zurückgekehrt sei.

»Dann wird das Mittagessen für das Kind auch verdorben werden,« sagte Horace traurig; sein gutes Herz empfand Mitleid mit jedem, der unter verdorbenem Essen zu leiden hatte.

Nach dem feierlich und ernst eingenommenen zweiten Frühstück warteten die Brüder noch eine Weile im Eßzimmer auf ihre Nichte. Sie wollten sie natürlich nicht schelten, aber sie beabsichtigten, sie in sanfter Weise auf die Vorzüge der Pünktlichkeit aufmerksam zu machen und ihr den schlechten Einfluß zu zeigen, den ein böses Beispiel von Unpünktlichkeit unfehlbar im Haushalt ausüben müsse. Da Beatrice indessen immer noch nicht erschien, verwandelte sich die in der Stille vorbereitete Strafpredigt in offen ausgesprochene Verwunderung über die lange Dauer des Morgenspazierganges. Vielleicht war sie irgendwo zum Frühstück geblieben, vielleicht war irgendetwas geschehen. Gerade als sie bei dieser letzten Vermutung angekommen waren, brachte Whittaker ein Telegramm herein. Es war von Beatrice und lautete: »Wir sind in London, seid unbesorgt; schreibe heute abend.«

Sie waren äußerst überrascht und zerbrachen sich den Kopf über die plötzliche Abreise. Vielleicht hatte Beatrice auf ihrem Spaziergang ein Telegramm oder einen Brief bekommen mit der Nachricht, daß ihr Vater krank sei, und war sofort abgereist. Aber warum hatte sie den Jungen und die Kinderfrau mitgenommen? Ja, warum – Sie mochten überlegen, wie sie wollten – die Sache bekam nicht Hand, nicht Fuß; es blieb ihnen nichts übrig, als bis morgen zu warten.

»Beatrice hätte auch etwas ausführlicher sein können,« sagte Horace, als er das Telegramm noch einmal durchsah.

»Ja,« sagte Herbert, »sie hatte noch neun Worte übrig.«

»Die Erfindung des Telegraphen ist ein Fluch der neuen Zeit,« fuhr Horace fort. »Die Leute schicken jetzt solche schlecht formulierte, unpünktliche Sätze in die Welt, statt eines ordentlichen Briefes. Niemand kann mehr einen richtigen guten Brief schreiben.«

Horace, der die Gabe hatte, ganz besonders gut konstruierte und feine, wenn auch etwas zu lange Episteln zu verfassen, empfand die Neigung unserer Zeit, die Briefe in kurzen, abgerissenen Sätzen abzufassen, die an Herrn Mordles Sprechweise erinnerten, ziemlich tief.

»Ich hoffe, daß sie bald zurückkommt,« sagte Herbert, »Frank kommt ja übermorgen zu uns.«

»Er ist jetzt ganz gesund, nicht wahr?«

»Vollständig, wie ich glaube.«

»Dann meine ich, wir könnten ihm diesmal den 58er Weißen geben – der 47er geht nach und nach aus.«

Das war nicht Kargheit, es war nur die Vorsorge eines umsichtigen Mannes für seinen Keller. Uebrigens würde sich sicher niemand über die Veränderung beklagen. Manche mögen den Wein von 1858 noch lieber als den von 1847.

Beatrices versprochener Brief traf den anderen Morgen ein. Horace las ihn zuerst; ohne ein Wort zu sagen, gab er ihn ganz bestürzt seinem Bruder, der schon an seinem Gesicht gesehen hatte, daß etwas Außerordentliches geschehen war. Beatrice schrieb:

 

»Meine lieben, lieben Onkel!

Ich müßte weniger dankbar sein für all die Güte, die ihr mir erzeigt habt, wenn ich euch eine Minute länger als nötig in Unruhe und Sorge ließe. Ich sandte euch gestern ein Telegramm, um euch zu sagen, daß mir kein Unfall zugestoßen ist.

Ich weiß kaum, was ich euch sagen soll. Ich kann euch keine Entschuldigung vorbringen für das, was ich thue; ich kann keine Erklärung geben. Als ich nach Hazlewood House kam, glaubte ich, dort würde mein Heim sein, solange ihr mich behalten wolltet. Nun sehe ich mich doch genötigt, euch zu verlassen und mir ein eigenes Heim zu gründen; noch mehr, ich bin gezwungen, vorläufig darüber zu schweigen, wo ich mich niederlasse; ich weiß es auch selbst noch nicht. Jedenfalls aber werde ich England verlassen. Ich kann nicht einmal sagen, warum dies so sein muß. Werdet ihr mir je verzeihen?

Bitte, macht euch keine Sorgen um mich. Ich werde nachgerade alt und kann schon allein zurecht kommen; außerdem ist Frau Miller mit Harry bei mir, so daß ich mich nicht einsam fühlen werde.

Wenn ich auch nicht versprechen kann, euch zu sagen wo ich bin, so werde ich euch doch ab und zu Nachricht von mir geben. Bitte, ach bitte, versucht nicht, mich aufzufinden, aber versucht, freundlich zu gedenken euerer euch liebenden, aber unglücklichen Nichte

Beatrice.«

 

»Was bedeutet das, Herbert?« sagte Horace in leichenbitterlichem Tone.

»Was hat es wohl zu bedeuten?« echote Herbert.

Sie saßen da und starrten einander an und waren fest überzeugt, daß seit der Entstehung der Welt sich noch nie ein so unvorhergesehenes Ereignis begeben habe. Ihre Nichte, das weibliche Gegenstück ihrer selbst, für sie die Verkörperung von allem, was eine wohlerzogene, vornehme Frau sein sollte, sie hatte sich einer solchen unbedachtsamen Handlung schuldig gemacht. Es war entsetzlich, wirklich entsetzlich!

Sie lasen den Brief wieder und wieder und besprachen den Inhalt und Sinn jedes einzelnen Satzes, aber dies alles führte zu nichts. So mußten sie schließlich darauf verfallen, Beatrice, die sie doch kannten, oder wenigstens zu kennen meinten, selbst in einem neuen Lichte zu sehen.

Obgleich keiner der Talberts je einer zarten Leidenschaft unterlegen war, so wurde doch allgemein angenommen, daß, wenn einer von beiden unter einer solchen Anfechtung zu leiden gehabt hätte, sicherlich Herbert das Opfer gewesen wäre. Eine Witwe, die danach verlangt hätte, wieder in den heiligen Stand der Ehe zurückzukehren, würde ihre Aufmerksamkeit jedenfalls dem jüngeren Bruder, als dem bildungsfähigeren Material, und nicht dem älteren zugewandt haben. Es ging auch wirklich die unbestimmte Sage, Herbert sei einmal im Begriff gewesen, einer jungen Dame seine Neigung zuzuwenden, und wäre nicht Horace mit lobenswerter Selbstsucht dazwischen getreten und hätte die Sache im Keime erstickt, so würde derselbe heute vielleicht einsam leben müssen und alle Last, die Hazlewood House mit sich brachte, wäre seinen Schultern allein aufgebürdet worden. Auch diesmal war es Herbert, der zuerst den Versuch machte, die Lösung des Rätsels von der romantischen Seite aus zu versuchen.

»Glaubst du nicht,« fragte er, »daß Beatrice irgend eine – eine unglückliche Herzensangelegenheit hat, die wir vielleicht mißbilligt hätten?«

»Nein,« sagte Horace mit der Miene eines Richters, »nein, das ist unmöglich; es war nichts derartiges zu bemerken. Sie schien glücklich und zufrieden. Auch war ihr Appetit, glaube ich, recht gut.«

»Ja, sehr gut,« stimmte Herbert bei.

»Wer könnte es auch sein? Außerdem ist sie vollständig ihr eigener Herr und wenn sie heiraten will, haben wir gar keine Stimme dabei. Sie ist vollständig fähig, durchzusetzen, was sie will. Der beste Beweis davon ist, daß sie all dies Geld müßig auf der Bank liegen ließ.« Herbert gab seine Vermutung wieder auf und suchte eine andere Erklärung. »Ich möchte wissen,« sagte er nach einer langen Pause traurig, »ob wir uns in ihrem Charakter getäuscht haben.«

»Ich fürchte es fast,« sagte Horace.

»Sie schien so glücklich und zufrieden,« seufzte Herbert, »bis zu der Geschichte mit den Leuten, die den Knaben verlangten. Das hat sie aufgeregt.«

»Nun kommst du der Sache schon näher, wie mir scheint,« sagte Horace. »Vielleicht hat sie die Angst, man wolle ihr das Kind doch noch entreißen, zu dieser tollen Flucht – ich kann es nicht anders heißen – veranlaßt.«

Nun begann Herbert Einwände zu machen. Er erinnerte daran, daß Beatrice so fest überzeugt gewesen war, die Drohung werde nicht ausgeführt und das Kind nicht abgeholt werden; die Ereignisse hatten ihr recht gegeben. So redeten und redeten sie, rieten hin und her, vermuteten und widerlegten, und kamen der Wahrheit doch nicht näher. Nicht einmal eine Theorie konnten sie daraus bilden – und nichts in der Welt ist schlimmer, als wenn man ohne Theorie ist! Endlich erhob sich Horace und sagte entschlossen: »Es muß etwas geschehen.«

»Ja,« stimmte Herbert in fragendem Tone bei.

»Wir befinden uns meiner Ansicht nach in einer sehr unglücklichen Lage. Die geheimnisvolle Flucht kann die unangenehmsten Folgen haben. Wir müssen etwas thun, was uns beiden gegen die Natur geht.«

»Du willst sie doch nicht verfolgen lassen?«

»Gewiß nicht; sie kann hingehen, wo sie will, niemand hat ihr etwas zu sagen. Ich denke mehr an uns selbst, das Leben hier wird unerträglich, wenn die Geschichte überall herumkommt.«

»Wie kann das verhindert werden? Die ganze Dienerschaft weiß, daß Beatrice abgereist ist, und zwar ohne Gepäck.«

»Du wirst gleich sehen,« sagte Horace mit stillem Triumph und klingelte nach dem Stubenmädchen.

»Jane,« sagte er, »Fräulein Clauson wurde plötzlich nach London gerufen. Seien Sie so gut und packen Sie ihr ein, was sie zu einem längeren Aufenthalt nötig hat; ebenso packen Sie den Koffer der Kinderfrau und die Sachen des Kindes.«

Jane knickste und entfernte sich, um in Bälde wieder zu erscheinen und zu fragen, wie viele und welche Kleider sie einpacken solle.

»Zwei Straßen- und vier Gesellschaftskleider,« sagte Horace rasch. Herbert bewunderte seines Bruders Seelengröße, die der Sachlage sofort gewachsen war.

Dann wollte Jane wissen, welche Kleider. Die beiden neuen natürlich. Aber was sonst noch? Das schwarzseidene, das schwarze Spitzenkleid, das hohe Kleid mit den Jettbesätzen, das Brokatüberkleid oder was sonst? Für einen Augenblick geriet sogar Horace in Verlegenheit; er faßte sich jedoch schnell wieder.

»Wir wollen kommen und Ihnen helfen,« sagte Horace.

Und so gingen sie in Beatrices Zimmer und standen, mit ihren Augengläsern bewaffnet, zu beiden Seiten des Koffers und überwachten das Einpacken. So groß auch sonst die Freude war, die sie an derartigen Beschäftigungen hatten, heute wagten sie es kaum, einander anzusehen, so schämten sie sich ihrer Lüge, wie jeder ehrliche Mann, der durch die Macht der Umstände gezwungen wird, eine Lüge zu sagen. Als Beatrices Sachen gepackt waren, machte sich Jane an die der Kinderfrau und Harrys, wobei ihr aber ihre Gebieter nicht zur Seite standen. Die Koffer wurden in den Jagdwagen gesetzt, und die Brüder fuhren selbst damit nach Blacktown, wo sie dieselben ruhig lagern ließen. Alles war so gut eingefädelt, daß sogar Whittaker getäuscht wurde, aber die Lüge fiel ihnen schwer aufs Herz.

»Siehst du,« sagte Horace, als sie wieder nach Hause fuhren, »Beatrice ist nach London gegangen; sie will lange wegbleiben und braucht ihre Kleider.«

»Ja,« sagte Herbert tröstend, »jedes Wort, das du gesprochen hast, ist wahr.«

Sie waren so aufgeregt, daß sie das beabsichtigte Kommen Franks bis zum anderen Morgen vergaßen, wo es dann zu spät war, ihm abzutelegraphieren.

Frank, der von neuer Hoffnung beseligt ankam, war überrascht, auf dem Bahnhof weder eine Spur von seinen Vettern noch von Whittaker zu finden; rasch nahm er sich einen Wagen und fuhr nach Hazlewood House. Whittaker öffnete die Thüre. »Alles wohl, Whittaker?« fragte Frank. Doch ehe der alte Diener hatte antworten können, traten die beiden Brüder mit so feierlichen Gesichtern heraus, daß Frank sofort bemerkte, daß irgend etwas nicht in Ordnung war, und sich wunderte, was der Koch wohl angestellt habe; sie führten ihn ins Speisezimmer und begrüßten ihn nochmals.

»Nun, wie geht es euch beiden?« fragte Frank. Sie befanden sich ganz wohl.

»Und Fräulein Clauson – Beatrice?«

»Beatrice,« sagte Horace langsam, »ist nicht hier.«

»Nicht hier?« Franks Blut erstarrte bei diesen Worten, die in unheilverkündendem Tone gesprochen wurden. »Nicht hier heißt doch wohl ausgegangen,« sagte er, »da muß ich sie später begrüßen.«

Die Brüder berieten sich mit den Augen. »Beatrice ist gestern nach London gegangen,« sagte Horace. Frank schien sehr erstaunt.

»Nach London! Sie verließ London ja erst vor kurzem! Ist sie zu ihrem Vater zurückgekehrt?« Schon sann er auf Ausreden, um möglichst bald nach der Stadt zurückkehren zu können. »Was ist denn eigentlich los? Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte er sehr aufgeregt.

»Mein lieber Frank,« antwortete Horace, »es hat sich etwas sehr Sonderbares ereignet, aber es ist so sehr Familienangelegenheit, daß wir nicht wissen, ob wir es dir anvertrauen dürfen, so wertvoll auch dein Rat für uns wäre.«

Frank beunruhigte sich ernstlich und sagte rasch: »Aber ich gehöre doch zur Familie.« Die Talberts schüttelten zweifelnd die Köpfe. Sie waren dessen keineswegs gewiß. Die Familie bestand aus zwei oder, wenn man Beatrice mitrechnete, höchstens aus drei Personen. »Ich habe noch ein anderes Recht, alles zu erfahren; ich sehe nicht ein, warum ich ein Geheimnis daraus machen sollte: Ich habe Beatrice geliebt vom ersten Tage, an dem ich sie sah. Meine einzige Hoffnung ist, daß sie mein Weib werde. Ich beanspruche das Recht, alles zu wissen, was sie angeht.«

»Guter Gott, Frank!« riefen beide Brüder in höchstem Erstaunen, was sehr für ihre vertrauensvollen Naturen oder für Franks Vorsicht bei seinen Bemühungen um Beatrice sprach.

»Ja, ich habe ihr meine Hand angetragen, ehe ich letzten Herbst abreiste. Sie wies mich ab; ich wollte jetzt meine Anfrage wiederholen.«

»Sie wies dich ab?« fragte Horace.

»Ja, ja!« sagte Frank traurig. »Aber nun sagt mir endlich, was geschehen ist!«

»Herbert,« sagte Horace, »das ist der Schlüssel zu dem Geheimnis.« Herbert nickte.

»Welcher Schlüssel? Welches Geheimnis? Seht ihr denn nicht, daß ihr mich verrückt macht?« rief Carruthers.

»Beatrice hat uns gestern verlassen. Diesen Morgen erhielten wir diesen Brief.«

Während Frank las, berieten sich die Brüder flüsternd miteinander.

Franks Erstaunen läßt sich nicht schildern; wie seine Vettern rief auch er: »Was hat das zu bedeuten?«

Horace und Herbert kamen auf ihn zu. Herbert ergriff das Wort. Da nun die romantische Seite der Sache wieder zum Vorschein kam, fühlte er sich berechtigt, den Sprecher zu machen. »Frank,« begann er, »wir möchten dir nicht unrecht thun, aber wir glauben, daß die Thatsachen, daß Beatrice dich abgewiesen hat und daß du nun kommst, um deine Bewerbung zu erneuern, uns zu der Annahme berechtigen, sie sei entflohen, um dich zu vermeiden. Wir verstehen nichts von solchen Dingen, aber wir haben schon von Mädchen gehört, die entflohen sind, um mißliebigen – wie soll ich gleich sagen –«

»Verfolgungen,« schlug Horace vor.

»Nein, der Ausdruck wäre zu stark – die flohen, um mißliebigen Anträgen zu entgehen, Frank. Das hast du natürlich allein mit deinem Gewissen abzumachen.«

Frank starrte während dieser Rede bald den einen, bald den anderen an und brach dann in helles Lachen aus. Trotz der Angst um Beatrice überwältigte ihn die Komik des Augenblickes.

»Das ist nicht zum Lachen, Frank,« sagte Horace.

»Es muß hier Wahnsinn in der Luft liegen, heller Wahnsinn, meine guten Leute! Sehe ich aus wie ein Mann, der mißliebige Verfolgungen unternimmt? Ich bin so stolz wie ihr! Ich hatte Beatrices Erlaubnis zu kommen. Vielleicht erinnert ihr euch, daß es ausgemacht war, wir sollten zusammen reisen?«

Sie erinnerten sich sofort, daß Beatrice ihnen das gesagt hatte, und damit fiel auch diese neue Erklärung in nichts zusammen. Sie baten Frank demütig um Entschuldigung. Dann wurde die ganze Sache nochmals ohne jeglichen Erfolg durchgesprochen. Frank sprach nicht viel; er sehnte sich nach Ruhe und Stille. Nach einiger Zeit fuhr der Wagen vor.

»Du mußt entschuldigen, daß wir dich nicht haben abholen lassen,« sagte Horace, »aber die Wege sind so schmutzig, daß der Wagen bis zur Besuchszeit nicht wieder hätte geputzt sein können.«

»Wo geht ihr hin?« fragte Frank.

»Wir wollen eine größere Anzahl Besuche machen.«

Frank wunderte sich darüber, daß sie diese Besuche unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht lieber aufschoben.

»Es ist eine peinliche, sehr peinliche Pflicht,« sagte Horace, »aber wir fühlen, daß es geschehen muß. Wir müssen bei unseren Freunden die Runde machen und ihnen indirekt zu verstehen geben, daß Beatrice abgereist sei, um einen lange versprochenen Besuch in London abzustatten. Wir sehen keinen anderen Ausweg, um Fragen und üble Nachrede zu verhüten.«

Als Frank diese Worte vernahm, wurde es ihm erst ganz klar, welch wirklich große Seele Horace besaß. Die Brüder fuhren fort und statteten eine ganze Menge Besuche ab, zuallererst bei Lady Bowker. Sie waren so beliebt bei den Damen, daß sie es wagen durften, ihre Besuche bis an die äußerste Grenze der statthaften Zeit auszudehnen. Dann kehrten sie nach Hause zurück mit dem Gefühl, gethan zu haben, was sie konnten, um einen Schleier über Beatrices mehr als außergewöhnliches Benehmen zu werfen.


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