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Siebenunddreißigstes Kapitel

Als Hugh Mrs. Vimpany alles das mitgeteilt hatte, was er in Bezug auf die Unterredung mit ihrem Gatten erzählen konnte, verstand und würdigte sie seine Befürchtungen für die Zukunft. Nur darin stimmte sie nicht mit ihm überein, daß er schon unter den gegenwärtigen Umständen seine Reise nach Paris unternehmen wollte.

»Warten Sie nur noch ein wenig länger hier in London,« sagte sie. »Wenn Iris in den nächsten Tagen nicht an mich schreibt, so hat sie einen Grund für ihr Schweigen, und in dem Falle werde ich, wie ich Ihnen schon gesagt, von Fanny Mere hören. Sobald ich einen Brief aus Paris bekomme, werde ich Sie aufsuchen.«

Am letzten Morgen in jener Woche wurde Mrs. Vimpany bei Hugh Mountjoy gemeldet. Der Brief, den sie brachte, kam von Fanny Mere. Auch in ihrem Schreiben zeigte sich der merkwürdige Charakter des Mädchens so sonderbar wie immer:

»Madame, ich habe Ihnen versprochen, Ihnen mitzuteilen, was hier vorgeht, wenn ich es für notwendig halten würde. Jetzt scheint es mir notwendig zu sein. Mr. Vimpany kam gestern zu uns. Er bewohnt das leere Schlafzimmer. Meine Herrin sagt nichts und schreibt nichts. Aus diesem Grunde schicke ich Ihnen den Brief. Ihre ergebene Dienerin

F.«

Mountjoy war ganz bestürzt und wußte nicht, was er über dieses Schreiben denken sollte, so klar es auch war.

»Es kommt mir sonderbar vor, daß Iris nicht selbst an Sie geschrieben hat. Sie hat doch seither kein Geheimnis aus ihrer Meinung über Mr. Vimpany gemacht.«

»Sie verheimlicht sie aber jetzt,« antwortete Mr. Vimpanys Frau ernst.

»Wissen Sie, warum?«

»Ich fürchte, ich weiß es. Iris wird vor keinem Opfer zurückschrecken, um Lord Harry gefällig zu sein. Sie wird ihm ihr Geld geben, wenn er es verlangt. Wenn er ihr sagt, sie solle ihre Meinung über meinen Gatten ändern, so wird sie ihm gehorchen. Er wird auch ihr Vertrauen zu mir erschüttern können, sobald es ihm nur gefällt. Und er hat es wahrscheinlich schon gethan.«

»Dann ist es jetzt doch sicherlich Zeit, zu ihr zu gehen,« sagte Hugh.

»Gewiß, hohe Zeit,« gab Mrs. Vimpany zu, »wenn Sie nur Ihrer selbst sicher sind. Können Sie es im Interesse der armen jungen Frau fertig bringen, kühl und vorsichtig zu sein?«

»Im Interesse von Iris kann ich alles.«

»Noch ein Wort,« fuhr Mrs. Vimpany fort, »ehe Sie Ihre Reise antreten. Ob nun der Schein gegen oder für ihn ist, seien Sie immer auf der Hut vor meinem Gatten. Lassen Sie mich von sich hören, solange Sie weg sind, und vergessen Sie nicht, daß zwischen Ihnen und Iris ein Hindernis steht, welches selbst Ihre Geduld und Ihre Ergebenheit auf eine harte Probe stellen wird.«

»Sie meinen Ihren Gatten?«

»Ja.«

Sie hatten jetzt nichts weiter miteinander zu besprechen. Hugh ging weg, um die Vorbereitungen zu seiner Abreise nach Paris zu treffen.

Am Morgen nach seiner Ankunft in der französischen Hauptstadt hatte Mountjoy zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen. Er konnte entweder an Iris schreiben und sie fragen, ob sie ihn empfangen wolle, oder er konnte gleich unerwartet in dem Hause in Passy erscheinen. Nachdenken überzeugte ihn, daß die beste Gelegenheit, ein Hindernis auf listige Weise zu beseitigen, die zweite Möglichkeit bieten würde; er mußte Lord Harry und den Doktor überraschen.

Er fuhr daher nach Passy. Der lebhafte französische Geschmack hatte das Haus, in dem das junge Ehepaar wohnte, mit glänzenden Farben geschmückt; die schönen weißen Fenstervorhänge waren mit rosafarbigen Bändern zurückgebunden, die Jalousien strahlten in heiteren Farben, die Essen zeigten künstlerische Verzierungen, und der kleine Garten war ein Paradies von Blumen. Als Mountjoy an der Glocke geschellt hatte, wurde die Thür von Fanny Mere geöffnet. Sie blickte ihn mit ernstem Erstaunen an.

»Erwartet man Sie?« fragte sie.

»Kein Gedanke daran,« entgegnete Hugh. »Sind sie zu Hause?«

»Sie haben soeben das Frühstück beendet, Sir.«

»Erinnern Sie sich noch meines Namens?«

»Ja, Sir.«

»Dann melden Sie mich an.«

Fanny öffnete die Thüre eines Zimmers, welches im Parterre lag, und meldete Mr. Mountjoy.

Die beiden Herren saßen da und rauchten. Iris begoß einige Blumen am Fenster. Sie verlor sofort alle ihre Farbe, als sie Hugh eintreten sah. Angstvoll und von bangen Zweifeln erfüllt, schienen ihre Augen Lord Harry zu fragen, was er dazu sage. Der befand sich aber in der liebenswürdigsten Laune. Dem Drange des Augenblickes nachgebend, gab er ein mustergiltiges Beispiel eines herzlichen Empfanges.

»Das nenn' ich wirklich eine angenehme Ueberraschung!« sagte er, indem er Mountjoy die Hand schüttelte in seiner ungezwungenen, liebenswürdigen Weise. »Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie uns aufsuchen!«

Von ihrer Angst befreit – sie hatte augenscheinlich etwas ganz anderes erwartet – folgte Iris eifrig dem Beispiele ihres Gatten; ihr Gesicht gewann die Farbe wieder, und ihre Lippen umspielte ein reizendes Lächeln. Mr. Vimpany stand in einer Ecke; seine Cigarre war ausgegangen. Seine eigene Frau würde ihn kaum wiedererkannt haben – er bot in der That ein Bild der Verwirrung dar. Lord Harry brach in ein fröhliches Lachen aus und rief:

»Sieh ihn Dir an, Iris! Der Doktor ist zum erstenmal in seinem Leben schüchtern.«

Die gute Laune des Irländers war wirklich unwiderstehlich. Die junge Frau stimmte heiter in das Lachen ihres Gatten ein. Als Mr. Vimpany den freundlichen Empfang bemerkte, der Hugh zu teil wurde, sah er die Notwendigkeit ein, sich den Umständen anzupassen. Er kam daher aus seiner Ecke hervor und wandte sich an Hugh mit der Entschuldigung:

»Ich bitte Sie, Mr. Mountjoy, mein sonderbares Benehmen von neulich zu entschuldigen, als ich Ihnen in London meinen Besuch machte. Geben Sie mir Ihre Hand! Nicht wahr, Sie sind mir nicht böse?«

Iris ahmte in unnatürlich gesteigertem Uebermut die rauhe Sprache des Doktors, mit der er seine Lieblingsentschuldigung wiederholte, so täuschend nach, daß Lord Harry entzückt in die Hände klatschte.

»Nun, Mr. Mountjoy,« fragte der Lord, »Sie finden gewiß nicht, daß die Heirat Iris ihrer Heiterkeit beraubt hat. Darf ich die Hoffnung aussprechen, daß Sie an unserem Frühstück teilnehmen? Sie sehen, der Tisch ist schon gedeckt.«

»Und ich habe Unterricht genommen,« fügte Iris hinzu, »wie man hier in Frankreich Eier kocht; Sie müssen mir schon das Vergnügen machen, zu bleiben, damit ich Ihnen zeigen kann, was ich bereits gelernt habe.«

»Ich bin Lady Harrys ärztlicher Ratgeber,« fiel der Doktor scherzend ein, »Sie werden ihre französischen Leckerbissen schon halb verdaut finden, ehe Sie nur den Mund öffnen, und das ist mein Verdienst, das Verdienst – Clarence Vimpanys, Mitglied des Kollegiums der Wundärzte.«

Hugh gedachte der Warnung Mrs. Vimpanys und verbarg sein Mißtrauen gegen diesen übertriebenen Ausdruck gastfreundlicher Heiterkeit: er sagte einige entschuldigende Worte. Lord Harry erwiderte darauf in gleicher Weise. Er bedauerte es sehr, aber er sei gezwungen, einen Ausgang zu machen.

»Haben Sie schon die neue Zeitung gesehen, Mr. Mountjoy,« fragte er, »die Galignanis Messenger aus dem Felde schlagen soll? Sie heißt: ›The Continental Herald‹. Vierzigtausend Exemplare der ersten Nummer sind gerade jetzt über ganz Europa verbreitet worden; wir haben unsere Agenten in jeder bedeutenden Stadt, in jedem Teile der Welt.«

Seine glänzenden Augen funkelten vor knabenhaftem Vergnügen, als er von seiner eigenen Wichtigkeit sprach. Mr. Mountjoy möge so liebenswürdig sein, ihn zu entschuldigen, er habe aber heute vormittag notwendig auf dem Bureau zu thun.

»Nehmen Sie Ihren Hut!« rief er dann dem Doktor zu. »Sie müssen nämlich wissen, unser Freund hier trägt in seiner Tasche etwas, was unsern Geldbeutel erleichtern soll. Sie werden mich schon verstehen, ich bin eben im Begriff, ihn in die Liste der Mitarbeiter unserer Zeitung einzuschreiben. Er hat, unter uns gesagt, eine Reihe von Artikeln verfaßt, welche einerseits den Schwindel der Aerzte bloßstellen, andererseits in fein satirischer Weise den so sehr überfüllten ärztlichen Beruf in Schutz nehmen und verteidigen. Sie werden sich jetzt gewiß freuen, mit Iris über die Vergangenheit sprechen zu können, ist es nicht so? Mein Engel, zeige unserem guten Freund den Continental Herald und suche ihn zurückzuhalten, bis wir wieder kommen. Vorwärts, Doktor! Auf Wiedersehen, Mr. Mountjoy!«

Sie schüttelten sich wieder die Hände in herzlicher Weise; dem irischen Lord konnte man wirklich nicht widerstehen, wie bereits Mrs. Vimpany versichert hatte.

Die sonderbaren Erfahrungen, die dieser Morgen für Hugh mit sich brachte, sollten aber noch nicht zu Ende sein.


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