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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Die Haushaltung Mr. Henleys war in London wieder vollständig eingerichtet, als eines Morgens eines der Dienstmädchen in Iris' Zimmer erschien mit einer Karte in der Hand und einen Herrn meldete, der Miß Henley zu sprechen wünsche. Iris sah auf die Karte. Der Herr war Mr. Vimpany.

Sie stand schon im Begriff, ihm sagen zu lassen, daß sie verhindert sei, ihn zu empfangen, als sie sich eines bessern besann. Die Worte, welche Mrs. Vimpany beim Abschiede zu ihr gesagt, hatten lebhaften Eindruck auf sie gemacht. Sie hatte die Empfindung, als sei es hartherzig von ihr gewesen, daß sie noch nicht an diese arme, aber reuige Sünderin geschrieben. Führte sie immer noch das einsame, traurige Leben in jener alten, verfallenen Stadt? Oder hatte sie einen neuen Versuch gemacht, auf die Bühne zurückzukehren? Ihr dicker Gatte, der sich jetzt in so unverfrorener Weise bei ihr melden ließ, konnte wenigstens diese Fragen beantworten. Nur aus diesem Grunde entschloß sich Iris, ihn zu empfangen.

Als sie das Empfangszimmer betrat, bot sich ihr ein unerwarteter, sie in doppelter Hinsicht überraschender Anblick dar.

Die äußere Erscheinung des Doktors zeigte eine vollkommene, sofort in die Augen fallende Veränderung; er war in schönster Uebereinstimmung mit seinem Beruf ganz in Schwarz gekleidet. Was aber noch viel merkwürdiger war, der unwissende, ungebildete Mr. Vimpany hatte eine französische Novelle zur Hand genommen, die zufällig unter anderen Büchern auf dem Tische lag, und schien sehr eifrig darein vertieft. Iris blickte ihn überrascht an.

»Ist das der Grund Ihres Staunens?« fragte der Doktor, indem er ihr das französische Buch entgegen hielt.

»Ich muß gestehen, daß ich allerdings nicht auf solche Veränderungen und Fortschritte vorbereitet war,« antwortete Iris.

»O, sprechen Sie nicht von Fortschritten! Ich habe in Paris studirt. Beinahe drei Jahre lebte ich unter französischen Studenten der Medizin. Als ich dieses Buch auf dem Tische bemerkte, dachte ich bei mir: ›Du solltest doch einmal versuchen, ob du die Sprache ganz vergessen hast in der langen Zeit, die – wie Sie wissen – seit jenen Tagen vergangen ist.‹ Nun, mein Gedächtnis ist in den meisten Dingen nicht besonders gut, aber sonderbarerweise sind doch einige von den französischen Brocken hängen geblieben. Hoffentlich befinden Sie sich wohl, Miß Henley. Darf ich fragen, ob Sie meine neue Adresse bemerkt haben, als ich meine Karte hereinschickte.«

»Ich habe nur Ihren Namen gelesen.«

Der Doktor zog sein Taschenbuch heraus und entnahm ihm eine zweite Karte. Mit stolzer Miene zeigte er auf die Adresse: »5, Redburn Road, Hampstead Heath,« dann betrachtete er mit dem gleichen Stolze seine schwarzen Kleider.

»Ganz meinem Berufe entsprechend gekleidet! Nicht wahr?« fragte er. »Ich habe mir eine neue Praxis gekauft und bin ein neuer Mensch geworden. Im Anfang ist es mir nicht leicht gefallen, aber, zum Teufel – ich bitte sehr um Entschuldigung – ich wollte sagen, die Achtung vor mir selbst forderte es und ließ mir keine Ruhe. Wenn Sie nichts dagegen haben, werd' ich mir eine Freiheit erlauben. Aber nicht böse sein!«

Er brachte eine Anzahl Visitenkarten aus der Tasche und legte sie in einem zierlichen Halbkreis auf den Tisch.

»Ein empfehlendes Wort würde, wenn sich gerade die Gelegenheit bietet, eine große Freundlichkeit Ihrerseits sein,« erklärte er. »Vortreffliche Luft in Redburn Road, eine brillante Aussicht – leider nur zu abgelegen von dem großen Verkehr. Nicht, daß ich mich darüber beklagte. Arme Leute können sich nicht alles aussuchen, wie sie es wünschen. Ich würde es selbstverständlich auch vorgezogen haben, in einem vornehmen Stadtteile Londons meinen Beruf auszuüben. Aber unser kleiner Glücksfall –«

Er machte mit diesen Worten gleich einen Sprung mitten hinein in das, was er sagen wollte. Nun war aber gerade der Verkauf der wunderbaren Diamantnadel, durch welche Lord Harry Mrs. Vimpanys traurige Dienste bezahlt hatte, von allen gewiß das letzte, was der Doktor in der Gegenwart von Miß Henley hätte erzählen sollen. Er war auch noch so ungeschickt, eine Pause darnach eintreten zu lassen.

Iris benützte diesen Umstand und leitete das Gespräch auf ein Thema über, welches sie interessirte.

»Wie geht es Mrs. Vimpany?« fragte sie.

»O, sie befindet sich wohl.«

»Ist sie gern in ihrem neuen Hause?«

Der Doktor gab eine seltsame Antwort.

»Ich kann es wirklich nicht sagen,« entgegnete er.

»Soll das heißen, daß Mrs. Vimpany ihre Ansicht darüber für sich behält?«

Der Doktor lachte.

»Bei aller meiner Erfahrung,« sagte er, »bin ich noch niemals in meinem ganzen Leben einer Frau begegnet, die das gethan hätte. Nein, nein, die Sache ist einfach die, meine Frau und ich, wir haben uns getrennt. Aber dabei ist doch gar keine Ursache, so finster und ernst auszusehen! Mangel an Uebereinstimmung der Charaktere, wie man zu sagen pflegt, hat uns zu einer Trennung, in aller Freundschaft selbstverständlich, veranlaßt. Es war für beide Teile eine Wohlthat; sie geht ihren Weg, und ich gehe den meinigen.«

Seine Worte verursachten Iris Ekel, und sie ließ es ihn fühlen.

»Wird es irgend welchen Erfolg haben, nach Mrs. Vimpanys Adresse zu fragen?« sagte sie.

Die unverwüstliche gute Laune des Doktors hielt auch diesmal wie immer stand.

»Bedaure, Ihnen nicht dienen zu können! Mrs. Vimpany hat mir ihre Adresse nicht mitgeteilt. Das ist merkwürdig, nicht wahr? Die Sache ist die: Nachdem Sie uns verlassen hatten, war sie sehr traurig; sie sprach von ihrer Pflicht und von der Sorge um ihr Seelenheil, und was dergleichen dummes Zeug mehr ist. Sobald ich aber erfahre, wo sie sich aufhält, werde ich mir das Vergnügen machen, es Ihnen mitzuteilen. So viel ich weiß, ist sie irgendwo Krankenpflegerin geworden.«

»Krankenpflegerin? In einem Spital?«

»Hm, sie gehört zu einer sogenannten Schwesterschaft; sie läuft herum in einem schäbigen, schwarzen Kleide und in einer weißen Haube, die aussieht, als ob sie Hörner hätte. Wenigstens hat es mir Lord Harry gestern so erzählt.«

Iris vermochte die heftige Erregung, die sich sofort bei diesen Worten ihrer bemächtigte, nicht zu verbergen.

»Lord Harry?« rief sie aus. »Wo ist er? In London?«

»Ja, in Parkers Hotel.«

»Wann ist er denn zurückgekommen?«

»Vor einigen Tagen, und – was glauben Sie wohl – er ist von den Goldfeldern als ein glücklicher, als ein reicher Mann zurückgekehrt. Ja, ja, ich habe die Katze aus dem Sacke gelockt! Ich soll es aber vor jedermann geheim halten, namentlich vor Ihnen; er hat noch einige ganz besondere Ueberraschungen für Sie in Aussicht. Sagen Sie ihm deshalb nicht, daß ich geplaudert habe. Wir hatten in den letzten Tagen in Honeybuzzard einen kleinen Zwist, jetzt sind wir aber wieder versöhnt, und ich möcht' um alles in der Welt nicht die Freundschaft des Lord verlieren.«

Iris versprach, darüber zu schweigen, aber zu wissen, daß der wilde Lord wieder in England war und in Ungewißheit darüber zu bleiben, ob er zurückgekehrt sei mit der Blutschuld auf dem Gewissen oder nicht, das war mehr, als sie ertragen konnte.

»Ich muß noch eine Frage an Sie stellen,« sagte sie. »Ich habe nämlich Grund, zu fürchten, daß Lord Harry dieses Land verließ mit der Absicht, Rache an –«

Mr. Vimpany brauchte keine weitere Erklärung.

»Ja, ja, ich weiß,« sagte er. »Sie können aber ruhig darüber sein, es ist nichts Unrechtes geschehen, weder auf diese noch auf jene Weise. Der Mann, den er verfolgte, war ihm, als er in Südafrika landete, schon wieder entschlüpft. So hat er mir wenigstens selbst erzählt.«

Nach dieser Antwort suchte der Doktor so schnell als möglich, das Gespräch zu beenden. Er wolle, wie er scherzend bemerkte, nur rasch die Flucht ergreifen, bevor Miß Henley ihn zu weiteren Geständnissen verleite.

Nachdem er jedoch die Thüre schon geöffnet hatte, kehrte er plötzlich um und kam zu Iris zurück, der er noch einige Worte in tiefster Heimlichkeit zuflüsterte.

»Wenn Sie es nicht vergessen wollen, mich Ihren Freunden zu empfehlen,« sagte er, »dann werde ich Ihnen noch ein anderes Geheimnis anvertrauen. Sie werden in einem oder zwei Tagen den Lord sehen, sobald er von den Rennen zurückkehrt. Leben Sie wohl!«

»Von den Rennen? Was hat denn Lord Harry bei den Rennen zu thun?«


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